Leser meines Blogs fragen mich bisweilen, woher ich die Fotos habe, die ich hier vorstelle, und wie ich bei der Suche vorgehe.
Der erste Teil der Frage ist leicht beantwortet:
- Den überwiegenden Teil der Aufnahmen erwerbe ich in der deutschen Präsenz von eBay – so erfasse ich das volle Spektrum der in der Vorkriegszeit im deutschsprachigen Raum verbreiteten Automarken.
- Daneben profitiere ich von Zusendungen von Lesern, die wissen wollen, in was für einem Wagen Uropa im 1. Weltkrieg als Fahrer unterwegs war oder vor welchem flotten Gefährt Großmutter in der Zwischenkriegszeit posierte.
- Die dritte Kategorie sind Aufnahmen von “Stammgästen”, die sich über eine Besprechung besonderer Funde freuen oder Blog-Einträge mit Fotos ergänzen.
Bei meinen eigenen Erkundungen auf eBay achte ich darauf, Zeugnisse noch nicht in meinem Blog bzw. den Markengalerien enthaltener Hersteller oder Typen zu ergattern – denn langfristig soll hier ein möglichst umfassendes Abbild der umwerfenden Vielfalt an Vorkriegsautos im deutschen Sprachraum entstehen.
Gern kaufe ich auch Fotos, auf denen das Fahrzeug nicht auf Anhieb zu identifizieren ist und die überdies von mäßiger Qualität sind. Das hält den Preis niedrig und oft bieten solche Aufnahmen Überraschendes.
Da der allgemeine Bildungsstand auf dem absteigenden Ast ist, wissen viele Verkäufer nicht, was sie eigentlich im Angebot haben. Dann kann man für symbolische Preise Funde wie diesen machen:

Kaiser Wilhelm II; Originalfoto aus Sammlung Michael Schlenger
Der Originalabzug war von noch schlechterer Qualität, als es diese digitale Kopie vermuten lässt. Zudem ist von dem abgebildeten Wagen kaum etwas zu sehen.
Dennoch lässt sich diese Aufnahme als Schnappschuss eines der Benz- oder Mercedes-Wagen identifizieren, mit denen Kaiser Wilhelm II im 1. Weltkrieg seinen meist repräsentativen Aufgaben nachkam. Hier ist er beim Einsteigen festgehalten.
Viel zu sagen hatte er als formaler Repräsentant des Deutschen Reichs zwar nicht – Politik und Militär lagen von Verfassung wegen in der Hand von Reichstag und Reichskanzler – dennoch besaß der Kaiser neben dem Generalstab einen gewissen faktischen Einfluss und entfaltete während des Kriegs eine rege Reisetätigkeit.
Privataufnahmen wie diese, die als Ansichtskarte im Oktober 1915 versandt wurde, können selbst bei schlechter Qualität bedeutende Zeitzeugen sein.
So ist das auch bei der Aufnahme, die ich heute eigentlich vorstellen möchte. Nur steht hier keine historische Persönlichkeit im Mittelpunkt, sondern es geht um eine automobile Randerscheinung im Salzburg der 1930er Jahre:

Salzburg, Residenzplatz; Originalfoto aus Sammlung Michael Schlenger
Diese Aufnahme hatte ich ganz ohne zusätzliche Informationen erworben – auch hier ließ die Qualität des Originalabzugs zu wünschen übrig.
Angesichts des Nebeneinanders von gleißendem Licht und tiefen Schatten hatte sich jemand einst bei der Belichtung verschätzt und eine zu kurze Zeit gewählt. Zum Glück ließ sich das mit geringem Aufwand korrigieren.
Nach getaner Arbeit stellte ich fest, dass mir die Ansicht des weitläufigen Platzes mit dem barocken Brunnen in der Mitte und den bewaldeten Hügeln im Hintergrund bekannt vorkam.
Könnte das nicht in Salzburg aufgenommen worden sein? Tatsächlich, das Bauchgefühl trog mich nicht, obwohl ich nur einmal vor etlichen Jahren kurz dort verweilte.
Die genaue Örtlichkeit war schnell ermittelt- es handelt sich um den Residenzplatz, nebenbei ein Beispiel für die verlorengegangene Kunst, aus einem Ensemble von Gebäuden aus mehreren Jahrhunderten ein reizvolles Gesamtbild zu schaffen.
Uns interessiert dies aber nur am Rande, denn vor gut achtzig Jahren gab es dort noch Spannenderes zu besichtigen als den mächtigen Marmorbrunnen, dessen schwelgende Formen und Wasserfontänen dort seit über 350 Jahren die Besucher erfreuen:
Was hier Spektakuläres nebeneinander abgelichtet ist, erschloss sich mir erst nach und nach.
Zwar hatte ich bereits früh den Verdacht, dass es sich bei dem eleganten hellen Wagen mit der von der Stromlinie inspirierten Frontpartie um einen Renault von Mitte der 1930er Jahre handeln könnte.
Doch erst der Vergleich mit dem daneben im Schatten stehenden Fahrzeug, ließ mich die wahre Größe dieses Fundes erkennen.
Das dunkel gehaltene Cabriolet mit traditioneller Formgebung lässt sich anhand von Kühlergrill und -figur als Achtzylinder-Wagen der sächsischen Luxusmarke Horch identifizieren.
Die durchgehende Stoßstange findet sich ab 1932 bei den Modellen 500 B mit 5 Liter großem Achtzylinder sowie den Typen 710, 720 und 750 mit 4 bzw. 4,5 Litern Hubraum.
Einer genaueren Ansprache steht entgegen, dass die Haubenpartie mit den jeweils charakteristischen Luftschlitzen oder -klappen verschattet ist. So oder so handelte es sich um einen mächtigen Luxuswagen mit über 5 Meter Länge, von dem nur einige hundert Exemplare entstanden sind.
Was kann das nun für ein Renault sein, der ein solches Gefährt offenbar mühelos in den Schatten stellt?
Die windschnittige Kühlerform in Verbindung mit der mittig v-förmig zulaufenden Vorderstoßstange taucht ab 1935 bei etlichen Renault-Modellen auf.
Zugegebenermaßen sind mir die damaligen Renault-Typen und ihre eigenwilligen Bezeichnungen nach wie vor nicht sonderlich vertraut.
Doch die halb in die Vorderschutzbleche eingelassenen Scheinwerfer und die fünf übereinanderliegenden seitlichen Chromleisten in der Haube finden sich nur bei den “Grand Sport”-Ausführungen, die Renault damals als Spitzenmodelle anbot.
Neben dem Sechszylindertyp Viva Grand Sport gab es den Nerva Grand Sport mit 8-Zylinder-Reihenmotor, der in der Ausführung von 1935 (Type ABM 5) dem hier abgebildeten Wagen den Details und der Proportion nach glich.
Das 5,5 Liter messende Aggregat erzielte eine Spitzenleistung von rund 110 PS, was von der Papierform her den Wert des Horch 500 B übertraf. Ganze 151 Fahrzeuge dieses mächtigen Typs entstanden bis Sommer 1936.
Noch mehr als damals sind diese großartigen französischen Achtzylinderwagen heute eine ganz große Rarität.
Einen Eindruck vom eigenwilligen Erscheinungsbild dieser im deutschsprachigen Raum kaum bekannten Luxuswagen vermittelt das folgende Video, das die etwas kleinere, aber äußerlich sehr ähnliche Sechszylinderversion Viva Grand Sport zeigt:
Urheber: Persecutrice; Videoquelle: http://www.youtube.com
© Michael Schlenger, 2019. All entries in this blog (including embedded photos) are copyrighted by the author, unless otherwise indicated. Excerpts and links may be used, provided that credit is given to Michael Schlenger and https://vorkriegs-klassiker-rundschau.blog with appropriate and specific direction to the original content.