5 Jahre Fortschritt: Vom Hanomag 3/16 zum 4/23 PS

Den meisten Freunden deutscher Vorkriegsautos fällt beim Stichwort Hanomag wohl am ehesten das “Kommissbrot” ein, das von 1925-28 als Typ 2/10 PS gebaut wurde.

Das Wägelchen mit seinem 500ccm-Einzylinder wartete zwar mit bemerkenswerten Konstruktionsdetails auf – am fortschrittlichsten war die Pontonkarosserie – doch ein ernstzunehmendes Auto war es letztlich nicht.

Versuche, den “rasenden Kohlenkasten” zum potentiellen Volkswagen zu adeln, sind abwegig. In den 1920er Jahren hatten amerikanische, englische und französische Hersteller längst vorgemacht, wie massenmarkttaugliche Autos aussehen.

Das A und O dabei waren keineswegs innovative technischen Konzepte, sondern konsequente Ausrichtung der Konstruktion auf industrielle Großserienfertigung – die Voraussetzung für einen volkstümlichen Preis.

So blieb das Kommissbrot mit etwas mehr als 15.000 Exemplaren in fast vier Jahren Bauzeit einer von vielen deutschen Sonderwegen in die Sackgasse hinein.

Dem Reiz dieses Nischenkonzepts tut das natürlich keinen Abbruch, vor allem nicht mit so charmanter Besatzung:

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Hanomag 2/10 PS Cabriolet; Originalausführung

Eines muss man den Maschinenbauern aus Hannover lassen: Nach dem Fehlstart mit dem Hanomag Kommissbrot gelang es in nur fünf Jahren aus eigenen Kräften, ernsthafte und zunehmend wertige Automobile zu entwickeln.

Diese dynamische Entwicklung wollen wir heute anhand historischer Originalfotos nachzuvollziehen, deren Charme nicht zuletzt darin besteht, dass sie auch die damaligen Besitzer und Insassen zeigen.

Beginnen wir mit dem ab 1929 gefertigten Typ Hanomag 3/16 PS mit 750ccm-Vierzylindermotor, der bei moderatem Verbrauch immerhin Tempo 75 erlaubte:

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Hanomag 3/16 oder 4/20 PS; Originalfoto aus Sammlung Michael Schlenger

An diesem gefälligen Automobil erinnerte nur noch eines an den Vorgänger 2/10 PS – das Emblem auf der Kühlermaske mit stilisiertem “Kommissbrot”.

Die geschmackvolle Zweifarblackierung lässt das keine 500 kg wiegende Fahrzeug durchaus adrett erscheinen. Dieses Auto war kein fauler Kompromiss und keine verschrobene Kopfgeburt, sondern grundsolide und gesellschaftsfähig.

Damit konnte man sich sehen lassen, das dachten gewiss auch die folgenden jungen und modebewussten Hanomag-Eigner, die auf gewisse Weise an das amerikanische Bankräuberpaar Bonnie & Clyde erinnern:

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Hanomag 3/16 oder 4/20 PS Cabriolimousine; Originalfoto aus Sammlung Michael Schlenger

Neben der 3/16 PS-Variante war übrigens auch bereits eine 4/20 PS-Version mit 1,1 Liter Hubraum verfügbar, die für 80 km/h Spitze gut war.

Zwei gestalterische Details verraten, dass wir es mit einem dieser frühen Hanomag-Vierzylindermodelle zu tun haben: Die unten horizontal verlaufende Frontscheibe und der große Abstand der seitlichen Zierleisten entlang des Passagierabteils.

Auf der folgenden Aufnahme sehen wir die nächste Entwicklungsstufe ab 1931:

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Hanomag 3/17 PS oder 4/23 PS Cabrio-Limousine; Originalfoto aus Sammlung Michael Schlenger

Hier hat sich einiges getan. Sicher, die markante Aufteilung der Luftschlitze in der Motorhaube in zwei Felder ist noch vorhanden, ebenso die Scheibenräder, aber:

  • die Unterseite der vergrößerten Frontscheibe folgt der Form des Vorderwagens,
  • die obere Zierleiste unterhalb der Seitenfenster ist nach unten gerutscht, der Aufbau wirkt nun höher,
  • der Abstand des hinteren Türabschlusses zum Heckschutzblech ist größer,
  • die Kotflügel reichen seitlich weiter hinunter,
  • die Scheibenräder tragen verchromte Nabenkappen.

Zu dem aufgewerteten und großzügigeren Erscheinungsbild passen die opulenten Doppelstoßstangen nach amerikanischem Vorbild, die als Zubehör verfügbar waren.

Das sich aufbäumende Pferd auf dem Kühler deutet nicht auf frühe Ferrari-Fans hin – obwohl Enzo Ferrari bis 1931 selbst Rennen fuhr – sondern auf das Wappentier von Niedersachsen, wo Hanomag seinen Stammsitz hatte.

Diese Kühlerfigur war nachweislich auch schon beim Vorgängermodell Hanomag 3/16 bzw. 4/20 PS-Modell verfügbar:

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Hanomag 3/16 oder 4/20 PS Limousine, Originalfoto aus Sammlung Michael Schlenger

Hier können wir noch einmal sämtliche Details mit dem Vorgängertypen abgleichen, das ebenfalls bereits eine Doppelstoßstange aus dem Zubehörhandel besaß.

Im nächsten Schritt machen wir in formaler Hinsicht einen großen Sprung – dabei rücken wir bloß vom Jahr 1931 ins Jahr 1932 vor. Doch auf einmal haben wir einen Hanomag mit wesentlich modernerem Erscheinungsbild vor uns:

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Hanomag 3/18 PS PS; Originalfoto mit freundlicher Genehmigung von Matthias Kraus

Wer auch immer dieses schöne Foto vor über 80 Jahren schoss, für den stand sicher die schlanke junge Dame im Mittelpunkt, die sich gerade anschickt, den Fahrersitz dieses Hanomag einzunehmen.

Der originale Abzug stammt aus dem Familienalbum von Kommunikationsdesigner Matthias Kraus aus Halle, dem wir bereits eine außergewöhnliche Aufnahme eines Nash auf Teneriffa verdanken.

Es fällt schwer, sich diesem freundlichen und jugendlichen Blick aus ferner Vergangenheit zu entziehen, doch wir wollen uns ganz auf das Auto konzentrieren.

Ins Auge fallen folgende Veränderungen:

  • die Frontscheibe steht schräg und sitzt auf der Vorderpartie auf,
  • der vordere Türausschnitt verläuft ebenfalls schräg,
  • die untere seitliche Zierleiste schwingt zum Wagenende hin nach unten,
  • die Luftschlitze in der Haube sind direkt in diese eingeprägt,
  • das Vorderschutzblech schwingt weiter nach hinten aus,
  • die Kühlermaske ist vollverchromt und ist leicht nach hinten geneigt,
  • die glattflächigen Scheibenräder sind stärker nach innen geprägten gewichen.

Äußerlich hat dieses Auto kaum noch etwas mit dem Vorgängermodell gemein. Technisch hat sich dagegen wenig getan. Die Motorisierung ist mit 3/18 PS annähernd dieselbe; auch die hydraulischen Vierradbremsen besaß schon der Vorgängertyp.

So bleibt vor allem formal der Eindruck eines neuen Wagens, wie an folgender Aufnahme genau desselben Typs noch deutlicher wird:

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Hanomag 3/18 PS; Originalfoto aus Sammlung Michael Schlenger

Auch hier fällt die gepflegte bis modebewusste Erscheinung der Passagiere ins Auge. Der Hanomag mag nach heutigen Maßstäben bescheiden anmuten, war aber alles andere als ein Armeleutevehikel.

Bereits der Besitz eines solchen Automobils der unteren Mittelklasse setzte im Deutschland der frühen 1930er Jahre ein weit überdurchschnittliches Vermögen voraus.

Als privilegiert fühlen konnte sich damals schon, wer bei Wind und Wetter mit dem Motorrad zur Arbeit fahren konnte. Der Hanomag bot demgegenüber Schutz, mehr Platz und entsprechend mehr Prestige – die Leistung war nebensächlich.

Springen wir zwei Jahre weiter, ins Jahr 1934. Der Hanomag wird nur noch als 4/23 PS-Modell angeboten, wahlweise mit 4-Gang-Getriebe. Optisch hat sich nochmals einiges getan:

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Hanomag 4/23 PS; Originalfoto aus Sammlung Michael Schlenger

Bei dieser Cabriolimousine mit Zulassung in Unterfranken sehen wir den neuen Stil, der schon seit 1933 das Modell “Rekord” mit 1,5 Liter großem Motor und 32 PS (später 35 PS) kennzeichnete und bis Kriegsbeginn typisch bleiben sollte.

Ins Auge fallen:

  • der in Wagenfarbe lackierte und mit dem Vorderwagen verschmolzene Kühler,
  • die Chromleiste um die Windschutzscheibe herum,
  • die großen vollverchromten Scheinwerfer,
  • die serienmäßige, einteilige Stoßstange,
  • die serienmäßigen verchromten Radkappen.

Alle oben skizzierten Veränderungen vollzogen sich in nur fünf Jahren! Der Unterschied zwischen dem eingangs gezeigten Modell von 1929/30 und dem zuletzt vorgestellten ist kolossal. Solche Entwicklungssprünge gibt es heute nicht mehr.

© Michael Schlenger, 2018. All entries in this blog (including embedded photos) are copyrighted by the author, unless otherwise indicated. Excerpts and links may be used, provided that credit is given to Michael Schlenger and https://vorkriegs-klassiker-rundschau.blog with appropriate and specific direction to the original content.

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