Zugegeben: Der Titel meines heutigen Blog-Eintrags mag nicht zu Begeisterungsstürmen hinreißen. In der Tat ist der vierzylindrige Opel 10/40 PS der späten 1920er Jahre nicht gerade das, was die Gourmets hinter dem Ofen hervorlockt.
Entsprechend zurückhaltend habe ich den großen Bruder des volkstümlichen Opel 4 PS-Typs “Laubfrosch” bei der letzten Gelegenheit hier präsentiert. Ein Erfolgsmodell sah anders aus, zumindest im Hinblick auf die Stückzahlen, die überschaubar blieben.
Allerdings liegt der Reiz der Vorkriegsautos, die ich anhand historischer Fotos präsentiere, oft gar nicht so sehr in raffinierter Technik oder spektakulär schönen Formen, sondern in der Situation, in der sie einst aufgenommen wurden.
Folgendes Beispiel illustriert das aus meiner Sicht ganz vorzüglich und es zeigt – eher zufällig – genau das Modell, um das es heute geht: den Opel 10/40 PS als Tourenwagen!

Für mich ist diese Aufnahme aus Garmisch-Partenkirchen mit dem Zugspitzmassiv im Hintergrund ein ideales Beispiel, um meine Ablehnung des “modernen” Bauens zu begründen – das nebenbei ein 100 Jahre alter Hut ist.
Bis zum 1. Weltkrieg verfügte die Architektur über eine enorm vielfältige Formensprache, die noch im Bauboom der Gründerzeit einen Bezug zu regionalen Traditionen ermöglichte – sei es in formaler Hinsicht oder auch, was die Wahl der Materialien für die Fassade anging.
Selbst in den frühen 1920er Jahren vermochten Bauherrn und Architekten vereinzelt noch Bezüge zur Umgebung herzustellen, wie auf diesem Ausschnitt zu sehen ist:

Der fast schmucklose Bau ganz links fügt sich harmonisch in die umgebende Landschaft ein.
Interessanterweise gilt ähnliches für Vorkriegsautomobile. Sie wirken selbst in über Jahrhunderte gewachsenen Altstädten nicht wie Fremdkörper, was freilich auch mit ihrer in Deutschland damals noch überschaubaren Zahl zu tun hatte.
Übrigens entspricht der Opel auf obiger Aufnahme der späteren Ausführung des 10/40 PS-Modells, um das es heute geht – bei Einführung 1925 besaß der Wagen dagegen noch eine eher nichtssagende Kühlerpartie:

Auf diesem Foto aus dem Fundus von Leser Klaas Dierks kann man gut nachvollziehen, dass Opel mit dem Typ 10/40 PS im wesentlichen eine vergrößerte Ausführung des Brot- und Butter-Modells 4/20 PS “Laubfrosch” produzierte.
Das galt nicht nur für die simple Technik, sondern offensichtlich auch für das äußere Erscheinungsbild. Die Übertragung eines erfolgreichen Automobilentwurfs in eine andere Größenklasse gelingt jedoch selten – das gilt übrigens in beide Richtungen.
Jedenfalls wirkt die Tourenwagenversion des kleineren Opel 4/16 PS weit stimmiger, obwohl beim 10/40 PS-Typ dieselben stilistischen Elemente verwendet wurden:

Beim kompakten Opel 4PS-Typ überzeugen die Proportionen, während das daraus abgeleitete größere 10 PS-Modell doch reichlich massig wirkt.
Hinzu kommt der wesentlich längere Radstand, der die Karosserie in der Seitenansicht eher dröge erscheinen lässt. Und dabei haben wir es hier noch mit dem kürzeren, viersitzigen Tourenwagenaufbau zu tun, mit dem der Opel 10/40 PS erhältlich war:

Hier endet die hintere Tür praktisch auf Höhe des Heckschutzblechs. Das Fehlen von Türgriffen (zum Öffnen diente ein innen angebrachter Hebel) trägt zusätzlich zum prosaischen Erscheinungsbild des Aufbaus bei.
Einziger Schmuck sind die typischen Trittbleche am Schweller, auf denen das Markenemblem zu erkennen ist – ein augenförmig gestalteter Opel-Schriftzug. Dieses Relikt verweist auf die Zeit vor dem 1. Weltkrieg und sorgt für willkommene Abwechslung.
Prinzipiell denselben schmucklosen Aufbau, nun allerdings auf dem längeren Chassis, zeigt eine weitere Aufnahme aus dem Fundus von Klaas Dierks:

Wären da nicht die aus dem Jugendstil herübergeretteten geschwungenen Bleche mit Opel-Schriftzug (und die Scheibenräder mit sechs Radbolzen), würde dieser Wagen völlig beliebig aussehen und ließe sich kaum identifizieren.
Unter dem Druck der Wettbewerber – oder besser: Trendsetter – aus Übersee besann sich Opel dann ab Herbst 1927 und verpasste dem Typ 10/40 PS eine markantere Frontpartie, die übrigens auch das kleinere 4 PS-Modell erhielt.
Auch dazu konnte Klaas Dierks ein passendes Foto beisteuern:

Dass Opel nichts Besseres einfiel, als die Kühlerform der US-Marke Packard zu kopieren, ist ein Indiz für den Zustand, in dem sich die einst so angesehene Marke damals war. Die Übernahme durch General Motors kurze Zeit später war die Quittung dafür.
Das an der See aufgenommene Foto zeigt übrigens wieder einen viersitzigen Tourer mit kurzem Radstand, wie die Position der hinteren Tür erkennbar ist.
Im Vergleich zum Vorgänger mit abgerundetem Kühler fällt auf, dass dieses Fahrzeug nun eine unterhalb der “Gürtellinie” umlaufende Zierleiste besitzt. Diese verleiht der Seitenansicht Struktur und lässt sie zugleich niedriger erscheinen.
Sollte diese Zierleiste zusammen mit dem “Packard”-Kühler eingeführt worden sein, würde sie einen Datierungshinweis zu dem Opel 10/40 PS Tourer auf einer weiteren Aufnahme liefern, die diesmal aus meinem eigenen Bestand stammt:

Dieses charmante Foto zeigt wieder einen sechssitzigen Tourer, wie gut zu erkennen ist. Von besonderem Reiz ist die geöffnete Tür, die sonst fast nie zu sehende Details preisgibt.
Zum einen sieht man hier die durchgehende Trennwand zwischen Passagierabteil und Vordersitzen. Zum anderen kann man die Gestaltung der Türverkleidung studieren, die hier eine verschließbare Tasche mit aufgeprägtem Opel-Emblem aufweist:

Außerdem sieht man nun die innenliegenden Hebel zum Öffnen bzw. Versperren der Tür, außerdem eine horizontale Haltestange an der Trennwand zum Fahrerabteil.
Ebenfalls zu erkennen ist besagte Zierleiste – zumindest der hintere Abschnitt, der in Richtung Verdeckgestänge läuft. Erwähnenswert sind zudem die seitlichen Steckscheiben, die man anlässlich des Fotos auf der rechten Seite entfernt hat.
Ansonsten bleibt zu sagen, dass auch ein solches Dokument, das wenig vom Wagen erkennen lässt, dennoch von großem Reiz sein kann – vor allem dann, wenn die Menschen darauf echte Individuen sind.
Noch besser als die beiden Damen gefallen mir im vorliegenden Fall die Herren, die für mich beweisen, dass formelle Kleidung keine Uniform sein muss, wenn sie typgerecht ist. Von diesen beiden völlig unterschiedlichen Charakteren kann man sich jedenfalls einiges abschauen, wenn man ein Vorkriegsauto in der Öffentlichkeit bewegt.
So liegt für mich am Ende der eigentliche Reiz dieser Autofotos wieder einmal in der menschlichen Komponente. Die Opel-Freunde mögen mir verzeihen, wenn ihre Lieblinge dabei nicht ganz so vorteilhaft weggekommen sind…
© Michael Schlenger, 2020. All entries in this blog (including embedded photos) are copyrighted by the author, unless otherwise indicated. Excerpts and links may be used, provided that credit is given to Michael Schlenger and https://vorkriegs-klassiker-rundschau.blog with appropriate and specific direction to the original content.