Mysteriöse Extras: 1933er Chevrolet „Master Eagle“

Vorurteile sind nicht grundsätzlich schlecht – sie müssen sich in der Menschheitsgeschichte irgendwie bewährt haben, sonst hätten wir keine.

Man muss sie jedoch ab und an auf den Prüfstand stellen – es könnte nämlich sein, dass man vielleicht ein Dutzendmal damit gut gefahren ist und dann einmal daneben liegt.

So geht das vielleicht jetzt manchem mit der US-Marke Chevrolet – neben Ford lange Zeit der amerikanische „Brot-und-Butter“-Hersteller schlechthin.

Abgesehen vom nicht zu unterschätzenden Verdienst, von jedermann bezahlbare Autos zu einer Zeit zu bauen, als ein eigenes Kraftfahrzeug in der übrigen Welt ein Luxus war, kann auch ein Chevrolet im Einzelfall mit Qualitäten aufwarten, die Vorurteile widerlegen.

Ein Paradebeispiel ist das 1933 eingeführte Modell „Master Eagle“, das uns hier von zwei smarten Herren präsentiert wird:

Chevrolet „Master Eagle“ Limousine; Originalfoto aus Sammlung Michael Schlenger

Ich finde, dieser Wagen sieht ausgezeichnet aus – nichs daran wirkt unbeholfen oder gar billig. Dabei war er genau das aus Sicht des amerikanischen Käufers: billig.

565 Dollar waren für diese viertürige Limousine zu berappen, wesentlich günstiger war nur das Ford Model 40 mit 50 PS-Vierzylinder. Der Chevy verfügte jedoch über einen über 60 PS leistenden Reihensechser, noch dazu mit im Zylinderkopf hängenden Ventilen (ohv).

Der Chevrolet „Master Eagle“ von 1933 bot außerdem ein synchronisiertes Getriebe und kam mit vollverchromten Scheinwerfern und eleganten Drahtspeichenrädern daher.

Die von innen verstellbaren Entlüftungsklappen in der Motorhaube unterstreichen das repräsentative Erscheinungsbild.

Doch manchen Käufern war dies offenbar nicht genug – sie rüsteten ihren „Master Eagle“ nachträglich mit ein paar ausgesprochen mysteriösen Extras aus, die noch interessanter sind als das Auto selbst:

Chevrolet „Master Eagle“ Limousine; Originalfoto aus Sammlung Michael Schlenger

Der Hauptunterschied zu dem zuvor gezeigten Wagen ist natürlich der zweitürige Coupé-Aufbau mit außenliegendem „Schwiegermuttersitz“.

Mit 60.000 Exemplaren (in einem Jahr!) war diese Ausführung deutlich seltener als die Limousinenversionen, die es (mit zwei bzw. vier Türen) auf über 350.000 Stück brachten – für damalige US-Verhältnisse völlig normale Größenordnungen.

Ansonsten ist zu dem Auto als solchem eigentlich alles gesagt. Was mir indessen anhaltendes Kopfzerbrechen bereitet, ist die Aufnahmesituation.

Das Foto ist in Mitteleuropa entstanden, worauf unter anderem die Details des schlichten Gründerzeitbaus im Hintergrund hindeuten. Das Kennzeichen mit weißem Untergrund könnte ein deutsches gewesen sein – ich würde aber einen unserer Nachbarstaaten nicht ausschließen.

Die Kleidung der Personen auf dem Bild wirkt auf mich etwas zusammengewürfelt – jedenfalls untypisch für die 1930er Jahre:

Der Reservekanister ist ein typisches Exemplar der von den Alliierten so bezeichneten „jerry can“ – dabei war „Jerry“ ein Spitzname für deutsche Soldaten und „can“ stand für Kanister.

Diese bis heute gängige Ausführung mit dem charakteristischen Prägemuster und eingen ingeniösen Detaillösungen wurde eigens für die deutsche Wehrmacht entwickelt und insbesondere von den Briten fast identisch kopiert – die Amerikaner ließen sich zu einer etwas abweichenden Version inspirieren.

Von diesen Kanistern, die den Alltag der Soldaten an allen Fronten prägten, müssen Millionen produziert worden sein – in meiner Garage findet sich eine originale britische Ausführung mit Prägung „W.D.“ für „War Department“ und „1943“.

Jedenfalls gelangten diese Relikte des Kriegs nach der Kapitulation haufenweise in zivile Hände, wo sie noch viele Jahre ihren Zweck erfüllten.

Mysteriöser erscheint mir dagegen das Objekt, welches der Herr am rechten Bildrand zu präsentieren scheint (oder ist es mit einem Pfahl am Boden befestigt?).

Ebenso wirft das „Notdach“ Fragen auf, welches über dem Schwiegermuttersitz angebracht ist. „Was geht hier vor?“ – fragt man sich. Oder auch: „Was haben diese Leute mit dem Chevrolet vor?“

Ich meine, dass wir es mit einer Aufnahme der frühen Nachkriegszeit zu tun haben – dazu würde auch das ramponierte Trittbrett des Chevrolet passen. Doch zu einer konkreteren Interpretation dieser bemerkenswerten Szene konnte ich mich nicht durchringen.

Das überlasse ich gerne Ihnen, liebe Leser, und ich bin gespannt, was Ihnen zu diesem Chevrolet „Master Eagle“ und seinen mysteriösen Extras alles einfällt…

Michael Schlenger, 2022. All entries in this blog (including embedded photos) are copyrighted by the author, unless otherwise indicated. Excerpts and links may be used, provided that credit is given to Michael Schlenger and https://vorkriegs-klassiker-rundschau.blog with appropriate and specific direction to the original content.

17 Gedanken zu „Mysteriöse Extras: 1933er Chevrolet „Master Eagle“

  1. Da sich durch die Präsentation des „Business Coupe“ unversehens diese Diskussion zum Thema Fluchtbewegungen per Fahrzeug Richtung Westen entspannen hat noch einen “ Fahrungsbericht“ der mir vor Jahren von einem damaligen Teilnehmer erstattet wurde:
    Der alte DKW- Motorad- Guru C. Seidel, den ich Anfang der ’90er Jahre kennenlernte, berichtete von seiner eigenen Flucht aus dem heimatlichen Schlesien, daß er als damaliger Kfz- Schlosser- Lehrling mit seinem Chef
    schwer bepackt mit der Werkstattausrüstung mit einem „Holzgaser“ via Görlitz, Bautzen quer durch das völlig zerstörte Dreden kam, wo sie auf der über einige Km ins Erzgebirge ansteigenden Kesselsdorfer Strasse ihre Liebe Not mit dem Generator hatten da das bekannte Problem ungenügender Verschwelung gerade bei langsamem Tempo an Steigungen und umso höheren Gasbedarf bei Drehzahlen im Bereich des Drehnoment- Maximums
    Den langen Anstieg Richtung Freiberg
    Zur Qual für Mensch und Material machte. Der flinke der Fz.- Besatzung musste da schon mal nebenher rennen um mit gelegentlichen Schlägen auf Schwelkessel den Prozess am Laufen zu halten !
    Man blieb dann gleich in Helmstedt und ließ sich dort nieder….

  2. Hier sah ich irrig einen Kessel, ohne auf die Kanten zu achten, denn nun erkenne ich ebenfalls den Truhendeckel. Eine gewisse Schieflage hat die Truhe dennoch … da ist nicht nur der befüllte Deckel schuld.

  3. Sehe ich ebenfalls so. Die Nutzung privater PKW zur Flucht in den Westen muss eine ganz seltene Ausnahme gewesen sein, die insbesondere ausreichende Benzinvorräte voraussetzte. Vielleicht mag der eine oder andere Landarzt mit Privat-PKW auf diese Weise mit einem vollen Tank noch eine größere Strecke geschafft haben.

  4. Guten Morgen, na da sind je recht viele auf des Rätsels Kern gekommen. Freut mich. Allerdings noch ein paar Anmerkungen zur Situation auf dem Foto, die auch einige andere schon angemerkt hatten. Ich glaube auch nicht, dass es sich um eine Aufnahme handelt, die vor der Flucht aus dem Osten gemacht wurde. Im Rahmen einer Recherche zum ersten Fahrzeug meines Vaters, eines Adler Primus, den er 1960 erwarb, hatte ich mich einmal mit der Geschichte des Wagens vor 1960 befasst. Dort gab es auch die Geschichte, dass der Wagen 1945 aus Breslau mit Flüchtlingen aus Breslau kam. Ich habe dazu mit Zeitzeugen gesprochen und Autos waren in den Treks eher keine dabei. Vielleicht Traktoren oder andere Schlepper, aber keine privaten PKW. Im Falle des Primus meines Vaters gehe ich davon aus, dass dieser über den Krieg vom Goldschmied versteckt war und 1949 wieder herausgeholt wurde. Damit man bei der Anmeldung eine Geschichte hat, wo das Auto herkam, wurde halt sowas erfunden. Die dabei erwähnten Stationen der Vorbesitzer gaben keinen Anhaltspunkt, dass die Story stimmt. Maximal waren 1945 Wehrmachtsverbände noch etwas motorisiert, auf ihrer Rückwärtsbewegung alle anderen mit Ochsenkarren, Fuhrwerken oder Leiterwagen. Das sind auch die Geschichten, wie meine Großmutter über die ankommenden Flüchtlinge in Dresden berichtet hat. Das Fahrzeug wäre wahrscheinlich umgehend beschlagnahmt worden, oder wenn die Rote Armee nahe war, eher von denen Richtung Osten mitgenommen worden. Das Wetter passt auch nicht in den Winter 1945, der im Osten ja sehr streng war. So vom Gefühl würde ich den Aufnahmeort eher in den Westen, oder gar nach Frankreich verorten, ins späte Frühjahr 45 oder gar 46.

  5. Ich schließe mich der These meiner Mit- Komentatoren an: Es handelt sich ganz offensichtlich um den geöffneten Deckel einer Truhe, dessen Scharniere auf diese etwas rustikale aber gewitzte Weise gegen Überlastung gesichert waren. An der runden Deckelkante sind ja, unscharf aber deutlich die Polstermöbel der Bespannung zu erkennen! Was an der festgehalten Situation an Flucht- Geschehen denken lässt ist mir allerdings unerfindlich.
    Man hätte ein so tragfähiges Auto ganz sicher nicht nur mit diesem „Köfferchen“ bepackt. An meinem Wohnort erzählte mir ein Fuhrunternehmen von der Fluch seiner Leute aus Niederschlesien, wo man damals das Gewerbe mit einem LANZ Strassenbulldog betrieben hatte und mit den Anhängern aller Familien des Dorfes im Schlepptau gen Sachsen zuckelte!
    Im Übrigen sehe ich bei Analyse der Nummerschild- Situation keine nach gültigen deutschen Vorschriften angebrachte Kennz.- Beleuchtung sodaß ich eher an eine ausländische „Grill“- Szene denke !

  6. Sehr gut erkannt – besten Dank!

  7. Hatte ich auch erwogen, aber April wäre zu spät dafür. Meine Mutter musste mit 13 Jahren im Januar 1945 ihre schlesische Heimatstadt Liegnitz verlassen, kurze Zeit später stand die Rote Armee vor der Tür.

  8. Das ist die Lösung, danke!

  9. Sie haben recht, danke (auch für das Lob)!

  10. Genial – das ist die Lösung – dankeschön!

  11. Der Baldachin über dem Schwiegermuttersitz ist ein Regenschutz. Er dürfte vorne gut befestigt sein damit er nicht davonfliegt. Habe ich schon auf anderen Bildern gesehen. Hinten könnte der Deckel des hinter den Kanistern nicht zu sehenden Koffers, häufig bei amerikanischen Autos, unterstützt worden sein um eventuell als Arbeitsfläche zu dienen. Diese Coupes waren als Business Coupes für Vertreter preisgünstig es konnte statt des Schwiegermuttersitzes auch ein Ladefläche auch von innen zugänglich zur Verfügung stehen. Eventuell geht sich die Länge eines Bettes um schlafen zu können.
    Interessant wie immer.
    Mit freundlichen Grüßen
    Thomas Billicsich

  12. Letztes Foto von zuhause im April 45 im westlichen Pommern oder westlichen Schlesien. (Siehe Wetter) Baldachin hält bei der Flucht im Schritttempo beim Treck ueber die verstopften Strassen.

  13. Ja – Rätsel über Rätsel gibt uns diese ominöse Szenerie auf!
    Abgesehen davon, daß man dem abgelichteten Trio nach Jahrzehnten wohl nicht zu nahe tritt, scheint es müßig, die doch recht private Szenerie
    „enträtseln“ zu wollen – aber reizvoll wäre es schon, hier Mäuschen zu spielen, wie ich zugeben muß!
    Wäre dies eine Aufnahme aus unseren Tagen, läge es nahe, den zweifelhaften Versuch eines kleinen improvisierten Grillfestes zu unterstellen. Mir ist jedoch noch nie zu Ohren gekommen, daß die heute allgegenwärtige Unsitte des “ Grillens“ unter freiem Himmel bei unseren Altforderen bereits Verbreitung gefunden hätte – abgesehen von der gelegentlich auf längeren Wanderungen gemeinsamen Einnahme von Stockwurst am offenen Feuer.
    Das Mitführen mehrerer “ Jerry cans“
    auf dem aufgeklappten Gepäckträger würde auf „große Fahrt“ hindeuten, der offensichtlich improvisierten Regenschutz über dem „Rumble seat“
    auf unsicheres Wetter im Operationsgebiet. Der an der Klappe zu sehende Bügel deutet auf das ursprüngliche Vorhandensein eines Notdaches für die Schwiegermutter hin , deren anknöpfbare Originalplane (oder Plache!) wohl die unterstellten jüngst vergangenen Kriegswirren nicht überstanden haben wird.

  14. Hallo, da es lange keine Bilder zum Orteten gab, will ich mich mal bei dem Thema einfach mit zu Wort melden. Ich würde ja einen anderen Ansatz verfolgen. Ich denke dass hinter dem Reservekanister auf dem Gepäckträger einfach ein großer Überseekoffer oder eine Truhe stehen. Das komische Teil auf dem Pfahl ist einfach der Deckel, der Pfahl ist einfach untergestellt damit der Deckel nicht umschlägt. Der Inhalt (vielleicht noch eine weitere Innenkiste oder so) der Truhe ist auf Deckel und Wagenheck verteilt, da die Dame etwas zu suchen scheint …

  15. Guten Tag Herr Schlenger,

    bei dem mysteriösen Objekt dürfte es sich schlicht um einen truhenförmigen Koffer handeln, der auf dem Gepäckträger am Fahrzeugheck steht bzw. befestigt ist. Damit der offene Deckel nicht samt Inhalt abbricht, wurde er mit einem passenden Stück Holz abgefangen.

    Der Baldachin könnte (Spekulation!) aus einer Fahne mit einem Symbol bestehen.

    Ansonsten möchte ich mich herzlich für Ihre aufwändigen Präsentationen bedanken, die mir immer wieder Freude bereiten.

    Viele Grüße
    Karlheinz Lange

  16. Es ist kein Behälter für Holz, sondern der Deckel einer Runddeckeltruhe, die am Heck auf dem Gepäckträger befestigt ist als Koffer, diese Truhe ist geöffnet und das Holz stützt einfach den aufgeklappten Deckel ab.

  17. Der Baldachin über dem „Rumble Seat“ mutet schon etwas mysteriös an, denn bei jedem Tempo, welches die Lavierfahrt in einer mittelalterlichen Gasse überstiege, flöge dieser davon. Der etwas schief und wackelig auf dem einpfählbaren Holzstiel montierte Kessel könnte mit Holz befüllt sein, was den Einsatz des Benzinkanisters zwecks einer schnellen Feuerentfachung erklären würde. Allerdings wäre es dann ratsam, den Feuerkessel in einiger Entfernung von diesem Master Eagle Coupé in den Gartenboden zu spießen. Dubios bliebe eine solche Reihenfolge gleichwohl … oder sollte dieses Bild die Einleitungsszene zu „Heute alles falsch gemacht“ bilden ?
    Im „7.Sinn“ wurden auch Autos zu Schrott gefahren, deren Zustand vor Beginn des Filmdrehs mit Sicherheit für den heutigen Erhalt des H-Kennzeichens ausgereicht hätte.

Kommentar verfassen