Als Betreiber eines Oldtimerblogs für Vorkriegswagen ohne Markenbindung hat man es nicht leicht: Weit über tausend Hersteller gab es einst allein in Europa. Da kann man nicht auch noch Ahnung von zeitgenössischen Autos haben.
Das ist vermutlich der Grund dafür, dass der Verfasser moderne Wagen der letzten – sagen wir zehn – Jahre nicht auseinanderhalten kann.
Aufgefallen ist ihm zwar, dass die Karosserien immer gestaltloser, die Namen immer abstruser und die Materialien immer aseptischer werden – doch einen aktuellen Peugeot zum Beispiel kann er nach wie vor nicht vom Vor-Vorgänger unterscheiden.
Merkwürdig: Bei den Automobilen der Vorkriegszeit machten zwei Modellgenerationen oder zehn Jahre Welten aus – formal wie technisch.
Das folgende Foto aus den 1930er Jahren, das zwei typische Wagen aus deutscher Produktion zeigt, macht das anschaulich:

DKW F5 Front Luxus Cabriolet und Wanderer W10-1 Tourenwagen
Links haben wir ein satt auf der Straße liegendes Cabriolet mit großzügigem Einstieg und elegant geschwungenen Radkästen. Die filigranen Speichenräder glänzen mit Chromkappen, dahinter großdimensionierte Bremstrommeln. Kühler, Frontscheibe und Heckpartie sind strömungsgünstig geneigt.
Rechts dagegen ein hochbeiniges Gefährt mit rustikalen Felgen, kleinen Bremsen (immerhin vier!) und primitiven Schutzblechen. Der Einstieg führt durch schmale Türen über ein Trittblech nach oben. Frontpartie und Winschutzscheibe stehen senkrecht im Wind. Am unförmigen Heck ist das Reserverrad lieblos montiert.
Jetzt die Preisfrage: Wieviele Jahre liegen zwischen diesen Autos, die beide in Sachsen entstanden und hier einträchtig an einer Tankstelle haltmachen?
20 Jahre? 15, 10? Die richtige Antwort lautet: 8 (in Worten: acht). Tja, solche Entwicklungssprünge waren bei Großserienautos in der Vorkriegszeit normal. Und da reden wir bisher nur von Äußerlichkeiten.
Beginnen wir mit dem älteren der beiden Wagen, einem Wanderer W10-I von 1927:
Auf die Marke Wanderer kam der Verfasser, weil er sich an ein Foto eines Wagens der Marke erinnerte, das ein ganz ähnliches Heck aufwies, das Modell W8 5/20 PS.
Dessen 1926 vorgestellter Nachfolger W10 war zwar in mancher Hinsicht moderner – so besaß er Vierradbremsen und leistete 30 PS. Doch der Tourenwagen besaß nach wie vor das unglücklich gestaltete Heck mit dem senkrecht angehängten Reserverrad.
Die übrigen Details – die farblich abgesetzten Schweller, Form und Anordnung der Luftschlitze in der Motohaube, selbst die Zahl der Radbolzen – passen ebenfalls zum Wanderer W 10-I, wie er bis 1927 gebaut wurde.
1928 legte Wanderer angesichts der Konkurrenz aus den USA nach und steigerte die Leistung des W-10 drastisch auf 40 PS. Damit gingen auch äußerliche Änderungen einher- doch das ist eine andere Geschichte, die des Wanderer W10-II.
Machen wir nun einen Sprung ins Jahr 1935:
Hier haben wir es – wie schon beschrieben – mit einem völlig neuen Konzept zu tun.
So stellt man sich einen deutschen Serienwagen der 1930er Jahre vor: Wohlproportioniert, jedoch nicht extravagant, mit ein paar feinen Details wie der als Kometenschweif auslaufenden Seitenleiste und der Einfassung des Ersatzrads.
Wer auf diesem Blog die Einträge zur Marke DKW verfolgt hat, weiß sofort Bescheid: Das ist das Front Luxus Cabriolet, das auf Basis des Modells F5 bei Horch in Zwickau mit Stahlkarosserie gebaut wurde.
Dies war nicht nur die eleganteste, sondern auch die haltbarste Variante der populären Zweitakt-Wagen von DKW, die schon Frontantrieb besaßen. Damit ließen sie fahrwerkstechnisch den Wanderer W10 “alt” aussehen.
Mit gerade einmal 20 PS war der DKW dem 50 % stärkeren Wanderer zwar auf dem Papier unterlegen. Doch im Spitzentempo von 85 km/h lag er gleichauf, und das bei rund 30 % geringerem Verbrauch.
Deshalb brachten die aus heutiger Sicht schwachen deutschen Wagen der 1930er Jahre im Alltag erhebliche Vorteile gegenüber ihren schweren Vorgängern der 20er mit sich.
Und in puncto Fahrkomfort machten die gerade einmal acht Jahre, die die beiden Wagen auf unserem Foto voneinander trennten, Welten aus. Müsste sich der Verfasser für einen der beiden entscheiden, würde er dennoch beide nehmen wollen…