Wenn heute überhaupt noch jemand weiß, dass der Maschinenbauer Hanomag in der Vorkriegszeit auch eine ganze Weile PKW fertigte, dann ist das wohl dem Ruf des kuriosen Erstlings 2/10 PS “Kommissbrot“ zu verdanken.
Der von 1925-28 gebaute “rasende Kohlenkasten” sollte – vom Erfolgsmodell “Rekord” der 1930er Jahre abgesehen – der meistgebaute Hanomag-PKW bleiben.
Mit knapp 16.000 Exemplaren wurde jedoch auch das Kommissbrot nicht der erhoffte Wagen für’s Volk. Dass Kleinwagen durchaus erwachsen aussehen konnten, hatten dagegen französische und britische Hersteller bereits verstanden.
Nach den schon überzeugender gestalteten Übergangstypen 3/16 und 4/20 PS der Endzwanziger stellte Hanomag 1932 endlich ein Modell vor, das großzügig und fast luxuriös daherkam – den Typ 4/23 PS:

Hanomag 4/23 PS; Originalfoto aus Sammlung Michael Schlenger
Dass dies ein vollwertiger Viersitzer war, glaubt man gern – aber wie war das mit der luxuriösen Erscheinung?
Nun, dafür ist dieses Exemplar zugebenermaßen ungeeignet. Von den schon etwas blinden Chromradkappen abgesehen, sucht man vergeblich Hinweise auf ansprechende Extras.
Das liegt aber an einer Eigenheit des hier abgebildeten Wagens. Wer genau hinschaut erkennt, dass der schräg nach vorn verlaufende Kühlergrill in Wagenfarbe lackiert ist – das sollte eigentlich nicht sein.
Andere Fotos des Typs vermitteln einen ganz anderen, fast opulenten Eindruck:

Hanomag 3/18 PS; Originalfoto aus Sammlung Michael Schlenger
So und nicht anders (vom Hakenkreuzwimpel abgesehen) hat die Frontpartie dieses Hanomag-Modells auszusehen – viel Chrom und wenig Leistung, damals kein Widerspruch.
Überhaupt einen vollwertigen Wagen zu besitzen, war im Deutschland der 1930er Jahre nur einer dünnen Schicht vergönnt. Da kam es nicht darauf an, ob unter der Haube nur ein 1,1 Liter großer Vierzylinder mit 23 PS werkelte.
Im vorliegenden Fall haben wir es sogar mit der Sparversion 3/18 PS zu tun, deren Motörchen gerade einmal 900 ccm maß.
Doch selbst der Hanomag 3/18 PS kam genauso erwachsen und hochwertig daher wie das parallel angebotene stärkere 4/23 PS Modell.
Übrigens unterschieden sich die Fahrleistungen kaum. Auch besaßen beide hydraulische Vierradbremsen. Allerdings war der 3/18 PS weit billiger.
Das muss zumindest einige stilbewusste Zeitgenossen überzeugt haben. Was man am von außen nicht sichtbaren Motor sparte, konnte man ja in einen schicken Anzug, fesche Hüte und eine hochwertige Kamera investieren:

Hanomag 3/18 PS; Originalfoto aus Sammlung Michael Schlenger
Diese modebewussten Herrschaften scheinen bei ihrem Hanomag 3/18 PS sogar auf Stoßstange und Radkappen verzichtet zu haben – aber wie man sich mit so einem Wagen inszeniert, das wussten sie genau – ein fast perfektes Foto!
Übrigens handelt es sich bei dem Wagen um eine von Karmann gebaute Cabriolimousine, wie sie in Werner Oswalds Standardwerk “Deutsche Autos 1920-45” auf Seite 134 links oben abgebildet ist.
Mit seinem tiefschwarzen Lack bot dieser Hanomag den perfekten Kontrast zum schweren Chrom der Kühlermaske – das machte schon etwas her im ländlichen Schleswig-Holstein vor über 80 Jahren…
Auch folgende Aufnahme verrät etwas vom Stolz der Besitzer eines Hanomag 3/18 PS:
Anlässlich einer Feier – vielleicht Verlobung oder Hochzeit – wurde der Hanomag wie ein Familienmitglied mitabgelichtet.
Um zu verstehen, welchen Wert ein solcher 18 PS-Wagen für unsere Vorfahren repräsentierte, muss man sich klarmachen, dass der Großteil der Bevölkerung allenfalls ein Fahrrad besaß.
Schon wer ein Motorrad hatte, um damit ganzjährig bei Wind und Wetter zur Arbeit zu fahren, durfte sich privilegiert vorkommen.
In Zeiten von Luxusproblemen wie der “Work-Life-Balance” ist es heilsam, sich anhand solcher Aufnahmen die Lebenswirklichkeit früherer Generationen zu vergegenwärtigen.
Und schöne Zeugnisse einer untergegangenen Welt, in der auch bei praktischen Gegenständen die ästhetische Qualität eine zentrale Rolle spielte, sind diese Bilder obendrein.