Krieg und Frieden: Morris 8 und VW beim Tanken

Auf diesem Oldtimer-Blog für Vorkriegswagen geht es nicht nur um die schier unerschöpfliche Vielfalt an Marken und Typen, die einst die Straßen bevölkerten.

Soweit möglich werden die Fahrzeuge anhand zeitgenössischer Originalfotos in ihrem einstigen Kontext gezeigt, also im realen Einsatz zusammen mit den Menschen, die sie einst fuhren.  

Das liefert andere Eindrücke und Erkenntnisse als die Präsentation anhand von Werks- und Prospektfotos oder gar moderner Aufnahmen, die die überlebenden Autos oft in einem Zustand „besser als fabrikneu“ zeigen.

In vielen Fällen spiegelt sich in vermeintlich unscheinbaren Privataufnahmen eindrucksvoll die Zeitgeschichte wider – mal berührend, mal bedrückend.

Heute geht es um zwei Fotos, die anhand eines Wagentyps von den Umbrüchen der 1940/50er Jahre erzählen. Das erste Bild transportiert uns mitten in den 2. Weltkrieg:

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© Morris Eight Series 1; Originalfoto aus Sammlung Michael Schlenger

Hier sehen wir eine Gruppe deutscher Wehrmachtssoldaten – zwei (Unter)Offiziere und vier Mannschaftsdienstgrade – hinter einer kompakten Limousine posieren. Ein Vermerk auf der Rückseite des Fotos erwähnt als Aufnahmeort Holland.

Das Auto ist schnell als Morris Eight Series 2 identifiziert. Typisch sind der schrägstehende schmale Kühlergrill, die ebenfalls schrägen, nach hinten versetzten Luftschlitze in der Haube und die auffallend filigrane Stoßstange.

Folgender Bildausschnitt liefert weitere Details:

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Die Kühlermaske ist in Wagenfarbe lackiert, auf dem in Fahrtrichtung rechten Schutzblech ist das Kürzel „WH“ für „Wehrmacht Heer“ aufgemalt, während unter der Stoßstange noch ein ziviles Kennzeichen zu sehen ist.

Dass die Kühlermaske ursprünglich verchromt gewesen sein muss, verraten die Speichenfelgen. Denn die erste Serie des 1935 vorgestellten 1-Liter-Vierzylinders wurde mit Chromgrill und Speichenfelgen ausgeliefert, während bei der Serie 2 ab 1938 ein lackierter Grill und Scheibenräder kombiniert wurden.

Folgendes, 2016 beim Goodwood Revival in England auf dem Besucherparkplatz aufgenommene Foto zeigt einen Morris Eight der 1. Serie in voller Pracht:

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So technisch bodenständig der 24 PS-Wagen daherkam, wies er doch ein Detail auf, das bei deutschen Kleinwagen jener Zeit undenkbar war: Ledersitze vorne und hinten. Man sieht dies auf dem Originalfoto aus Kriegszeiten recht gut.

Der einst in Holland fotografierte Morris dürfte ein Beutewagen gewesen sein, der beim Westfeldzug 1940 dem Wehrmachtsfuhrpark einverleibt wurde. Damit kam man im Fronteinsatz nicht weit, doch wir haben es hier mit einer Einheit hinter den Linien zu tun. Die Soldaten wirken älter und dürften zum Nachschub gehört haben.

Was aus den Männern auf dem Foto wurde, wissen wir nicht. Ob man den Krieg überstand oder nicht, war spätestens ab 1944 Glückssache. In wessen Gefangenschaft die Überlebenden 1945 endeten, konnte ebenfalls über Leben und Tod entscheiden.

Der Neuanfang nach 1945 sollte nach dem Willen der Kriegsgeneration von einem friedlichen Mit- und Nebeneinander der europäischen Völker geprägt sein – vom grassierenden Gleichschaltungswahn selbstherrlicher Brüsseler Technokraten konnte damals niemand etwas ahnen.

Den Gedanken der friedlichen Koexistenz aus geteiltem Leid klug gewordener Nachbarn dokumentiert das folgende Foto auf eindrückliche Weise:

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© Morris Eight Series 1 und VW Käfer; Originalfoto aus Sammlung Michael Schlenger

Hier sehen wir links wieder einen Morris Eight der 1. Serie und rechts einen Volkswagen aus dem Landkreis Springe bei Hannover. Das Foto kann ausweislich des deutschen Kennzeichens frühestens 1956 entstanden sein.

Wo aber ist dieses außergewöhnliche Foto entstanden? Dazu werfen wir einen näheren Blick auf die rechte Hälfte des Abzugs:

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So unscharf es auch erscheint, ist auf der Säule hinter dem Volkswagen das Wappen von „BP“ montiert, was für „British Petroleum“ steht. Auch kann man auf der Zapfsäule neben dem Käfer den Schriftzug „Petrol“ ahnen.

Demnach zeigt dieses Foto sehr wahrscheinlich eine Situation an einer Tankstelle im England Ende der 1950er Jahre. Den genauen Ort kennen wir nicht, doch das Nummernschild des Morris Eight liefert zumindest ein Indiz:

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Die Buchstabenkombination „NV“ wurde von März 1931 bis Oktober 1937 in der mittelenglischen Grafschaft Northhamptonshire vergeben. Einschränkend ist zu sagen, dass Autos in Großbritannien ihr Kennzeichen auch bei einem Umzug oder Verkauf in andere Regionen behielten.

Doch die Wahrscheinlichkeit spricht dafür, dass das Foto einst in der Nähe des ursprünglichen Zulassungsorts des Morris entstand. Was dort der Besitzer des VW einst wohl verloren hatte?

Mag sein, dass eine Dienstreise eines deutschen Unternehmensvertreters der Anlass war. Oder jemand wollte alte Bekanntschaften aus der Vorkriegszeit wiederaufleben lassen. Viele Deutsche und Engländer pflegten ungeachtet der beiden Weltkriege enge persönliche Bande, man denke nur an das englische Königshaus.

Die Besitzer des alten Morris bzw. des recht neuen Volkswagens blicken hier einträchtig in die Kamera:

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Irgendetwas muss die beiden an einer englischen Tankstelle zusammengeführt haben. Ob Absicht oder Zufall – das Foto und seine Vorgeschichte mahnen uns, sich auch in Zeiten des „Brexit“-Volksentscheids“ nicht von interessierten Kreisen zu einer antibritischen Stimmung verleiten zu lassen…

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