Charakterkopf von Hebmüller: Hanomag Sturm Cabrio

Nach längerer Abstinenz widme ich mich heute wieder einmal dem Hanomag “Sturm” – dem 6-zylindrigen Spitzenmodell des berühmten Maschinenbauers aus Hannover, der den PKW-Bau eher nebenher betrieb.

Auch wenn den Hanomag-Wagen jede Kühnheit der Konstruktion abging, überzeugten sie etliche Kunden mit ihrer Ausstrahlung unbedingter Solidität, die sie im Alltag ja auch bewiesen.

Ab Werk mied man formal ebenfalls alle Experimente und ließ für den “Sturm” die Karosserie des parallel produzierten Vierzylindermodells “Rekord”  vom Lieferanten des Standardaufbaus – Ambi-Budd – um 20, später 30 cm verlängern.

Äußerlich erkennbar war der ab 1934 gebaute Hanomag Sturm daher eigentlich nur an der längeren Haubenpartie mit fünf statt vier seitlichen Luftklappen und dem Typenschriftzug im Kühlergrill.

Hier ein bisher unpubliziertes Foto, das einen Hanomag “Sturm” mit dem typischen Limousinenaufbau zeigt:

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Hanomag “Sturm” Limousine; Originalfoto aus Sammlung Michael Schlenger

Die auf 1939 datierte Aufnahme aus Niedersachsen ist vom Erhaltungszustand nicht die beste, lässt aber alle wesentlichen Elemente des Typs erkennen. Hier ist am unteren Ende der Motorhaube hinter dem Haubenfeststeller (mit verchromtem Zugring) die dreieckige “Ambi-Budd”-Plakette zu sehen.

Da der Wagen nur etwas mehr als 1,60 m hoch war, müssen die beiden im Einsteigen begriffenen Personen recht groß gewesen sein. Doch offenbar bot der Hanomag “Sturm” auch für Insassen mit Hut bzw. “hoher Stirn” ausreichend Kopffreiheit.

Szenenwechsel. Kurz nach Entstehung dieser Aufnahme begann mit dem Angriff Deutschlands und Russlands auf Polen im September 1939 der Zweite Weltkrieg.

Private PKW wurden damals in Deutschland zum größten Teil für die Zwecke des Militärs eingezogen. Wer seinen Wagen nicht zwingend zur Ausübung seines Berufes benötigte wie Ärzte, Veterinäre, Unternehmer – und Parteifunktionäre – sah sich einem “unwiderstehlichen” Abfindungsangebot gegenüber, das m.W. nie erfüllt wurde.

Ausgenommen blieben Fahrzeuge der 1920er Jahre, deren Alter und Ersatzteilversorgung sie als ungeeignet erscheinen ließ. Paradoxerweise haben dadurch zahlreiche Wagen jener Epoche den Krieg überstanden.

Für die robusten und zuverlässigen Hanomag-Wagen der 1930er bedeutete der Kriegsausbruch dagegen fast durchweg, dass sie eingezogen wurden. Das blieb auch den “Sturm”-Modellen mit ihrem durstigen 2,2 Liter-Motor nicht erspart:

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Hanomag “Sturm” Cabriolet und SdKfz10; Originalfoto aus Sammlung Michael Schlenger

Hier sehen wir einen in grau gespritzten Hanomag “Sturm” -vermutlich mit Cabrio-Aufbau von Ambi-Budd – an einem unbekannten Ort zusammen mit einem leichten Halbkettenfahrzeug SdKfz10 in der Ausführung mit 2cm-Flugabwehrgeschütz.

Vom Vierzylindermodell “Rekord” liegen mir weit mehr solcher Aufnahmen aus dem 2. Weltkrieg vor, was dessen höhere Stückzahl (ca. 19.000 ggü. weniger als 5.000) widerspiegelt.

Das bislang einzige weitere Foto eines Hanomag “Sturm” im Kriegseinsatz, das ich bisher erwerben konnte, zeigt ausgerechnet eine der extravaganten offenen Varianten mit Manufakturkarosserie, wie sie vor allem Hebmüller lieferte.

Auf den ersten Blick sieht man hier von dem Wagen nicht viel:

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Hanomag “Sturm” Cabriolet von Hebmüller; Originalfoto aus Sammlung Michael Schlenger

Die Situation dürfte zu Beginn der kalten Jahreszeit beim Russlandfeldzug (ab 1941) entstanden sein. Die beiden Soldaten im Vordergrund sind Offiziere, die vielleicht schon den Ersten Weltkrieg als junge Männer mitgemacht haben.

Im Detail zeigen sich für Kenner interessante Unterschiede, was Kopfbedeckung, Mantelkragen und Koppel angeht. Hier scheint mancher seinen eigenen Vorlieben entsprechend nicht mehr aktuelle Stücke “aufgetragen” zu haben.

Eine Wissenschaft für sich sind auch Details wie der Inhalt der ungewöhnlich kleinen Pistolentasche des rechten Offiziers – so waren neben deutschen Fabrikaten auch bewährte ausländische Modelle verbreitet.

Doch uns interessiert natürlich in erster Linie der Wagen, von dem außer dem Hanomag-Emblem auf dem Kühlergill nicht viel zu erkennen ist, wie es scheint.

Die im Winter übliche Kühlermanschette aus Kunstleder verdeckt ihrem Zweck gemäß einen beträchtlichen Teil des Grills, um das Erreichen und Halten der Betriebstemperatur in der kalten Jahreszeit zu unterstützen.

Dennoch sieht man genug, um elektrisiert zu sein:

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Die eigentümliche Kühlerfigur am Vorderende der Haube ist nämlich ein eindeutiger Hinweis darauf, dass die Herren Offiziere hier nicht irgendeinen Hanomag zur Verfügung hatten.

Dieses Detail gab es ab Werk nicht – es  war einer Spezialkarosserie vorbehalten, die die Karosseriefirma Hebmüller auf Basis des Hanomag “Sturm” anbot.

Mehr als drei Jahre ist es her, dass ich mich ausführlich genau mit einem solchen Wagen beschäftigt habe. Die merkwürdige Kühlerfigur ist mir in Erinnerung geblieben, weshalb mir die obige Kriegsaufnahme spontan ins Auge fiel.

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Das Porträt dieses Hebmüller-Cabriolets einschließlich einer Stilkritik findet sich hier. Erkennbar ist die wohl einzigartige Kühlerfigur, deren Bedeutung sich mir nicht ganz erschließt – vielleicht hat jemand eine Erklärung.

Nun stellt dieses Werksfoto nicht zwangsläufig die Lösung der Frage dar, was für ein Hanomag genau einst in der kalten Jahreszeit auf dem Foto mit den beiden Offizieren zufällig (?) mit abgelichtet wurde.

Denn erst kürzlich fand ich eine weitere Abbildung, die einen ganz ähnlichen, aber nicht völlig identischen Hanomag zeigt:

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Hanomag “Sturm” Cabriolet von Hebmüller; Abbildung aus “Kfz-Handel und -Bewirtschaftung” vom 17.02.1939, Original aus Sammlung Michael Schlenger

Hier haben wir es mit einer gedruckten Version eines mutmaßlichen weiteren Werksfotos eines Hanomag “Sturm” Cabriolets zu tun, die wie das erste vor dem großartigen Rathaus in Hannover entstanden ist.

Die abweichende Gestaltung der seitlichen Luftschlitze in der Motorhaubewaagerecht und in zwei übereinanderliegenden Reihen – ließ mich zunächst an Gläser aus Dresden denken, doch letztlich erwies sich auch diese Karosserie als Hebmüller-Aufbau (zum Vergleich siehe hier).

Ob dieser Wagen genau dieselbe eigentümliche Kühlerfigur wie das erste Hebmüller-Cabrio und das von der Wehrmacht eingesetzte Fahrzeug trug, ist nicht ganz klar.

Kurioserweise entdeckte ich in meinem Fundus noch eine Reklame von Hanomag, die ganz sicher ein “Sturm” Cabriolet mit Hebmüller-Karosserie zeigt, aber die Gestaltung der Luftschlitze offenlässt:

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Hanomag-Reklame für das Hebmüller-Cabriolet auf Basis des Hanomag Sturm; Originalanzeige aus Sammlung Michael Schlenger

Kann es sein, dass das Werk hier mit einer Retusche dafür gesorgt hat, dass gar keine Luftschlitze zu sehen sind?

Sollte der Aufbau so besonders puristisch erscheinen oder spiegelt die Darstellung schlicht die Möglichkeit einer unterschiedlichen Ausführung der Luftschlitze wider, die man dem Kundengeschmack überließ?

So oder so haben wir hier ein Dokument aus Friedenszeiten, das ein Hebmüller-Cabriolet genau aus der Perspektive zeigt, aus der einst der Hanomag “Sturm” mutmaßlich an der Ostfront fotografiert wurde.

Was aus dem Auto wohl geworden sein mag? Hat es den Krieg überstanden? Liegen seine Reste noch irgendwo in den Weiten der Ukraine oder Russlands? Ziert vielleicht wenigstens der Kühler oder eine Radkappe heute noch eine private Sammlung?

Es fällt schwer, sich vorzustellen, dass ein solches Auto spurlos verschwunden sein soll. Doch hunderttausende Kriegsteilnehmer auf beiden Seiten sind ebenfalls bis heute verschollen – und das ist eine Tragik von ganz anderem Ausmaß.

© Michael Schlenger, 2019. All entries in this blog (including embedded photos) are copyrighted by the author, unless otherwise indicated. Excerpts and links may be used, provided that credit is given to Michael Schlenger and https://vorkriegs-klassiker-rundschau.blog with appropriate and specific direction to the original content.

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