Glück und Tragik: DKW F7 „Meisterklasse“ von 1937

Im Leben gehören Glück und Tragik untrennbar zusammen. Wir können das Dasein göttergleich genießen, solange uns das Glück uns hold ist – doch die Endlichkeit holt uns unweigerlich ein – irgendwann.

Diese Tragik versucht der Mensch seit Urzeiten immer neu zu verarbeiten, irgendwie erträglich zu gestalten, manchmal ihr gar einen Sinn abzuringen.

Die dem Leben zugewandten Griechen konstruierten ihre Mythologie ganz um dieses irdische Menschenschicksal herum – das Jenseits spielte nur eine unerbauliche Nebenrolle.

Der Maßstab für Kunst ist für mich, dem Spannungsverhältnis zwischen flüchtigem Glück und final triumphierender Tragik Ausdruck zu verleihen.

Während ich diesen Blog-Eintrag schreibe, höre ich eine Musik, die ich erst heute kennengelernt habe. So fand ich in der Post eine bestellte CD, die ich vergessen hatte. Darauf befinden sich zwei Werke des englischen Komponisten Henry Purcell (1659-1695).

Das erste strotzt vor Opulenz und Glanz – es ist die Ode „Come Ye Sons of Art“, die Purcell anlässlich des Geburtstags von Queen Mary im Jahr 1694 schrieb.

Das versetzt mich in die rechte Stimmung, um die Schönheit eines Automobils zu preisen, das für mich einen gestalterischen Gipfelpunkt in den späten 1930er Jahren darstellt:

DKW F7 „Meisterklasse“ von 1937; Originalfoto aus Sammlung Klaas Dierks

Nie zuvor und nie wieder danach wurde ein Kleinwagen von solcher klassischer Vollkommenheit gebaut. Dieses Auto, dessen Zweitaktmotor gerade einmal 20 PS leistete und das mit Mühe Spitze 85 km/h erreichte, besaß alle äußeren Attribute eines Luxusautomobils, bloß brilliant ins Kleinformat übertragen.

Normalerweise funktioniert so etwas nicht, aber die Gestalter der Auto-Union, welche damals für das Erscheinungsbild der vier unter diesem Dach vereinten Marken Audi, DKW, Horch und Wanderer zuständig waren, vollbrachten das Meisterstück.

So erhielt dieser DKW des Ende 1936 eingeführten Frontantriebstyps F7 verdientermaßen die Bezeichnung „Meisterklasse“ – wobei der Zusatz eigentlich nur auf die gehobene Ausstattung mit verchromtem Kühlergehäuse, Chromstoßstangen und Chromradkappen sowie Zweifarblackierung verweisen sollte.

Die ebenfalls verchromte Hutze am oberen Windschutzscheibenrahmen gab es so nur 1937, was eine entsprechend präzise Datierung solcher DKWs erlaubt.

Bevor wir in dieser Ode auf den DKW F7 „Meisterklasse“ zum nächsten Stück wechseln, sei noch angemerkt, dass mir bei der ersten Aufnahme das Fehlen von Menschen keinen Nachteil darzustellen scheint. Die ländliche Ruhe mit den grasenden Kühen in Verbindung mit diesem aus idealer Perspektive fotografierten DKW lässt keine Wünsche offen.

Dennoch stellt der DKW auch mit seinen einstigen Besitzern einen erfreulichen Anblick dar – dieses Foto verdanken wir ebenfalls Leser Klaas Dierks:

DKW F7 „Meisterklasse“ von 1937; Originalfoto aus Sammlung Klaas Dierks

Passend zur Purcell’schen Geburtstagsode für Queen Mary kommt mir diese adrette junge Dame tatsächlich wie ein kleine Königin vor – sie hat genau studiert, wie die feinen Damen aus altem Erb- und neuem Geldadel sich in der Öffentlichkeit gaben.

Sie macht ihre Sache so gut, dass man glatt vermuten könnte, dass sie auch für Modemagazine ihrer Zeit posierte. Dagegen sieht ihr Partner am Lenkrad etwas naiv in die Kamera, aber er ist hier nur unmaßgebliches Beiwerk.

Dass man besonders faszinierend erscheinen kann, wenn man gerade nicht in die Kamera blickt, das werden wir gegen Ende bestätigt finden.

Vorher werden wir allerdings noch Zeuge einer dritten Situation mit demselben DKW – und hier kündigt sich an, dass gerade dann, wenn alles nach unseren Wünschen zu gehen scheint, das Schicksal unheilvoll dazwischenfunken kann.

Unsere Altvorderen wussten damit freilich umzugehen, zumindest was die allfälligen Reifenpannen betrifft, die auch den bestpräparierten Automobilisten ereilten. Dann ging man(n) unaufgeregt an die Arbeit, während „sie“ die Situation fotografisch festhielt:

DKW F7 „Meisterklasse“ von 1937; Originalfoto aus Sammlung Klaas Dierks

Passend dazu ist soeben Purcell’s Geburtstagsode an Queen Mary zuendegegangen.

Das nun folgende zweite Werk ist ganz anderen Charakters. Es beginnt mit einem feierlichen Marsch in langsamem Schritt – um was genau es sich handelt, verrate ich zum Schluss.

Damit will ich überleiten zu einer abschließenden Aufnahme eines DKW F7 „Meisterklasse“. Sie zeigt wiederum ein Exemplar aus dem Jahr 1937, diesmal aber nicht als heitere Cabrio-Limousine, sondern als ernster daherkommende Limousine.

Davon abgesehen findet man an dem Wagen alle erwähnten Attribute – bloß der verchromte Kühler ist hier nicht erkennbar, denn ein ernst in die Ferne blickender Mann mit Akkordeon hat darauf Platz genommen:

DKW F7 „Meisterklasse“ von 1937; Originalfoto aus Besitz von Heidemarie Valentin

„In the midst of life“ – „Mitten im Leben“ so singt gerade der unvergleichliche englische Monteverdi Choir unter John Eliot Gardiner im Hintergrund.

Mitten im Leben, so scheint es, ist einst diese Aufnahme irgendwo im Fränkischen entstanden, das lässt die Zulassung im Raum Nürnberg jedenfalls vermuten. Irgendwann zwischen 1937 und 1939 muss das gewesen sein.

Der feierliche Ernst des Mannes auf dem Kühler verleiht dieser Aufnahme seine ganz besondere Aura. Zwar denkt man bei einem Akkordeon zunächst an heitere, gefällige Musikstücke – doch wer schon einmal etwas vom Bandoneon-Großmeister Astor Piazolla gehört hat, weiß dass solche Instrumente zu allem fähig sind.

Zudem wirkt der gebräunte und makellos gekleidete Mann mit der hohen Stirn nicht gerade wie irgendein zur Volksbelustigung aufspielender Musikus.

Gerade hat die letzte Nummer auf der CD begonnen, die mich heute begleitet hat. Wieder ist es ein feierlicher Marsch. Damit endet ein Werk, das Henry Purcell nach dem Tod von Queen Mary 1695 schrieb, also kurz nachdem er sie noch mit seiner Geburtstagsode gefeiert hatte.

Mitten aus dem Leben – mit nur 32 Jahren – riss damals der Tod diese faszinierende Frau. Henry Purcell starb kurz danach, mit Mitte Dreißig, auf dem Höhepunkt seines Könnens.

Mitten aus dem Leben riss der Tod auf dem Schlachtfeld 1944 in Frankreich auch den ernsten Musiker auf dem Kühler des DKW F7. Auf einem deutschen Soldatenfriedhof bei Versailles hat er seine letzte Ruhestätte gefunden, wie man zu sagen pflegt.

Dabei hätte er viel lieber nicht schon so früh geruht und stattdessen mit seiner Tochter noch einige glückliche Jahre gelebt. Sie wurde Ende 1944 geboren und hat ihn nie kennenlernt.

Ihre Mutter heiratete später einen anderen ehemaligen deutschen Soldaten, der nach der Kriegsgefangenschaft auf der Suche nach einer neuen Heimat war – die alte lag unerreichbar im verlorenen Schlesien. Er war der deutlich ältere Bruder meiner Mutter und so ist die Tochter des ernsten Musikanten auf dem DKW F7 „Meisterklasse“ meine Stiefcousine.

Streng genommen sind wir gar nicht miteinander verwandt, und doch verbindet uns ein herzliches Verhältnis – ein geheimnisvolles Band, an dem die Zeit unauffällig geknüpft hat. So überwiegt am Ende bei aller Tragik des Geschehenen vielleicht doch ein kleines Glück.

Die Musik dazu: Henry Purcell, Music for the Queen Mary, Monteverdi Choir & Orchestra, J.E. Gardiner, Erato/Warner Classics 1977/2014

Michael Schlenger, 2022. All entries in this blog (including embedded photos) are copyrighted by the author, unless otherwise indicated. Excerpts and links may be used, provided that credit is given to Michael Schlenger and https://vorkriegs-klassiker-rundschau.blog with appropriate and specific direction to the original content.

7 Gedanken zu „Glück und Tragik: DKW F7 „Meisterklasse“ von 1937

  1. Tja, die „deutschen Automobilhistoriker“, gibt es die denn überhaupt noch, und wo findet man die denn? Sicherlich doch in der „Automobilhistorischen Gesellschaft e.V.“, oder?
    https://autogeschichte.com
    Ich hatte mir auf Umwegen mal eine Mitgliederliste organisiert, und war über die Zusammensetzung der Mitglieder dann einigermassen überrascht um nicht zu sagen enttäuscht. Namentlich kenne ich nur wenige, aber die Rubriken
    – Interessenschwerpunkte
    – weitere Kompetenzschwerpunkte und Kontakte
    – weitere Mitgliedschaften und Aktivitäten
    – Publikationen
    – eigene klassische Fahrzeuge
    ermöglichen durchaus eine realistische Beurteilung. Sicherlich findet man den einen oder anderen bekannten Namen, und auch einige Personen mit durchaus interessanten Kompetenzschwerpunkten, aber auf den Grossteil der Mitglieder lässt sich der Begriff „Historiker“ auch nicht ansatzweise anwenden. Jeder Besitzer eines klassischen Fahrzeugs wird sich mit der Historie seines einenen Autos oder auch der Marke als solcher auseinandergesetzt haben, aber reicht das als Qualifikation zum Historiker? Und wie definiert man eigentlich die „deutsche Automobilgeschichte“? Zugegeben – ich bin stark „vorkriegslastig“ und kann mich immer noch nicht damit abfinden, dass Fahrzeuge der 70er/80er/90er Jahre, deren Neuvorstellung ich seinerzeit in der Auto-Motor-Sport lesen konnte, auch irgendwie bereits historisch sind. Wie historisch affin ist ein Automilingenieur, dessen Veröffentlichungen sich alle auf die moderne Automobiltechnik beziehen? Oder ein Kfz-Lehrling, der sich nur durch den Besitz eines MG-B berufen fühlt diesem Verein beizutreten?
    Ich jedenfalls habe meine angedachte Mitgliedschaft nach dem Studium dieser Mitgliederliste desillusioniert fallen gelassen…

  2. Besten Dank für diese sachkundige Ergänzung. Die baulichen Schwächen sind mir schon klar gewesen, mir ging es nur um die reine Formgebung, die für einen dermaßen schwachbrüstigen Kleinwagen phänomenal war. Kleine Anmerkung: Es heißt „Blog“, nicht „Block“ – das ist ein aus dem Amerikanischen stammender Neologismus, zusammengesetzt aus „web“ und „log“, also eine Art „Netztagebuch“, in dem jeder mitlesen und kommentieren kann.

  3. Danke für diese ernüchternde Schilderung.

  4. Tja, ich kann nur aus der „Vergangenheit“ berichten. es gab 2 große Oldtimerclubs, überregional und nicht markengebunden, den ASC (der noch Probleme mit Frauen hatte) und den DAVC, beide Clubs vertraten Deutschland gegenüber der FIVA, dem internationalen Dachverband in Paris. Daneben gab es Unmengen Stammtische, Clubs, Markenclubs die sich nirgends anschliessen konnten oder wollten. Ich kann das so genau sagen dieweil ich 6 Jahre Schriftführer im DAVC war.
    Man hat dann dem DEUVET gegründet,der ein Sammelpunkt im Pool werden sollte und an welchen ASC und DAVC ihre FIVA-Vertretung übertragen haben.
    Im DEUVET verstand man sich aber eher als „Jeder-gegen-Jeden“
    Zerfleischungskampf, der mehr abschreckte als sonstwas. Durch die Quereleinen kamm die Vertretung nach außen zu kurz. Man bedenke: kurz vorher hatten wir das rote Sammlerkennzeichen durchgedrückt mit dem Resultat daß der DEUVET dieses ablehnte … (Austritte ohne Ende)
    Der FIVA wurde das zu blöd und übertrug alles an den ADAC, der bekanntlicherweise weniger als gar nichts für Autofahrer und noch weniger für Oldtimer tut.
    Ein neuer, völlig anderer Ansatz war die „Initiative Kulturgut Mobilität“ (IKM) aus Protest gegen die „Schadstoffklassen-Fahrverbote“, die jede Oldie-Veranstaltung gekillt hätte. Die IKM war erfolgreich, hat sehr viele Mitglieder, aber ist eben auch keine „Alleinvertretung“ – der ADAC zahlt eben VIEL VIEL mehr an die FIVA – man folge der Spur des Geldes. Und seitdem der ADAC die Oldtimer-Scene vertritt, tut sich NICHTS, absolut NICHTS.
    Irgendwie sehr schade.

  5. Alles sehr bedenkenswert. Tatsächlich ziehe ich bei aller Kritik in Details meinen Hut vor den Pionieren der 1970er und 80er Jahren in Sachen Vorkriegsautomobile. Ich profitiere noch heute fast täglich von diesen Arbeiten. Was ich nicht verstehe, ist die Tatsache, dass trotz der um ein Mehrfaches gesteigerten Verfügbarkeit von originalen Materialien und der großartigen Möglichkeiten der Vernetzung und Zusammenarbeit so wenig von den Automobilhistorikern hierzulande genutzt wird. Da kommt – abgesehen von einzelnen Markenenthusiasten – für meinen Geschmack einfach zu wenig „aus dem Auspuff“. Zum Kulturpessimismus neigend sehe ich in dieser Erschlaffung der Kräfte bei gleichzeitig reichlichsten, fast kostenlosen Ressourcen eine über das Thema Automobilhistorie hinausgehende Verfallserscheinung. Weshalb landen immer mehr Interessenten in meinem eher laienhaften Blog oder meiner zugehörigen Facebook-Gruppe? Schlicht mangels Alternativen. Schön für mich, aber ein Witz für eine Kulturnation, die ihren Rang seit 1900 zum erheblichen Teil ihren technischen Schöpfungen zu verdanken hat.

  6. Zum Ersten stimme ich Herrn Spitzbarth zu :
    Ein Vierteljahrhundert Internet und 20 Jahre, seitdem auch „Otto Normalverbraucher“ Bilder hochladen und sogar eine Homepage erstellen kann – und obwohl in anderen Bereichen der Printmedienmarkt sogar rückläufig war, nun die Anzahl der Oldtimermagazine incl. Traktoren und Motorräder sogar zweistellig wurde, spricht tatsächlich für ein gesteigertes Interesse. Erst vor ein paar Tagen habe ich eine erstklassige website über Vauxhall entdeckt – vor 40 Jahren hätte ich allenfalls für viel Geld importierte britische Literatur erwerben können. Heute habe ich auch französische, spanische und tschechische Automobilliteratur, die ich gezielt auswählen und genauso problemlos wie inländische Bücher erwerben konnte – und das Internet eröffnete auch hier die Chance, durch Herrn Schlenger soviel mehr über genau diejenigen Oldtimer zu erfahren, die binnen der letzten 50 Jahre oftmals aus dem Blickfeld gerieten, denn die vor 83-103 Jahren im Alltag vorhandenen Automobile sind gerade hierzulande fast nur als bildliche Erinnerung präsent.

  7. Man muss bedenken, wie wenige Menschen (genannt „Spinner“) z.B. 1970-80 dem Oldtimer-Hobby nachgingen (nur die Chronik von Schrader gab es als Zeitschrift) und wie viele sich heute mit dem Thema befassen, sammeln und suchen.
    Damals gab es verdammt wenig an Bild- und Text-Material. Andererseits mag ich es nicht, wenn man Fotos mit „Wasserzeichen“ verschandelt, die oft wichtige Details killen.

    Aber mal zum DKW F7: ich denke mal, für den Kaufpreis und Unterhaltskosten war das ein echt gutes Auto, die Konkurrenz konnte meist noch weniger oder war zu teuer. Der Weg zum F8 war schon vorgezeichnet und der konnte auch nicht viel mehr, auch wenn die DKW-Getriebeschmierung mit Ambroleum nicht der letzte Schrei war und die Lenkung immer saumäßig schwer ging.
    Da die Wehrmacht Zweitakt nicht mochte, war während und danach ein DKW eines der wenigen übriggebliebenen Autos und die Hilfe für die Ärzte auf dem Land. Viele von den Fahrzeugen wurden gefahren bis sie auseinanderfielen.

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