In Zeiten, in denen viele Automobile keiner erkennbaren gestalterischen Linie mehr folgen oder im schlimmsten Fall absichtsvoll brachial daherkommen, sind speziell die Wagen der 1930er Jahre ein ästhetischer Genuss.
Da wird man über die bei deutschen Modellen oft magere Motorisierung hinwegsehen, wenn man sich an fließenden Linien, harmonischen Proportionen und raffinierter Farbgebung ergötzen kann.
In der Kleinwagenklasse verkörpern die hinreißenden DKW Front Luxus-Cabriolets wohl am perfektesten das Schönheitsideal der 30er Jahre. Davon kann man sich auf diesem Oldtimerblog hier und hier überzeugen.
In der Mittelklasse würden jetzt vermutlich die Mercedes-Freunde den Schönheitspreis für sich reklamieren. Dabei vergessen sie, dass beispielsweise Wanderer ähnlich gut gestaltete Typen anbot (Bildbericht).
Allerdings fehlte es den Mittelklassemodellen der beiden Marken ein wenig an Eleganz, sie wirken jedenfalls auf den Verfasser recht wuchtig. Darin kam eine Solidität zum Ausdruck, die die Kundschaft schätzte – es ging aber auch anders.
Welche Marke könnte noch in Frage kommen? Nun, Adler und Hanomag boten in der Mittelklasse eher Standard – sie bezogen ihre Karosserien von Ambi-Budd. Klar, es gab auch von Hebmüller, Karmann oder Autenrieth eingekleidete Wagen beider Hersteller, aber das waren Kleinserienprodukte.
Die Mittelklassemodelle von Ford und Opel sind ebenfalls nicht gerade preisverdächtig, wenn es um elegante Erscheinung geht. Das ist keineswegs abwertend gemeint, doch außergewöhnlich waren auch hier eher die Sonderkarosserien von Drauz, Gläser und Co.
Nein, die wohl attraktivsten Karosserien aus eigener Serienfertigung bot in der Mittelklasse die Borgward-Konzernmarke Hansa. Dieses subjektive Urteil soll anhand von drei Originalfotos begründet werden:

Hansa 1100; Originalaufnahme aus Sammlung Michael Schlenger
Das hier abgebildete Modell haben wir bereits an anderer Stelle präsentiert (hier), es ist der Hansa 1100 als zweitürige Limousine.
Eine Aufnahme der raffiniert gestalteten Heckpartie konnten wir aber bislang noch nicht anbieten. Umso erfreulicher ist dieses seltene zeitgenössische Foto.
Das niedrige, coupé-artige Dach mit der ungewöhnlich großen Heckscheibe ließ zunächst an einen englischen Wagen der Oberklasse denken. Doch dazu wollte der Rest des Autos nicht so recht passen.
Den Schlüssel zur Identifikation lieferte die schräggestellte B-Säule, die die Türlinie fortführt und die Neigung der Frontscheibe zitiert. Dieses Detail lässt den Wagen weit schnittiger als viele “Artgenossen” erscheinen, zumal es mit Chrom akzentuiert ist.
Ansonsten wirkt der Wagen aus dieser Perspektive auffallend schmucklos, aber man hat nicht den Eindruck, dass ihm etwas fehlt.
Auch die kleinen Chromradkappen an den schlichten Scheibenrädern wirken angenehm zurückhaltend. Verfügbar waren allerdings auch gelochte Felgen bzw. Speichenfelgen (beim Sport-Cabriolet).
Dass der Hansa bei aller Eleganz mit eigenwilligen Details aufwartete, ist auf folgendem Bildausschnitt zu sehen:

Hansa 1100 in Innsbruck; Originalfoto aus Sammlung Michael Schlenger
Auf dieser Aufnahme steht der Hansa im Schatten, während die gegenüberliegende Fassade – deren Beschriftung die Lokalisierung in Innsbruck ermöglichte – von der Sonne beschienen ist.
Daher braucht das Auge einen Moment, um die Details der Frontpartie zu erkennen. Typisch für den Hansa 1100 mit 4 Zylindern sind die vier kleinen Luftklappen in der Haube. Der parallel verfügbare 6-Zylindertyp Hansa 1700 hatte fünf davon.
Gut erkennbar ist hier, dass die gesamte Architektur des Vorderwagens bis zur B-Säule der Neigung des Kühlers folgt. So konsequent machte das sonst niemand.
Die Ähnlichkeit der Frontpartie mit der des Citroen 11 CV “Traction Avant” – vielleicht der beste Mittelklassewagen der 1930er Jahre überhaupt – dürfte Zufall sein; beide Typen wurden 1934 vorgestellt.
Wer bis hierher durchgehalten hat, soll abschließend durch eine Aufnahme der Frontpartie des Hansa belohnt werden. Auch dieses Foto ist eine Rarität, zum Glück wurde es einst als Postkarte reproduziert:

Hansa 1100 oder 1700; Postkarte der 1950er Jahre aus Sammlung Michael Schlenger
Hier sehen wir einen Hansa 1100 -eventuell auch 1700, genau lässt sich das nicht sagen – über die Eisenbahnüberführung im sächsischen Bad Lausick fahren.
Das Bild ist ein Ausschnitt aus einer zu DDR-Zeiten entstandenen Postkarte. Der Hansa, dessen Produktion 1939 endete, dürfte zum Aufnahmezeit an die 20 Jahre alt gewesen sein, wirkt aber noch gut in Schuss.
Wer ein solches Schätzchen über den Krieg gerettet hatte – es gibt auch Aufnahmen von eingezogenen Hansa-Wagen bei der Wehrmacht – konnte sich glücklich schätzen.
Überhaupt ein Auto zu besitzen, war nach dem Krieg ein Privileg und auch für viele ostdeutsche Landsleute die Basis für geschäftlichen Erfolg – zumindest solange das zunehmend rabiater vorgehende Regime diesen noch duldete.
Mit dem 28 PS-Viertaktmotor und seiner Ganzstahlkarosserie war der Vorkriegs-Hansa bis zum Ende des “Arbeiter- und Bauernstaats” die bessere Wahl gegenüber den meisten jüngeren Hervorbringungen der verstaatlichten Autoindustrie.
Die Ersatzteilversorgung mag zwar ein Problem gewesen sein, aber das waren die nach 1945 von “Volksgenossen” zu “Genossen” beförderten DDR-Insassen von der sozialistischen Mangelwirtschaft auch bei neuen Produkten gewöhnt.
Interessant wäre zu erfahren, ob in Ostdeutschland vielleicht mehr von den Hansa-Wagen der 1930er Jahre überlebt haben als im Westen. Viele werden es insgesamt jedenfalls nicht sein – Fahrzeuge dieses Typs sind äußerst selten.
Wer sich für die Eleganz der 1930er Jahre begeistert, eine Prise Eigenwilligkeit schätzt und damit leben kann, dass deutsche Autos jener Zeit keine PS-Monster sind, dürfte mit einem solchen Hansa glücklich werden – wenn er einen findet…