Dass ein Opel Gegenstand großer Träume sein kann, ist ziemlich lange her. Der letzte Opel, der aus meiner Sicht noch so etwas wie Charakter hatte, war der kleine “Adam” mit seiner gelungenen Zweifarblackierung – die einzige schicke Alternative zum Fiat 500.
Ansonsten muss ich weit in die Vergangenheit zurückgehen, um etwas Attraktives auf vier Rädern zu finden, das einst in Rüsselsheim vom Band lief – den Manta in seiner Ursprungsversion etwa lasse ich zumindest optisch gelten. Noch früher gab es sogar begehrte Oberklassewagen wie den Opel “Kapitän”.
In den 1920er Jahren war jeder Opel ein Traumwagen – und blieb das auch, denn selbst das unter dem Spitznamen “Laubfrosch” bekannte kompakte 4 PS-Modell war für 99 % der Deutschen unerreichbar.
Hier haben wir die von Herbst 1926 bis Herbst 1927 gebaute Version 4/16 PS mit flachem und oben abgerundetem Kühler:

Diesen adretten Wagen kennt wohl jeder, der sich für deutsche Vorkriegsautos interessiert. Damit gelang Opel der Sprung in die Fließbandproduktion – in etwa zeitgleich mit Brennabor. Ohne Anleihen am Citroen 5CV wäre dieser Schritt aber wohl unterblieben.
Nachdem Opel mit dem kleinen 4 PS-Modell der kommerzielle Erfolg gelang, der anderen, im Manufakturdenken verhafteten deutschen Herstellern noch auf Jahre hinaus verwehrt blieb, wuchs in Rüsselsheim der Ehrgeiz.
Dabei entschied man sich für eine ungewöhnliche – um nicht zu sagen: ziemlich abwegige – Idee: Man übertrug die konstruktiven Details eines Kleinwagens kurzerhand auf ein neues Mittelklassemodell, den Opel 10/40 PS, auch als Modell 80 angeboten.
Dieser Typ war dem zeitgleichen 4 PS-Typ wie aus dem Gesicht geschnitten, bloß hatte man die Abmessungen vergrößert:

Abgesehen von den Dimensionen sind es eigentlich nur die Räder mit sechs statt vier Radbolzen und die zwei Trittschutzbleche am Schweller unterhalb des Einstiegs, die diesen Wagen von seinem kleinen Vorbild unterscheiden.
So ausgezeichnet die technische Qualität dieser Aufnahme ist, so wenig gelungen wirkt diese XXL-Variante des Opel 4 PS-Typs auf mich.
Während die Gestaltung des “Laubfrosch” vollkommen stimmig ist, wirkt dieser mit 40 PS nicht gerade schwach motorisierte Wagen optisch unbeholfen – geradezu wie aufgepumpt, was er ja größentechnisch letztlich auch war.
Aus einem sehr ansehnlichen Kleinwagen durch pure Skalierung ein weit größeres Auto zu machen, das ist keine besonders gute Idee. Fiat hat in unseren Tagen mit der aufgedunsen wirkenden “L”-Version des makellos gezeichneten 500 denselben Fehler gemacht.
Zudem war in der zweiten Hälfte der 1920er Jahre in dieser Größenklasse ohnehin eher ein kultivierter Sechszylinder angezeigt als ein schlicht im Hubraum verdoppelter Vierzylinder. So konnte Opel mit dem Modell 80 10/40 PS keinen dem kleinen Vorbild entsprechenden Erfolg landen. Heute ist der große Bruder des “Laubfroschs” eine veritable Rarität.
Ein großer Traum muss der Opel im Ende Juni 1927, als dieses Foto entstand, jedoch für den stolzen Buben im Matrosenanzug gewesen sein. “Wenn ich einmal groß bin, dann will ich so einen Wagen besitzen”, mag er gedacht haben:

Doch hegte er vielleicht noch hochfliegendere Pläne. Auf seiner Mütze ist nämlich “Kreuzer Emden” zu lesen. Das war der Name eines gerade erst 1925 fertiggestellten Schulschiffs des Deutschen Reichs.
Vielleicht wurde sein Traum war und er wurde später Matrose auf der “Emden”, die hier auf einer ihrer weltumspannenden Fahrten vor der amerikanischen Küste zu sehen ist.
Vielleicht blieb er den Zweiten Weltkrieg über an Bord, als die veraltete “Emden” nur kleine Einsätze fuhr. Anfang Februar rettete das Schiff rund 1.000 Flüchtlinge aus Ostpreußen, bevor es im Mai 1945 kurz vor Kriegsende von der Besatzung gesprengt wurde.
Das alles konnte niemand wissen, als dieses Foto entstand. Von den großen Träumen ist nichts geblieben – weder von den deutschen Seemachtsambitionen noch von Opels Versuch, dem Laubfrosch einen erfolgreichen großen Bruder zur Seite zu stellen.
Nur die Momentaufnahmen von einst haben die Zeiten überdauert – und so wird das auch mit den großangelegten Plänen ausgehen, die heute in einem zunehmend in Mittelmaß und Bedeutungslosigkeit versinkenden Deutschland geschmiedet werden.
© Michael Schlenger, 2021. All entries in this blog (including embedded photos) are copyrighted by the author, unless otherwise indicated. Excerpts and links may be used, provided that credit is given to Michael Schlenger and https://vorkriegs-klassiker-rundschau.blog with appropriate and specific direction to the original content.