Zu Besuch bei den Nassauern: NSU 5/15 PS

Woran denken Sie, wenn jemand als Nassauer bezeichnet wird? Der Begriff mag in der Alltagssprache kaum noch gebräuchlich sein, aber wer schon etwas länger auf Erden weilt, verbindet damit zumindest noch einen fragwürdigen Charakter.

Wer es nicht genauer weiß und sich wie ich sachkundig machen muss, absolviert bei der Gelegenheit eine hübsche Lernkurve – ein Bild, auf das wir noch zurückkommen.

Auf den Punkt gebracht: Ein Nassauer ist im Unterschied zum Schnorrer jemand, der nicht lediglich wahllos Gelegenheiten dazu nutzt, kleine Vorteile mitzunehmen, sondern systematisch und in größerem Stil auf Kosten anderer lebt.

Meine Vermutung ist, dass man im (außerhalb Chinas) größten Parlament der Welt mit Sitz in Berlin besonders gute Chancen hat, auf solche Trittbrettfahrer mit leistungslosem Einkommen (plus diverse „Nebeneinkünfte“…) zu stoßen.

Dazu passt ausgezeichnet, dass der Begriff des Nassauers aus dem Berliner Jargon zu stammen scheint, der für „umsonst“ das Synonym „nass“ kennt. Für die magische Anziehungskraft ihrer Stadt auf solche Kostgänger können die Berliner freilich nichts.

Die Bewohner der historischen Region Nassau in Hessen scheinen ebenfalls unschuldig zu sein, was die Untugend angeht, dauerhaft und ohne Nutzen zulasten Dritter sein Dasein zu bestreiten.

Solchermaßen belehrt können wir uns nun diesem schönen Foto zuwenden, das einst „in der Kurve von Nassau“ entstand – so steht es auf der Rückseite vermerkt:

NSU 5/15 PS; Originalfoto aus Sammlung Michael Schlenger

Die Opel-Freunde erfreuen sich hier natürlich vor allem am Anblick eines frühen 4 PS-Modells mit dem noch leicht spitz zulaufenden Kühler, welches in der Mitte dieser kleinen Ausflugsgesellschaft zu sehen ist.

Damit haben wir den frühesten Entstehungszeitpunkt dieses Fotos – 1924. Den brauchen wir auch, da der Wagen ganz vorne durchaus schon einige Jahre alt sein konnte, als der Kameraverschluss ausgelöst wurde.

Man meint zwar auf dem Markenemblem auf dem in Wagenfarbe lackierten Spitzkühler zwar nur ein „S“ zu sehen, doch auf dem Originalabzug ist klar „NSU“ zu lesen.

Die Neckarsulmer Fahrzeugwerke waren nach dem 1. Weltkrieg zunächst mit drei Vorkriegsmodellen angetreten – den Typen 5/15 PS, 8/24 PS und 13/35 PS. Sie wurden zunächst noch mit dem traditionellen eiförmigen Kühler ausgestattet:

NSU 5/15 PS Vorkriegsausführung; Originalfoto aus Sammlung Michael Schlenger

Laut Literatur – empfehlenswert: „NSU Automobile“ von Klaus Arth“ – erhielten die NSU-Wagen erst 1921 einen Spitzkühler, wie er bei anderen deutschen Marken bereits seit 1913/14 in Mode war und allgemein bis etwa 1925 blieb.

Bei der Gelegenheit wurde die Leistung des Basismodells 5/15 PS auf 21 PS gesteigert, ohne dass die Bezeichnung geändert wurde. Warum das bei einem derartigen Leistungssprung unterblieb, ist mir nicht bekannt.

Vielleicht war es für die Käufer des gut eingeführten Typs weniger wichtig, da für ihre Zwecke ein solches Automobil ohnehin vollkommen ausreichend war. Vielleicht sollte auch nicht deutlich werden, dass der größere NSU 8/24 PS keinen PS-Zuwachs erfahren hatte.

Dieser sah übrigens praktisch genauso aus wie der NSU 5/15 PS, war aber wesentlich länger, etwas breiter und beträchtlich schwerer. Die allgemeinen Proportionen des Wagens auf dem Foto lassen vermuten, dass wir es mit dem kleinen Modell zu tun haben:

Die fünf Personen auf dieser Aufnahme waren wohl nicht alle Insassen des kleinen NSU, wenngleich es diesen außer als Zwei- bzw. Dreisitzer auch als Tourenwagen gab.

Da zum Aufnahmezeitpunkt niemand in dem Opel zu sehen ist, schätze ich, dass sich mindestens zwei Insassen desselben hier dazugesellt haben.

Der Ausschnitt erlaubt vielleicht noch eine nähere Eingrenzug des Baujahrs des NSU. So sind an Wagen dieses Typs von 1924/25 flache Windschutzscheiben zu sehen, während „unser“ Exemplar noch eine mittig geteilte und leicht pfeilförmige Frontscheibe besitzt.

Demnach haben wir es wohl mit einem NSU 5/15 PS der frühen 1920er Jahre zu tun. Dem Vergleich mit dem erst 1924 eingeführten Opel 4 PS-Typ hielt der ältere NSU mühelos stand, allerdings war er fertigungsbedingt auch wesentlich teurer.

Heute dürfte er eine große Rarität darstellen, wohingegen es vom Opel 4 PS-Modell zahlreiche Überlebende gibt. So könnte der Wagen hinter dem NSU, der einst beim Besuch dieser „Fahrgemeinschaft“ bei den Nassauern mit dabei war, heute noch existieren.

Ein überlebender NSU 5/15 PS wäre freilich aus meiner Sicht das weit spannendere Objekt, bei dem man gern einmal nicht nur „Trittbrettfahrer“ wäre…

© Michael Schlenger, 2021. All entries in this blog (including embedded photos) are copyrighted by the author, unless otherwise indicated. Excerpts and links may be used, provided that credit is given to Michael Schlenger and https://vorkriegs-klassiker-rundschau.blog with appropriate and specific direction to the original content.

Ein Gedanke zu „Zu Besuch bei den Nassauern: NSU 5/15 PS

  1. Ihrer Literaturempfehlung bin ich nun gefolgt und kann nur bestätigen, daß dieses bei Delius-Klasing erschienene Buch von Klaus Arth den Neckarsulmer Automobilbau bestens beschreibt. Ein neues Buch, das auch die Motorräder beinhaltet, erscheint in 3 Tagen.

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