Wenn man sich schwerpunktmäßig mit deutschen Autos aus der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts befasst – und das auch noch anhand zeitgenössischer Originalfotos – kommt man an deren militärischem Einsatz nicht vorbei.
Von der Jahrhundertwende bis 1945 herrschte in Europa über ein Viertel der Zeit Krieg. Dabei sind nicht nur die beiden Weltkriege eingerechnet, sondern auch die Einsätze deutscher Freikorps von 1918 bis 1921 bei gewalttätigen Auseinandersetzungen im Baltikum und in Schlesien.
In diesen Zeiten musste sich das Automobil, das hierzulande zuvor vielfach noch als Spielzeug Reicher angesehen worden war, erstmals im Alltag bewähren – oft unter Bedingungen, für die es kaum ausgelegt war.
Aus automobilhistorischer Sicht ist der Einsatz von Autos im 1. Weltkrieg besonders interessant. Fotos dieser noch raren Vehikel besaßen großen Aufmerksamkeitswert und fanden entsprechende Verbreitung in Zeitungen und Magazinen:

Abbildung aus einer Zeitschrift (1914-18) aus Sammlung Michael Schlenger
Während originale Autofotos aus der Zeit vor dem 1. Weltkrieg eine Rarität darstellen, ist das Angebot von Bildern aus dem Militäreinsatz um ein Vielfaches größer.
Dazu trug auch bei, dass die etablierten Hersteller nach Kriegsausbruch 1914 zivile Modelle in großer Zahl für militärische Zwecke weiterbauten.
So begegnen einem auf vielen Kriegsfotos jener Zeit Wagen von Benz, Horch, NSU und Stoewer, die als Stabsfahrzeuge eingesetzt wurden.
Daneben waren leichte und wendige Typen wie der Adler KL-Typ oder der Wanderer 5/12 PS als Aufklärungs- und Verbindungswagen verbreitet.
Auch zuvor noch nicht etablierte Marken wie Presto aus Chemnitz lieferten in steigendem Umfang Personenwagen an das Militär:

Presto Typ P8 8/25 PS, Originalfoto aus Sammlung Michael Schlenger
Von Presto haben wir hier bisher nur den häufig gebauten Nachkriegstyp D 9/30 PS in einigen Exemplaren vorgestellt. Nun können wir erstmals ein Modell aus der Zeit vor Ausbruch des 1. Weltkriegs studieren.
Presto hatte – wie zahlreiche Hersteller – mit der Produktion von Fahrrädern begonnen. Über die Fertigung von Motorrädern kam man dann ab 1907 zum Automobilbau.
Kurzzeitig produzierte man in Lizenz einen Wagen der französischen Firma Delahaye, versuchte sich aber schon ab 1908 an eigenen Konstruktionen. Eine Serienfertigung lief bei Presto aber erst 1910 an.
Der Wagen auf unserem Foto ist ein Modell der 2. Generation, der Typ P8 8/25 PS, der ab 1913 produziert wurde. Dass unser Wagen ein Presto ist, verrät der folgende Bildausschnitt:
Auf dem Kühleremblem kann man den in weiß gehaltenen, leicht geschwungenen “PRESTO”-Schriftzug ahnen. Dazu passt der oben ovale, unten abgeflachte Kühlerausschnitt.
Markant ist auch die scharfe Abwärtsbiegung der Rahmenausleger. Alle diese Details finden sich auf einer Aufnahme eines Presto Typ P 8/25 PS in Halwarts Schraders Standardwerk “Deutsche Autos 1885-1920” (1. Auflage, 2002) auf Seite 317 wieder.
Dort lassen sich auch dieselben Scheinwerferhalterungen erkennen, wenn auch die Form der Lampen abweicht. Dies will aber nichts bedeuten, da die Scheinwerferausstattung damals stark variierte.
Zur Technik des Presto Typ P8 8/25 PS: Der Vierzylindermotor mit 2,1 Liter Hubraum erreichte seine Höchstleistung schon bei 2.000 U/min. Er war mit einem noch unsynchronisierten 4-Gang-Getriebe verbunden.
Gebremst wurde über eine Kombination aus Getriebe- und Hinterradbremse. Vorne gebremste Räder kamen erst nach dem 1. Weltkrieg allmählich auf.
Die beiden Herren, die mit diesem bis zu 75 km/h schnellen Tourenwagen unterwegs waren, gehörten ausweislich des Wappens auf der Seitentür zur königlich-bayrischen Armee:
Sonst wissen wir nichts über die beiden Männer, die uns über einen Abstand von über 100 Jahren ins Auge schauen.
Möglich, dass der Schnauzbartträger mit der hohen Schirmmütze ein Offizier war. Der junge Fahrer neben ihm war wohl ein einfacher Wehrpflichtiger.
In seiner Funktion hatte er immerhin deutlich bessere Überlebenschancen als die meisten übrigen Männer seiner Generation.
Die Erinnerung an den 1. Weltkrieg ist hierzulande längst verblasst – doch auf den oft gestochen scharfen Fotos aus jener Zeit sind zumindest Momente daraus fixiert.
Diese alten Aufnahmen transportieren einen förmlich in die Vergangenheit zurück – so wie noch existierende Autos von damals ebenfalls eindrucksvolle Zeitzeugen sind.
Genug von Krieg und Verderben, kommen wir nun zum friedlichen Fortleben des Presto P8 8/25 PS nach der Katastrophe des 1. Weltkriegs:

Presto P8 8/25 PS Tourenwagen; Originalfoto aus Sammlung Michael Schlenger
Dieses Foto kommt einer perfekten Inszenierung sehr nahe:
Vor einer majestätischen Berglandschaft, die sich in einem ruhig daliegenden See spiegelt, steht ideal platziert ein Presto 8/25 PS Tourenwagen mitsamt gutgelaunter und lässig posierender Besatzung.
Man fragt sich, ob das nur ein Schnappschuss eines Fotografen mit einem guten Auge und Instinkt für den richtigen Moment war.
Alle Beteiligten scheinen miteinander im Dialog zu stehen, keiner blickt in die Kamera und sie sind überdies harmonisch an und im Wagen verteilt – das macht es schwer, an einen bloßen Zufall zu glauben.
Auf diesem Ausschnitt erkennt man auch klarer das Presto-Emblem und die typische Kühlerform. Die nach unten abknickenden Rahmenausleger sind ebenfalls zu sehen.
Tatsächlich wurde der Presto P8 8/25 PS nach dem 1. Weltkrieg noch bis 1919 kaum verändert weitergebaut. Er erhielt auch keinen modischen Spitzkühler, wie das bei Vorkriegsmodellen anderer deutscher Hersteller oft der Fall war.
So lässt sich nicht genau sagen, ob dieser Presto vor oder erst kurz nach dem 1. Weltkrieg entstand. Letzlich ist das auch unwichtig.
Stattdessen erfreuen wir uns noch einmal an dem herrlichen Panorama, das sich dem Fotografen unseres Bildes irgendwann Anfang der 1920er Jahre bot:
Hier wehen uns die Schönheit und das Leben einer untergegangenen Welt an wie auf einem alten Gemälde…