Nach meinem gestrigen Blog-Eintrag, der sich mit einem Brennabor aus der Zeit vor dem 1. Weltkrieg befasste, mache ich einen Zeitsprung von einem Vierteljahrhundert. Wieder befinden wir uns am Vorabend eines Weltkriegs, dessen Beteiligte im Wesentlichen dieselben sein sollten wie zuvor.
Ausgehend vom Jahr 1937 verfolge ich das Schicksal des damals neu vorgestellten Mittelklassewagens Wanderer W24 und seines Sechszylinder-Schwestermodells W23.
Der sächsische Traditionshersteller Wanderer – seit 1932 Teil des Auto-Union-Verbunds – hatte den beiden neuen Typen ein für die konservative Marke ungewöhnliches Äußeres verpasst, das US-Vorbilder zitierte, aber die gewohnte Eleganz vermissen ließ.
Auf folgender Aufnahme wird dies durch das Erscheinungsbild des einstigen Besitzers wettgemacht, der sich hier in geschmackvoller sommerlicher Kleidung hat ablichten lassen:

Während die Limousine des Vierzylindermodells W24 (1,8 Liter, 42 PS) von Wanderer selbst gefertigt wurde, entstand das hier zu sehende Cabriolet mit Zweifarblackierung im Zwickauer Horch-Werk.
Details wie die mittig unterteilte, gepfeilte Frontscheibe ließen die offene Variante sportlicher aussehen als die biedere geschlossene Version.
Übrigens verraten die vorderen Dreiecksfenster, dass wir es nicht mit der äußerlich sonst fast identischen Sechszylinderversion W23 zu tun haben. Ab 1939 verschwand dieses Detail aber auch beim W24, sodass wir diesen Wagen auf 1937/38 datieren können. Das Foto selbst stammt von 1939.
Die nächste Aufnahme zeigt nun zum Vergleich einen Wanderer W24 als Limousine:

So hübsch diese in der kalten Jahreszeit entstandene Aufnahme auch ist, wirkt das Auto mit seiner dunklen Einfarblackierung und der flachen Windschutzscheibe schwerfälliger.
Man kann nachvollziehen, weshalb das Auto am Markt nicht so recht zündete, zumal da es “weder preislich noch technisch” gegenüber der Konkurrenz Vorteile bot, so das selbskritische Fazit der Wanderer-Verkaufsleitung kurz nach Einführung (Quelle: Erdmann/Westermann: Wanderer Automobile, Delius-Klasing, 2011, S. 254).
Der im Windschutzscheibenholm untergebrachte Winker verrät, dass dieser Wagen spätestens Mitte 1938 entstanden ist, danach wanderte der Winker in die Türmittelsäule.
Demnach muss die nachfolgend abgebildete Limousine zwischen Juni und Dezember 1938 gebaut worden sein, da hier der Winker nicht mehr zu sehen ist, aber die vorderen Dreiecksfenster noch vorhanden sind, die ab 1939 entfielen:

Dieses Foto ist auf 1939 datiert und muss kurz nach Ausbruch des 2. Weltkriegs entstanden sein, da die Scheinwerfer bereits die vorgeschriebenen Tarnüberzüge für nächtliche Fahrt tragen. Der recht junge Besitzer hatte offenbar das Glück nicht zum Militär eingezogen zu werden – wohl weil er einen Beruf ausübte, der ihn unabkömmlich machte.
Dieses Privileg war dem Wehrpflichtigen nicht vergönnt, der auf der nächsten Aufnahme zwei Vorgesetzten (ein Hauptfeldwebel mit “Schiffchen” und ein Offizier mit Schirmmütze) bei Arbeiten im Motorraum eines Wanderer W24 Cabriolets zuschaut:

Die Situation ist etwas merkwürdig: Unter dem Kühler scheint Wasser ausgelaufen zu sein, der Luftfilter (mit uns zugewandtem Ansaugrohr) ist ausgebaut und links steht einer der typischen Einheitskanister, die bis heute gängig sind.
Was es hier zu basteln gab, muss offenbleiben. Dafür lässt sich sagen, dass dieser Wagen ebenfalls ein Wanderer W24 war, der am ausgestellten Dreiecksfenster als Modell von 1937/38 zu erkennen ist.
Das Kennzeichen mit dem Kürzel “WH” verrät, dass der Wagen zu einer Heereseinheit der deutschen Wehrmacht gehört, und das taktische Zeichen auf dem in Fahrtrichtung rechten Kotflügel deutet auf die Zugehörigkeit zu einer Artillerieeinheit hin.
Das Auto macht einen stark gebrauchten Eindruck, das Emblem mit den vier Ringen, das auf den Mutterkonzern Auto-Union verweist, ist bereits “verloren”gegangen und an der mattgrau überlackierten Stoßstange lugt hier und da wieder die Verchromung hervor.
Demnach haben wir es mit einem eingezogenen Privatwagen zu tun. Doch baute Wanderer speziell für die Anforderungen des Militärs auch eine Kübelwagenversion.
Während auf Basis des Vierzylindertyp W24 nur wenige Exemplare entstanden, wurden vom stärkeren Sechszylindermodell W23 (2,6 Liter 62 PS) bis 1941 über 1.500 Stück produziert.
Ein Exemplar davon ist auf der folgenden Aufnahme zu sehen, die mir Klaas Dierks (Hamburg) zur Verfügung gestellt hat:

Dieser Wagen gehört zu einer motorisierten Infanterieeinheit, was das taktische Zeichen auf dem in Fahrtrichtung links befindlichen Kotflügel erkennen lässt. Die Aufnahme dürfte 1939/40 in der Spätphase der Besetzung Polens oder Frankreichs entstanden sein, als die deutsche Luftwaffe bereits den Himmel beherrschte.
Um nicht irrtümlich als Fahrzeug des Gegners angegriffen zu werden, wurde dieser Wanderer mit einem über die Motorhaube gespannten Hoheitskennzeichen versehen.
Zum Stichwort Luftwaffe passt eine weitere Aufnahme eines zivilen Wanderer W23 oder W24 in der Cabrioversion mit geteilter Frontscheibe:

Der gut aufgelegte Herr im Ledermantel, der hier im Aussteigen befindlich ist, war nämlich ein Offizier der Luftwaffe vom Rang eines Oberleutnants, wie der Stern auf den silberfarbenen Schulterstücken verrät.
Hier ist der Winker noch im Rahmen der Windschutzscheibe untergebracht, was ein Merkmal der bis Mitte 1938 gebauten Wagen dieses Typs ist.
Hinweise auf den Entstehungszeitpunkt enthält diese Aufnahme meines Erachtens nicht. Allerdings wurden ab 1943 mangels Material nur noch wenige solcher Privataufnahmen angefertigt, sodass wohl die Zeit von 1939 bis 1942 in Betracht kommt.
Die nächste Aufnahme transportiert uns dann in die frühe Nachkriegszeit. Auch wenn sonstige Datierungshinweise fehlen, würde ich aufgrund der Frisur der jungen Dame vor dem Wanderer auf die späten 1940er oder frühen 1950er Jahre tippen:

Der Wagen scheint gut durch den Krieg gekommen zu sein, jedoch sieht er nicht mehr so frisch aus, dass man eine Entstehungszeit des Fotos kurz nach Auslieferung – also 1937-39 – annehmen kann.
Was auf den ersten Blick wie ein Cabriolet aussieht, ist tatsächlich eine Cabrio-Limousine, bei der der Türrahmen bei niedergelegtem Verdeck stehenblieb.
Zum Schluss noch eine weitere Nachkriegsaufnahme, die einen in der amerikanischen Besatzungszone Bayern (Kürzel AB) zugelassenen Wanderer zeigt:

Die genickte Frontscheibe sagt uns, dass diese Limousine ein Exemplar des Sechszylindertyps Wanderer W23 sein muss. Beim Vierzylindermodell W24 verfügte wie oben erwähnt nur die Cabrioletausführung über eine solche Knickscheibe.
Interessant ist die Anbringung der Scheibenwischer oberhalb der Scheibe. Das war nämlich der Exportversion vorbehalten, die über eine ausstellbare Frontscheibe verfügte. Auch die einteilige Stoßstange war den Exportmodellen vorbehalten.
Das Fehlen der Ziergitter im Unterteil der Vorderkotflügel ist schließlich typisch für das Baujahr 1939. Interessant wäre es zu erfahren, wie diese Exportversion kurz nach dem Krieg nach Bayern gelangt war.
Die Lackierung scheint so gut wie neu zu sein, sodass es sich um ein während des Kriegs in einem Nachbarland in deutsche Hände gefallenes Auto handeln konnte, das mit einer zurückkehrenden Wehrmachtseinheit irgendwo in Deutschland strandete und auf verschlungenen Pfaden einen neuen Besitzer fand.
“Fahrt zum Walchensee – Kesselberg” steht auf der Rückseite des Abzugs. Mehr wissen wir leider nicht über den langen Weg, den dieser Wanderer einst als Begleiter wechselnder Besitzer durch dick und dünn absolvierte…
© Michael Schlenger, 2020. All entries in this blog (including embedded photos) are copyrighted by the author, unless otherwise indicated. Excerpts and links may be used, provided that credit is given to Michael Schlenger and https://vorkriegs-klassiker-rundschau.blog with appropriate and specific direction to the original content.
Ich habe ein Bild von diese Exportversion – mein Großvater besitzte in damaliges Königreich Jugoslawien ein W 24…