Fund des Monats: Hansa-Lloyd 18/60 PS „Treff Aß“

Zusammen mit dem Fund des Monats September 2020 kann ich heute eine ganze Reihe Dokumente präsentieren, die zwar schon eine Weile in meiner Hansa-Lloyd-Galerie schlummern, aber über 100 Jahre nach ihrer Entstehung eine gesonderte Darstellung verdienen.

Wie es der Zufall will, führen sie in dichter Abfolge auf das Fahrzeug zu, das den eigentlichen Fund des Monats repräsentiert.

Zum Einstieg muss ich allerdings auf ein Dokument zurückgreifen, das ich im Netz in der Flickr-Präsenz eines Oldtimer-Enthusiasten fand:

Deckblatt einer Broschüre von Hansa-Lloyd von 1914; Quelle: Flickr

Hierbei handelt es sich um das Deckblatt einer Broschüre der Marke Hansa-Lloyd aus dem Jahr 1914. Damals hatten die seit 1905 bzw. 1906 existierenden Marken Hansa aus Varel und Lloyd aus Bremen sich gerade zusammengeschlossen.

Nachdem beide Hersteller bis dato nur Flachkühlermodelle gebaut hatten, tauchte demnach im Programm noch 1914 erstmals ein Typ mit dem modischen Spitzkühler auf.

Die Broschüre zeigt das Spitzenmodell 22/50 PS, das noch aus der alten Lloyd-Palette stammte. Ebenfalls 1914 entstand folgende hübsche Reklame, die einen Spitzkühlertyp von Hansa-Lloyd in der Frontansicht zeigt – hier mit senkrechten Streben und oval eingefasstem Markenschriftzug auf dem Kühler:

Hansa-Lloyd: Originalreklame von 1914 aus Sammlung Michael Schlenger

Ein Jahr später – im Kriegsjahr 1915 – ist der Zierrat auf dem Kühler verschwunden, nur ein Abwärtsschwung des Oberteils der Kühlermaske sorgt für etwas Abwechslung.

Raffiniert ist dagegen die Darstellung des durch den Schriftzug stürmenden Wagens – in dieser Ästhetik kommt ein dem Heroischen zugewandter Zeitgeist zum Ausdruck:

Hansa-Lloyd: Originalreklame von 1915 aus Sammlung Michael Schlenger

Ein weiteres Jahr später – 1916 – findet man eine vollkommen auf die Grundform reduzierte Gestaltung des Spitzkühlers. In der Grafik lebt zwar noch der Schwung des Jugendstil – der letzte aus der ganzen europäischen Tradition schöpfende und sich der Formen der Natur bedienende Kunststil – doch das immer totalere Kriegsgeschehen führt nun überall zu einer Reduzierung auf das Notwendige.

Man beachte auch die allmählich strenger werdenden Schrifttypen in diesen Reklamen:

Hansa-Lloyd: Originalreklame von 1916 aus Sammlung Michael Schlenger

Ebenfalls aus dem Jahr 1916 stammt eine weitere Reklame von Hansa-Lloyd, die nun eine seitliche Ansicht eines Tourenwagens im typischen teutonischen Stil zeigt – mit Spitzkühler, tulpenartig nach unten schmaler werdendem Aufbau und im Karosseriekörper integrierten Verdeckkasten:

Hansa-Lloyd: Originalreklame von 1914 aus Sammlung Michael Schlenger

Damit sind wir schon nahe an der Ästhetik des Wagens, der heute im Mittelpunkt steht.

Weitere solche Reklamen von Hansa-Lloyd aus der Spätphase des 1. Weltkriegs liegen mir leider nicht vor. Es wird sie wohl gegeben haben, so wie man noch 1917/18 derartige Dokumente von Benz und Mercedes in Zeitschriften findet.

Tatsächlich wurden ja auch noch immer solche Wagen gebaut, wenngleich fast nur noch für den Bedarf des Militärs. Die Hersteller verdienten gut daran (was ihnen nicht vorzuwerfen ist) und konnten sich daher Anzeigen leisten, die eher die Hoffnung auf einen baldigen Frieden als ein tatsächliches Angebot für zivile Käufer widerspiegelten.

Das eingangs erwähnte Spitzenmodel Hansa-Lloyd 22/50 PS scheint nach Kriegsende nicht weitergebaut worden zu sein. Generell verlegte man sich im Bremer Werk ab 1918 auf Nutzfahrzeuge und eine breite Palette an Elektromobilen.

Unterdessen ging im Werk in Varel die PKW-Fertigung weiter und nach der Trennung von Hansa-Lloyd 1921 zog man dort unter dem alten Markennamen Hansa wieder eine eigenständige Automobilproduktion auf.

Ganz löste sich Hansa-Lloyd in Bremen damals aber nicht vom PKW-Bau. Auf Basis eines älteren Typs baute man ab 1920 in geringen Stückzahlen einen von den Dimensionen her sehr eindrucksvollen Vierzlinderwagen – das Modell 18/60 PS.

Dieser mächtige Wagen mit einem zwar konventionellen, aber bärenstarken 4,1 Liter-Aggregat begegnet einem nicht zufällig auch in Form von Nutzfahrzeugumbauten. Ein Hansa-Lloyd 18/60 PS lieferte sehr wahrscheinlich die Basis für diesen eigenwilligen „Minibus“, der einst in der Stadt Achim unweit von Bremen unterwegs war:.

Hansa-Lloyd 18/60 PS; Originalfoto zur Verfügung gestellt über einen Leser aus Achim

Man lasse sich von dem nachträglich konstruierten Aufbau hinter dem Fahrersitz nicht ablenken. Ursprünglich war dies ein typischer Tourenwagen der frühen 1920er Jahre.

Die Details des Vorderwagens – Spitzkühler mit recht weitmaschigem Kühlergrill, vorn weit nach unten gezogenen Kotflügel und Gestaltung der Radnaben – finden sich identisch auf einem weiteren Foto, das mir ein Leser vor längerer Zeit zur Verfügung gestellt hat:

Hansa-Lloyd 18/60 PS; Originalfoto zur Verfügung gestellt von Vincent Birkenhagen

Dieser Wagen wurde einst von einem Handwerksbetrieb (Erich Schwiemann) in Guben an der Neiße genutzt. Das Verlegen von Fußbodenbeläge und Anbringen von Tapeten war die Spezialität der Firma, die sich dieses großzügigen Wagens bediente.

Auf dem Originalfoto erkennt man bei genauem Hinsehen einen Teil des typischen dreieckigen Markenemblems von Hansa-Lloyd, das auf der sehr empfehlenswerten Website von Claus-Wulff (Berlin) im Original zu studieren ist.

Damit kann auch die Identität des umgebauten, vorn praktisch identischen Wagens aus Achim als gesichert gelten. Offen bleiben muss vorerst, ob Hansa-Lloyd in Bremen selbst solche Aufbauten anbot – immerhin waren Nutzfahrzeuge ja das Kerngeschäft – oder ob es sich um ältere Wagen handelte, die nochmals einer neuen Nutzung zugeführt wurden.

Wie auch immer sich das im Fall der beiden bisher gezeigten Wagen des Typs Hansa 18/60 PS verhalten haben mag, werden sie bei weitem durch das in den Schatten gestellt, was mir Leser Jason Palmer aus Australien vor längerer Zeit zusandte.

Er besitzt selbst mehrere Vorkriegswagen unterschiedlicher Marken und kennt sich auch gut bei deutschen Fabrikaten aus, die einst im fernen Australien nicht selten waren.

Bei dem Foto, das er mir zusandte, musste er zwar selbst passen, aber ich fand nach nicht allzulanger Recherche heraus, was es für ein Prachtautomobil zeigt:

Hansa-Lloyd 18/60 PS; Originalfoto aus Sammlung von Jason Palmer (Australien)

Dieser unerhört elegante Wagen muss ebenfalls ein Hansa Typ 18/60 PS sein, der den eigenwilligen Namenszusatz „Treff Aß“ trug – nebenbei ein Begriff aus der Welt der Spielkarten („Treff“ von französisch „trèfle“ steht für das dreiblättrige Kleeblatt).

Darauf brachte mich eine sehr ähnliche Abbildung in der Erstausgabe von Werner Oswalds Klassiker „Deutsche Autos 1920-45“ von 2001 (S. 144). Gestaltung und Proportionen der Frontpartie weichen nur geringfügig voneinander ab.

Speziell die enorm lange Motorhaube findet sich in Verbindung mit einem solchen Spitzkühler und dieser Gestaltung der Radnaben meines Wissens nirgendwo sonst. Man kann sogar – auf Höhe des rechten Scheinwerfers – eine Ecke des dreieckigen Kühleremblems erahnen:

Der Aufbau als Sechsfenster-Limousine wurde durch den kolossalen Radstand von 3,70 Meter begünstigt. Die schiere Länge des Wagens lässt den großzügigen Passagierraum mit Platz für sieben (!) Insassen beinahe leicht erscheinen.

Der Eindruck von Leichtigkeit wird durch den ausgeprägten Schwung der Dachpartie unterstützt – dieser filigrane Aufbau sorgte auch damals für heitere Stimmung:

Die beiden Herren sind zwar für die kühle Jahreszeit gekleidet, aber dennoch guter Dinge. Sie wussten schon damals, wie exklusiv dieses Gefährt war, für das vor der Inflationszeit bereits fast 20.000 Goldmark auf den Tisch zu legen waren – seinerzeit der Gegenwert eines sehr anständigen Hauses.

Die Karosserie wurde wahrscheinlich von einer Bremer Manufaktur mit dem schönen Namen „Rembrandt“ gefertigt. Und in der Tat ist mir bislang wenig aus der Zeit der frühen 1920er Jahre begegnet, was Größe und Eleganz so meisterhaft vereint…

Literaturtipp: Hansa Lloyd Automobilbau, Ulrich Kubisch, Verlag Steintor, 1. Ausgabe 1986

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Ein Gedanke zu „Fund des Monats: Hansa-Lloyd 18/60 PS „Treff Aß“

  1. Leider ist nicht überliefert wie viele dieser Riesen gebaut wurden. Es würde mich wundern, wenn es deutlich mehr als 100 waren. Die späten „Treff Ass“ ab 1923 sollen ja sogar 3,80 m Radstand gehabt haben (lt. „Deutsche Autos“ von Halwart Schrader im Motorbuchverlag). Damit war der eher schwachbrüstige Wagen größer als die wesentlich stärkeren Maybach W3 und sämtliche Angebote von Mercedes und Benz, und ziemlich genauso groß wie ein Rolls-Royce Silver Ghost oder Hispano-Suiza H6 die damals die absolute Spitze des europäischen Automobilbaus repräsentierten. Und der abgebildete Wagen könnte ein solch spätes Modell von 1923/24 sein. Das bogenförmige Dach war auf alle Fälle selten im damaligen Deutschland. Vor ca. 1927 herrschten hierzulande ja besonders strenge horizontale und vertikale Linien vor.
    Die beiden Nutzfahrzeuge sind sicher spätere Umbauten, besonders deutlich bei dem etwas heruntergerockten „Bus“ aus Achim zu sehen, der auf einem frühen Tourenwagen-Modell basiert. Neu konnte sich das kein Handwerksbetrieb leisten, mit Ausnahme vereinzelter Ausstatter des Großbürgertums in der Hauptstadt vielleicht.

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