Heutzutage kommt man sich schon kühn vor, wenn man beim Überqueren der Alpen nicht den Tunnel, sondern die Paßstraße nimmt.
Nebenbei: Wenn man kein völliger Sklave des Effizienzdenkens ist, ist der “Umweg” durch die Bergwelt zumindest bei schönem Wetter eindeutig vorzuziehen.
Das geht auch mit einem eher schwach motorisierten Oldtimer. Der Verfasser kann sich noch gut daran erinnern, wie er vor einem knappen Vierteljahrhundert den Gotthardpass bezwang – im 1200er Volkswagen mit 34 PS.
In einer ähnlichen Leistungsklasse bewegte sich das Fahrzeug auf folgender historischen Aufnahme:

Fiat 505; Originalfoto aus Sammlung Michael Schlenger
Hier sehen wir die typische Szenerie einer Reifenpanne: Einer arbeitet und drei andere stehen herum oder tun anderweitig beschäftigt.
Nun, dank des hydraulischen Stempelwagenhebers und geeigneten Werkzeugs war die Sache wohl schnell und komplikationslos erledigt. Vorausschauende Fahrer hatten auf schlechten Pisten oft gleich zwei Reservereifen dabei.
Unsere Reisenden wird der kleine Zwischenfall kaum gestört haben – immerhin hatten sie sich bewusst für das Abenteuer eines Ausflugs ins Hochgebirge entschieden. Woher wir das wissen? Dazu gleich mehr.
Erst wollen wir uns noch ein wenig mit dem Auto beschäftigen:
Das großflächige Emblem auf der Kühlermaske ist zwar nicht lesbar, doch die leicht birnenförmige Form des Kühlerausschnitts sagt alles: Das ist einer der Fiat-Typen, die nach dem 1. Weltkrieg auf den Markt kamen.
Neben dem äußerst erfolgreichen Fiat 501 – von dem ab 1919 rund 80.000 Exemplare gebaut wurden – gab es ein etwas größeres Modell: den Typ 505.
Dieser unterschied sich äußerlich nur wenig von seinem kleinen Bruder. Nur an der Größe und den vorne fast gerade abgeschnittenen Schutzblechen – wie beim Wagen auf unserem Foto – konnte man ihn erkennen (siehe auch Fiat-Galerie).
Dass wir es mit einem Fiat 505 zu tun haben, lässt auch die Aufnahmesitutation vermuten: Mit den 23 PS des Fiat 501 hätte man im Gebirge seine liebe Mühe gehabt.
Der 505 dagegen schöpfte aus seinem 2,3 Liter großen Vierzylinder 33 PS. Einen deutschen Großserienwagen mit vergleichbarer standfester Literleistung suchte man in dieser Klasse Anfang der 1920er Jahre vergeblich.
Kein Wunder, dass sich auch der Fiat 505 gut verkaufte: über 17.000 Stück setzten die Turiner davon international ab.
Jetzt aber zur Aufnahmesituation. Zum Glück haben wir zwei weitere Fotos von demselben Ausflug. Dieses hier sagt wohl alles über die Örtlichkeit:

Tourenwagen der 1920er Jahre; Originalfoto aus Sammlung Michael Schlenger
Selbst Absolventen hessischer Erziehungsanstalten, in denen man seit den 1970er Jahren auch mit scheunentorgroßen Wissenslücken brilliante Schulabschlüsse erwerben kann, werden hier wohl auf die Dolomiten tippen.
Ob es nun die berühmten drei Zinnen oder deren Nachbarn sind – das zu klären, sei den Hochgebirgsspezialisten überlassen. Wir Altautofreunde interessieren uns auch eher für die drei Wagen auf dem großartigen Bild.
Wer hier nur zwei sieht, möge sich folgenden Bildaussschnitt genauer ansehen:
Ganz links am Bildrand lugt vor der unscharf abgebildeten Person im hellen Mantel ein Schutzblech hervor – der Form nach würde es zum Fiat passen.
Das Nummernschild des Wagens rechts verweist ebenso wie das des oben gezeigten Fiat auf eine Zulassung in Bozen, der Hauptstadt von Südtirol, das sich Italien nach dem 1. Weltkrieg einverleibt hatte.
Wer übrigens eine Idee hat, was die Herren auf obiger Aufnahme treiben, darf dies gern über die Kommentarfunktion mitteilen.
Unterdessen werfen wir noch einen Blick auf das dritte Foto dieser Serie:

Tourenwagen der 1920er Jahre; Originalfotos aus Sammlung Michael Schlenger
Trotz der verwackelten Aufnahme, die vom Rücksitz des vorausfahrenden Wagens aus entstand, bekommt man einen Eindruck davon, auf was für Schotterpisten und in welch grandioser Landschaft die Autos unterwegs waren.
Man wünscht sich, dass es dort heute nicht anders aussieht – der Fortschritt darf ruhig an ein paar Orten unseres bereits arg zugebauten Kontinents innehalten.
Wagen wir trotz der mäßigen Qualität des Abzugs auch hier einen näheren Blick:
Der vordere Wagen ist wahrscheinlich ein Steyr, dafür spricht der Spitzkühler mit dem mittig angebrachten Emblem und das markant geknickte Blech zwischen den beiden Rahmenauslegern.
Auch dieser Wagen würde gut in die Region passen, da österreichische Wagen in Südtirol auch nach dem 1. Weltkrieg gern gefahren wurden.
Hand auf’s Herz: Wer bekäme angesichts dieser um 1925 entstandenen Bilder keine Lust, ebenfalls auf solchen Pisten mit Wagen jener Zeit unterwegs zu sein?
Wer nun sagt, dass ihm sein restauriertes Schätzchen dafür zu schade ist, bringt sich nicht nur um das Vergnügen, sondern vergisst auch, dass die Autos vor 90 Jahren auch einmal neu waren – aber nur für kurze Zeit…