Mehr als „Standard“: Eine Adler 6-Sitzer-Limousine

Es klingt erstaunlich, doch im Deutschland der zweiten Hälfte der 1920er Jahre waren Mittelklasse- und Oberklassewagen amerikanischer Marken in vielerlei Hinsicht das Maß der Dinge und wurden sogar hierzulande montiert.

Es dauerte lange, bis deutsche Hersteller den Wettbewerbern aus Übersee mehr als Appelle an die patriotische Gesinnung der Käufer entgegensetzten. Zu den Marken, die Ende der 1920er Jahre die Herausforderung begriffen, gehörte Adler aus Frankfurt.

Es spricht für den Realismus der damaligen Geschäftsführung, dass man auf eine starke Orientierung an den amerikanischen Wagen setzte, anstatt mit eigenständigen Entwürfen ins Rennen zu gehen.

Mit dem ab 1927 gebauten Adler „Standard 6“ und den daraus abgeleiteten Varianten traf man ins Schwarze. Der Wagen repräsentierte perfekt den Stil der großzügigen US-Vorbilder und bot auch technisch den Standard, den Käufer damals erwarteten.

Zwei Ausführungen des „Standard 6“ von Adler wurden hier bereits anhand von Originalfotos gezeigt, der Tourenwagen und das 2-Sitzer-Cabriolet. Heute geht es um die Limousinenausführung des „Standard 6“, doch keineswegs um eine alltägliche, wie sich noch zeigen wird:

Adler_Standard_6S_Galerie

© Adler Standard 6 Limousine (6-sitzig), Ende der 1920er Jahre; Originalfoto aus Sammlung Michael Schlenger

Zur Identifizierung des Wagens einige Hinweise: Der Markenname Adler auf der Reserveradabdeckung erleichtert die Zuordnung, doch der Teufel steckt im Detail.

Formal ähneln sich die Aufbauten  des sechszylindrigen „Standard 6“, des vierzylindrigen „Favorit“ und des raren Achtzylinders „Standard 8“ stark. Doch nach dem Ausschlussprinzip lässt sich das hier abgebildete Modell präzise benennen.

Dazu schauen wir uns die Frontpartie näher an:

Adler_Standard_6S_Frontpartie

Die 7 Radbolzen sprechen dafür, dass wir es nicht mit dem 35 PS-schwachen 4-Zylindermodell „Favorit“ zu tun haben, das nur 5 Radbolzen aufwies und ansonsten äußerlich praktisch identisch mit dem leistungsfähigeren 6-Zylindermodell war.

Man fragt sich, weshalb Adler das leistungsmäßig überlegene und teurere 6-Zylindermodell äußerlich nicht deutlicher von der Basisvariante abgrenzte. Es mag damit zu tun haben, dass der 4-Zylinder erst nach dem 6-Zylinder-Modell vorgestellt wurde. Vielleicht waren der Adler-Kundschaft aber Prestigeaspekte auch weniger wichtig.

Das größere und schon damals seltene 8-Zylindermodell lässt sich anhand der relativ kurzen Motorhaube ausschließen. Denn Adler verbaute damals einen Reihenachtzylinder, der eine deutlich längere Frontpartie erforderte.

Nach der Lage der Dinge haben wir es mit einem Adler „Standard 6“ zu tun, dessen 6-Zylindermotor nach der Hubraumvergrößerung auf 2,9 Liter ab 1928 bis zu 50 PS leistete.

Man könnte die Betrachtung an dieser Stelle abbrechen, gäbe es nicht von seiten eines Adler-Kenners den Hinweis, dass es sich um eine 6-sitzige Limousine mit verlängertem Radstand handeln könnte. Gehen wir der Sache auf den Grund:

Zum Glück ist der Adler auf unserem Foto so aufgenommen, dass man die Karosseriemaße recht genau ermitteln und mit den offiziellen Daten abgleichen kann. So waren alle Serienvarianten des Wagens rund 1,83 m hoch, woraus sich im Dreisatz ein Radstand des abgebildeten Autos von gut 3,10 m ableiten lässt.

Während die viersitzige Version nur einen Radstand von rund 2,85 m aufwies, verfügte der 6-Sitzer über einen Radstand von knapp 3,15 m – das passt nahezu perfekt zum Schätzwert des Fahrzeugs auf dem Foto.

Demnach steht die junge Dame vor einem eindrucksvollen Adler Standard 6 S (Typ 12 NS) mit drei Sitzreihen und sechs Sitzplätzen. Etwas mehr als 4.000 dieser Wagen wurden von 1928 bis 1934 hergestellt.

Nach den eingangs erwähnten amerikanischen Maßstäben ist das verschwindend wenig. Und verschwindend wenige dieser Adler Standard 6 mit langem Radstand haben überlebt. Wenn jemand eine solche Rarität besitzt, wäre der Verfasser dankbar für einen Hinweis nebst Foto.

Kommentar verfassen