Auch die Schwiegermutter hat Platz: Fiat 501 Roadster

Selbst Leute, die sich nicht sehr für Autos interessieren, werden bei der Frage nach einem Modell von Fiat wohl den 500er nennen. Und auch Kennern wird außer dem „Cinquecento“ auf Anhieb kaum ein weiterer aktueller Typ einfallen.

So weit ist es mit der Marke aus Turin gekommen, dass sie ihr Renommee aus einem einzigen Modell bezieht. Dabei war man von Fiat einst über Jahrzehnte gewohnt, ein Erfolgsauto nach dem anderen präsentiert zu bekommen.

Die Klassikerfreunde denken an große Würfe wie den 1100er („Millecento“) oder den Fiat 124 – selbst der Panda der 1980er Jahre verdient Erwähnung.

Geblieben ist von alledem der 500er, der offenbar die Sehnsucht der Käufer nach den Autopersönlichkeiten von gestern anspricht. Gleichzeitig sind in Italien noch tausende Exemplare des unverwüstlichen Vorbilds im Alltag unterwegs.

Was den wenigsten bewusst ist: Die Geschichte des 500er als einfacher Wagen für’s Volk geht weit bis in die Vorkriegszeit zurück. Gemeint ist hier aber nicht der Fiat Topolino der 1930er Jahre, den manche noch kennen.

Nein, der erste Fiat mit einer 500er-Modellbezeichnung entstand bereits 1919 und nahm einiges von den Qualitäten der späteren Typen vorweg. Die Rede ist vom Fiat 501, der auf Anhieb ein Riesenerfolg wurde.

Bis 1926 entstanden rund 80.000 Exemplare, die sich auf der ganzen Welt hervorragend verkauften – dabei war das Modewort der Globalisierung noch unbekannt. Kein anderer Hersteller in Europa vermochte nach dem 1. Weltkrieg derartige Stückzahlen zu produzieren und international zu vertreiben.

Wir haben das 4-Zylinder-Modell mit seinem nur 1,5 Liter messenden und 23 PS leistenden Motor schon in einigen Varianten vorgestellt. Zur Erinnerung hier ein weiteres Originalfoto der besonders häufig gebauten Tourenwagenversion:

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Fiat 501 Tourenwagen; Originalfoto aus Sammlung Michael Schlenger

Typisch für den Fiat 501 wie auch sein leistungsstärkeres Schwestermodell 505 ist die birnenförmige Kühlermaske, die anfänglich noch lackiert war.

Die Stoßstange an dem hier gezeigten Wagen ist nachträglich montiert worden. Selbst Oberklasseautos mussten in den frühen 1920er Jahren meist ohne dieses Zubehör auskommen. Der Autoverkehr war in Europa noch sehr dünn, Gelegenheit für Rempeleien gab es kaum.

Ansonsten kommt dieser Fiat 501 unauffällig daher. Das Kennzeichen verweist auf eine Zulassung im Raum Bozen (Südtirol), auch der Aufnahmeort liegt in Oberitalien.

Nun aber zu einem weit interessanteren Foto, das zum einen vom Exporterfolg von Fiat zeugt und zum anderen eine weit seltenere Karosserievariante zeigt:

Fiat_501_Roadster_GalerieHier haben wir in hervorragender technischer Qualität abgelichtet einen Fiat 501 mit – grundsätzlich – zweisitziger Roadsterkarosserie.

Da war jemand am Werk, der in punkto Bildaufbau, Belichtung und Schärfentiefe alles richtig gemacht hat. Das geht auch mit heutiger Technik nicht besser.

Bei solcher Qualität schauen wir gern etwas genauer hin. Vielleicht findet sich ja das eine andere interessante Detail. Beginnen wir mit der Frontpartie:

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Gegenüber der Aufnahme des Tourenwagen finden sich eine ganze Reihe Unterschiede. Am augenfälligsten ist die Doppelstoßstange im Stil amerikanischer Wagen. Sie wirkt sehr stimmig und könnte ein Originalzubehör von Fiat sein.

Die Kühlermaske ist zwar der Form nach unverändert, ist nun aber komplett verchromt. Auf eine spätere Ausführung des Modells 501 verweisen außerdem die Positionsleuchten auf den Vorderschutzblechen.

Die Scheinwerfer könnten von Bosch stammen, bei Importwagen wurden ja oft lokale Anbauteile verbaut. Ausweislich des Kennzeichens mit dem Kürzel „I A“ war dieser Fiat im Raum Berlin zugelassen. Demnach fanden die Turiner Wagen auch in der deutschen Hauptstadt Absatz.

Bei genauem Hinsehen erkennt man außerdem an den Vorderrädern Bremstrommeln. Diese gab es beim Fiat 501 ab dem Baujahr 1924 serienmäßig.

Anhand dieser Details lässt sich das Entstehungsdatum dieses schönen Fotos auf Mitte bis Ende der 1920er Jahre eingrenzen. Dazu passen auch die Kleidung der Passagiere bzw. des jungen Herrn mit dem strengen Haarschnitt:

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Was man hier sehr gut wie sonst nur selten sieht, ist zweierlei: Zum einen gibt es hier einen vollbesetzten Notsitz, der dem Volksmund nach bevorzugt der Schwiegermutter zugewiesen wurde…

Dazu befand sich eine ausklappbare, knapp bemessene und zugige Rückbank hinter dem Verdeck des Roadsters.  Die Amerikaner nennen einen solchen Aufbau „rumble seat roadster“, die Briten bevorzugen die Bezeichnung „dickey seat“.

Zum anderen wird hier die „Architektur“ der frühen Automobile nachvollziehbar:

Jedes funktionale Element stellt ein separates Bauteil dar: Der auf den Rahmen montierte Passagierraum, der daran anschließende Kofferraum (hier mit Notsitz), die angesetzten Schutzbleche, das Trittbrett entlang des Schwellers usw.

Das gleiche Bild einer von der Funktion bestimmten Struktur findet sich vorn:

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Der Motor ist von einer schützenden Haube umfasst, daran schließt sich ein separates Blech an, das zur Windschutzscheibe überleitet – der sogenannte Windlauf.

Auch hier umfassen freistehende Bleche die Räder, deren Form noch weitgehend von ihrer profanen Funktion bestimmt wird, die in unserem Wort Kotflügel (englisch: „mudguard“) bis heute nachklingt.

Diese strenge Art der Karosseriekonstruktion, die kaum gestalterische Eigenheiten zuließ, war typisch für die Zeit von etwa 1910 bis Ende der 1920er Jahre. Formal war der Fiat 501 also durch und durch konservativ.

Erst ab 1930 beginnt die Epoche der bewussten, das Funktionelle hinter sich lassenden und in den besten Beispielen ans Bildhauerische grenzenden Karosseriegestaltung, die bis in die frühen 1970er Jahre fortdauern sollte.

Das war die große Zeit des klassischen Automobilbaus, in der die Formgebung eine eigenständige Kunst darstellte, vielleicht die letzte gestalterische Leistung der Neuzeit, die diesen Namen verdient…

Die Magie historischer Fahrzeuge wurzelt nicht zuletzt im Willen ihrer Schöpfer, einem wohldefinierten Schönheitsideal nahezukommen. Davon kann heute in der Mehrzahl der Fälle und vor allem bei Massenfabrikaten keine Rede mehr sein.

© Michael Schlenger, 2017. All entries in this blog (including embedded photos) are copyrighted by the author, unless otherwise indicated. Excerpts and links may be used, provided that credit is given to Michael Schlenger and http://www.klassiker-runde-wetterau.com with appropriate and specific direction to the original content.

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