Der Sonderweg, den ein Großteil der deutschen Autohersteller nach dem 1. Weltkrieg einschlug, machte sich nicht nur im Festhalten an technischen Konzepten der Vorkriegszeit bemerkbar.
Auch äußerlich knüpfte man vielfach an die Vergangenheit an. Das augenfälligste Element war der Spitzkühler, der in den Nachbarländern und erst recht in den USA längst zum alten Eisen gehörte.
Nur wenige deutsche Marken wie zum Beispiel Steiger aus Burgrieden verknüpften die “schneidige” Optik der Bugpartie auch mit sportlichen Fahrleistungen ihrer Serienwagen.
Ansonsten überwogen eher schwerfällige, wenngleich im Detail sehr sorgfältig gearbeitete Fahrzeuge. Im benachbarten Österreich mit seiner von reizvollen Kleinserienherstellern geprägten Autoindustrie sahen die Dinge anders aus.
Speziell die Tourenwagen der Waffenfabrik Steyr gehören zum Feinsten, was im deutschen Sprachraum nach dem 1. Weltkrieg mit Spitzkühler zu bekommen war.
Zuletzt hatten wir hier den Steyr Typ 12/40 PS vorgestellt, der 1924/25 gebaut wurde. Folgende Aufnahme zeigt den Wagen in besonders dynamischer Pose:

Steyr Typ V; Originalfoto aus Sammlung Michael Schlenger
Der 6-Zylindermotor mit 3,3 Liter Hubraum, obenliegender Nockenwelle und V-förmig angebrachten Ventilen war kennzeichnend für die fortschrittliche Konstruktion der Steyr-Typen der frühen 1920er Jahre.
Zur echten “Waffe” wurde aber erst der Steyr Typ VI “Sport”, der bei gleicher Motorenkonstruktion 60 PS leistete und für ein Spitzentempo von 120 km/h gut war. Die darauf basierenden Rennversionen leisteten 90, 110 und 145 PS. Mit Kompressor ausgestattet waren sogar kurzzeitig 150 bzw. 180 PS drin.
Ein gewisser Enzo Ferrari fuhr als junger Mann 1922 ebenfalls einen Steyr-Rennwagen. Eine zivile Version des erfolgreichen Typs VI haben wir hier:

Steyr Typ VI Sport; Originalfoto aus Sammlung Michael Schlenger
Man sieht: Bei Steyr bekam man in den 1920er Jahren nicht nur eine rassige Optik geboten – hier war auch das Leistungsvermögen beeindruckend.
Das galt auch für den Nachfolger des Typs V 12/40 PS, den ab 1925 gebauten Steyr Typ VII 12/50 PS. Seine Konstruktion basierte auf den bewährten Prinzipien, wurde aber mit einem optimierten Fahrwerk und mehr Leistung verknüpft.
Nun gab es auch Vorderradbremsen, die die Unterscheidung vom optisch ganz ähnlichen Vorgängertyp V ermöglichen. Der Steyr Typ VII ist uns als Limousine bereits einmal begegnet, und zwar hier:

Steyr Typ VII 12/50PS; Originalfoto aus Sammlung Michael Schlenger
Der Wagen wirkt hier alles andere als dynamisch, was dem Aufbau als mächtige 6-Fenster-Limousine geschuldet ist. Doch ist gerade diese Variante interessant, weil sie nur selten zu finden ist – Steyr-Anhänger bevorzugten schon vor über 90 Jahren die offenen Versionen.
Tatsächlich sind historische Fotos von Tourenwagen des Typs VII leichter zu bekommen. Wobei man anmerken muss, dass Steyr von 1925-29 überhaupt nur 2.150 Exemplare dieses Typs herstellte – so gesehen darf man sich über jedes Foto, das die Zeiten überdauert hat, fast so freuen wie über ein originales Fahrzeug.
Und heute genießen wir den Luxus, uns gleich zwei “neue” Fotos eines Steyr Typ VII zu Gemüte führen zu können. Als erste haben wir eine schöne Aufnahme, die bei Franzensbad in Böhmen (heute Tschechien) entstand:

Steyr Typ VII 12/50 PS; Originalfoto aus Sammlung Michael Schlenger
Das ist eine prachtvolle Urlaubsaufnahme, die auf August 1929 datiert ist. Die Beschriftung “Strandbad Franzensbad” irritiert zunächst, weil ein Strandbad so ziemlich das letzte ist, woran bei dem mondänen böhmischen Kurort denkt.
Doch tatsächlich gibt es noch heute unweit von Františkovy Lázně, wie Franzensbad seit 1945 heißt, Seen mit Strand, an denen man Ferien machen kann. Dort wird “unser” Steyr einst im Sonnenschein abgelichtet worden sein.
Wo sich heute ein Campingplatz befindet, erholten sich einst offenbar betuchte Leute, denn solch ein Tourenwagen von Steyr war einst nur für eine hauchdünne Schicht der Bevölkerung erschwinglich.
Der scharfgeschnittene Spitzkühler mit dem Steyr-Emblem, das ein stilisiertes Fadenkreuz zeigt, dürfte damals einen enormen Prestigewert gehabt haben.
Da sah man auf Anhieb, dass wohlhabende Leute unterwegs waren, die über zwei unterschiedliche Reifen an der Vorderachse großzügig hinwegsehen konnten.
Oder haben wir es vielleicht mit einer nicht mehr ganz solventen Gesellschaft zu tun, die sich 1929 inmitten der Weltwirtschaftskrise abgesehen von dem gebrauchten Steyr nicht mehr viel leisten konnte?
Allerdings macht der Wagen von den Reifen abgesehen einen gepflegten Eindruck – man beachte, wie sich der in Fahrtrichtung rechte Frontscheinwerfer auf dem Schutzblech spiegelt. Auch hat man in eine Stoßstange als Zubehör investiert.
Ein Film in der Kamera war ebenfalls noch drin und die Kleidung wirkt makellos. Offenbar sind diese Leute ganz gut durch die damalige Krise gekommen. Doch wie wir wissen, sollten noch turbulentere Zeiten folgen, die Arm und Reich unterschiedslos verschlangen…
Was wohl aus den Menschen wurde, die uns mit einem Abstand von über 90 Jahren auf diesen alten Aufnahmen ansehen, auf welchen Irrwegen diese Abzüge zu uns gelangten, das fragt man sich unwillkürlich auch bei folgendem Foto:

Steyr Typ VII 12/50 PS; Originalfoto aus Sammlung Michael Schlenger
“Heimfahrt aus den Ötztaler Alpen, 1928”, das ist von alter Hand auf der Rückseite des Abzugs vermerkt.
Auch hier haben wir es mit einer Urlaubserinnerung zu tun. Doch wirkt der eindrucksvoll dimensionierte Wagen völlig anders als der zuvor gezeigte Tourer. Dabei handelt es sich um praktisch das gleiche Modell, einen Steyr Typ VII.
Was lässt das Auto so anders erscheinen? Die hohen Luftschlitze in der hinteren Hälfte der Motorhaube gleichen sich ebenso wie die verchromten Nabenkappen, die großen Bremstrommeln vorn und die auffallend glattflächigen Kotflügel.
Der einzige Unterschied ist der Flachkühler, der zwar stimmig wirkt, aber den Wagen beliebig wirken lässt. Ohne den Steyr-Schriftzug auf den Nabenkappen wäre es schwierig, Marke und Typ zu identifizieren:
Ungewöhnlich sind hier die Weißwandreifen des österreichischen Herstellers Reithoffer, der später von der Semperit AG übernommen wurde.
Ob das Ersatzrad von Michelin älteren Ursprungs oder moderner war, kann vielleicht ein sachkundiger Leser sagen. Auch hier hatte man jedenfalls kein Problem damit, im Zweifelsfall einen Reifen mit anderem Profil zu montieren.
Dass es bei diesem Steyr eher auf die Leistung am Berg als in der Ebene ankam, lässt die Situation erahnen. Beim Ausflug in die Ötztaler Alpen waren die acht Herren in dem Steyr in einer der höchstgelegenen Regionen des Landes unterwegs.
Man sieht selbst auf dem Schwarzweiß-Foto, dass sie ordentlich Sonne abbekommen haben müssen:
Acht Mann in einem offenen Wagen auf Tour in den Alpen – man wüsste gern, wie und wo die Herren genächtigt und gegessen haben. Platz für allzuviel Gepäck bot der Steyr ja nicht, das Nötigste wurde in einem Leinensack am Heck mitgeführt.
Und selbst damit waren diese Urlauber noch in einer heute unvorstellbaren Weise privilegiert. Überhaupt die heimatliche Region für einige Zeit zu verlassen, zum reinen Vergnügen, und das mit einem eigenen Automobil!
Ob man da einen Steyr Typ VII mit Spitz- oder Flachkühler bevorzugt – ein Luxusproblem und reine Ansichtssache…
© Michael Schlenger, 2017. All entries in this blog (including embedded photos) are copyrighted by the author, unless otherwise indicated. Excerpts and links may be used, provided that credit is given to Michael Schlenger and https://www.klassiker-runde-wetterau.com with appropriate and specific direction to the original content.