Der Einstieg des Maschinenbauers Hanomag in die Automobilfertigung anno 1924 mit dem Kleinstwagen 2/10 PS war ein kühner Schritt.
Doch nicht weil es an Interesse an einem möglichst preisgünstigen Automobil am deutschen Markt mangelte, sondern aufgrund des Konzepts, für das man sich entschied.
Preislich war der Hanomag 2/10 PS unschlagbar – soweit ich weiß gab es damals keinen billigeren Serienwagen hierzulande. Für 2.650 Mark war der offene Zweisitzer 1925 zu bekommen, selbst der kleinste Opel kostete damals tausend Mark mehr.
Da Opel bereits ein Jahr zuvor die Fließbandfertigung gestartet hatte, stellt sich die Frage, wie der Neuling Hanomag es schaffte, den Preis des Opel 4 PS-Typs so drastisch zu unterbieten.
Die Antwort ist einfach: Indem man ein Primitivgefährt mit lärmendem Einzylindermotor ohne Anlasser auf die Kundschaft losließ, welches zugleich auf eine Karosserie im klassischen Sinne verzichtete.
Auf den pontonförmigen Unterbau ohne Kotflügel montierte man bei der geschlossenen Version einen aquariumsartigen Kasten, in dem sich für maximal zwei Insassen Platz fand. Entsprechend wenig begeistert wurde einst für diese Aufnahme posiert:

Für das von seinen Entwicklern als Beitrag zur Volksmotorisierung geplante Vehikel entschieden sich zwischen 1925 und 1928 rund 0,25 Promille der Deutschen – knapp 16.000.
Natürlich war der Anteil der potentiellen Autofahrer hierzulande ohnehin verschwindend gering, doch zeigt das Rechenbeispiel, dass von einer oft behaupteten “Popularität” des Hanomag 2/10 PS keine Rede sein kann.
In der Lebenswelt der allermeisten Menschen im Deutschland der Zwischenkriegszeit, in dem nicht einmal die so wichtige Landwirtschaft nennenswert mechanisiert war, spielten Automobile praktisch keine Rolle – allenfalls als bestauntes Kuriosum am Rande.
Letztlich blieb selbst der minimalistische Hanomag 2/10 PS ein Spielzeug einer hauchdünnen Schicht, und ich vermute, dass die Käufer eher Nonkonformisten waren, die das Kleingeld für den durchaus provokant gestalteten Wagen hatten:

Die Dame mit Hund, die uns hier kess zulächelt, während sich die Herren irgendwo im Raum Berlin für eine vergnügliche Ausfahrt mit diversen Kraftfahrzeugen fertigmachen, dürfte kaum eine Akkordarbeiterin oder Magd auf dem Bauernhof gewesen sein.
Wer sich damals einen Hanomag 2/10 PS in der geschlossenen Version zulegen wollte, musste dafür mehr als das zweieinhalbfache Brutto-Jahreseinkommen eines angestellten Durchschnittsverdieners (1925: 1.469 Reichsmark) aufbringen!
Schon daran wird ersichtlich, dass es für den Hanomag 2/10 PS in der Breite der deutschen Bevölkerung keinerlei Markt geben konnte.
Wenn es in der Literatur heißt, der als seinerzeit als rollender Kohlenkasten oder Kommissbrot verspottete Wagen sei schlicht “zu visionär” oder “seiner Zeit voraus” gewesen, heißt das auf gut deutsch bloß: “an der Marktrealität vorbeikonstruiert”.
Doch will ich heute nicht allzu streng mit dem Hanomag 2/10 PS ins Gericht gehen, denn immerhin gelang es den Hannoveranern später, durchaus überzeugende – und das heißt unter anderem auch familien- und alltagstaugliche – Wagen zu bauen.
Vielleicht ist Ihnen auf dem obigen Foto aufgefallen, dass der dort abgebildete Hanomag 2/10 PS statt der serienmäßigen Speichenräder scheinbar Scheibenräder besitzt.
Das täuscht indessen, handelt es sich dabei nämlich um ein Zubehör, welches mir bei der Durchsicht einer Reihe weiterer Fotos aufgefallen ist.
Dass Fahrer eines Hanomag 2/10 PS keine armen Schlucker waren – die gingen im Deutschland der zweiten Hälfte der 1920er Jahre zu Fuß oder fuhren Rad – haben wir bereits hergeleitet.
So war nach dem Erwerb eines solchen Wagens oft noch das nötige Kleingeld für ein hübsches Extra drin, welches den von vorn wie hinten wie ein Brotlaib daherkommenden Hanomag endgültig zu eine runden Sache machte:

Diese Aufnahme zeigt meines Erachtens den von mir ansonsten ungeliebten Hanomag 2/10 PS von seiner besten Seite – als offenen Zweisitzer mit Türausschnitt nach Roadster-Manier.
Der braungebrannte Insasse scheint auch ausgesprochen zufrieden mit seinem Solarium auf vier Rädern gewesen zu sein. Dazu mögen die erwähnten Scheiben auf den Rädern beigetragen haben, die den Wagen hier halbwegs wie aus einem Guss erscheinen lassen.
Diese dürften aus Aluminium bestanden haben, waren somit leicht und sorgten bei Verzicht auf eine Lackierung auf einen Glanzeffekt, welcher dem Gefährt ab Werk ansonsten abging.
Man muss allerdings sagen, dass auch dieses hübsche Zubehör im Fall der geschlossenen Version am ernüchternden bis verstörenden Erscheinungsbild des Wagens wenig änderte:

Reizvoll ist die Aufnahme gleichwohl, was der ungewöhnlichen Perspektive von schräg hinten und der geschickten Einbeziehung des menschlichen Elements zu verdanken ist, das ich auf historischen Fotos gleich welcher Automobile schätze.
Nun könnte einer meinen, dass wir es hier mit Scheibenrädern zu tun haben, wie sie sich an späteren Hanomag-Modellen finden. Doch tatsächlich waren dies Zierblenden auf den originalen Speichenrädern, die offenbar ein populäres Zubehör waren.
Den Beweis dafür kann ich mittels dieser Aufnahme führen, welche ich Leser Klaas Dierks verdanke:

Diese Aufnahme lässt keine Wünsche offen – so wird selbst ein simpler Hanomag 2/10 PS zu einem spannenden Botschafter aus längst vergangener Zeit.
Ein einziges Foto kann ein komplexes Geschehen wiedergeben, das sich über einige Zeit erstreckt, wenn man im richtigen Moment auf den Auslöser drückt. Ich schätze, das hat hier die Begleiterin des Herrn getan, der nach einem Reifendefekt aktiv wurde.
Beide Insassen haben ihre Reisemäntel abgelegt, nebenbei ein Hinweis darauf, dass der im Heck befindliche Motor bei kühleren Temperaturen keinerlei Wärme in den Innenraum abgab, wie das bei einem Frontaggregat der Fall ist.
Die scheibenförmige Blende des linken Vorderrads ist demontiert, sie liegt auf dem Boden hinter dem Herrn, der mit der damals üblichen Handpumpe Luft in den vor ihm liegenden Reifen befördert.
Doch warum tut er das eigentlich? Das Rad vorne links – vermutlich das vom Heck abmontierte Ersatzrad – sieht intakt aus, während es wenig Sinn ergibt, das defekte Rad neu aufzupumpen zu versuchen. Hat jemand eine Erklärung für die Situation?
Für mich bleibt als Fazit: Wirklich populär kann der Hanomag 2/10 PS nicht gewesen sein, doch ein spezielles Zubehör war es offensichtlich…
Michael Schlenger, 2022. All entries in this blog (including embedded photos) are copyrighted by the author, unless otherwise indicated. Excerpts and links may be used, provided that credit is given to Michael Schlenger and https://vorkriegs-klassiker-rundschau.blog with appropriate and specific direction to the original content.
Dank Servolenkung gilt nun eh die sportlich-lässige Handhabung, die auch schon in den 70ern üblich war. An das Umgreifen kann ich mich auch noch erinnern, besonders bei den Stadtbussen meiner Volksschulzeit. Somit war auch die stärkere Neigung des Lenkrads auf damals ca. 40° statt später 20° sehr sinnvoll ! Vielen Dank Herr Schlenger, denn so habe ich wieder dazugelernt !
Bei sportlicher Fahrweise setzte die Möglichkeit, mit angewinkelten Armen starke Lenkradausschläge ohne Umgreifen vornehmen zu können, tatsächlich mehr Armfreiheit voraus als bei alltäglicher Fahrweise, in der man behutsamer lenkt und dabei mehrfach umgreifen konnte.
Ob Fiat 501 oder Hanomag Kommißbrot als zweisitziges Sportmodell oder Roadster im britischen Sinne – offene Einstiege oder mitunter winzige, zur Sitzlehne hin niedriger werdende Türen, die hinsichtlich ihres Spritzwasserschutzes wie auch der passiven Sicherheit sinnlos erscheinen, ergeben im Hinblick auf die Fahrerplatzergonomie einen ganz anderen Sinn, nämlich den Oberarmen Platz zum Lenken zu lassen. Dabei gehörte der Hanomag 2/10 PS zu den Ersten, deren Innenraumbreite nahezu der Fahrzeugbreite entsprach.
Danke, aber ich schließe mich eher Herrn Weigolds Interpretation an. Noch einen angenehmen Aufenthalt im Norden!
Absolut, danke!
Hallo Michael, ich sehe unter der Vorderachse eine Stütze, wohl ein Wagenheber, also wahrscheinlich eine Reifenpanne vorne rechts…
Beste Grüße aus meinem Schwedenurlaub, wo ich auch gerne von unterwegs Deinen Blog goutiere. Claus
Die Erklärung wäre ganz einfach:
Das platte Vorderrad steckt ja noch auf den Radbolzen, ist aber wegen der deutlich sichtbar aufgebockten Vorderachse bereits entlastet
Und optisch daher unauffällig!
Der Herr der Szene bringt also das Ersatzrad auf korrekten Druck, ehe er den Radwechsel vornimmt .
Eine stimmige Deutung ?