Wo bleibt denn der “Fund des Monats”? Das mag sich der eine oder andere Leser dieses Vorkriegs-Oldtimerblogs gefragt haben, während das Ende des Jahres 2017 naht.
In der Tat, Silvester steht vor der Tür, und da zünden wir einen Kracher ganz eigenen Kalibers – der auch der Kategorie “Fund des Jahres” würdig wäre, wenn es sie gäbe.
Für den Verfasser ist der heutige Beitrag ein besonderes Vergnügen, musste er doch weder Geld für ein (im vorliegenden Fall unschätzbares) historisches Originalfoto ausgeben, noch selbst nennenswerte Zeit für die Recherche investieren.
Die Aufnahme, um die es heute geht, ist ein Beispiel dafür, wie dank Internet Enthusiasten, die sich nie gesehen haben, auf’s Schönste zusammenarbeiten, wobei jeder seinen ganz eigenen Blickwinkel hat.
Die Geschichte beginnt mit der Zusendung einer digitalen Kopie folgender Aufnahme durch Vintage-Fotosammler und Blogleser Klaas Dierks, von dessen besonderem Blick für Qualität wir hier schon öfters profitiert haben:

Bugatti T49; Originalfoto aus Sammlung Klaas Dierks
Viel Vorder- und Hintergrund, aber wenig Auto, ist vielleicht der erste Gedanke. Doch gemach, die Aufnahme hat es in sich und zumindest für den Hintergrund müssen wir dankbar sein.
Das Format des Abzugs verrät, dass der unbekannte Auto-Enthusiast, der hier einst auf den Auslöser drückte, eine Kamera mit großformatigem Rollfilm verwendete – vielleicht einer der damals verbreiteten Zeiss Ikon 6×9 cm-Apparate.
Jedenfalls hat er – abgesehen vom Bildausschnitt – damals alles richtig gemacht und die Qualität der Aufnahme erlaubt eine Ausschnittsvergrößerung für unsere Zwecke:
Klar, das ist ein Bugatti – soviel verrät der hufeisenförmige Kühler mit dem ovalen Markenemblem. Doch ansonsten wirkt der Wagen wenig vertraut.
Das hat zum einen damit zu tun, dass man auf einschlägigen Veranstaltungen oft bloß Nachbauten des legendären Typs 35 zu Gesicht bekommt, die als moderne Spielzeuge eitler Zeitgenossen natürlich nichts bei Veteranentreffen zu suchen haben, weil sie exakt null Geschichte haben.
Die vielen anderen Renn- und Sporttypen der Manufaktur aus dem elsässischen Molsheim sind meist nicht so bekannt wie der ikonische Bugatti T35 (daher werden sie auch nicht für hochstaplerisch veranlagte Zeitgenossen nachgebaut).
Der Besitzer des Fotos tippte zunächst auf einen Typ 55 Roadster. Auf den ersten Blick besteht in der Tat eine gewisse Ähnlichkeit, zumindest wenn man kein Bugatti-Experte ist (gilt übrigens auch für den Verfasser).
Doch bei näherem Hinsehen fanden sich – abgesehen vom roadstertypischen Türausschnitt zuviele Abweichungen. Vor allem die ungewöhnlichen Felgen wollten so gar nicht passen – nicht nur zum Typ 55, sondern generell zu Bugatti:
Doch so eigenwillig diese Räder mit den an Turbinenflügel erinnernden “Speichen” wirken, stammen sie von Bugatti und waren letztlich der Schlüssel zur Identifikation – sie gehören zu einem Typ 49.
Von diesem Straßensportwagen entstanden zwischen 1930 und 1934 rund 470 Exemplare. Sie vereinten Laufruhe und Komfort mit damals beachtlichem Leistungsvermögen.
Der 3,3 Liter große Reihenachtzylinder des Bugatti T49 verfügte über 3 Ventile pro Zylinder, die von einer obenliegenden Nockenwelle betätigt wurden – außergewöhnlich, wenn auch damals keine Spitzentechnologie mehr.
Die Höchstleistung von gut 100 PS (die Angaben dazu variieren) ermöglichte beachtliche Geschwindigkeiten, wobei Elastizität und Drehfreude des Motors im sportlichen Einsatz wichtiger waren.
So weit so gut – an dieser Stelle könnte man sich zufrieden zurücklehnen, sich an dem schönen Fund erfreuen und allenfalls beklagen, dass man nicht mehr zur Aufnahmesituation und dem abgebildeten Wagen sagen kann.
An dieser Stelle tritt jedoch Bugatti-Enthusiast Michael Müller aus den Niederlanden auf den Plan. Da wir uns nicht mit fremden Lorbeern schmücken wollen, lassen wir ihn kurzerhand selbst zu Wort kommen:
“Das Auto gehörte einst dem Privatfahrer Emil Bremme, der erst mit einem T35 und dann einem T35B Rennen fuhr. Er hörte 1928 damit auf und leistete sich nach einem Intermezzo mit einem T44 irgendwann diesen wunderschönen T49 Roadster mit Gläser-Aufbau.”
Da ist man erst einmal sprachlos, denn wahrscheinlich ist dies der einzige Bugatti, den die Dresdener Manufaktur Gläser in sinnlich geformtes Blech kleidete. Und dann noch den Namen eines prominenten Besitzers zu erfahren, was will man mehr?
Nun, es kommt noch mehr. Auch dem Bugatti-Club Deutschland ist dieser Bugatti T49 mit der Fahrgestellnummer 49421 bekannt.
Der Wagen gehörte zuerst wohl dem Dresdener Bugatti-Händler Emil Rothmann, später einem Herrn Voss aus Wuppertal.
Von ihm scheint Rennfahrer Emil Bremme – der Besitzer der gleichnamigen Wuppertaler Brauerei – den Bugatti übernommen zu haben. Die Bugatti-Begeisterung schlug sich sogar im Emblem der Brauerei nieder:

Bierkutsche der Brauerei Bremme; Originalfoto aus Stadtarchiv Wuppertal
Angeblich hat Emil Bremme sich diesen Spaß von Ettore Bugatti, mit dem er gut bekannt war, persönlich genehmigen lassen.
Michael Müller hat die Fahrgestell-Nr. des Bremme-Bugatti mit ihm zugänglichen Originalunterlagen anderer Bugatti T49 abgeglichen und kam zum Ergebnis, dass der Wagen auf dem Foto von Klaas Dierks irgendwann Ende 1931/Anfang 1932 entstand.
Bisweilen genannte anderslautende Angaben (z.B. Baujahr 1928) müssen unzutreffend sein, der Bugatti Typ 49 wurde definitiv erst ab 1930 gefertigt.
Nun wüsste man gern, wo der Bugatti T49 von Emil Bremme einst abgelichtet wurde. Auch hier weiß Michael Müller Bescheid – wobei folgender Bildausschnitt half:
“Jetzt zum Ort der Aufnahme, da hat es sofort „klick“ gemacht. Oben auf dem Banner ist genug erkennbar. Hohnstein-Bergrennen bei Dresden, dazu passt auch der Lieferwagen der Firma Mittag & Co. in der Dresdner Feldgasse. Das Datum muss der 17. oder 18. September 1932 gewesen sein.”
Verfüßten wir bloß für andere historische Originalfotos von Vorkriegswagen über solches Spezialistenwissen – und die Bereitschaft, es zu teilen ! Dabei sind wir im vorliegenden Fall immer noch nicht am Ende.
Der Bugatti T49 von Emil Bremme (1888-1975) wechselte später einige Male den Besitzer. Beim britischen Bugatti-Trust hat der Verfasser hier ein Nachkriegsfoto des Autos ausfindig gemacht.
Hierzu nochmals Michael Müller:
“Cajus von Engelmann muss es in den 1950/1960er Jahren wiederaufgebaut haben, wobei Teile eines Bugatti T44 eingeflossen sind. Der heutige Besitzer würde sich bestimmt über das Foto wahnsinnig freuen. Ich kenne kein anderes dieses Wagens aus der Vorkriegszeit”.
Damit wären wir am vorläufigen Ende dieser tollen Geschichte angelangt. Nun muss nur noch der heutige Besitzer von dem bislang einzigen Vorkriegsfoto seines Bugatti erfahren. Das bekommen wir auch noch hin…
© Michael Schlenger, 2017. All entries in this blog (including embedded photos) are copyrighted by the author, unless otherwise indicated. Excerpts and links may be used, provided that credit is given to Michael Schlenger and https://www.klassiker-runde-wetterau.com with appropriate and specific direction to the original content.
Über historische Fotos in Schwarz-Weiß würde ich mich freuen – Bugatti ist in meinem Blog bislang kaum vertreten, das muss sich ändern…
Ich habe jede Menge Bilder meines früheren Bugatti