Manchmal in der Geschichte markieren nur ein, zwei Jahre die Zäsur zwischen gestern und morgen. Abrupt endet die eine Tradition, und schon kündigt sich die kommende an. Zwar im Gewand des Neuen, ist auch sie dazu bestimmt, bald Geschichte zu sein.
Das lehrt nicht nur das akademische Studium der Historie des an Umbrüchen reichen 20. Jahrhunderts. Schon die Betrachtung alter Autofotos lässt einen begreifen: nichts bleibt, wie es ist – ganz ohne eigenes Zutun verwandelt sich die Welt, ob es einem passt oder nicht.
Kürzlich erwarb ich diese Aufnahme, die eine mir anfänglich unbekannte Limousine mit offenbar deutschem Kennzeichen zeigte:

Was macht man mit so einem leicht verunglückten Dokument, bei dem der Fotograf wohl vergessen hatte, dass ihm auf diese Distanz im Sucher das Motiv etwas höher präsentiert wurde, als eine Ebene drunter das Abbild durch das Objektiv auf den Film projiziert wurde?
Nun, man wartet auf eine Gelegenheit, es in einem Kontext zu zeigen, der es interessant macht. Denn für sich genommen ist das abgebildete Automobil wenig bemerkenswert.
Es handelt sich um eines der unzähligen US-Modelle, die Ende der 1920er und Anfang der 1930er Jahre das Straßenbild in Deutschland mitprägten.
Den Schlüssel zur Identifikation lieferte die Gestaltung der Radkappe, welche auf ein amerikanisches Großserienmodell hindeutete. Nach einiger Sucherei wurde ich bei der Marke Plymouth fündig und konnte das Auto auf 1931 datieren.
Der Wagen aus dem Chrysler-Konzern konkurrierte in den Staaten mit preisgünstigen Einstiegsmodellen von Chevolet und Ford.
Sein Vierzylindermotor leistete 58 PS, womit er auch am deutschen Markt hervorragend positioniert war. Jedenfalls wüsste ich keinen direkten Konkurrenten in dieser Klasse; deutsche Autos waren Anfang der 1930er Jahre entweder weit schwächer oder weit stärker motorisiert.
Stilistisch war der 1931er Plymouth noch ganz der Tradition der 1920er Jahre verhaftet.
Blättern wir zwei Jahre weiter im Kalender und schauen, was sich in den zwei Jahren bis 1933 getan hatte.
Die Weltwirtschaft begann wieder Fahrt aufzunehmen – wovon übrigens auch die nationalen Sozialisten im Deutschen Reich profitieren sollten, obwohl sie nur schuldenfinanzierte Plan- und Kriegswirtschaft betrieben und Autobahnen für ein Volk ohne Autos bauen ließen.
Anno 1933 war in den Vereinigten Staaten wieder “Business” angesagt – die Wirtschaft barst vor Zuversicht und auch der Durchschnittsbürger spürte, dass es aufwärtsging.
Dazu passend brachte Plymouth für 1933 ein “Business Coupe” heraus – das war ein typischer Wagen für Handelsvertreter, hier aber offenbar bei einem Ausflug festgehalten:

Schick ist er schon dieser Zweisitzer mit ausklappbarem Sitz für die Schwiegermutter im Heck, nicht wahr?
Abgesehen von den Radkappen erinnert praktisch nichts an das Plymouth-Modell von 1931 – man hatte sich von der Tradition der 1920er Jahre losgelöst und ein neues Styling entwickelt, das die 1930er Jahre über aktuell bleiben sollte.
Auch unter der Haube hatte sich einiges getan: Der Vierzylindermotor war einem etwas kleineren Sechsyzlinder gewichen, der nun aber an die 70 PS leistete – der Preis des modernisierten Plymouth entsprach ungefähr dem vierzylindrigen Billigheimer von 1931.
Der Plymouth von 1933 wurde auf Anhieb das Auto mit der dritthöchsten Verkaufszahl in den USA – was allerdings nur knapp 200.000 Fahrzeugen entsprach – das Hauptgeschäft entfiel auf Chevrolet (ca. 500.000 Wagen) und Ford (ca. 330.0000).
Für das angebliche Mutterland des Automobils – Deutschland – waren das so oder so unvorstellbare Zahlen. Ohne die Produktion der damaligen General Motors-Tochter Opel lagen die Stückzahlen auf niedrigem Niveau und blieben es bis weit in die 1950er Jahre.
In den Genuss eines soliden, gut ausgestatteten und für jedermannn erschwinglichen Wagens kam der deutsche “Volksgenosse” vor dem 2. Weltkrieg nur durch Auswanderung.
Tatsächlich gehörte das oben gezeigte 1933er Plymouth Business Coupe deutschstämmigen Amerikanern der ersten Generation, die das Foto in die alte Heimat sandten – deutsch beschriftet.
Sie kannten noch das “gestern”, während schon ihre Kinder – als Musterbeispiele gelungener Integration – nur noch das “morgen” kannten, amerikanisch sprachen und dachten.
Viele von ihnen kehrten als Soldaten 1944/45 in das Geburtsland ihrer Eltern zurück, wo sie zu ihrer Überraschung auf eine Welt stießen, in der modernen Autobahnen primitive Lebensverhältnisse der Landbevölkerung gegenüberstanden, welche noch mit dem Pferdegespann die Felder bestellte.
Der Sprung vom gestern ins morgen – er vollzieht sich bisweilen in irritierender Kürze wie einst Anfang der 1930er Jahre. Wenn sich die Welt abrupt verändert, bleibt dem Einzelnen keine Wahl, als dennoch darin seinen Weg zu finden…

Michael Schlenger, 2023. All entries in this blog (including embedded photos) are copyrighted by the author, unless otherwise indicated. Excerpts and links may be used, provided that credit is given to Michael Schlenger and https://vorkriegs-klassiker-rundschau.blog with appropriate and specific direction to the original content.
Interessant, danke! Offenbar wurde der 1931er Plymouth zumindest in D’land unter der Konzernbezeichnung “Chrysler” mit Bezug auf die Brems-PS verkauft. Der eigentliche Chrysler des Modelljahrs war darüber angesiedelt, war wesentlich stärker und wich in Kühler- wie Radkappengestaltung ab.
IA-59464 war zugelassen auf Herrn August Becker, Cotheniusstr. 20, Berlin NO18, und zwar als “Chrysler 56”.