Lack und Leder im Schwarzwald: NAG C4 Tourer

Wer sich von der Überschrift meines heutigen Blog-Eintrags schlüpfrige Inhalte auf dem Niveau von „Erwachsenenfilmen“ der 1970er Jahre erwartet, wird enttäuscht werden.

Mit aufreizenden Bildern lasziver Schwarzwaldmädels in Lack und Leder kann ich nämlich nicht aufwarten, wohl aber mit einem reizvollen NAG-Foto einer moralisch vermutlich einwandfreien Gesellschaft in streng funktionellem Lack und Leder.

Die Hauptrolle spielt dabei ein alter Bekannter – ein verlässliches Schlachtross, das mich schon auf einigen Expeditionen in die Welt des Vorkriegsautomobils begleitet hat. Die Rede ist vom Typ C4 10/30 PS, der von 1920 bis 1924 von NAG in Berlin gebaut wurde.

Hier haben wir einen dieser Wagen in der verbreiteten Ausführung als Tourenwagen in malerischer Szenerie abgelichtet irgendwo im Schwarzwald – soviel verrät die Beschriftung des Abzugs:

NAG Typ C4 10/30 PS; Originalfoto aus Sammlung Michael Schlenger

Einige tausend Exemplare – genau weiß man es nicht – dieser solide konstruierten und hochwertig verarbeiteten Wagen bevölkerten einst die deutschen Straßen. Entsprechend oft begegnet man ihnen mit unterschiedlichen Aufbauten auf zeitgenössischen Fotos.

In meiner stetig wachsenden NAG-Fotogalerie – der wohl größten überhaupt, die allgemein zugänglich ist – finden sich bereits rund zwei Dutzend historische Aufnahmen dieses Typs bzw. des leistungsgesteigerten Modells D4 10/45 PS, das von 1924-27 äußerlich nur wenig verändert weitergebaut wurde.

Um die typischen Merkmale eines NAG C4 besser studieren zu können, rücken wir dem im Schwarzwald aufgenommenen Exemplar näher auf den Pelz bzw. das Blech:

Der Wagen wirkt hier ungewöhnlich groß, doch das lässt sich leicht mit der Größe der abgebildeten Personen erklären. Nimmt man an, dass der vorn am Kotflügel angelehnte Herr 1,65 Meter maß, würde das zum überlieferten Radstand von 3,10 Meter passen.

Die Insassen dürften ebenfalls nicht so großgewachsen gewesen sein, wie das heute oft der Fall ist. Entsprechend eindrucksvoll wirkt hier der Wagen, dessen Leistung es jedoch nicht mit der vor dem 1. Weltkrieg gebauten Typen mit 35 bis 75 PS aufnehmen konnte.

So musste NAG nach 1918 wie andere deutsche Hersteller kleinere Brötchen backen. Erst ab Mitte der 1920er Jahre war mit dem Typ D6 12/60 PS wieder ein deutlich stärkeres Modell im Angebot. Über den NAG D5 – wenn es ihn gegeben hat – ist mir nichts bekannt.

Der Typ C4 besaß wie die Vorkriegsmodelle einen Kühler mit ovalem Ausschnitt, dieser war jedoch gleichzeitig spitz ausgeführt, wie das seinerzeit in deutschen Landen Mode war. Je nach Bildqualität besteht Verwechslungsgefahr mit den D-Typen von Stoewer aus Stettin, deren Kühlerspitze vorne jedoch leicht schräg verlief.

Hier haben wir es eindeutig mit einem NAG zu tun, übrigens auch erkennbar an den drei unterschiedlich großen Lufteinlässen in der Partie hinter der Motorhaube – sie dienten der Belüftung des Innenraums, der durch die Abwärme von Motor, Getriebe und Auspuffanlage stark erhitzt wurde – kein Vergnügen in der warmen Jahreszeit:

Man findet diese drei Lufteinlässe auf einigen, aber nicht allen Fotos des NAG C4, und ich vermute, dass es sich um eine baujahrabhängige Änderung handelte. Vielleicht weiß jemand mehr dazu (bitte Kommentarfunktion nutzen) .

Da der Lack dieses NAG aufgrund der Körnigkeit des Abzugs und der starken Ausschnittsvergrößerung nicht sonderlich zu glänzen vermag, verlegen wir uns unterdessen auf das Thema „Leder“, das hier eine reizvolle Rolle spielt.

Wie es scheint, trägt der vor dem NAG posierende Herr nicht nur Lederschuhe und darüber lederne Gamaschen – die zusammen die Optik von Reitstiefeln ergeben, sondern auch Lederhandschuhe sowie die typische zweireihige lederne Fahrerjacke, die bereits vor dem 1. Weltkrieg aufkam.

Mit den überlappenden Brustteilen bietet das Kleidungsstück guten Schutz gegen Fahrtwind. Bei Bedarf lässt sich mit hochstellbarem Kragen und Revers die Halspartie zusätzlich isolieren. Außerdem ist das Material unempfindlich gegen Staub, Öl und Beschädigungen.

Aus eigener Erfahrung weiß ich, dass eine solche Jacke – die ähnlich noch heute zu bekommen ist – hervorragenden Schutz bei Wind und Wetter bietet. Außerdem sieht so ein glänzendes und knautschiges Stück einfach gut aus, meine ich. Warum das der Fall ist, dies zu erklären überlasse ich Psychologen und Anthropologen…

Besonders raffiniert finde ich die Kombination mit weißem Hemd und Krawatte, wie sie hier bei dem zweiten Herrn aus der Lederfraktion zu besichtigen ist:

Während er als Kopfbedeckung die legendäre „Prinz Heinrich Mütze“ gewählt hat, trägt die Dame am Lenkrad eine Pelzkappe.

Sie fand die Verbindung aus Lack und Leder wohl nicht so attraktiv, während ihre Geschlechtsgenossin im Fond sich immerhin zu einer ledernen Fahrerhaube durchgerungen hat, unter der sie vernügt hervorschaut.

Über das Geschlecht der Person neben ihr dürfen Mutmaßungen angestellt werden – neuerdings finden ja mehr Varianten Verbreitung als die beiden traditionellen, die man mit und ohne Y-Chromosom aus dem Biologieunterricht kennt.

Ich schätze, es handelt sich bei den Insassen des NAG (einschließlich des Fotografen) um drei Paare, die einst an einem kühlen Tag den Schwarzwald im Automobil erkundeten.

Die Verbindung aus Lack und Leder dürfte sich dabei bewährt haben, wenn man die zufriedenen Gesichter der abgelichteten Personen als Maßstab heranzieht.

Wir aber erfreuen uns an einem weiteren Dokument des NAG Typ C4 10/30 PS, der trotz seines auf den ersten Blick nüchternen Erscheinungsbilds einst ein begehrtes Objekt der Leidenschaft war…

© Michael Schlenger, 2020. All entries in this blog (including embedded photos) are copyrighted by the author, unless otherwise indicated. Excerpts and links may be used, provided that credit is given to Michael Schlenger and https://vorkriegs-klassiker-rundschau.blog with appropriate and specific direction to the original content.

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