Auf diesem Oldtimer-Blog finden Freunde von Vorkriegsautos historische Originalfotos von Wagen aller Marken. Dabei liegt naturgemäß der Schwerpunkt auf Herstellern aus dem deutschsprachigen Raum.
Hier stößt man mal auf Luxuswagen in mondäner Umgebung – Beispiel Packard Six – mal hat man es mit einem “Brot- und-Butter”-Fahrzeug zu tun. Ihren Reiz beziehen diese alten Aufnahmen oft weniger aus dem Auto selbst als aus ungewöhnlichen Perspektiven und der Präsenz der Menschen, die mit ihnen unterwegs waren.
Heute haben wir es mit einer Situation zu tun, in der einfach alles stimmt: Ein Modell, das praktisch ausgestorben ist, noch dazu aus einem selten gewählten Blickwinkel aufgenommen und die Situation auf raffinierte Weise “belebt”:
© DKW V800 von 1930/31; Originalfoto aus Sammlung Michael Schlenger
Na ja, geht so, mag man bei oberflächlicher Betrachtung sagen. Abwarten, denn das Foto hat es in sich!
Über die Marke des schmal wirkenden Autos – DKW – muss man nicht viele Worte verlieren. Die einst so populären Modelle der sächsischen Firma sind auf diesem Blog besonders umfassend dokumentiert (DKW-Galerie).
Oldtimerfreunde verbinden mit DKW vor allem frontgetriebene 2-Zylinder-Zweitakter, von denen es heute noch etliche gibt. Das waren zwar leistungsschwache Gefährte, aber so attraktiv geformt, wie das bei Kleinwagen sonst niemand hinbekam.
DKW baute in kleinen Stückzahlen ab 1929 jedoch auch heckgetriebene Wagen mit 4-Zylinder-Zweitakter. Die rare 1-Liter-Version dieses Modells – DKW V1000 – haben wir hier bereits präsentiert, in einer ähnlich reizvollen Aufnahme übrigens.
Der nochmals seltenere Vorgänger DKW V800 ist auf unserem Foto zu sehen. Darauf weisen zwei Details in folgendem Bildausschnitt hin:
Im Unterschied zum ab 1931 gebauten DKW V1000 trägt der äußerlich sonst nahezu identische V800 auf der Kühlermaske noch das schlichte alte DKW-Emblem, das bereits DKWs automobiler Erstling – der Typ P 15 PS – aufwies.
Der leistungsstärkere V1000 kam nicht nur mit dem neuen grün-weißen Logo daher, das bis in die Nachkriegszeit Bestand haben sollte. Bei ihm rutschte auch das “4=8”-Emblem von der Oberseite der Kühlermaske nach unten auf den Grill.
Auf unserem Bild ist das aufmerksamkeitsstarke Emblem dagegen noch als filigrane Kühlerfigur angebracht.
Zur Erinnerung: Das Motto “4=8” wies darauf hin, dass ein Zweitakter pro Kurbelwellenumdrehung doppelt so viele Arbeitstakte leistete wie ein Viertakter gleicher Zylinderzahl. DKW sprach seinen lärmenden Vierzylindern also kühn die Qualität von 8-Zylinder-Motoren zu…
Den Eignern wird der bodenständige Charakter des Aggregats unter der Motorhaube vielleicht nicht so wichtig gewesen sein. Für viele Deutsche war ein DKW einst ihr erstes Automobil – noch dazu eines, das äußerlich erwachsen wirkte.
Legt man die vielen Fotos stolzer Besitzer zugrunde, müssen die DKW-Fahrer recht glücklich mit ihrer neu erlangten Mobilität gewesen sein.
Auch unser laut Nummernschild in Schlesien entstandenes Foto zeugt davon, dass man mit der Zugehörigkeit zu den “Automobilisten” einen Schritt getan hatte, der einen in die Welt der Schönen und Reichen katapultierte, die nicht mehr an Zugfahrpläne gebunden sind:
Entsprechend selbstbewusst setzt sich hier die – mutmaßliche – Beifahrerin des fotografierenden DKW-Besitzers in Pose. “Natürlich haben wir auch einen Schminkspiegel in unserem Automobil, mein Herr, was denken Sie?”
Zum Beweis hat unsere DKWlerin das Accessoire mit auf ihren luftigen, doch gewiss noch warmen Platz vorn auf der Motorhaube genommen. “Hut und Frisur sitzen perfekt”, scheint ihr selbstzufriedener Blick zu sagen.
Ein Foto wie dieses wäre heute kaum mehr möglich. Allein die Vorstellung, dass die Beifahrerin es sich mit hochhackigen Schuhen und Handtasche auf der Motorhaube bequem macht, dürfte Klassikerfahrern hierzulande schlaflose Nächte bereiten.
Der Grund dafür ist der, dass ihre in einen vermeintlichen Originalzustand “restaurierten” Gefährte viel zu perfekt sind, um eine derartige Behandlung zu erlauben. Dabei sind die Wagen der Vorkriegszeit einst im Alltag genauso herangenommen worden wie ihre modernen Pendants.
Schon nach zwei, drei Jahren Gebrauch wiesen die Fahrzeuge Beulen und Kratzer auf, die niemanden gestört zu haben scheinen, wie unzählige Fotos belegen. Auf vielen Bildern haben es sich teilweise ganze Familien auf dem Auto bequem gemacht.
Die Pedanterie der “Besser als neu”-Vertreter scheint eine der deutschen Verirrungen der Nachkriegszeit zu sein, in der man alles besser machen wollte als je zuvor. Dieses Foto eines DKW V800 von 1930/31 zeigt uns einen lässig-eleganten Umgang mit dem Automobil, der vielen Landsleuten abhanden gekommen ist.
Übrigens: Dieses Modell wurde nur in 1.700 Exemplaren gebaut und gehört damit zu den rarsten Vorkriegswagen der Marke überhaupt. Man wüsste gern, ob irgendwo noch einer existiert…