Fällt aus dem Rahmen: Dürkopp KD 8/15 PS von 1908

Wer sich für Vorkriegswagen begeistern kann, muss schon zwangsläufig auch ein Liebhaber des Exzentrischen sein – vor allem in der automobilen Frühzeit gab es unzählige Kreationen, die aus dem Rahmen fielen.

Das nehmen aber oft erst wir Nachgeborenen mit dem Abstand von Jahrzehnten wahr.

Denn was sich von den konkurrierenden Antriebskonzepten, Produktionsverfahren und Ausstattungsvarianten durchsetzen würde, war ja damals ebensowenig gewiss wie das heute ist – auch wenn die derzeit mal wieder im Aufwind befindlichen Planwirtschaftler es mit ihrer erträumten Elektro-Monokultur besser zu wissen meinen.

Doch manches fiel schon vor weit über 100 Jahren so aus dem Rahmen, dass es auch den damaligen Zeitgenossen aufgefallen sein und als kaum zukunftsfähig erschienen sein muss.

Ein hübsches Beispiel dafür findet sich auf der Aufnahme, die ich heute vorstellen darf. Ich verdanke sie meinem Leser und Sammlerkollegen Matthias Schmidt aus Dresden:

Dürkopp Coupé, vermutlich Typ KD 8/15 PS ab 1908; Originalfoto: Sammlung Matthias Schmidt (Dresden)

So fremdartig dieses Coupé auf den ersten Blick auch anmuten will, haben wir es doch mit einem vollkommen konventionellen Automobil zu tun – jedenfalls auf den ersten Blick.

In Anlehnung an die bis in die Antike zurückreichende Kutschbautradition saß hier der Wagenlenker noch außen vor dem Passagierabteil, das zwei Personen Platz bot.

Grundsätzlich lässt sich dieser Wagentyp als Coupé ansprechen, aber man könnte ihn aufgrund des am Heck niederlegbaren Verdecks ebenso als Landaulet bezeichnen.

Interessanter als solche Wortklaubereien ist freilich die Frage, um was für einen Wagen es sich überhaupt handelt – also wer der Hersteller war und welcher Typ zu sehen ist.

Ich muss gestehen, dass ich wohl nicht darauf gekommen wäre, fände sich nicht auf der Rückseite des Originalabzugs der Hinweis auf die Bielefelder Marke “Dürkopp”:

Jetzt galt es “nur” noch Baujahr und Typ in Erfahrung zu bringen. Dem stand freilich die Tatsache entgegen, dass es keine umfassende Literatur zur Automobilfabrikation des für seine Nähmaschinen und Fahrräder bekannten Herstellers gibt.

Das ist schwer zu begreifen, gehörte Dürkopp doch zu den frühesten deutschen Autobauern (ab 1898) und fertigte bis 1927 ausgezeichnete Wagen, auch im gehobenen Segment, von denen sich jede Menge Dokumente erhalten haben.

Bloß bislang fand sich niemand, der eine zumindest vorläufige Dokumentation der Dürkopp-PKWs angehen würde – an mangelndem Material kann es nicht liegen.

So musste ich auf bald 60 Jahre alte Literatur zurückgreifen, um der Sache näherzukommen. Denn die wohl bislang umfassendste Abhandlung über die Dürkopp-Automobile (zumindest bis 1920) findet sich bei Altmeister Heinrich von Fersen in seinem immer noch unverzichtbaren Klassiker “Autos in Deutschland 1885-1920“.

Dort (in der 2. Auflage von 1968) entdeckte ich auf S. 176 einen Dürkopp, der zwar weit stärker motorisiert war – den ab 1908 gebauten Typ 25/50 PS. Doch auf der Abbildung waren Details zu sehen, die sich auch auf dem Foto von Matthias Schmidt finden:

Besonders ins Auge fällt die Inspektions- oder Wartungsklappe auf der Motorhaubenseite. Eine solche in identischer Form und Anordnung besaß auch erwähnter Dürkopp 25/50 PS.

Doch die sehr kurze Motorhaube und das Fehlen von Luftschlitzen in der Haube verraten uns, dass wir es auf keinen Fall mit einem so starken Reisewagen zu tun haben, der bis zum Erscheinen des 85 PS leistenden Typs D von 1910 das Spitzenmodell der Marke war.

Vielmehr gehe ich aufgrund der Proportionen davon aus, dass uns das ab 1908 ins Programm aufgenommene Kleinwagenmodell KD 8/15 PS ins Netz gegangen ist.

Der technischen Spezifikation nach fiel der Typ keineswegs aus dem Rahmen – Opel beispielsweise führte 1909 sein 8/16 PS-Modell ein, das eine ähnliche Klientel ansprach.

Was allerdings den mutmaßlichen Dürkopp 8/15 PS auf dem heute vorgestellten Foto außergewöhnlich macht, das ist auf dem folgenden Bildausschnitt zu sehen:

Hier folgt der Chassisrahmen dem unteren Türabschluss – offenbar um den Einstieg zu erleichtern.

Stolperten die Insassen beim Aussteigen, fielen sie also gewissermaßen “aus dem Rahmen” und fanden dann hoffentlich wieder Halt auf dem Trittbrett oder spätestens auf dem Boden.

Mir ist eine solche Anpassung der Rahmenkonstruktion an die Bedürfnisse der Passagiere noch bei keinem anderen Wagen begegnet.

Wenn es das auch andernorts gab, werden Sie mir das schon mitteilen. Bloß bin ich sicher, dass es keine Idee war, die dauerhaft verfolgt wurde, denn damit muss ein erheblicher baulicher Zusatzaufwand speziell bei dieser Karosserieversion verbunden gewesen sein.

Bei einem Zweisitzer oder einem Tourer wäre dies verzichtbar gewesen und man fragt sich, ob dieser Wagen vielleicht sogar ein Einzelstück war. Viel mehr aus dem Rahmen fallen konnte man jedenfalls nicht als mit einer derartigen Konstruktion.

Gern lasse ich mich von sachkundiger Seite belehren, womit wir es hier zu tun haben und was dazu aus statischer Sicht zu sagen ist. Sollte ich völlig aus dem Rahmen fallen mit meiner Interpretation, muss ich das verkraften – von daher: keine falsche Rücksichtnahme!

Michael Schlenger, 2023. All entries in this blog (including embedded photos) are copyrighted by the author, unless otherwise indicated. Excerpts and links may be used, provided that credit is given to Michael Schlenger and https://vorkriegs-klassiker-rundschau.blog with appropriate and specific direction to the original content.

2 Gedanken zu „Fällt aus dem Rahmen: Dürkopp KD 8/15 PS von 1908

  1. Dieser Unterschwung im Fahrgestell für den Einstieg ins Passagierabteil ist wirklich ungewöhnlich. Ich glaube aber nicht, dass dieser Rahmen nun besonders instabil war. Rahmenkröpfungen insbesondere vor der Hinterachse nach oben, im Bogen über die Achse und schließlich wieder nach unten zum Ende der Blattfeder waren schließlich spätestens in den 1920ern ebenfalls üblich.
    Beispiel:
    https://de.m.wikipedia.org/wiki/Leiterrahmen#/media/Datei%3ADeveloped_ladder_chassis_with_diagonal_cross-bracing_and_lightening_holes_(Autocar_Handbook%2C_13th_ed%2C_1935).jpg

    Man sollte jedoch nicht so enge Radien verwenden da das Material im Ober- bzw. Untergurt des U-Profils beim Umformen stark gedehnt oder gestaucht wird. Aber es war eher eine fertigungsbedingte Herausforderung (=teuer) als eine massive Schwächung einen Rahmen so zu kröpfen.
    Selbst Unimog-Rahmen haben eine leichte Kröpfung und sind selbst im harten Gelände bewährt.

    In der Strebe, die unter der Vorderkante der Sitzbank beginnt, sehe ich keine zusätzliche Versteifung die im Nichts endet als vielmehr eine Bergstütze. Deren Betätigungszug oder -kette, der unten auf Höhe Sitzlehnenende herauskommt, kann die Stütze absenken oder nach oben ziehen.

  2. In der Tat gibt dieses Foto so manches Rätsel auf:
    Klar ist, daß dies der Versuch war, den Einstieg ins Coupé so niedrig wie möglich anzulegen.
    Da man es offensichtlich noch nicht beherrschte (bzw. anstrebte), die ganze Fgst.- Anlage niedriger anzulegen, versuchte man per “Unterschwung” (karosseriebautechnischer Fachbegriff) das Coupé in das
    Fahrgestell einzubetten.
    Das dies die Längsstabilität der Rahmenholme sehr schwächte ist offensichtlich und wurde mit dem auf Höhe Vorderkante Sitzbank angelaschten Unterzug (zwei überkreuz angeordnete Abstützungen sollten wohl Schwingungsbewegungen entgegen wirken).Leider ist nicht auszumachen, wohin diese auf Zug beanspruchte Stange läuft und ihr Gegenlager hat!
    Klar ist, daß die damals ja wohl durchweg U- förmig ausgeführten Rahmenholme durch den Bogen nach unten instabil wurden und im Bogenbereich bei Belastung seitlich ausgelenkt wurden.
    Weiter sehen wir eine weitere lange Stange, die mittig unter der Chauffeurbank an einem seitlich auskragenden Bock fest eingespannt ist. Da fällt auf, daß die Hinterachse labil in zwei losen Federgehängen gelagert ist. Damit stellt die lange Stange (besser: ihrer zwei) einen Längslenker dar, der durch Ver- schieben der Stange in Längsrichtung in den gelösten Lagerschellen vorne einstellbar ist und die genaue Ausrichtung der Antriebsachse quer zur Längsachse des Fahrzeugs ermöglicht.
    Die Länge der Stange hält die Biegebeanspruchung in engen Grenzen. Wir wissen ja, daß diese Anordnung eine Bewegung der Hinterachse beim Einfedern nach hinten verhindert und die Längslenker die Beschleunigungs- und Verzögerungskräfte aufnehmen. Der Antriebsstrang bleibt dagegen von Längenänderungen verschont.
    Deutlich zu erkennen ist auch das frei verlaufende Seil der Handbremse.
    Leider sind einige ” komische” Details an der Vorderachse nicht einzuordnen. Das als Verbindung der Achsschenkel gewählte, recht dicke Achsrohr ist stark nach unten durchgebogen.
    Resümierend wird man wohl davon ausgehen müssen, daß sich diese Gesamtkonstruktion nicht bewährt hat.

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