In meinem letzten Blog-Eintrag ging es um ein deutsches Fabrikat, das nachträglich mit einer Karosserie im US-Stil versehen worden war. Heute haben wir beinahe den umgekehrten Fall – jedenfalls meine ich das.
So präsentiere ich Ihnen nun ein amerikanisches Fahrzeug, welches aus meiner Sicht mit einem Aufbau im deutschen Stil der späten 1920er Jahre versehen worden war.
Hier haben wir das gute Stück:

Bevor wir uns mit der Karosserie im Detail befassen, ein paar Anmerkungen zur Identifikation dieses Wagens. Ich habe über die Jahre sicher schon einiges in Sachen Vorkriegsautos gesehen, aber ein vergleichbares Fahrzeug war mir noch nicht begegnet.
Dennoch half mir das irgendwo im Kopf angesammelte Bildmaterial dabei, rasch zunächst den Hersteller herauszubekommen. In solchen Fällen hilft es den grauen Zellen, wenn man schon einmal erkannt hat, in welcher Schublade zu suchen ist.
Im vorliegenden Fall verrieten vor allem die wuchtigen Holzspeichenräder, dass es sich sehr wahrscheinlich um ein US-Fabrikat handelt.
Während deutsche Autobauer nach dem 1. Weltkrieg meist Stahlspeichenräder montierten, hielten die ansonsten technisch führenden amerikanischen Hersteller bis Ende der 1920er Jahre an Holzspeichen fest – vielleicht hat jemand eine Erklärung dafür.
Ausgehend von der These, dass es sich um ein nach Deutschland exportiertes US-Fabrikat handeln dürfte, ließ sich die Zahl der Hersteller einengen, wobei immer noch ohne weiteres zwei Dutzend Marken oder mehr dafür in Betracht kamen.
Letztlich half das genauere Studium der Vorderpartie:

Den entscheidenden Hinweis gab die mittige Unterteilung des Kühlers – bei amerikanischen Autos eher eine Seltenheit. Zunächst dachte ich an Marquette – ein hierzulande kaum bekanntes Fabrikat, das aber ebenfalls am deutschen Markt tätig war.
Doch dann fiel mir ein, dass ich genau diese Mittelstrebe beim 1929er Pontiac schon einmal gesehen habe. Der war es dann zwar auch nicht, aber von Pontiac kam ich zu deren älterer Schwesterfirma Oakland.
Tatsächlich findet sich beim 1929er Oakland (und unter den US-Modellen nur dort) das markante Muster der auf fünf Gruppen verteilten Luftschlitze in der Motorhaube.
Damit waren Hersteller und Baujahr geklärt. Verfügbar war der 1929er Oakland nur mit einer Motorisierung – als Sechszylinder mit 3,5 Litern Hubraum und knapp 70 PS. Allerdings waren ab Werk rund 10 Karosserievarianten erhältlich.
Bloß enspricht aus meiner Sicht keine davon dem hier zu sehenden Aufbau als Zweifenster-Cabriolet mit “Schwiegermuttersitz”.

Ähnlich von der Silhouette war zwar das Werks-Coupe, doch dieses besaß ein festes Dach. Der offene Zweisitzer “Sport-Roadster” mit “Rumble-Seat” im Heck wies hingegen eine deutliche niedrigere Seitenlinie auf.
Der recht hohe Türabschluss in Verbindung mit dem Cabriolet-Verdeck lässt mich annehmen, dass wir es hier mit einem der vielen Fälle zu tun haben, in denen US-Fahrzeuge als “rolling chassis”, also mit Fahrwerk, Motor und Haubenpartie nach Europa geliefert wurden und dort einen Aufbau nach lokalem Geschmack erhielten – also hier nach deutscher Manier.
Könnte das hier ebenfalls so gewesen sein? Nun, die drei gut aufgelegten Herren hätten es uns gewiss sagen können, doch leider kündet von ihnen nur noch dieses Foto, das Anfang der 1930er Jahre entstanden sein mag, als der Oakland schon “Feindkontakt” gehabt hatte.
Was meinen Sie, liebe Leser? Kann vielleicht jemand sogar den Hersteller dieses Aufbaus benennen? Oder war es doch eine ab Werk verfügbare Version, die mir entgangen ist?
Luxus-Fragen, denen man sich in herrlich warmen Nächten mit kühlem Kopf und vielleicht einem ebensolchen Getränk und beschwingter Musik als Begleiter widmen kann. So pflege ich das jedenfalls zu tun in diesem prächtigen Sommer 2022…
Nachtrag: Wie mir eine Leserin aus Neuseeland schreibt, gab es in kleinen Stückzahlen tatsächlich einen solche Werksaufbau für den 1929er Oakland – bezeichnet als Convertible Coupe” – hier der Beleg:

Michael Schlenger, 2022. All entries in this blog (including embedded photos) are copyrighted by the author, unless otherwise indicated. Excerpts and links may be used, provided that credit is given to Michael Schlenger and https://vorkriegs-klassiker-rundschau.blog with appropriate and specific direction to the original content.