Was haben die folgenden Namen gemeinsam? AGA, Apollo, Austro-Daimler, Brennabor, Dürkopp, Hansa, Ley, NAG, Phänomen, Protos, Presto, Simson, Steiger, Steyr…
Der Konsument durchschnittlicher Klassikermagazine im deutschsprachigen Raum wird damit bestenfalls untergegangene heimische Automobilhersteller verbinden, über die er selten bis nie etwas zu lesen bekommt.
Das ist ein bedauerlicher Befund. Denn nimmt man die heute noch vorhandenen historischen Fotografien von Vorkriegsautos als Maßstab, finden sich dort jede Menge dieser vermeintlichen Raritäten wieder.
So muss man sich nicht besonders anstrengen, um etwa zeitgenössische Aufnahmen von Wagen der Chemnitzer Marke Presto zu finden. Entsprechend gut bestückt ist die Presto-Bildergalerie auf diesem Blog.
Mangel herrschte bislang nur in einer Hinsicht: Die meisten auf alten Fotos dokumentierten Presto-Wagen sind Tourer, also offene Vier- bis Sechssitzer wie dieser hier:

Presto Typ D 9/30 PS; Originalfoto von Manfred Hess
Dieses interessante Foto – entstanden bei einer Veranstaltung eines Automobilclubs in der Region Magdeburg – verdanken wir Leser Manfred Hess.
Der hier zu sehende Presto des verbreiteten Typs D 9/30 PS aus den frühen 1920er Jahren wurde einst als Taxi eingesetzt.
Da würde man eher eine geschlossene Variante erwarten, doch diese scheint beim Presto Typ D generell die Ausnahme gewesen zu sein.
Offiziell, das heißt: ab Werk, gab es so etwas gar nicht, wenn man der spärlichen Literatur glauben mag, die den Presto D-Typ nur als Tourenwagen kennt.
Doch natürlich konnte sich der Käufer eines Presto Typ D auch eine Karosserie nach Wunsch schneidern lassen, wenn er beim Hersteller das Chassis mit dem 30 PS-Vierzylindermotor und dem markanten Spitzkühler orderte.
Inzwischen sind tatsächlich einige Aufnahmen des D-Typs von Presto aufgetaucht, die geschlossene Aufbauten zeigen:

Presto Typ D 9/30 PS Limousine; Originalfoto aus Sammlung Michael Schlenger
Zugegeben: Viel von dem Wagen sieht man hier nicht – doch ein paar Details können wir festhalten: Spitzkühler, Drahtspeichenräder und vorn spitz auslaufende Kotflügel, ansonsten sechs mutmaßliche “Angehörige” des Wagens.
Vermutlich am selben Tag und mit Sicherheit am selben Ort, an dem diese Aufnahme entstand, wurde außerdem dieses Foto geschossen:

Presto Typ D 9/30 PS; Originalaufnahme aus Sammlung Michael Schlenger
Hier sehen wir auf einmal den Spitzkühler in der für Presto typischen Form ohne “störendes Beiwerk”.
Unter der Vorderstoßstange – einem Zubehörteil – ist auch das Nummernschild zu erkennen, das auf eine Zulassung im Raum Berlin verweist (Kennung: “IA”).
Die markante Kühlerfigur ist leider nicht zu identifizieren, sie wurde aber mit Sicherheit nachträglich angebracht – ein Presto besaß so etwas serienmäßig nicht.
Bemerkenswert ist außerdem, das an der Vorderachse zwei Reifen mit ganz unterschiedlichem Profil montiert sind. Auch scheint der Reifen in Fahrtrichtung rechts etwas breiter zu sein (vgl. auch die beiden Ersatzreifen).
Die beiden vorderen Herren mit Einstecktuch kennen wir bereits von der ersten Aufnahme. Doch hinter ihnen ist ein weiterer abgelichtet, der der Kleidung nach zu urteilen der Fahrer des Presto gewesen sein dürfte.
Typisch für die Montur eines Chauffeurs war seinerzeit die zweireihige Jacke, die einen gewissen Schutz vor Kälte bot, gerade bei den frühen offenen Wagen. Auch die hohen Schnürstiefel sieht man häufig auf Bildern angestellter Fahrer.
Solche an praktischen Erfordernissen ausgerichtete Details unterschieden den Angestellten, der gegebenfalls bei Wind und Wetter einen Reifen wechseln können musste, von den Besitzern, die im Wageninnern komfortabler untergebracht waren.
Aus heutiger Sicht mag die Position eines Chauffeurs wenig eindrucksvoll erscheinen, doch vor bald 100 Jahren war man damit hierzulande etwas Besonderes.
Denn mit der Befähigung ein Automobil zu steuern, hatte man den allermeisten Zeitgenossen etwas voraus, die in der Landwirtschaft, in Handwerksbetrieben oder in der Industrie weit anstrengenderen Tätigkeiten nachgingen.
Oft gehörte der Chauffeur gewissermaßen zur Familie und wurde natürlich auch mit “seinem” Auto abgelichtet, so auch im Fall des hier gezeigten Presto:

Presto Typ D 9/30 PS; Originalaufnahme aus Sammlung Michael Schlenger
Das ist die dritte Aufnahme, die wir von dem Presto mit dem raren Limousinenaufbau besitzen, nun aber allein mit dem Fahrer.
Hier trägt er übrigens eine andere Jacke, die perfekt auf den Leib geschneidert ist. Zusammen mit Krawatte, Reithosen und Schnürstiefeln ergibt das ein “gentleman-mäßiges Outfit”, das auch einem ostelbischen Gutsbesitzer gut gestanden hätte.
Vielleicht für den ein oder anderen Besitzer von Vorkriegswagen eine Anregung, in punkto Originalität auch an das eigene Erscheinungsbild zu denken – mit kurzen Hosen, bleichem Gebein und Baseballkappe wird man diesen ehrwürdigen Gefährten nun einmal nicht gerecht.
Zurück zum Presto D-Typ 9/30 PS: Kann jemand sagen, wer einst den klassischen Aufbau als 6-Fenster-Limousine gefertigt hat, der formal noch auffallend stark an die Kutschenepoche erinnert?
Speziell der nach vorne geschwungene untere Abschluss der A-Säule ist ein Element, das nicht so recht in die 1920er Jahre passen will. Deutsche Wagen waren nach dem 1. Weltkrieg generell sehr konservativ gehalten, so als ob man den Untergang der alten Welt des Kaiserreichs nicht wahrhaben wollte.
Übrigens sind die Drahtspeichenfelgen auf historischen Fotos des Presto Typ D 9/30 PS nur sehr selten zu sehen. Die meisten Käufer hierzulande scheinen sich für die weniger eleganten, aber robusteren Stahlspeichenräder entschieden zu haben.
Das Fehlen von vorderen Bremstrommeln verweist auf eine Entstehung des Wagens zwischen der Einführung 1921 und dem Jahr 1924. Erst im letzten Produktionsjahr 1925 erhielten diese einige tausendmal gebauten Wagen Vierradbremsen.
Ganz “fertig” sind wir aber noch nicht mit den schnittigen Presto-Wagen aus Chemnitz, über die es leider keine spezielle Literatur gibt.
Leser Manfred Hess hat uns nämlich eine weitere Aufnahme eines Presto D-Typs aus Magdeburg zur Verfügung gestellt – wiederum ein Taxi wie auf der ersten Aufnahme, nun aber mit geschlossenem Aufbau:

Presto Typ D 9/30 PS; Originalfoto von Manfred Hess
Wenn nicht alles täuscht, haben wir hier eine 8-Fenster-Limousine vor uns, auf jeden Fall ein Wagen mit bemerkenswert großzügiger Karosserie – sicher ein Einzelstück.
Dass es sich einst rentierte, einen solchen Manufakturwagen als Taxi einzusetzen, ist ein Indiz dafür, wie anders Präferenzen und Preisgefüge in der Vorkriegszeit waren.
Übrigens handelt es sich bei dem Buben auf dem Trittbrett um den Vater von Manfred Hess, dem wir diese schöne Aufnahme aus dem Familienalbum verdanken.
Der Abzug hat über die Jahrzehnte etwas gelitten, doch die perfekte Perspektive, die uns ein genaues Studium der Frontpartie erlaubt, macht das allemal wett.
Und wie immer haben alte Automobilfotos mit den einstigen Besitzern darauf ihre ganz eigene Magie…