Ein NSU 5/15 PS unterwegs im Schwarzwald

Regelmäßige Leser dieses Oldtimerblogs mögen sich fragen: Warum präsentiert der Kerl hier eigentlich nur alte Fotos von Vorkriegsautos? Ist das nicht “diskriminierend” gegenüber jüngeren Fahrzeugen?

Ist der Verfasser am Ende ein reicher Schnösel mit Bugattisammlung? Ein Ewiggestriger mit Herrenhaus, Raucherzimmer und Dienstmädchen? Nun, das ist er nicht – ihm fehlen nämlich leider die Mittel dazu…

Wer seine Oldtimerkarriere mit einem VW Käfer von 1985 begonnen hat und sich dann über MGB und Innocenti-Mini in die Vorkriegszeit zurückgearbeitet hat, stellt irgendwann fest, dass die wirklich alten Autos spannender sind.

Das bemisst sich gerade nicht an der Leistung – das heute zu behandelnde Modell ist ein gutes Beispiel dafür. Es geht vielmehr um die schiere Vielfalt – noch so ein Zeitgeistbegriff, ausnahmsweise passend – die die noch junge Welt des Automobils in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts ausmachte.

Ob Antrieb, Karosserieformen, Ausstattungsdetails, Hersteller und Konstrukteure: In den Pionierjahren war Platz für die unglaublichsten Konzepte und Persönlichkeiten, von denen die meisten in heutigen Firmen schon beim “Global Executive Comittee” und der Gleichstellungsbeauftragten durchfallen würden.

Und da zu Nachkriegsautos und 80er Jahre-Plastikbombern (“Youngtimer”) in der deutschsprachigen Presse und im Netz genug, über Veteranenwagen aber zu wenig geboten wird, gibt es diesen meinungsstarken Blog mit starker Vorkriegs-Schlagseite und ausgeprägtem Sinn für das historische Drumherum.

Die jüngste Entdeckung schlummert schon eine Weile im Fundus, doch erst kürzlich gelang die Identfikation:

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© NSU 5/15 PS Tourenwagen; Originalfoto aus Sammlung Michael Schlenger

Der hufeisenförmige Kühler, die schmale Silhouette, die v-förmige Windschutzscheibe deuten auf ein leichtes Sportmodell der frühen 1920er Jahre hin – vielleicht ein Typ aus Frankreich?

Nun, Hersteller ähnlicher Wagen gab es dort einst rund 100! Amilcar, Rally und Salmson sind die bekanntesten Hersteller solcher Cyclecars. Doch bei näherem Hinsehen verflüchtigt sich der Eindruck.

Zum einen ist die Aufnahme in Deutschland entstanden, am einstigen Kurhaus Hundseck an der Schwarzwaldhöhenstraße. Das macht einen französischen Sportwagen kurz nach dem 1. Weltkrieg eher unwahrscheinlich.

Zum anderen ist der Wagen in Wahrheit größer, als er auf den ersten Blick wirkt. Die beiden stattlichen Herren daneben lassen den Tourer vergleichsweise kompakt wirken. Dem Auto fehlen außerdem die für Cyclecars typischen freistehenden Schutzbleche an den Vorderrädern.

Was ist das nun für ein Modell? Dazu werfen wir einen genaueren Blick auf das Auto:

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Zwar sind von dem runden Emblem auf der Kühlermaske keine Details zu erkennen. Seine Placierung und der markante wellenförmige Schwung der oberen Einfassung des Grills verraten aber, dass es sich höchstwahrscheinlich um ein Modell von NSU handelt, genauer: einen 5/15 PS Tourenwagen.

Der in Neckarsulm beheimatete Fahr- und Motorradhersteller fertigte ab 1906 selbstentwickelte Automobile an. Neben gut motorisierten Mittelklassewagen (BeispielBeispiel) bot NSU ab 1910 auch einen zunächst 10, später 15 PS leistenden Kleinwagen an.

Dieser der Papierform nach wenig eindrucksvolle, aber in Deutschland durchaus konkurrenzfähige 5/15 PS-Typ mit blitzsauber konstruiertem, laufruhigen 1,2 Liter-Vierzylinder wurde nach dem 1. Weltkrieg kaum verändert weitergebaut.

Typisch für die offene Version war schon vor dem Krieg die gepfeilte Windschutzscheibe, die wir auf dem Foto sehen. Die kleinen Scheinwerfer dürften bereits elektrisch betrieben sein und sprechen für ein Nachkriegsmodell.

Bis 1925 fand dieser attraktiv gezeichnete, wenn auch schwache NSU-Tourer Absatz. Aus der ersten Hälfte der 1920er Jahre dürfte auch die hier gezeigte Aufnahme stammen.

Das im Hintergrund zu sehende, aus dem 19. Jahrhundert stammende Kurhaus Hundseck war eines von zahlreichen hochklassigen Hotels an der Schwarzwaldhöhenstraße, die damals beliebt bei Ausflüglern waren.

Im Netz finden sich etliche historische Ansichtskarten der einst beeindruckenden Anlage. Leider wurde das Gebäude 1999 bei einem Sturm stark beschädigt. Die damaligen Eigentümer hatten offenbar keinen Sinn für den Wert des historischen Baus und verzichteten auf die notwendigen Reparaturen. In der Folge wurde das Gebäude einsturzgefährdet und wurde auf öffentliches Betreiben hin abgerissen.

Warum die lokale Denkmalbehörde nicht auf eine Sicherung des noch sehr originalen Baus hinwirken konnte, soll hier nicht erörtert werden. Das Studium zeitgenössischer Presseartikels hinterlässt den Eindruck, dass das Kurhaus Hundseck nicht das einzige Gebäude seiner Art war, an dessen Erhalt der lokalen Bürokratie nicht gelegen war.

So zählt unsere Aufnahme nicht nur zu den raren Originalfotos eines NSU 5/15 PS, sondern auch zu den Dokumenten, die an die einst reiche Hotelinfrastruktur und den Erholungswert der Region erinnern.

Heute hat auch im Schwarzwald eine rabiate Ideologie die Oberhand, die zugunsten der Kapitalinteressen weniger Investoren die Zerstörung ganzer Landschaften durch Windindustrieanlagen in Kauf nimmt. Damit wären wir wieder in der Gegenwart…

Literaturtipp: Klaus Arth: NSU-Automobile, Verlag Delius Klasing, 2. Auflage, 2015; der hier gezeigte Wagen ist dort auf Seite 47 ebenfalls abgebildet!

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