Kleines Gedankenexperiment: Wenn man sich entscheiden müsste zwischen seinem modernen Alltagsauto und einem Vorkriegswagen – einem für alle Tage und für’s ganze Leben – was würde man wählen, wenn man das Auto frei Haus geliefert bekäme?
Nun, die Opel-Freunde würden wohl dem Kapitän den Vorzug geben, die Mercedes-Leute dem 230er, die Ford-Fraktion dem V8 und die BMW-Bewegten dem 327. In Frankreich wäre Citroens Traction Avant die erste Wahl, bei den Briten ein Jaguar MkIV usw.
Jedenfalls fände ich es naheliegend, wenn etwas in der Richtung herauskäme.
Drei Dinge fallen dabei auf. Erstens: Alle genannten Fahrzeuge stammen aus den 1930er Jahren und wurden auch nach dem 2. Weltkrieg mehr oder weniger unverändert gebaut. Zweitens ist kein vollkommen exotisches Modell dabei und drittens fehlt etwas aus Italien.
Das habe ich mir natürlich so zurechtgelegt, denn mein persönlicher Favorit wäre genau so etwas: Bereits rund 100 Jahre alt, technisch und formal höchst außergewöhnlich, und dann noch aus dem Land, in dem die Zitronen blüh’n.
Die Rede ist vom Lancia Lambda – sicher eines der innovativsten Autos, die je gebaut wurden, und zugleich eines von meisterhafter Gestaltung.

Ich erspare Ihnen jetzt die x-te Aufzählung der technischen Meriten, welche diesen Wagen auszeichneten. Darauf bin ich bereits in früheren Porträts dieser automobilen Großtat eingegangen.
Viel interessanter ist, wie ich zu meinem Urteil gelangt bin, dass ausgerechnet der Lancia Lambda – noch dazu in offener Ausführung wie oben – für mich das ideale Alltagsauto der Vorkriegszeit wäre.
Die im Unterschied zu mir ingenieursmäßig Begabten unter meinen Lesern werden jetzt vermutlich schlucken, denn es war ganz einfach: Ich habe mir einfach noch ein paar mehr alte Bilder von dem Wagen angesehen.
Gestern abend habe ich einige Zeit damit zugebracht, diese mir von Leser H.-G. Becker in digitaler Kopie übermittelten Aufnahmen einigermaßen präsentabel zu machen.
Dabei habe ich über den Lancia Lambda selbst zwar nichts Neues gelernt. Die Fotos haben mich aber eines begreifen lassen: Mit diesem Auto konnte man alles machen und in allen Lebenslagen die reine Freude am Dasein mit und auf vier Rädern erleben.
Wie sich diese Erkenntnis allmählich, unaufhaltsam und überwältigend breitmacht, daran möchte ich Sie heute teilhaben lassen.
Beginnen wir passend zur Jahreszeit an einem Wintermorgen irgendwo im deutschen Mitttelgebirge. Wir treten aus der Tür des Hotels und rufen aus: “Juhuh, es hat geschneit!”:

Wir schieben den Schnee vom Verdeck, legen es herunter und beginnen rundherum etwas Platz zu schaffen, damit wir nicht gleich mit nassen Schuhen einsteigen.
Denn natürlich fahren wir offen solange es keinen neuen Niederschlag gibt, so hat der Fahrer den besseren Blick auf die Straße und der Beifahrer hat mehr von der Landschaft.
Eine Heizung gibt es nicht, doch Motor und Getriebe geben nach einer Weile Fahrt reichlich Wärme in den Fußraum ab, ansonsten braucht es dicke Kleidung und ein dickes Fell.
Wie man sieht, herrscht daran kein Mangel:

Unsere Beifahrerin hat sich heroisch entschieden, auch die seitlichen Steckscheiben zu entfernen – nun ist alles im Heck verstaut und mit einer Persenning abgedeckt.
Für etwas zusätzliche Wärme sorgt ein dritter Passagier, der sich hier noch etwas schüchtern gibt.
Gestartet sind wir mit den aufgezogenen Schneeketten, haben den Motor warmgefahren, wobei die Jalousie der über den Kühler gezogenen Abdeckung anfänglich noch weitgehend geschlossen war, damit sich das Wasser schneller aufheizt.
Jetzt haben wir die Jalousie nach oben gerollt und gleich werden wir die Schneeketten abmontieren. Denn nun sind Straßen mit besseren Verhältnissen in Sicht.
Noch schnell ein Schnappschuss, bevor es im Sonnenschein weitergeht – inzwischen ist auch Lumpi wach und voller Tatendrang:

Nun geht es durch tief eingeschnittene Täler bergab, der Schnee wird weniger und bald ist man wieder in ebenem Gelände.
Bis zur Stadt ist es noch eine Weile, doch der Winterurlaub neigt sich unweigerlich dem Ende zu, bald hat einen der Alltag wieder. Immerhin hat sich der erst ein paar Monate alte Lancia auf das Schönste bewährt.
Die Straßenlage war unter allen Bedingungen ausgezeichnet, die Einzelradaufhängung und die hydraulischen Stoßdämpfer sorgen jederzeit für sicheren Fahrbahnkontakt und ausgezeichnete Lenkbarkeit.
Auch längere Abwärtsfahrten mit häufigem Bremseinsatz sind dank der mächtigen Vorderradbremsen souverän zu bewältigen. Nicht zuletzt sorgt die unerhört flache Bauweise des Lancias überall für Bewunderung – kein deutscher Hersteller bot vor 100 Jahren einen vollwertigen Tourenwagen dieser Leistungsklasse mit so niedriger Silhouette an.
Ein letztes Erinnerungsfoto und es geht heim:

Viele Wochen später findet sich wieder Gelegenheit, ein verlängertes Wochenende zu einer gepflegten Landpartie mit dem Automobil zu nutzen.
Der Lancia bekommt vorher einen kompletten Schmierdienst, der lässt sich zuhause erledigen oder man lässt das den Tankwart des Vertrauens machen.
Sicher ist sicher, sagt sich jedoch der überzeugte Lancista und macht sich selbst in der Garage ans Werk. Dabei macht er eine überraschende Entdeckung: Einer der Reifen ist fast ganz platt – offenbar haben wir bei der letzten Fahrt gegen Ende einen Nagel eingesammelt.
Auch in solchen Lebenslagen heißt es: selbst ist der Mann und assistiert von Lumpi ist der Defekt nach einer Weile behoben:

Man sieht: Der Besitz eines solchen Ausnahmeautomobils erfordert bisweilen außerordentlichen Einsatz. Doch ein Mann sollte solche Sachen können, denn wer sonst würde es denn machen, wenn das unterwegs passiert, die Beifahrerin etwa?
Nein, undenkbar für den Mann mit Stil, selbst wenn er weiß, dass “sie” es kann.
Das Beladen des Wagens für die anstehende Tour ist ebenfalls einer Dame unwürdig, außerdem meint “er”, besonders planvoll dabei vorzugehen. So muss der Ölkanister eher griffbereit sein, während Koffer und Hutschachtel nach Passform einsortiert werden:

Den Lancia selbst meistert unterwegs allerdings auch “sie” – soviel ist klar. Wer ein solches Auto fährt, stellt auch bei der Wahl der Lebensgefährtin besondere Ansprüche.
Kochen muss sie nicht können, aber bei Benzingesprächen, Pannen und am Steuer mithalten, notfalls endlose Kilometer fressen, wenn es gilt, die letzte Fähre in Neapel zu erwischen, die einen nach Sizilien zur Targa Florio bringt – darauf kommt es an.
Hier “übt” die bessere Hälfte scheinbar, aber diese Aufnahme ist nur dafür gedacht, die Schwestern zu ärgern, die zwar ebenfalls einen höheren Schulabschluss haben, aber sich bereits früh im Dasein als Ehefrau und Muttertier eingerichtet haben:

Unterschätzen Sie diese Dame nicht, meine Herren, sie könnte ihnen den prächtigen Lancia öfter entführen, als Ihnen lieb sein kann (für den regelmäßig anstehenden Schmierdienst hat “sie” merkwürdigerweise nie Zeit).
Aber jede gute Partnerschaft lebt von einer gesunden Arbeitsteilung und so kann “er” sich auf ihre Fahrkompetenz ebenso unbedingt verlassen wie “sie” sich auf seinen Orientierungssinn. Jedenfalls lässt sie ihn glauben, dass er darin unerreicht ist.
So kann es vorkommen, dass “sie” mit bleischweren Pumps den Lancia dem Ziel entgegenfliegen lässt, “er” dabei jedoch einen Abzweig übersieht.
Nun gilt es, einen Vorwand zu finden, dem Lancia eine Pause zu gönnen:
“Meinst Du nicht auch, dass das Wasser etwas heißer wird als sonst? Lass’ uns doch einmal da vorne halten, Lumpi muss sich ohnehin mal die Beine vertreten”.

Während sie ungeduldig am Steuer ausharrt, geht Lumpi einem natürlichen Bedürfnis nach und “er” schaut auf der Karte nach, ob es nicht demnächst eine “Abkürzung” gebe, denn man habe nicht ganz die ideale Route genommen.
“Er” sitzt heute ohnehin nur in der zweiten Reihe, denn eine alte Freundin hat sich als Beifahrerin eingefunden.
Sie hat es nicht ganz so gut getroffen in ihrem Leben, und es hat sie einige Überwindung gekostet, die Freundin zu fragen, ob man sie denn vielleicht einmal mitnehmen könne, sie würde auch für die Verpflegung unterwegs sorgen.
Für sie ist es die erste Fahrt im Automobil überhaupt und sie kann kaum fassen, wie ihr geschieht. Ein wenig fürchtet sie sich schon, als der Lancia auf langen Geraden in der Ebene immer schneller wird und sogar einen Eisenbahnzug überholt.
So schaut sie noch ein wenig kariert, als man beim Picknick an einem Waldsee ein Foto mit dem Selbstauslöser macht:

Unser wackerer Lancista tut so, als würde er nichts bemerken, er hat gerade ein Bad im See genommen und sitzt nun mit leicht verrutschtem Mantel und Barett da wie ein Maler, der mit dem Kohlestift eine Skizze der Szenerie anfertigt.
Seine Gattin, die ihre Schuhe irgendwo ins Gras geworfen hat, lacht genau im richtigen Moment, als der Verschluss der Kamera auslöst. Die in diesen Dingen unerfahrene Freundin muss dagegen noch lernen, in solchen Situationen entspannt zu sein.
Unterdessen macht der Lancia nebenher “bella figura” – selbst das Wenige, das man von ihm sieht, lässt seine besondere Klasse erkennen.
Dass der Lancia Lambda für alle Lebenslagen ideal geeignet und ausgestattet ist, wird auch auf dem folgenden Foto deutlich.
Damit ist weniger die nachgerüstete Stoßstange gemeint, sondern vielmehr das formidable Angebot an Sitzgelegenheiten, welche der Wagen dank seiner einzigartigen Linienführung bietet. Nur völlig ignorante Passanten nehmen das nicht bewundernd zur Kenntnis:

Stört es hier, dass der Abzug rechts oben stark beschädigt ist?
Nein, denn das Zentrum des Geschehens ist ganz links angesiedelt. Das Mienenspiel unserer beiden Lancisti ist einfach unbezahlbar – so sieht wahre Liebe aus!
Dann noch die frisch aufgegangenen Blüten im Gras vor dem Wagen – das kann man sich besser kaum ausdenken. Haben Sie bemerkt, wie die Fotos aus dieser bezaubernden kleinen Serie immer besser werden?
Nun, das hat nicht nur mit den abgebildeten Situationen zu tun, sondern auch damit, dass wir den Winter hinter uns gelassen haben und alles mit einem Mal von Sonnenlicht umspült und durchflutet erscheint – bei der damaligen Fototechnik wirkte sich das segensreich aus.
Am Ende steht eine Aufnahme, die noch einmal alles zusammenfasst, was die Faszination solcher Bilder eines Lancia Lambda ausmacht:
Die torpedohafte, für mich unerreichte Linie des Wagens, die Lebensfreude, die ein solches Wunderwerk seinen Besitzern (einschließlich Lumpi und der braven Freundin) bescherte, die einzigartige Architektur von Vorkriegsautos, die überhaupt erst eine solche Szenerie ermöglichte und nicht zuletzt die unauffällig arbeitende Spitzentechnologie des Lancia Lambda, die ihn zum idealen automobilen Begleiter in allen Lebenslagen machte:

Michael Schlenger, 2023. All entries in this blog (including embedded photos) are copyrighted by the author, unless otherwise indicated. Excerpts and links may be used, provided that credit is given to Michael Schlenger and https://vorkriegs-klassiker-rundschau.blog with appropriate and specific direction to the original content.
Ein Ansporn mehr, lange beweglich zu bleiben! Umsteigen ins tiefergelegte Ford Model A kann man später immer noch…
Tja, und beim Älter werden bekommt man Probleme beim Einsteigen mit den extrem hohen Schweller und den Mini-Türchen. Der Lancia war berühmt und bekannt, aber finanziell kein so Erfolg, denn die “Einsteigerei” war schon immer das Problem. Man hetze mal seine Oma durch den Einstieg ..
Wie gewohnt unterhaltsam! Nur einen Großteil der Probleme hätte ich nicht: Auf dem Land, da hat man Platz im Hof und in der Backsteinhalle nebenan, gewaschen wird auf dem eigenen Grundstück, auch Parkplatzprobleme kennt man nicht. In einer Großstadt war ich seit 10 Jahren nicht und bis nach Basel kommt man gepflegt über die beschauliche Autoroute, in der Schweiz ist der Verkehr oldtimergerecht, nur in Italien gälte es den Großraum Mailand zu meiden. Ansonsten kein Problem für ein solches Auto. Das dachte sich wohl auch der britische Vorkriegs-Alfista, der mir letztes Jahr auf dem Weg zum Gotthard begegnet ist unterwegs zur Mille Miglia…
Ein schöner Traum, den unser Block-Wart da träumt!
Es hat schon was, sich vorzustellen mit einem solch formidablen Wagen die “heutigen Bedürfnisse der Alltagsmobilität” zu bewältigen!
Aber wie bewegt man sich im heutigen Verkehr mit diesem Auto? Das fängt schon beim Stellplatz an, den man – selbstverständlich vor der eigenen Villa – braucht und zusätzlich zu einer zur Garage umgewidmeten Remise freihalten muß. Für die allfälligen Wartungsarbeiten, daß Be- und Entladen, daß Auf- oder Abtakeln des, geschätzt
knapp 6 mtr. langen Boliden braucht man Platz rundum, wie wir sehen.
Und dann: wie nimmt man am
” ruhenden Verkehr” einer modernen Großstadt teil?
Der Bolide passt in keine Parkbucht, geschweige denn läßt er sich durch ein Parkhaus navigieren (Wendekreis liegt schätzungsweise bei 15 mir.)
Da nehmen wir doch lieber gleich die Autobahn nach Süden – ins Land wo die Zitronen blüh’n
(es heißt: blüHen! Ich weiß, Doktor Doolittle…).
Selbstverständlich hält der Träumer, hart im Nehmen, der Zugluft stand, die bei 110 Dauergeschwindigkeit und aufgetakelten Steckfenstern durchs Abteil tost. Aber südlich von Schwetzingen wirds feucht
und die Streusalz- Reste bilden
eine salzige Gischt von der man noch von letztem Jahr träumt.
In St. Peter- Ording wars aber wenigsten Meeres Luft -soll ja gesund sein !
Gut, daß die Sicht gerade noch rechtzeitig die Ausfahrt Kronau
ahnen läßt, die riesigen Vierrad- Bremen packen das locker!
Aber welche Tanke hat schon warmes Wasser, möglichst aus dem Schlauch mit Waschbürste.
Den SUV hätte man mal eben durch die Waschhalle geschickt…
Aus der Traum!