Vorkriegsautos haben es hierzulande schwer – viele halten sie für formal langweilig, untermotorisiert und nahezu unfahrbar. Auf diesem Oldtimerblog wird jedes dieser Vorurteile beinahe täglich widerlegt:
Einen Leckerbissen wie ein Stoewer R140 Cabriolet kann man wohl selbst als Verehrer britischer Linienführung kaum langweilig finden. Wer ein Problem mit der geringen Leistung deutscher Vorkriegswagen hat – die bei Volkswagen & Co. merkwürdigerweise nicht stört -, wird bereits bei US-Massenprodukten wie dem Chrysler 65 sehr großzügig bedient.
Und in puncto Fahrkomfort zeigt sich, das unsere Vorfahren trotz “unfahrbarer Autos und unbefahrbarer Straßen” selbst entfernte Ziele erreichten. So fuhr etwa dieser Steyr aus Österreich 1930 auf eigener Achse über die Alpen an den Gardasee:

Steyr Typ XII, Originalfoto aus Sammlung Michael Schlenger
Die reich bebilderte Geschichte dieser Alpenüberquerung mit 30 PS muss noch etwas warten. Etwas Appetit darauf darf man Ende Januar aber ruhig bekommen…
Heute geht es um einen ganz anderen Aspekt, der Vorkriegsautos so faszinierend macht – ihr Überleben in der Zeit nach 1945.
Interessant ist es zu sehen, welche Typen bei Kriegsende in Deutschland noch vorhanden waren. Dabei fällt auf, dass es von einer Automarke überproportional viele Überlebende gab – Hanomag. Einige Exemplare haben wir auf diesem Blog bereits vorgestellt.
Am häufigsten stößt man auf den Hanomag “Rekord”, der von 1934 bis 1940 in nur 19.000 Exemplaren gefertigt wurde. Rekordverdächtig ist, wieviele dieser Wagen, deren 1,5 Liter-Vierzylinder 35 PS leistete, nach 1945 noch am Laufen waren.
Hier haben wir ein solches Modell, das irgendwie im Raum Berlin durchgekommen sein muss, wie das Besatzungskennzeichen (KB=Kommandantur Berlin) verrät:

Hanomag Rekord, Originalfoto aus Sammlung Michael Schlenger
Ungeachtet des stellenweise beschädigten Abzugs macht der Hanomag hier noch einen passablen Eindruck, sieht man von der fehlenden Radkappe ab. Er verfügt sogar über ein Autoradio, damals ein außergewöhnliches Zubehör.
Im Unterschied zu den Radlerinnen im Hintergrund durften sich die beiden Damen mit dem Hanomag glücklich schätzen – zumindest in puncto Mobilität. Der Alltag Ende der 1940er Jahre wird auch für sie genug Härten bereitgehalten haben.
Weitab der Großstadt fand nach dem Krieg ein anderes gut erhaltenes Exemplar des Hanomag “Rekord” Unterschlupf:

Hanomag Rekord (evtl. auch Kurier), Originalfoto aus Sammlung Michael Schlenger
Ob der Wagen über eine eigene Garage verfügte, ist nicht ganz klar. Denn über dem Gebäude hinter ihm steht das englische Wort “Workshop”, was auf eine für die britische Besatzungsmacht tätige Werkstatt hinweisen könnte.
Dazu passen die Ortsbezeichnung “Schleswig” und das ab 1948 ausgegebene Besatzungskennzeichen mit dem Kürzel BS (Britische Zone Schleswig).
Leider wissen wir auch hier nicht mehr über das Auto und seinen Besitzer, der aber sicher ebenfalls mit seinem braven Hanomag zufrieden war.
Eine Nachkriegskarriere ganz eigener Art erlebte das folgende Exemplar eines Hanomag “Rekord”:

Hanomag Rekord, Originalfoto aus Sammlung Michael Schlenger
Solch ein Nutzfahrzeug hat es ab Werk nie gegeben, lediglich eine Kübelsitzvariante des “Rekord”bot Hanomag an. Der hier zu sehende Lieferwagen basiert jedoch auf einem Zivilmodell, wie der Verlauf des Vorderschutzblechs mit anschließendem Schutzblech und die originale Tür belegen.
Die vier Luftklappen mit mittiger Chromleiste finden sich so nur beim Modell “Rekord” – wenngleich nicht bei allen (siehe oben). Dieses Detail erlaubt die Abgrenzung von den Modellen “Kurier” und “Garant” sowie dem größeren “Sturm”.
Auch hier fehlt die Radkappe und das Blech hat schon die eine oder andere unplanmäßige Verformung hinter sich. Doch seinen Besitzern hat der zähe Hanomag “Rekord” auch so wertvolle Dienste geleistet.
Er bekam irgendwann einen Lieferwagenaufbau verpasst, möglicherweise sogar den eines anderen Fahrzeugs. Denn während der Aufbau an der Dachlinie recht gut an die Fahrerkabine anschließt, passt er von der Breite ganz und gar nicht.
Entsprechend improvisiert sieht der Übergang aus:
Der kleine Schönheitsfehler scheint unser “Fotomodell” aber nicht zu stören – wahrscheinlich war sie die Partnerin des Besitzers und offensichtlich stolz auf den braven Hanomag, dessen Seite sie zu tätscheln scheint.
Was auch immer dieser Wagen einst transportiert hat, er hat seinen Eignern in den Aufbaujahren nach dem 2. Weltkrieg geholfen, wieder auf die Beine zu kommen. Unserem Paar war bewusst, welchen Wert ihr Hanomag für sie bedeutete und so haben sie ihn auf diesem Foto eigens für die Nachwelt festgehalten.
Wer heute routinemäßig alle drei, vier Jahre das Fahrzeug wechselt, kann nicht ermessen, welche Rolle ein Automobil im Leben der Leute spielte, die unser Land aus einem Trümmerhaufen in ein prosperierendes Gemeinwesen verwandelt haben.
Die oft sentimentale Einstellung der älteren Generation zu ihren Autos hat ihre Wurzel auch darin, dass diese Fahrzeuge ihrem Dasein neue Perspektiven gaben…