1961 noch ein heißer Feger: Fiat 508 S Sport Spyder

Wer bei der Jahreszahl im Titel zusammenzuckt, kann beruhigt sein – dieser Oldtimerblog bleibt ganz der wunderbaren Welt der Vorkriegswagen treu.

Allerdings: Das Weiterleben von Veteranen nach dem Krieg – bevor sie als Sammelobjekt entdeckt wurden – gehört auf jeden Fall mit zum Thema.

Mal sind es aus der Not geborene Nachkriegsumbauten, die auf ihre Weise das Attribut “original” verdienen. Ein anderes Mal sind es Exoten, mit denen man kaum gerechnet hätte. Genau so ein Exemplar haben wir hier:

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Fiat 508 S Sport Spyder, Originalfoto aus Sammlung Michael Schlenger

Ein perfider Zufall will es, dass der Fahrer dieses kleinen Sportwagens an Erich Honecker erinnert, den letzten Leiter des Großgefängnisses namens “DDR”.

Im März 1961, als dieses Foto entstand, war Genosse Honecker aber anderweitig  beschäftigt: Als “Sicherheitssekretär” des Regimes war er mit der Vorbereitung des Baus der Berliner Mauer ausgelastet, die dem Schutz der DDR-Insassen diente…

Nein, der ältere Herr am Volant dieses flotten Roadsters wird kaum zu den linientreuen Genossen gehört haben – am Ende könnte sein Wagen gar als Fluchtfahrzeug gedient haben, wer weiß?

Dazu wäre das Auto jedenfalls hervorragend geeignet gewesen. Denn was hier wie ein Spielzeug wirkt, war in den 1930er Jahren das heißeste Gerät der 1-Liter-Klasse, das man als Volksgenosse im damals noch braunen Sozialismus erwerben konnte.

Für Kenner der auch im deutschen Sprachraum populären Fiat-Wagen jener Zeit gibt die Frontpartie bereits genug Aufschluss, um den Typ zu identifizieren:

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Speichenfelgen und langgestreckte Vorderschutzbleche gab es auch bei Roadstern von DKW oder Adler. Doch der Kühlergrill mit der markanten Chromnase findet sich nur bei Fiats des Typs 508.

Eine Limousine des Fiat 508 A, die im Westdeutschland jener Jahre unterwegs war, haben wir vor einiger Zeit vorgestellt (Bildbericht), außerdem einen wunderschönen 508 Spider, der in Ostdeutschland überlebt hat.

Gewissheit darüber, dass wir es mit einer besonderen Variante des von 1932-37 gebauten Turiner Erfolgmodells 508 zu tun haben, gibt die markante Heckpartie:

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Die Rückenfinne, die respektlose Zeitgenossen als Entenbürzel ansprechen werden, ist klarer Hinweis auf den Fiat 508 S Sport Spyder, eine ab Werk verfügbare “heißgemachte” Version.

Wer sich heute nicht unter 150 PS auf die Landstraße traut – um dort dann oft mit 70 km/h herumzuzockeln – wird diesen genialen Giftzwerg von der Papierform her unterschätzen.

Zunächst sei angemerkt, dass das Gefährt gerade einmal 600 kg wog.

In Zeiten des”Downsizings”, bei dem der eine oder andere der Laufkultur zuträgliche Zylinder auf der Strecke bleibt, dürfte auch das überraschen: Fiat quetschte vor über 80 Jahren standfeste 36 PS aus einem 995 ccm “großen” Vierzylinder.

Das Triebwerk war dank hängender Ventile enorm drehfreudig. Außer BMW bot in Deutschland niemand Seriensportwagen solcher Charakteristik an. Auch Lenkung und Straßenlage galten als herausragend.

Abgespeckte Varianten des Fiat 508 S waren schon 1933 bei der Mille Miglia kaum langsamer als zweieinhalbmal so starke MGs und erreichten über die Gesamtstrecke ein Durchschnittstempo von fast 90 km/h – auf öffentlichen Straßen wohlgemerkt.

Wer nicht glaubt, dass solch ein heißer Feger aus dem Hause Fiat heute noch Freude machen kann, wird bei folgender Bergprüfung im Elsass eines Besseren belehrt:

© Videoquelle YouTube; Urheberrecht: Christian Lesueur

Man muss das Video nicht bis zum Ende ansehen – schon kurz nach dem Start wird deutlich, wie gern das Motörchen gedreht werden will, wie gut es beim Schalten des 4-Gang-Getriebes das Gas annimmt und wie kerngesund es klingt.

Tja, liebe Fiat-Freunde: Bis in die 1970er Jahre hielt man in Turin an dieser Tradition straßentauglicher Rabauken mit sportlichem Charakter fest. Auch für diese gar nicht so weit entfernte Zeit gilt heute: Tempi passati…

Was mag aus dem Fiat 508 S Sport Spyder auf unserem Foto geworden sein? Schwer zu sagen – einige Modifikationen hatte er zum Aufnahmezeitpunkt schon hinter sich:

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Woher wohl die stattliche Seitenscheibe stammt? Und wieviel Spachtelmasse der hintere Kotflügel bereits mit sich herumschleppt? Vom Verdeck dagegen ist nur noch das Gestänge übrig, das spart Gewicht…

Und was wurde aus dem Besitzer? Wenn er nicht 1961 die letzte Chance zur Flucht aus dem Arbeiter- und Bauernparadies genutzt hat, musste er noch 28 Jahre warten, bis er endlich einmal das Land besuchen durfte, in dem einst sein Fiat gebaut worden war.

© Michael Schlenger, 2017. All entries in this blog (including embedded photos) are copyrighted by the author, unless otherwise indicated. Excerpts and links may be used, provided that credit is given to Michael Schlenger and http://www.klassiker-runde-wetterau.com with appropriate and specific direction to the original content.

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