Elektromobilität kann eine tolle Sache sein – das weiß ich sogar aus eigener Erfahrung.
Gerade heute war ich mit meiner Akku-“Vespa” in meinem Heimatstädtchen Bad Nauheim unterwegs. Man ist wieselflink als erster von der Ampel weg, während mancher Autofahrer noch nach dem Gang sucht, sofern er überhaupt schon bemerkt hat, dass “grün” ist.
Im Akkufach unter der Sitzbank ist Platz für zwei tragbare Batterien, die zusammen für 80 km/h Reichweite gut sind. Meist habe ich nur eine installiert, der Platz daneben reicht, um kleine Einkäufe und Postsendungen unterzubringen.
Die Leute mögen das Teil, sieht es doch fast so aus wie eine klassische Vespa von Piaggio aus den 1960er Jahren. Der Chinamann macht’s möglich – und einige Umbauten von eigener Hand.
“Vespa” und “50 Special” steht am Heck, was passt, denn knapp 50 Sachen schafft das Teil, das mit Moped-Kennzeichen unschlagbar günstig im Unterhalt ist.
Die wohlgeformte Karosserie ist aus Kunststoff – somit leicht und billig. Bloß die Akkus gehen ins Geld – 1.500 EUR waren dafür zu berappen, mehr als für den Roller selbst, der ein achtbares Fachwerk, passable Reifen und zupackende Scheibenbremsen besitzt.
Das Beste aber ist: Ich habe das Gerät zu 100 % selbst bezahlt! Dagegen mit dem Geld anderer Steuerzahler sich ein Elektrofahrzeug sponsern lassen – das ist das Gegenteil von sozial, wenn Sie wissen, was ich meine.
Dies als Vorrede für den Fall, dass einer meint, ich sei ein notorischer Verbrenner-Fanatiker. Das stimmt zwar, ist aber nur die halbe Wahrheit. Auch bei meinen Scalextric-Rennautos schwöre ich auf Elektrovortrieb…
Es kommt aber noch besser: Ich liebe die Ästhetik von Elektrowagen! “Nun ist auch er zur “Alles-mit-Strom”-Sekte übergelaufen“, mögen Sie jetzt denken.
Tatsächlich, aber unter einer Bedingung – jetzt können Sie aufatmen – es muss ein Vorkriegsmodell sein! Denn das sieht doch einfach umwerfend gut aus, oder?

Dieses Dokument verdanke ich Stefan Rothe, in dessen Sammlung sich diese Postkarte von 1911 befindet, die ein gewisser W. Friedländer an einen Herr Fröbus in Berlin sandte.
Was er ihm schrieb, das erfahren Sie gleich, doch zuvor noch ein Blick auf das Gefährt mit der schön gestalteten “Motorhaube” im Stil früher französischer Fabrikate.
Darunter befand sich so gut wie nichts, immerhin hatte man dort einigen Stauraum bei Bedarf. Das mächtige “NAG”-Emblem lässt keinen Zweifel daran, dass dies ein Fabrikat der gleichnamigen Berliner AEG-Tochter war.
NAG war längst als Hersteller hocklassiger Wagen mit Benzinmotor etabliert, als man 1907 ein Elektrofahrzeug vorstellte, welches einige Jahre im Programm blieb.
Diese Ausführung dürfte ab 1910 entstanden sein, vorher gab es den schräg nach oben weisenden “Windlauf” nur bei Sportfahrzeugen:

Sonderlich viel ist über die NAG-Elektroautos nicht in Erfahrung zu bringen – sie scheinen vor allem als Taxis im relativ ebenen Berlin unterwegs gewesen sein, blieben aber selbst dort gegenüber Benzin-Droschken in der Minderzahl.
Die Hauptgründe waren – kaum überraschend – die geringe Reichweite, die langen Ladezeiten und die Alterung der Akkumulatoren, die übrigens mittig im Chassis untergebracht waren.
Hier haben wir eine entsprechende Abbildung aus “Das Weltreich der Technik” von Artur Fürst, veröffentlicht 1924 (offenbar war der NAG damals immer noch repräsentativ für Elektrowagen):

Zurück zur Fotokarte aus der Sammlung von Stefan Rothe.
Dort suggeriert der Absender, dass er die Insassen des abgebildeten NAG-Elektroautos kenne, doch das scheint mir ein Scherz zu sein – es gibt nämlich weitere Aufnahmen desselben Wagens nur mit der Dame am Steuer (siehe hier).
Aber lesen Sie selbst, was er umseitig in lässigem Ton heruntergeschrieben hat:

Ich vermute, dass es sich bei dem Foto des NAG um ein beliebtes Motiv handelte, das eine bekannte Schauspielerin, Sängerin oder Tänzerin als Werbeikone am Steuer zeigt.
Für eine durchschnittliche Berlinerin – Lokalpatrioten überlesen das besser – sieht sie nämlich entschieden zu hübsch aus. Wer sie und ihre Beifahrerin gewesen sein mögen, das mag vielleicht jemand sagen können.
Der afrikanischstämmige Diener auf dem hinteren Notsitz scheint mir nachträglich retuschiert zu sein – evtl. war sein Kopf verwackelt wiedergegeben. Jedenfalls wirkt sein Gesicht ein wenig wie hineinmontiert – womit er erkennbar nicht glücklich war:

Wie gesagt, kann ich zu dem Wagen selbst wenig sagen, außer dass er mir sehr gut gefällt. Auch in den USA sahen solche Elektroautos (für kurze Distanzen und vorwiegend für Damen bestimmt), oft sehr ansprechend aus.
Ihnen fehlte das Maschinenhafte, nirgends tropfte Öl, es roch nicht nach Benzin und die Geräusche beschränkten sich auf die, welche das Abrollen der Reifen verursachte.
Doch das alles genügte nicht, solange die Mobilität von Elektrofahrzeugen eingeschränkt war oder – wie in den besten Exemplaren heute – annähernd ebenbürtig ist, aber für Normalsterbliche selbst mit heftigsten Subventionen unbezahlbar bleibt.
Fazit: Elektromobilität kann eine wunderschöne Sache sein, wie der heute vorgestellte NAG beweist. Doch nach über 100 Jahren sollte sie sich schon von selbst dort durchsetzen können, wo sie wirklich Vorteile bietet.
Intensiver Wettbewerb unter Marktbedingungen – mit allen Chancen und Risiken auf privater Seite – ist die Voraussetzung für die Entwicklung und Durchsetzung überlegener und nutzerorientierter Technologie, nicht staatliche Planung und Reglementierung.
Unser gesamter Wohlstand, unser gesamter Alltag basiert darauf, doch das scheint in unseren Tagen hierzulande in Vergessenheit geraten zu sein.
Elektromobilität muss sich im freien Spiel der Kräfte beweisen – ihr immer noch drastisch erhöhter Preis signalisiert, dass sie unnötig Ressourcen kostet, damit ist sie das genaue Gegenteil von Ökologie.
Mit meiner elektrischen Pseudo-Vespa made in China fühle ich mich wohl, und ihre Schönheit ist unbestritten. Aber ich habe noch nie eine andere gesehen. Und das sagt eigentlich alles.
Michael Schlenger, 2023. All entries in this blog (including embedded photos) are copyrighted by the author, unless otherwise indicated. Excerpts and links may be used, provided that credit is given to Michael Schlenger and https://vorkriegs-klassiker-rundschau.blog with appropriate and specific direction to the original content.
Besten Dank, das Foto mit der Dame allein am Steuer kenne ich ebenfalls.
Klasse, vielen Dank!
Wunderbar, danke!
Hallo Herr Schlenger,
2017 erschien beim Berliner Tagesspiegel Bericht mit der Abbildung des NAG Elektromobils. Allerdings sitzt die junge Frau allein am Lenkrad.
Text: Der Dame wird empfohlen, elektrisch zu fahren. So suggeriert es zumindest eine Autowerbung von 1906. Schon damals bauten die konkurrierenden Firmen Siemens und AEG Elektroautos. Siemens in den Schuckertwerken am Nonnendamm, die AEG in der damals noch selbstständigen Landgemeinde Oberschöneweide. 1915, mitten im Krieg, ließ AEG-Gründer Emil Rathenau eine moderne Autofabrik an der Spree bauen, am 1. Oktober 1917, also vor 100 Jahren, begann die Serienproduktion der Marke „Nationale Automobil Gesellschaft – NAG“.
Das Fahrzeug hatte zu Zulassung IIA-1792 für Artur Müller, Kaufmann, Charlottenburg, Fritschestr. 27/28. Siehe auch Wikipedia.
Ein Walter Friedländer findet sich ebenfalls bei Wikipedia.
Ebenso ein Walter Fröbius war Direktor der Luft-Fahrzeug-Gesellschaft.
Beste Grüße
Hans Dieckmann
Die beiden attraktiven Damen in dem schicken E-Auto sind die Schauspielerin Madge Lessing und die Sängerin Fritzi Massary, vor dem ersten Weltkrieg Stars in Berlin.
Hallo,
die erwähnten (Madge) Lessing und (Fritzy) Massari waren populäre (Film)schauspielerinnnen ihrer Zeit. Der Adressat der Karte war übrigens Kaufmann.
Schöne Grüße,
KD