Ein Oldtimerblog für Vorkriegsautos, der sich ganz auf zeitgenössische Originalfotos stützt, ist im deutschsprachigen Raum einzigartig.
Das hat weniger damit zu tun, dass hiesige Klassikerfreunde sich vor allem für schwäbische Massenprodukte der Nachkriegszeit begeistern (lassen). Liebhaber echter Autoantiquitäten und -raritäten gibt es durchaus zahlreiche.
Nein, die Sache ist einfach mit erheblicher Arbeit und Überlegung verbunden, für die viele Kenner keine Zeit haben. Manche wollen ihre Schätze auch bloß unter Verschluss halten, hat man den Eindruck.
Man stelle sich vor, man hat einen Fundus aus Vorkriegsautofotos in vierstelliger Zahl, der digitalisiert vorliegt. Was wählt man davon aus? Welche Überschrift passt? Welche Geschichte lässt sich dazu erzählen?
Was macht man etwa, wenn man mehrere Bilder von ein und demselben Fahrzeug hat – aufgenommen aus identischer Perspektive?
Nehmen wir als Beispiel für dieses Problem folgenden Hanomag “Sturm”:

Hanomag “Sturm”, Originalfoto aus Sammlung Michael Schlenger
Ja gut, werden die Hanomag-Freunde sagen, hier sieht das Spitzenmodell des Maschinenbauers aus Hannover ja fast so langweilig aus wie in der Originalwerbung.
Zugegeben, da ist etwas dran. Die lange Haube mit dem 2,3 Liter Sechszylinder wirkt vor der massigen Fahrgastzelle wie ein Fremdkörper.
Das ist aber nicht unbedingt die Schuld von Hanomag, die diesen mächtigen Wagen 1934, also keine zehn Jahre nach ihrem 10-PS-Erstling “Kommissbrot” auf die Beine stellte und bis 1939 in knapp 5.000 Exemplaren baute.
Die von Ambi-Budd in Berlin gelieferte Standardkarosserie harmonierte nun einmal besser mit einem kürzeren Vorbau wie beim Vierzylindertyp “Rekord”.
Kaum verwunderlich, dass die Hanomag-Werbung einst kein Wort über die formalen Qualitäten ihres kühn benamten Topmodells “Sturm” verlor:

Hanomag “Sturm”, Originalreklame aus Sammlung Michael Schlenger
Ob sich die junge Dame auf unserem Foto – nennen wir sie Fräulein Freya – wohl deshalb etwas unwohl in dem Wagen fühlte? Nein, der Grund für ihre gebremste Begeisterung war ein anderer.
Ihr Verehrer Vincenz nervte mal wieder mit seiner Fotoverrücktheit:
“Fräulein Freya, bevor die anderen anrücken, muss ich noch ein Bild von Ihnen schießen. Glauben Sie’s oder nicht, aber ich habe mich bei Hanomag als Werbefritze beworben. Bitte nicht zu sehr lächeln, das schätzen die Niedersachsen nicht.”
“Mensch Vincenz, nun machen Sie endlich das vermaledeite Foto. Hätten Sie was Anständiges gelernt, bräuchten Sie sich nicht als brotloser Künstler zu verdingen”.
Dabei hat Verehrer Vincenz eigens in die neueste Kamera investiert – eine Contax! Doch Fräulein Freya interessiert sich nicht für die Brennweite seines Zeiss-Objektivs.
Auf der nächsten Aufnahme – mit Selbstauslöser – hat es Vincenz immerhin neben sie geschafft und kann seine Begeisterung nicht verhehlen.

Hanomag “Sturm”, Originalfoto aus Sammlung Michael Schlenger
Fräulein Freya schaut hier dennoch ganz entspannt, denn inzwischen ist der Rest der Gesellschaft ebenfalls eingetroffen.
Der andere Bursche neben ihr ist Cousin Kurt, der schon im Sandkasten der einzige war, der ihr vertraut die Hand aufs Bein legen durfte.
Hinter dem Hanomag fürchtet unterdessen Hausfreund Hannes um seine Chancen. Er hat seine ganz eigenen Vorstellungen von einem vergnüglichen Aufenthalt bei Fräulein Freya auf dem Lande mitgebracht.
Über die Dinge erhaben ist nur Onkel Otto, der mit seinen 1,85 m den nicht gerade kleinen Hanomag um einiges überragt.
So knisternd die Atmosphäre auch ist, am Ende geht die Sache gut aus. Das beweist das dritte Foto aus dieser Reihe:

Hanomag “Sturm”, Originalfoto aus Sammlung Michael Schlenger
Die anderen haben sich zum Kaffee zurückgezogen, und Verehrer Vincenz hat sich erboten, weitere Aufnahmen von Fräulein Freya im Hanomag zu machen.
Die besteht aber darauf, dass Herr Hannes mit auf’s Bild kommt. Denn er ist ein gefeierter Schauspieler im “Sturm und Drang”-Fach…
Und geben die beiden kein schönes Paar ab? Tja, damit hätten die bei Hanomag mal Werbung machen sollen. Durchgefallen ist die Aufnahme bei den strengen Herren in Hannover wohl nur wegen der zwei etwas unscharfen Damen im Hintergrund…
Wie die Geschichte weitergeht? Nun, Herr Hannes hat sich von seiner letzten Gage ebenfalls einen Hanomag gegönnt:
“Fräulein Freya, Sie sind die Erste, die’s erfahren soll. Ich bin schwer verliebt und habe mir aus lauter Leidenschaft ebenfalls einen “Sturm” zugelegt, aber als rassigen Roadster von Hebmüller. Darin kann man die Schmetterlinge im Bauch freilassen!”
Ob Herr Hannes mit solch’ billiger Lyrik Fräulein Freya am Ende gewonnen hat?
Leider gibt es nur ein etwas unscharfes Foto, das die beiden mit einem Hanomag “Sturm” Roadster an einer Autobahntankstelle zeigen könnte:

Hanomag “Sturm” Roadster (Karosserie Hebmüller), aus Sammlung Michael Schlenger
Damit beginnt eine andere – wirklich wahre – Geschichte um einen besonders raren Hanomag “Sturm”, der einst am Ostseestrand abgelichtet wurde.
Das ist nun etwas ganz Feines, das wir uns eine Weile aufheben müssen, weil die Recherchen dazu noch nicht abgeschlossen sind.