Kurz vor Einbruch der Dämmerung verließ ich kurz meine Hobbywerkstatt, ging über den Hof, um meiner Katze “Ellie” ihr Abendessen zuzubereiten. Sie selbst war zwar nicht zu sehen – vermutlich trieb sie sich wieder in Nachbars großem Garten herum.
Doch dafür machten über mir einige Wildgänse lautstark auf sich aufmerksam – die ersten kleinen Schwärme überflogen wie jedes Jahr im Herbst von Osten kommend die Wetterau, um am Taunus auf Südkurs abzudrehen.
Ich weiß nicht, ob Sie das kennen, aber ich nehme mir immer etwas Zeit für dieses Schauspiel – dann fliegt zumindest mein Herz mit den Zugvögeln.
Keine Sorge, diesmal bleibe ich in deutschen Gefilden, es muss erst wieder etwas Geld in die Kasse kommen, bevor es auf Achse über die Alpen geht. Doch ein wenig Italien ist auch heute mit im Spiel, auch wenn es diesmal nur bis Brescia in der Lombardei reicht.
Dort wurden ab 1908 Automobile unter dem Markennamen Züst gebaut – einer in Mailand ansässigen Maschinenbaufirma. Die Fabrikation von Züst wurde 1917 von den “Officine Meccaniche” – kurz O.M. – übernommen, die ihren Sitz ebenfalls in Mailand hatte.
Das Werk in Brescia nutzte O.M. in der Folge für den Automobilbau, zunächst noch auf Basis von Züst-Modellen. 1921 erschien dann das erste Eigengewächs – der Typ 465 mit einem kompakten Vierzylindermotor, der aus 1,3 Litern Hubraum knapp 20 PS schöpfte.
Auf sich aufmerksam machte O.M. aber erst mit dem 1923 vorgestellten Typ 469, der zwar mit 1,5 Litern ebenfalls eher kleinvolumig war, aber bereits achtbare 30 PS leistete. Die Italiener pflegten schon damals die Kunst hoher Literleistung bei großer Zuverlässigkeit.
Während damals in Deutschland allenfalls einige Luxuswagen mit Vierradbremsen ausgestattet wurden, wartete der O.M. 469 bereits bei Erscheinen 1923 damit auf – außerdem wurde ein Vierradgetriebe verbaut, damals ebenfalls noch die Ausnahme.
Im Unterschied zu Fiat, wo man bereits ab 1919 den Großserienbau praktizierte, bewegte sich die Autoproduktion von O.M. weiterhin im Manufakturbereich. Das erklärt, weshalb kaum ein Wagen der Marke wie der andere aussah.
Man muss sich daher an einigen typischen Merkmalen orientieren, um einzelne Fahrzeuge halbwegs sicher ansprechen zu können.
Interessanterweise fanden einige O.M.-Wagen in den 1920er Jahren auch den Weg in den deutschsprachigen Raum – offenbar boten sie Qualitäten, die man bei heimischen Fabrikaten vermisste. Ein Beispiel ist dieses Exemplar mit österreichischer Zulassung:

Wäre da nicht das “O.M.”-Emblem auf dem Kühlergehäuse, könnte dieses Fahrzeug auch als Fiat um 1925 durchgehen.
Doch ein Detail scheint damals typisch für die O.M.-Wagen gewesen zu sein und auch von unterschiedlichen Karosserielieferanten meist beibehalten worden zu sein. Damit meine ich die Mittel”rippe” auf den Kotflügeln – hier auch hinten gut zu erkennen.
Wenn ich nach der Betrachtung der nicht sehr zahlreichen Fotos von O.M.-Automobilen jener Zeit richtig liege, erlaubt diese Besonderheit die Identifikation auch dann, wenn sonst kaum Markenspezifisches zu sehen ist.
Schwierig wird es freilich, wenn es um die Ansprache des genauen Typs geht. Im Fall des obigen Fotos von Leser Matthias Schmidt vermute ich, dass wir es mit dem kompakten Modell 469 zu tun habe, von dem ich im Blog schon einige Exemplare zeigen konnte.
Daneben gab es ebenfalls ab 1923 das Sechszylindermodell 665 “Superba”. Dessen Motor war mit nur 2 Litern Hubraum ebenfalls eher klein, leistete aber bereits 40 PS – ich wüsste keinen deutschen Serienwagen mit solcher Literleistung in der damaligen Zeit.
Dummerweise sah der O.M. 665 seinem kleinen Bruder ziemlich ähnlich, jedenfalls was die wenigen familientypischen äußeren Details angeht. Nur die Abmessungen können einen Hinweis darauf geben, dass man es eher mit dem Sechs- als dem Vierzylinder zu tn hat.
Zu einem solchen Vergleich muss man aber überhaupt erst einmal die Gelegenheit haben. Mir scheint, dass ich heute mit einem geeigneten Beispiel aufwarten kann, wenngleich man sich in solchen Fällen nie ganz sicher sein kann.
Jedenfalls ging mir vor kurzem dieser prächtige Tourer in Form eines zeitgenössischen Fotoabzugs ins Netz:

Festzuhalten ist hier schon einmal, dass der Tourer im Raum Berlin zugelassen war – wie an der Kennung bestehend aus römisch “I” und dem Buchstaben “A” zuverlässig zu erkennen.
Im Berlin der 1920er Jahre fanden sich Automobile aller internationaler Marken – auch ein Kleinserienhersteller wie O.M. konnte in der damals noch atemberaubend wohlhabenden und kultivierten deutschen Metropole Käufer finden.
Wie komme ich darauf, dass dieser Wagen ein O.M. sein könnte? Ein Sechszylinder-Fiat des Typs 512 beispielsweise sah aus dieser Perspektive doch genau so aus, oder?
Nun, das mag für die Haubenpartie mit den weit unten liegenden Luftschlitzen gelten, doch die bereits erwähnte “Mittelrippe” auf den Kotflügeln fand sich bei den in Serie gefertigten Fiats jener Zeit meines Wissens ebensowenig wie das weit nach hinten geschwungene hintere Schutzblech.

Sofern es sich also bei dem in Berlin zugelassenen Tourer tatsächlich um einen O.M. handelte, würde ich für das große Modell 665 plädieren, ohne dafür freilich mehr als den subjektiven Eindruck anführen zu können, dass es sich um ein größeres Fahrzeug als dasjenige auf dem eingangs gezeigten Foto von Matthias Schmidt zu handeln scheint, welches ich als Vierzylindermodell 469 ansprechen würde.
Erschwerend kommt hinzu, dass beide Typen bis Anfang der 1930er Jahre gebaut und im Lauf der Zeit modernisiert wurden.
So ist letztlich jeder O.M. aus der nur einige tausend Exemplare umfassenden Produktion trotz grundsätzlicher Familienähnlichkeit letztlich als Individuum anzusehen – auch Geschwister können bekanntlich sehr unterschiedlich sein.
Ein Bild von einem überlebenden Wagen des O.M.-Typs 665 “Superba” können Sie sich auf der italienischen Website machen, auf der dieser restaurierte Tourer unter anderem aus ähnlicher Perspektive zu sehen ist wie der Berliner Wagen:

Man wird im Detail einige Unterschiede bemerken, aber ich meine von der Tendenz her viel Familienähnlichkeit zu erkennen.
Und sollte ich am Ende falsch liegen, konnte ich Ihnen dennoch vielleicht eine schöne kleine Flucht aus dem Alltag bieten, auch wenn wir uns den Zugvögeln diesmal nicht ganz auf ihrem Weg in wärmere Gefilde anschließen können…
Michael Schlenger, 2023. All entries in this blog (including embedded photos) are copyrighted by the author, unless otherwise indicated. Excerpts and links may be used, provided that credit is given to Michael Schlenger and https://vorkriegs-klassiker-rundschau.blog with appropriate and specific direction to the original content.