Zugegeben: der Titel meines heutigen Blog-Eintrags ist verwirrend – aber wie immer ist er vollkommen zutreffend. Ob das auch für den Inhalt gilt, wird sich weisen – ich lasse mich durchaus gern von besser informierten Lesern korrigieren.
“Simson & Goliath” – sollte das nicht eher “Samson & Goliath” heißen? Oder halt, das stimmt ja auch nicht – “David & Goliath” müsste es lauten, nicht wahr?
Tatsächlich deutet “Samson & Goliath” in die richtige Richtung. Beide sind große Gestalten der jüdischen Mythologie – und um große Gestalten geht es auch heute.
Nebenbei: Wussten Sie, dass es im irischen Belfast zwei riesige Kräne gibt, die man Samson und Goliath nennt?
Diese gehörten einst zur berühmten Werft Harland & Wolff, auf der die “Titanic” entstand. Heute künden sie von einer untergegangenen grandiosen Tradition – sehr passend!
Nur einen Buchstaben müssen wir ändern – so wird aus “Samson” der Name der jüdischstämmigen Familie “Simson”, die im thüringischen Suhl mit einer angesehenen Waffenfabrik zu Ansehen und Reichtum gelangte.
Eher nebenher entstanden nach einigen Versuchen ab 1910 auch ausgezeichnete Automobile. Sie trugen die typische Handschrift eines der Großen unter den deutschen Konstrukteuren der Vorkriegszeit: Paul Henze.
Er verließ die Firma rasch zwar wider, sollte aber nach einem Intermezzo bei Steiger 1922 zurückkehren und aus der Marke Simson einen Namen machen, der nun auch für sportliche Leistung auf ganz hohem Niveau stand:

Doch natürlich waren diese Sportwagen nur in der Leistung groß, ansonsten waren sie möglichst kompakt gehalten und wiesen einen deutlich kürzeren Radstand auf als konventionelle Wagen – in der Hinsicht galt also gerade nicht “Simson & Goliath”.
Einen wahren Goliath aus dem Hause Simson konnte ich jedoch vor einiger Zeit hier vorstellen – den Typ R 12/60 PS, der ab 1926 erhältlich war.
Die sportlichen Attribute des Simson “Supra” fehlten ihm zwar, doch war er mit seinem kopfgesteuerten Sechszylinder auf jeden Fall das deutlich raffiniertere Fahrzeug, vergleicht man es mit dem ebenfalls sechszylindrigen Opel 15/60 PS, der seine Leistung dem größeren Hubraum verdankte, ansonsten aber ziemlich simpel gestrickt war.
Ein erstes Foto des bis 1931 gebauten Simson Typ R 12/60 PS konnte ich bereits auftreiben und hier vorstellen:

Die Aufnahme lässt allerdings noch zu wünschen übrig. Immerhin erkennt man bereits die eindrucksvollen Abmessungen des Wagens, dessen Radstand alleine 3,50 Meter betrug.
Dass der Simson dennoch nicht gigantisch wirkt, liegt an dem wahren Goliath links neben der Motorhaube. Denn der dürfte an die 1,90 Meter groß gewesen sein, was ziemlich genau der Höhe des Typs R 12/60 PS in der Limousinenausführung entsprach.
Sie sehen: “Simson & Goliath” bewahrheitet sich auch hier. Heute kann ich allerdings noch einen drauflegen.
Das verdanke ich dem Kontakt zu einem australischen Enthusiasten, der nicht nur europäische Vorkriegswagen selbst fährt, sondern auch gezielt zeitgenössische Fotos speziell von Autos aus dem deutschsprachigen Raum sammelt.
Sein Name ist Jason Palmer und es ist nicht das erste Mal, dass wir ihm ein Spitzenfoto wie dieses verdanken:

Jetzt können wir den Goliath aus dem Hause Simson endlich ganz für sich genießen, noch dazu aus fast derselben Perspektive.
Dank weit besserer Qualität des Abzugs entfalten nun auch Details wie der Chromring um den Trommelscheinwerfer sowie die beiden Trittschutzbleche auf dem Schweller ihre Wirkung.
Dasselbe gilt für die hocheklappte Gepäckbrücke am Heck, die ich auf dem ersten Bild im Zuge notwendiger Retuschen des stark beschädigten Abzugs “opfern” musste.
Deutlich treten zudem die hohen und eng beieinanderliegenden Luftschlitze in der Motorhaube zutage, welche Simson-Wagen von Mitte der 1920er Jahre bis Anfang der 30er auszeichneten.
Mehr möchte ich gar nicht zu diesem Prachtautomobil aus dem Hause Simson sagen – das Bild sagt mehr als tausend Worte über den Rang der Automobile aus Suhl.
Nur dies’ noch: Es gibt ein einziges überlebendes Exemplar des Typs R 12/60 PS, dessen Geschichte Sie auf der Simson-Website von Thorsten Orban hier nachlesen können.
Aber wer weiß: So wie uns aus Australien das heute präsentierte Foto des Simson Typ R 12/60 PS erreicht hat, mag irgendwann und irgendwo doch noch ein Relikt aus der großen Zeit des Suhler Automobilbaus auftauchen – dann bitteschön im Goliath-Maßstab 1:1!
Michael Schlenger, 2022. All entries in this blog (including embedded photos) are copyrighted by the author, unless otherwise indicated. Excerpts and links may be used, provided that credit is given to Michael Schlenger and https://vorkriegs-klassiker-rundschau.blog with appropriate and specific direction to the original content.