Schönheit im Detail: Simson So 8/40 PS Sport-Tourer

Die Schönheit alter Automobile – also ihre magische Wirkung jenseits der rein technischen Eigenschaften – ist nicht leicht in Worte zu fassen.

Schon die ganz frühen Exemplare aus einer Zeit, in der gestalterisch noch die Kutsche das Vorbild abgab, nehmen uns bei aller Fremdheit in der unmittelbaren Begegnung durch ihre ästhetische Wirkung ein.

Nehmen wir als Beispiel diesen Panhard & Levassor von 1908 (Porträt hier):

Panhard & Levassor von 1908; Originalfoto: Sammlung Michael Schlenger

Dieser Wagen entfaltet selbst auf einem fast 120 Jahre alten Foto eine beeindruckende Präsenz. Seine wuchtige maschinenhafte Anmutung wird moderiert durch eine Vielzahl kleiner, aber wohlbedachter gestalterischer Details.

Man betrachte nur die Sorgfalt, welche auf die Formgebung des Kühlergehäuses verwandt wurde, als wollte man diesen rein funktionellen Part einst bewusst durch eine beinahe architektonische Durchgestaltung adeln.

Die Komplexität des Kühlergehäuses ist atemberaubend – um diese skulpturenhafte Dreidimensionalität zu erreichen, waren enorm viele Arbeitsschritte erforderlich:

Die Männer, welche dieses Bauteil einst schufen, waren leider namenlos geliebene Kunsthandwerker und Meister ihres Fachs.

Auch als die Manufakturfertigung zunehmend von der industriellen Serienfertigung abgelöst wurde, blieb eines noch lange erhalten: Der Sinn für die Bedeutung des Details für die Schönheit des Gesamtwerks.

Speziell im Fall der amerikanischen Großserienwagen gewann die ästhetische Wirkung ab den 1920er Jahren eine Eigendynamik, die sich weitgehend von den technischen Gegebenheiten unabhängig machte.

Noch bis Anfang der 1980er Jahre verwandten die amerikanischen Designer selbst bei millionenfach verkauften Pickups eine Sorgfalt auf die Gestaltung des Details außen wie innen, welche bei europäischen Fabrikaten unüblich war, erst recht bei Nutzfahrzeugen.

Der Innenraum eines deutschen Massenfabrikats der 1980er Jahre strahlt aus der heutigen Sicht, in der das durchgestaltete Detail zum Glück wieder mehr zählt, eine deprimierende Nüchternheit aus, unterstützt durch primitive Plastikmaterialien in schwarzgrau und weitgehendes Fehlen von Kontrasten.

Jetzt wird es aber höchste Zeit für ein willkommenes Kontrastprogramm unter dem Motto „Schönheit im Detail“, wenngleich hier ein wenig verunziert:

Simson So 8/40 PS „Supra“ Sport-Tourer; Originalfoto: Michael Schlenger

Der missgelaunte Herr im Heck des Wagens wird nicht nur durch die beiden aufmerksam der Kamera zugewandten Hunde wettgemacht.

Das Auge erfreut sich auch an dem zunächst kaum merklichen Abwärtsschwung der Karosserielinie, welcher auf Höhe des Fahrersitzes einsetzt.

Zwar setzt sich die Oberkante wie beim klassischen Tourer weiter waagerecht fort. Doch ist der Karosseriekörper an dieser Stelle quasi facettiert. Die Erbauer arbeiteten also eine abgekantete Fläche heraus, welche dem Aufbau an dieser Stelle mehr Plastizität gibt und diesen zugleich optisch nach hinten abgerundet erscheinen lässt.

Mir gefällt dieser Effekt ausgesprochen gut und wenn ich es richtig sehe, war dies Kennzeichen eines Sport-Tourers. Der besaß zwar nach wie vor vier bis fünf Sitzplätze, erschien aber aufgrund solcher und anderer Details dynamischer – unter anderem aufgrund kleinerer und gefälliger gestalteter Türen.

Ein hübsches Detail ist hier natürlich auch das abnehmbare Lenkrad, welches dem Fahrer das Platznehmen erleichterte.

Jetzt werden Sie womöglich nach einer Gesamtschau dieses interessanten Fahrzeugs verlangen, doch stattdessen habe ich etwas weiter Reizvolleres in petto.

Denn von demselben Wagen, welcher 1928 aufgenommen wurde, gibt es ein zweites Foto von anno 1929. Und dieses ist im Detail wie in der Gesamtwirkung so reizvoll, dass man damit mehr als zufrieden sein darf – zumal man hier Hersteller und Typ erkennt:

Simson So 8/40 PS „Supra“ Sport-Tourer; Originalfoto: Michael Schlenger

Im Unterschied zum ersten Foto verdient diese Detailaufnahme unbedingte Bewunderung für die Perfektion der Komposition.

Staunenswert ist wieder die makellose handwerkliche Ausführung der schönen Details wie der unteren Rundung der Tür wie auch deren leicht abfallender Oberkante.

Stets ein wirkungsvolles Element ist eine mittig geknickte, geneigte und möglichst niedrige Windschutzscheibe – auch das ein typisches Detail eines Sport-Tourers.

Aus dieser Perspektive schön nachzuvollziehen ist außerdem, wie der Karosseriekörper zum Motor hin schlanker wird – was mit dem Aufkommen der Pontonkarosserien in den 1940er Jahren ebenso verlorenging wie das Trittbrett.

Zu den weniger schönen Details zählt hier die verbogene Kante des Werkzeugkastens, welcher wohl einmal unbeabsichtigten Bordsteinkontakt hatte.

Wettgemacht wird dies durch die Vielzahl an Plaketten an dem Wagen, welche gegenüber der ersten Aufnahme Zuwachs erhalten haben. Vielleicht kann ein Leser etwas Interessantes darunter entdecken.

Nicht zuletzt gilt es, der jungen Frau am riesigen Lenkrad unsere Reverenz zu erweisen. Sie schaut zwar ein wenig skeptisch, wir sind ihr aber freundlich zugewandt und machen ihr gern ein Kompliment für die modische Frisur wie die Raffinesse ihres Oberteils, welches mit einem abwechslungsreichen Punktmuster und eine hübschen Manschette aufwartet.

Nüchterner veranlagte Zeitgenossen werden unterdessen andere schöne Details in den Blick genommen haben – vor allem die Gestaltung der Motorhaube mit den auffallenden Nietenreihen und den niedrigen Luftschlitzen.

Diese Elemente in Verbindung mit den beiden außenliegenden Auspuffohren verraten, dass wir es mit einem Simson „Supra“ des Typs So 8/40 PS zu tun haben.

Dieses in der zweiten Hälfte der 1920er Jahre gebaute Modell des Waffenherstellers aus dem thüringischen Suhl ist Lesern meines Blogs schon öfters begegnet. Es verdient Anerkennung nicht nur für seine markante Erscheinung, sondern auch für den aufwendigen Motor mit obenliegender Nockenwelle (über Königswelle betätigt).

Allerdings ist uns dieser Typ bislang nur in der gängigen Tourenwagen-Ausführung geläufig, von welcher mir Leser Matthias Schmidt (Dresden) erst kürzlich wieder ein prachtvolles Foto aus seinem Fundus in digitaler Form übermittelt hat:

Simson So 8/40 PS „Supra“ Tourenwagen; Originalfoto: Matthias Schmidt (Dresden)

Über die Unterschiede diese klassischen Tourers und des zuvor gezeigten Sport-Tourers auf der gleichen Basis muss ich meine in solchen Dingen geschulten Leser nicht belehren.

Dabei böte dieses Exemplar trotz seiner strengeren Anmutung ebenfalls Anlass genug, über die Schönheit im Detail zu sinnieren – doch dazu fehlt mir heute die Zeit und eigentlich bedarf es auch keiner vielen Worte – das Auto erzählt einem alles über sein Wesen selbst…

Michael Schlenger, 2024. All entries in this blog (including embedded photos) are copyrighted by the author, unless otherwise indicated. Excerpts and links may be used, provided that credit is given to Michael Schlenger and https://vorkriegs-klassiker-rundschau.blog with appropriate and specific direction to the original content.

Alles für die Katz‘: Simson Supra R 12/60 PS

Wer einen Stubentiger als Haus- und Hofgenossen hat, für den ist „alles für die Katz“ meist Ausdruck seines Wunschs, diesen bemerkenswerten Gefährten unseres Daseins möglichst alle Wünsche zu erfüllen.

Nur zu gern lasse ich mich tagsüber zu einer kurzen Schmusepause mit der schönen Ellie verleiten, die auf dem Polstersessel hinter mir schlummert, während ich den heutigen Eintrag in meinem Blog verfasse.

Seit bald anderthalb Jahren ist sie bei mir – wie ihre Vorgängerin Millie wohnte sie in der Nachbarschaft und hat sich eines Tages ein neues Zuhause gesucht und bei mir gefunden.

„Alles für die Katz'“ meint im Volksmund aber eigentlich etwas anderes – nämlich, dass man sich vergebens um etwas bemüht, letztlich Kraft und Zeit verschwendet hat. Dabei können die Ergebnisse solcher Anstrengungen durchaus ansehnlich sein!

Zwei „neue“ alte Fotos illustrieren das wieder einmal anhand der Nischenmarke Simson. Der bekannte Schusswaffenhersteller aus dem thüringischen Suhl konnte auf eine lange Tradition auch im Automobilbau zurückschauen – das erste Serienmodell kam 1911 heraus.

Nennenswerte Bedeutung erhielt der wohl eher aus Liebhaberei verfolgte Geschäftszweig erst nach dem 1. Weltkrieg und insbesondere nachdem der Konstrukteur Paul Henze das Sportmodell Supra „S“ mit 50 PS starkem 2 Liter-Motor entwickelt hatte.

Dank seines modernen Ventiltriebs war das Aggregat leistungsstark und drehfreudig, was speziell in Verbindung mit kurzem Radstand einen ausgezeichneten Sportwagen ausmachte.

Simson Supra „S“; Originalreklame aus Sammlung Michael Schlenger

Diese sporterprobte Waffe ließ man freilich so nicht in die Hände von „Zivilisten“ kommen.

Stattdessen konstruierte Simson für den Hausgebrauch eine zahme Ausführung, die zwar ebenfalls „Supra“ hieß, aber einen einfacheren Ventiltrieb besaß und nur 40 PS bei identischem Hubraum leistete.

Natürlich war der Motor dieses Simson „Supra“ Typ So 8/40 PS mit seiner obenliegenden Nockenwelle und v-fömig im Zylinderkopf hängenden Ventilen immer noch weit moderner als das Gros der deutschen Wagen in dieser Hubraumklasse.

Opel benötigte bei seinem etwa zeitgleichen 10/40 PS-Modell mit konventionellem (seitlichen) Ventiltrieb deutlich mehr Hubraum (2,6 Liter) für dieselbe Leistung, wobei die Höchstgeschwindigkeit mit 85 km/h deutlich unter der des Simson lag (100 km/h).

Der Opel war weit billiger, besaß aber nicht annähernd das Prestige oder gar die sportliche Anmutung des Simson mit seinem markanten Kühler:

Simson Supra So 8-40 PS; Originalfoto: Jörg Pielmann

Freilich sprach der teure Simson nur wenige Käufer an, die sich für einen solchen Prestigewagen mit letzlich doch nur 40 Pferdestärken erwärmen mochten.

Pragmatische Zeitgenossen verwiesen damals vermutlich darauf, dass selbst ein völlig konventioneller – und drastisch billigerer – Ford „A“ aus dem Kölner Werk ebenfalls 40 PS leistete und auf dem Papier auch an die 100 Km/h erreichte.

Wozu also all der Aufwand? Nun, der Markt gab den 40 PS-Modellen von Opel und Ford klar den Vorzug, denn von beiden wurde hierzulande ein Vielfaches der rund 700 Exemplare abgesetzt, die Simson vom Typ So 8/40 PS in fünf Jahren verkaufte.

Die Suhler ließen sich nicht beirren und hielten an ihrer Linie fest, als in der zweiten Hälfte der 1920er Jahre der deutsche Markt von in Großserie gebauten US-Fabrikaten überflutet wurde.

Die vielen amerikanischen Marken, die damals teilweise sogar Montagelinien in Deutschland unterhielten, machten durch schiere Präsenz und rasche Lieferfähigkeit das Geschäft, während die meist in Manufaktur fertigenden inländischen Hersteller schlicht nicht mit der Nachfrage mithalten konnten.

Inwieweit günstigere Preise und bessere Serienausstattung der „Amerikanerwagen“ dabei eine entscheidende Rolle spielten, ist schwer zu sagen. Denn wir kennen die Preissensibilität der deutschen Käufer nicht, die ja generell eher wohlhabend waren.

Mittlerweile tendiere ich zu der Vermutung, dass viele Autokäufer im damaligen Deutschland den Weg des geringsten Widerstands gingen und einfach das am einfachsten verfügbare Auto nahmen, das ihre Mindestanforderungen erfüllte und noch im Budgetrahmen lag.

Das waren oft genug US-Fabrikate, für die sogar die zeitgenössischen Zubehörprospekte haufenweise typspezifische Accessoires anboten. Reparaturen an den meist technisch unkompliziert gehaltenen und auf die hohen Belastungen in den Staaten ausgelegten amerikanischen Modellen konnte jede Werkstatt ausführen.

Es gab außer Patriotismus oder Prestigedenken nur wenig Gründe, überhaupt irgendeinen deutschen Wagen zu fahren, die meisten Modelle waren in der zweiten Hälfte der 1920er Jahre nur noch bedingt konkurrenzfähig. Das galt übrigens auch im Vergleich zu französischen und italienischen Fabrikaten, die ebenfalls guten Absatz fanden.

Natürlich nahm man ab Mitte der 1920er Jahre auch in den Suhler Teppichetagen zur Kenntnis, dass eine große Limousine mit 40 PS inzwischen untermotorisiert gewesen wäre.

Buick beispielsweise bot seinen „Standard 6“ ab 1926 mit 60 PS an, sogar mit für US-Verhältnisse eher untypischem ohv-Zylinderkopf. Dabei war dies bloß ein Mittelklassewagen mit weniger als drei Metern Radstand.

Vielleicht hatte man eine solche Spezifikation als Orientierung gewählt, um etwas Besonderes zu bieten. Jedenfalls brachte Simson damals in Ergänzung des Typs So 8/40 PS das Modell R 12/60 PS heraus, das wie der Buick einen über 3 Liter messenden 6-Zylinder mit ohv-Charakteristik besaß.

Auftrumpfen wollte man aber zugleich mit geräumigeren Aufbauten, dazu wählte man einen großzügigeren Radstand von 3,50 Metern. Interessanterweise hielt man jedoch zunächst noch an der Rechtslenkung fest, die ab 1925 bei den meisten deutschen Fabrikaten verschwand.

Demnach muss auch das nachfolgend gezeigte Exemplar von 1926/27 stammen:

Simson Supra R 12-60 PS; Originalfoto: Matthias Schmidt (Dresden)

Diese beeindruckend dimensionierte 6-Fenster-Limousine spielte tatsächlich in einer anderen Liga als der Buick, was das Platzangebot betrifft. Sie war freilich auch teurer und vermutlich war es leichter, für das Ami-Fabrikat bei Bedarf Ersatzteile zu bekommen.

Simson entwickelte nämlich auch mit diesem prachtvollen Typ Supra R 12/60 PS keine Präsenz am deutschen Markt, die über ein Nischendasein hinausging. Wie beim Typ Supra So 8/40 PS bewegten sich die Stückzahlen im niedrigen dreistelligen Bereich pro Jahr.

Umso bemerkenswerter ist da jedes Zeugnis dieser Exoten, bei denen aus rein betriebswirtschaftlicher Sicht nüchtern zu konstatieren ist: „Alles für die Katz“.

Doch wer Sympathie für grandios Gescheiterte empfindet und ein Herz für die kleinen Weggefährten unseres Daseins hat, der stellt bei Betrachtung dieser Aufnahme fest, dass hier jemand durchaus gern „alles für die Katz“ tat:

Sogar mit auf Reisen gehen durfte das noch junge Tier, wenn auch im Geschirr, und der geräumige Reisewagen dürfte ganz nach seinem Geschmack gewesen sein, denn Katzen lieben Teppiche und sind nach meiner Erfahrung auch am Interieur von Autos interessiert.

Meine Ellie jedenfalls erkundet ebenfalls gern das Wageninnere bei der Autopflege und schon oft habe ich mich beim Gedanken erwischt, sie bei der nächsten Reise einfach mitzunehmen.

Sie liegt übrigens immer noch schlafend auf dem Sessel, weder Tastengeklapper noch Bach-Kantaten als Begleitmusik haben sie gestört. Tiefes Vertrauen und über die Jahre wachsende Freundschaft sind der Lohn, wenn man den Grundsatz „alles für die Katz“ beherzigt…

Michael Schlenger, 2023. All entries in this blog (including embedded photos) are copyrighted by the author, unless otherwise indicated. Excerpts and links may be used, provided that credit is given to Michael Schlenger and https://vorkriegs-klassiker-rundschau.blog with appropriate and specific direction to the original content.

Na so was! Mobiler Blumenladen: Simson So 8/40 PS

Der Titel meiner heutigen Betrachtung ist aus der Not geboren. Etwas Besseres ist mir spontan nicht eingefallen, und auf die Überschrift ver(sch)wende ich normalerweise nur ein paar Sekunden. Geistesblitze stellen sich entweder sofort ein oder nicht.

So ist es also diesmal ein „mobiler Blumenladen“, den ich Ihnen heute nahebringen will. Ganz abwegig erscheint dies schon deshalb nicht, weil diejenigen, welche es sich leisten konnten, sich auch vor 100 Jahren schon alles Mögliche ins Haus liefern lassen konnten.

Das geschah zunehmend mit dem Lieferwagen, bisweilen aber auch mit einem für eine ansprechende Warenpräsentation besser geeigneten Auto mit offenem Tourenaufbau.

Das folgende Beispiel verdanke ich Leser Matthias Schmidt (Dresden), und er teilte mir auch mit, dass der Originalabzug mit dem Vermerk „Berlin, Juni 1929“ versehen ist:

Simson „Supra“ Typ So 8/40 PS; Originalfoto: Sammlung Matthias Schmidt (Dresden)

Wer sein Leben nicht nur von Notwendigkeiten geleitet gestaltet – solche Zeitgenossen gibt es auch oberhalb der Armutsgrenze – der hat nicht nur ein Herz für den großen Freiheitsbeförderer in Form des Automobils, sondern schätzt auch die Gaben der Natur.

So verbinden sich auf dieser Aufnahme beide Welten vorzüglich – die Sphäre der unauffällig funktionierenden Technik und die Magie der opulenten Farbe und Form, wie sie sich uns in Gestalt blühender Pflanzen zweckfrei zum reinen Plaisir präsentiert.

Mindestens ein Leser dieses Blogs vereint in seiner Vita dieses Nebeneinander in kaum zu übertreffender Form: einst erfolgreicher Blumenhändler und bis heute leidenschaftlicher Liebhaber des alten Blechs. Ihm sollte dieser Transporter also besondere Freude bereiten.

Aber was war das überhaupt für ein Automobil, das uns hier so wundersam belebt begegnet? Die Antwort liefert wie so oft bei Vorkriegsmodellen die Frontpartie:

Lassen Sie sich nicht von dem Blick der jungen Dame ablenken, welche hier vorgibt, den Motor des Wagens mit der Anlasserkurbel zu starten. Solches war bei hochwertigen Wagen ab 1920 kaum mehr notwendig, wenn nicht gerade die Batterie streikte.

Der professionelle Blick fokussiert sich auf die Gestaltung der Kühlerpartie mit dem vorkragenden Einfüllstutzen und der Motorhaube mit den auffallend schmalen und hohen Luftschlitzen sowie der umlaufenden Nietenreihe. Kommt Ihnen das nicht bekannt vor?

Nein? Dann beginnen wir zu Schulungszwecken zunächst mit dieser Reklame von 1927:

Simson-Reklame von 1927; Original aus Sammlung Michael Schlenger

So bewarb der thüringische Nischenhersteller Simson sein von 1925 bis 1928 gebautes Modell So 8/40 PS – eine „zivile“ Variante des Sportwagentyps Supra Typ S 8/50 PS.

Das 2-Liter-Aggregat verfügte über eine moderne Ventilsteuerung mittels obenliegender Nockenwelle, welche wiederum direkt über eine Königswelle (nicht über eine Kette oder Stirnräder) angetrieben wurde. Das sollte bis in die Nachkriegszeit die Ausnahme bleiben.

Der Tourer in der Anzeige sieht unserem Blumenlieferwagen doch schon ziemlich ähnlich, nicht wahr? Die eigentümliche Gestaltung des Kühlwassereinfüllstutzens – ich liebe diese aneinandergekoppelten deutschen Wörter – ist absolut typisch.

Auch die Gestaltung der Luftschlitze in der Haube, die Vierradbremsen und die Form der Türen mit darunterliegenden Trittschutzblechen sind identisch.

Der Fall ist klar: Auch dieser Simson war ein Typ So 8/40PS mit Tourenwagenaufbau, der aus unerfindlichen Gründen „Karlsruhe“ hieß. Mit diesem Modell habe ich mich – nicht zuletzt dank Matthias Schmidt – schon wiederholt befasst (siehe hier).

Drei Jahre ist das schon wieder her – meine Güte, wie rast die Zeit.

Wie so ein Simson des Typs So 8/40 PS aus der besonders vorteilhaften Perspektive „schräg von vorne“ aussah, das kann ich dank des Beitrags eines weiteren Lesers mit großem Fundus und gutem Gespür zeigen:

Simson So 8/40 PS mit Tourenwagfenaufbau „Karlsruhe“; Originalfoto: Sammlung Klaas Dierks

Die digitale Kopie dieser hervorragenden Originalaufnahme hat mir Klaas Dierks zur Verfügung gestellt – er ist zusammen mit Matthias Schmidt, Jörg Pielmann, Marcus Bengsch, Gottfried Müller und Volker Wissemann eine maßgebliche Stütze dieses Blogs.

So viel Zeit muss sein, auch wenn es eigentlich um den Simson So 8/40 PS geht.

Mir bereitet diese unkomplizierte und fruchtbare Form der Zusammenarbeit großes Vergnügen. Ihnen auch? Na dann schauen Sie doch einmal, was sich in ihrer Sammlung oder Ihrem Familienalbum vielleicht an schönen Dingen verbirgt. Her damit, bitte!

Sie wissen: Mir geht es nicht immer um die großen Sensationen – auch wenn die hier ebenfalls einen Platz haben – mir genügt auch eine scheinbar banale Erkenntnis an wie diese: „Schau an: Ein Simson So 8/40 PS als Blumentransporter. Na so was!“

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Back to Business: Ein Simson „Typ R“ 12/60 PS

Die Gesetze des Marktes können mitunter grausam sein – aber es hilft nichts, sie auf Dauer zu ignorieren, auch wenn es Idealisten und Ideologen immer wieder versuchen.

Jedes Angebot muss sich letztlich beim Käufer bewähren und solange ausreichender Wettbewerb herrscht, wird sich über kurz oder lang das bessere – oder bei gleicher Qualität günstigere – Angebot durchsetzen.

So war das schon vor 100 Jahren am deutschen Automobilmarkt. Viele heimische Hersteller hielten entweder an heillos veralteten – wenn auch hochwertigen – Konstruktionen fest, andere versuchten sich in von vornherein aussichtslosen Kleinwagenkonzepten, die entweder nicht marktfähig waren oder für deren Realisierung es an Kapital mangelte.

Daneben gab es eine Reihe von Fabrikaten, die auf technische Exzellenz abzielten, ohne eine größere Marktdurchdringung anzustreben. Dies ließ sich freilich nur solange durchhalten wie die Kapitalgeber mitmachten oder eine Quersubventionierung durch ein profitables Kerngeschäft erfolgte.

Ein Beispiel für den letztgenannten Fall waren die Automobile des Waffenherstellers Simson aus dem thüringischen Suhl. Nach dem 1. Weltkrieg machte Simson mit hochmodernen Konstruktionen Furore, welche die Basis für viele Rennerfolge bildeten:

Simson „Supra“-Reklame; Original aus Sammlung Michael Schlenger

Die vom zuvor bei Steiger tätigen Konstrukteur Paul Henze entwickelten und ab 1924 gebauten Wagen des Typs Simson „Supra“ zeichneten sich durch drehfreudige kopfgesteuerte Motoren und hervorragende Fahrwerke aus – Grundlage zahlreicher Rennsiege.

Den kostspieligen Renneinsätzen stand hingegen ein eher überschaubarer Absatz der Straßenversion des Simson „Supra“ gegenüber. Zwar besaß der zivile Typ So 8/40 PS dieselben Konstruktionsmerkmale und war trotz kleinen Hubraums (2 Liter) einer der schnellsten deutschen Serienwagen, der ohne weiteres 100 km/h erreichte.

Doch nur rund 750 Wagen dieses Typs wurden über einen Zeitraum von 5 Jahren gebaut.

Davon scheinen die meisten mit einem Tourenwagenaufbau verkauft worden zu sein, wie er auf diesem bis dato unveröffentlichten Foto aus Sammlung Matthias Schmidt (Dresden) zu sehen ist:

Simson Typ So 8/40 PS Tourer; Originalfoto: Sammlung Matthias Schmidt (Dresden)

Vielleicht erkennt jemand den genauen Aufnahmeort (überliefert ist Berlin).

Diese Karosserie trug die für einen dermaßen rassigen Wagen bemerkenswert dröge Bezeichnung „Karlsruhe“ und begegnet einem auf zeitgenössischen Dokumenten immer wieder.

Hier haben wir die dazugehörige Simson-Werbeanzeige, datiert auf 1927:

Simson „Supra“-Reklame; Original aus Sammlung Michael Schlenger

In natura sah der Wagen speziell mit heller Lackierung und schräg von vorne aufgenommen hervorragend aus.

Das lässt sich auf folgender Aufnahme nachvollziehen, die ich schon einmal präsentiert habe und die ich einem weiteren besonders findigen und großzügigen Sammlerkollegen verdanke – Leser Klaas Dierks:

Simson Typ So 8/40 PS Tourer; Originalfoto: Sammlung Klaas Dierks

Bei allen Qualitäten kommt man aber letztlich nicht an den harten Realitäten des Markts vorbei und das in mehrfacher Hinsicht.

So war die Manufakturfertigung enorm aufwendig, was speziell für den hochkomplexen Motor galt. Im Simson-Standardwerk von Ewald Dähn (1988) – gibt es da eigentlich nichts Neueres? – heißt es, dass allein die Motorenmontage zwei Tage in Anspruch nahm und in diesem Zeitraum fünf Teams zu je zwei Mann band.

Die Arbeit dieser hervorragenden Fachleute hatte ihren Preis, was Simson-Wagen zu einem extrem teuren Vergnügen machte. Mit Patriotismus allein ließen sich die Käufer ab Mitte der 1920er Jahre jedoch nicht mehr locken.

Hinzu kam: Die eher kleinen Vierzylinder von Simson wurden trotz ihrer konstruktiven Raffinesse zunehmend von den in Massenfertigung hergestellten amerikanischen Aggregaten in den Schatten gestellt.

Diese boten entweder bei sehr einfacher Bauart und geringerem Preis dieselbe Leistung aus größerem Hubraum oder sie kamen gleich mit 6 Zylindern, mehr PS und überlegener Ausstattung daher und waren immer noch wesentlich billiger.

Der Markt hatte gesprochen – die preiswerten, zuverlässigen und moderner wirkenden US-Wagen eroberten die Herzen der Käufer und Simson musste reagieren.

Es hieß vom Idyll der Kleinserienfertigung unprofitabler Premiumwagen Abschied nehmen und sich den geschäfltichen Realitäten zu stellen, auf gut Amerikanisch: „Back to Business“!

Dazu ließ man Paul Henze einen Sechszylindermotor klassischer Bauart (untenliegende Nockenwelle, im Kopf hängende Ventile) entwickeln – eine Aufgabe, der dieser vielleicht nur widerwillig nachkam.

Aus 3,1 Litern Hubraum schöpfte dieser neue Simson Typ R nun achtbare 60 PS, darunter brauchte man angesichts der Konkurrenz aus Übersee in der gehobenen Klasse aber auch erst gar nicht anzutreten.

Auch gestalterisch wollte man keine Fehler machen und orientierte sich stark an US-Vorbildern. Nachfolgend eine Limousine des Typs R 12/60 PS, welche ich bereits hier präsentiert habe:

Simson Typ R 12/60 PS Limousine; Originalfoto: Sammlung Jason Palmer (Australien)

Bei dieser Limousine scheint es so, als habe man sich mit dem nach der US-Konkurrenz schielenden Typ R 12/60 PS ganz von der Automobilwelt der frühen 20er Jahre verabschiedet.

Doch ganz konsequent scheint man der Parole „Back to Business“ nicht gefolgt zu sein. Denn auch den neukonstruierten Simson R 12/60 PS bot man nach wie vor mit dem altbekannten Tourenwagenaufbau „Karlsruhe“ an.

Das beweist nicht nur eine Aufnahme aus dem erwähnten Simson-Buch von Ewald Dähn (S. 82), sondern eine weitere Abbildung, die ich in meinem Exemplar des „Handbuchs vom Auto“ von Joachim Fischer aus dem Jahr 1927 fand:

Simson Typ R 12/60 PS Tourer; Abbildung aus: Handbuch vom Auto, Joachim Fischer, 1927

Die Karosserie erscheint fast identisch mit derjenigen des eingangs gezeigten Simson Typ So 8/40 PS, nur der weit größere Abstand zwischen den Türen fällt hier auf.

Dies war dem um satte 50 cm längeren Radstand des Simson R 12/60 PS geschuldet. Damit gingen leider auch 300 Kilogramm Mehrgewicht beim Tourer einher – die Agilität des kleineren Typs So 8/40 PS dürfte der Nachfolger also kaum besessen haben.

Unter dem Strich hatte Simson zwar ein von der Papierform und dem Erscheinungsbild her konkurrenzfähiges Auto auf die Räder gestellt. Doch beispielsweise ein gleichstarker 6-Zylinder-Buick von anno 1928 war dramatisch billiger.

Letztlich gilt immer wieder „Back to Business„, wenn es um Erklärungen für die weitgehende Chancenlosigkeit der deutschen Hersteller angesichts der Übermacht der US-Farbikate in den 1920er Jahren geht.

Für unzählige Kleinwagenexperimente war verstreut genügend Kapital in Deutschland vorhanden, ebenso für das folgenlose Zusammenkaufen von Marken ohne Plan, wie es einige leider wenig begabte deutsche Börsenteilnehmer damals praktizierten.

Beschäftigt man sich dagegen mit den „Spekulationen“ der amerikanischen Investoren jener Zeit, so lag diesen meist eine klare geschäftliche Logik zugrunde, die auf nüchternem Studium der Marktgegebenheiten fußte und kühl kalkulierte Operationen nach sich zog, die oft genug von Erfolg gekrönt waren.

Kapitalismus ist nicht per se gut oder böse – das können nur Menschen sein – er kann aber gut oder schlecht praktiziert sein – als wohlstandsschaffend willkommen geheißen oder als krisenfördernd gefürchtet sein.

Ein allgemeines „Back to Business“ im Sinne von mehr unternehmerischem Mut, einer positiven Sicht auf Marktmechanismen, Wettbewerb und Gewinnstreben sowie nicht zuletzt Minimierung von Interventionen einer überhandnehmenden marktfernen Bürokratie – das scheint mir hierzulande in unseren Tagen eine wieder sehr aktuelle Parole zu sein…

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Wiedersehen mit Simson & Goliath: Typ R 12/60 PS

Zugegeben: der Titel meines heutigen Blog-Eintrags ist verwirrend – aber wie immer ist er vollkommen zutreffend. Ob das auch für den Inhalt gilt, wird sich weisen – ich lasse mich durchaus gern von besser informierten Lesern korrigieren.

„Simson & Goliath“ – sollte das nicht eher „Samson & Goliath“ heißen? Oder halt, das stimmt ja auch nicht – „David & Goliath“ müsste es lauten, nicht wahr?

Tatsächlich deutet „Samson & Goliath“ in die richtige Richtung. Beide sind große Gestalten der jüdischen Mythologie – und um große Gestalten geht es auch heute.

Nebenbei: Wussten Sie, dass es im irischen Belfast zwei riesige Kräne gibt, die man Samson und Goliath nennt?

Diese gehörten einst zur berühmten Werft Harland & Wolff, auf der die „Titanic“ entstand. Heute künden sie von einer untergegangenen grandiosen Tradition – sehr passend!

Nur einen Buchstaben müssen wir ändern – so wird aus „Samson“ der Name der jüdischstämmigen Familie „Simson“, die im thüringischen Suhl mit einer angesehenen Waffenfabrik zu Ansehen und Reichtum gelangte.

Eher nebenher entstanden nach einigen Versuchen ab 1910 auch ausgezeichnete Automobile. Sie trugen die typische Handschrift eines der Großen unter den deutschen Konstrukteuren der Vorkriegszeit: Paul Henze.

Er verließ die Firma rasch zwar wider, sollte aber nach einem Intermezzo bei Steiger 1922 zurückkehren und aus der Marke Simson einen Namen machen, der nun auch für sportliche Leistung auf ganz hohem Niveau stand:

Simson „Supra“; Originalreklame um 1925 aus Sammlung Michael Schlenger

Doch natürlich waren diese Sportwagen nur in der Leistung groß, ansonsten waren sie möglichst kompakt gehalten und wiesen einen deutlich kürzeren Radstand auf als konventionelle Wagen – in der Hinsicht galt also gerade nicht „Simson & Goliath“.

Einen wahren Goliath aus dem Hause Simson konnte ich jedoch vor einiger Zeit hier vorstellen – den Typ R 12/60 PS, der ab 1926 erhältlich war.

Die sportlichen Attribute des Simson „Supra“ fehlten ihm zwar, doch war er mit seinem kopfgesteuerten Sechszylinder auf jeden Fall das deutlich raffiniertere Fahrzeug, vergleicht man es mit dem ebenfalls sechszylindrigen Opel 15/60 PS, der seine Leistung dem größeren Hubraum verdankte, ansonsten aber ziemlich simpel gestrickt war.

Ein erstes Foto des bis 1931 gebauten Simson Typ R 12/60 PS konnte ich bereits auftreiben und hier vorstellen:

Simson Typ R 12/60 PS Limousine; Originalfoto aus Sammlung Michael Schlenger

Die Aufnahme lässt allerdings noch zu wünschen übrig. Immerhin erkennt man bereits die eindrucksvollen Abmessungen des Wagens, dessen Radstand alleine 3,50 Meter betrug.

Dass der Simson dennoch nicht gigantisch wirkt, liegt an dem wahren Goliath links neben der Motorhaube. Denn der dürfte an die 1,90 Meter groß gewesen sein, was ziemlich genau der Höhe des Typs R 12/60 PS in der Limousinenausführung entsprach.

Sie sehen: „Simson & Goliath“ bewahrheitet sich auch hier. Heute kann ich allerdings noch einen drauflegen.

Das verdanke ich dem Kontakt zu einem australischen Enthusiasten, der nicht nur europäische Vorkriegswagen selbst fährt, sondern auch gezielt zeitgenössische Fotos speziell von Autos aus dem deutschsprachigen Raum sammelt.

Sein Name ist Jason Palmer und es ist nicht das erste Mal, dass wir ihm ein Spitzenfoto wie dieses verdanken:

Simson Typ R 12/60 PS Limousine; Originalfoto aus Sammlung Jason Palmer (Australien)

Jetzt können wir den Goliath aus dem Hause Simson endlich ganz für sich genießen, noch dazu aus fast derselben Perspektive.

Dank weit besserer Qualität des Abzugs entfalten nun auch Details wie der Chromring um den Trommelscheinwerfer sowie die beiden Trittschutzbleche auf dem Schweller ihre Wirkung.

Dasselbe gilt für die hocheklappte Gepäckbrücke am Heck, die ich auf dem ersten Bild im Zuge notwendiger Retuschen des stark beschädigten Abzugs „opfern“ musste.

Deutlich treten zudem die hohen und eng beieinanderliegenden Luftschlitze in der Motorhaube zutage, welche Simson-Wagen von Mitte der 1920er Jahre bis Anfang der 30er auszeichneten.

Mehr möchte ich gar nicht zu diesem Prachtautomobil aus dem Hause Simson sagen – das Bild sagt mehr als tausend Worte über den Rang der Automobile aus Suhl.

Nur dies‘ noch: Es gibt ein einziges überlebendes Exemplar des Typs R 12/60 PS, dessen Geschichte Sie auf der Simson-Website von Thorsten Orban hier nachlesen können.

Aber wer weiß: So wie uns aus Australien das heute präsentierte Foto des Simson Typ R 12/60 PS erreicht hat, mag irgendwann und irgendwo doch noch ein Relikt aus der großen Zeit des Suhler Automobilbaus auftauchen – dann bitteschön im Goliath-Maßstab 1:1!

Michael Schlenger, 2022. All entries in this blog (including embedded photos) are copyrighted by the author, unless otherwise indicated. Excerpts and links may be used, provided that credit is given to Michael Schlenger and https://vorkriegs-klassiker-rundschau.blog with appropriate and specific direction to the original content.

6-Zylinder für Opel-Verächter: Simson R 12/60 PS

Es war schon immer etwas teurer, einen besonderen Geschmack zu haben. Das war einst sogar mit einem Opel möglich – heute schwer zu glauben, aber die Vorkriegswelt war auch in der Hinsicht eine völlig andere.

Bei Vorkriegs-Opels denkt man vor allem an das ab 1924 gebaute 4 PS-Modell, das sich eng am einige Jahre zuvor eingeführten Citroen 5CV orientierte.

Dieser grundsolide Kleinwagen bestimmt bis heute das Bild der Marke in den 1920er Jahren – hier haben wir ihn als Typ 4/16 PS mit Aufbau als zweisitzigem Cabriolet:

Opel 4/16 PS, Baujahr 1928, aufgenommen im Herbst 1931; Originalfoto aus Sammlung Klaas Dierks

Mit dem ab Herbst 1927 verbauten, frech von der Luxusmarke Packard kopierten Kühler wirkte der 4 PS-Rüsselsheimer fast schon wie ein Großer.

Dabei bot Opel jedoch parallel auch „echte“ Premiumwagen an, jedenfalls nach rein oberflächlichen Maßstäben.

So fertigte man 1927/28 das Spitzenmodell 15/60 PS, das über einen 3,9 Liter messenden Sechszylinder verfügte und mit eindrucksvollen Aufbauten erhältlich war. Das folgende Foto zeigt einen dieser Wagen als repräsentativen Siebensitzer:

Opel 15/60 PS Limousine; Originalfoto aus Sammlung Thomas Röder

Rund 8.500 Reichsmark wurden für diesen 6-Zylinder-Opel in der Ausführung als Limousine aufgerufen – mehr als das Doppelte, was für das kleine 4 PS-Modell zu berappen war.

Das war damals eine kolossale Summe, dennoch waren diese großen Opels technisch und von der Ausstattung her relativ einfach gehalten. Der Motor besaß noch seitlich stehende Ventile, nur drei Schaltstufen und konventionelle Reibungsstoßdämpfer.

Prestige – immerhin wurde Opel vor dem 1. Welkrieg auch für Luxuswagen international geschätzt – konnte man mit einem solchen Rezept kaum erlangen. Wem also in dieser Leistungsklasse der Sinn nach Edlerem stand, musste sich anderweitig umschauen.

Heute kann ich mit einem Aspiranten aufwarten, der solventen Opel-Verächtern genau das bot, was sie von einem wirklich exklusiven deutschen Sechszylinder erwarteten.

Erstmals begegnet ist mir dieser aussichtsreiche Kandidat in der Publikation „Die Motorfahrzeuge“ von Paul Wolfram (Ausgabe 1928):

Simson Typ R 12/60 PS; Originalabbildung aus „Die Motorfahrzeuge“ von Paul Wolfram, 1928

Optisch kommt der schon 1926 eingeführte Sechszylinderwagen der bekannten Waffenfabrik aus Suhl (Thüringen) konventionell daher.

Ohne die Marken- und Typbezeichnung auf der kunstledernen Reserveradabdeckung würden nur wenige Details die genaue Ansprache ermöglichen.

Wir prägen uns für später ein: Die niedrig gehaltenen durchbrochenen Trittschutzbleche unterhalb der Türen, die recht breiten und weit nach oben reichenden Luftschlitze in der Motorhaube sowie das am oberen Ende abgeschrägte Kühlergehäuse mit nach vorne halb herausragendem Einfüllstutzen.

Das unprätentiöse Äußere des Simson Typ R 12/60 PS verbarg im Vergleich zum großen Opel-Sechszylinder einiges mehr an Raffinesse.

Der Motor war mit 3,1 Litern etwas kleiner, bot aber dank strömungsgünstig im Zylinderkopf hängender Ventile eine bessere Kraftstoffausbeute und größere Elastizität. Unterstützt wurde der Fahrkomfort durch vier Schaltstufen, hydraulische Stoßdämpfer von Houdaille und einen Bremskraftverstärker (Typ: Bosch-Dewandre).

Neben klassischen Ausführungen als Tourenwagen und Limousine waren auch aufwendigere Aufbauten als zweisitziges Luxus-Cabriolet und als Pullman-Limousine mit Platz für bis zu sieben Insassen verfügbar.

Eine Besonderheit stellten ebenfalls erhältliche Leichtaufbauten aus Sperrholz mit Kunstlederbespannung dar, die vom Schlesienwerk in Liegnitz zugeliefert wurden – nach meinem Eindruck ein Kuriosum in dieser Wagenklasse.

Doch bleiben wir bei der konventionellen Limousine, welche die häufigste Ausführung gewesen sein dürfte. Erstmals ist es mir nun gelungen, ein zeitgenössisches Originalfoto davon aufzutreiben:

Simson Typ R 12/60 PS; Originalfoto aus Sammlung Michael Schlenger

Erinnern Sie sich an die Details, auf die ich weiter oben hingewiesen hatte? Sie finden sie hier alle wieder, wenngleich die technische Qualität des Abzugs zu wünschen übrig lässt.

Aus meiner Sicht ist dieser einst in Willich am Niederrhein abgelichtete Wagen eine Limousine des Typs R 12/60 PS von Simson.

Wer skeptisch ist, weil die Gestaltung der Heckpartie von derjenigen des weiter oben gezeigten Wagens abweicht, dem sei gesagt: Simson baute diesen Typ immerhin fünf Jahre lang – von 1926 bis 1931. Natürlich gab es da einige Änderungen im Detail.

So stellte Simson auch gemessen an der Bauzeit seines 60 PS-Sechszylinders das vergleichbare Opel-Modell mühelos in den Schatten. Doch machen wir uns nichts vor. Auch diese eindrucksvollen Simson-Wagen führten eine reine Nischenexistenz.

11.500 Reichsmark (Limousine 1928) verlangten die Suhler dafür, dass sie zahlungskräftigen Opel-Verächtern eine elitäre Alternative boten. Für die Preisdifferenz von rund 3.000 Mark hätte man auch einen Opel 4/16 PS als offenen Viersitzer bekommen.

Aber wie gesagt: Es war schon immer ein wenig teurer, einen besonderen Geschmack zu haben und Kultur beginnt jenseits der Notwendigkeiten und des schnöden Kalküls…

Michael Schlenger, 2022. All entries in this blog (including embedded photos) are copyrighted by the author, unless otherwise indicated. Excerpts and links may be used, provided that credit is given to Michael Schlenger and https://vorkriegs-klassiker-rundschau.blog with appropriate and specific direction to the original content.

Brüder, zur Sonne, zur Freiheit! Simson Bo 6/22 PS

Für eine passende Überschrift bin ich bereit, gegebenenfalls auch den Anfang eines Lieds aus der Zeit des versuchten kommunistischen Umsturzes zum Ende des 1. Weltkriegs zu missbrauchen: „Brüder, zur Sonne, zur Freiheit, zum Lichte empor“ – so dichtete 1918 Hermann Scherchen zur Melodie eines Vorbilds aus dem Russland der Revolutionszeit.

Die Zeilen entbehren nicht der Aktualität – passen sie doch zum zunehmenden Drang vieler Menschen, im zweiten Jahr oft irrationaler Reaktionen auf eine in den meisten Fällen harmlose Atemwegserkrankung die Kontrolle über ihr Leben zurückzuerlangen.

Das Bedürfnis nach unbeschwertem Genuss von Sonne und Freiheit wird wohl im Sommer so übermächtig werden, dass sich undifferenzierte und zunehmend zerstörerisch wirkende Zwangsmaßnahmen immer weniger werden durchsetzen lassen.

Verlassen wir dieses verminte Gelände und gehen rund 100 Jahre zurück, als man hierzulande ganz andere Sorgen hatte. Die verheerenden Folgen des 1. Weltkriegs waren allgegenwärtig und angesichts der britischen Hungerblockade und der obszönen Auflagen des Versailler „Vertrags“ war für Millionen das blanke Überleben oberste Priorität.

Doch wie immer gab es auch damals die „happy few“, die ihren Lebensstandard hatten wahren oder gar als Zulieferer des Militärapparats hatten heben können. Diese hauchdünne Schicht sicherte damals das Auskommen der deutschen Autohersteller, die in den meisten Fällen zunächst wieder Vorkriegsmodelle anboten.

Doch einige Marken zauberten bereits kurz nach Kriegsende neue Typen aus dem Hut, häufig basierend auf Entwicklungen, die noch während des Kriegs begonnen worden waren.

Dieses Umfeld, in dem sich Betuchte scheinbar unberührt wieder der Sonne und Freiheit auf vier Rädern zuwenden konnten, illustriert das folgende Foto (aus Sammlung Matthias Schmidt, Dresden) nahezu vollkommen:

Simson Typ Bo 6/22 PS; Originalfoto aus Sammlung Matthias Schmidt

Hier sehen wir – wenn nicht alles täuscht – gleich mehrere Brüder, die Sonne und Freiheit bei niedergelegtem Verdeck ziemlich ausgiebig genossen haben müssen.

Sie haben sich für diese schöne Aufnahme sorgfältig in bzw. auf dem Wagen in Szene gesetzt, der mit seinem Spitzkühler typisch für etliche deutsche Automobile der Zeit von 1914 bis Mitte der 1920er Jahre war.

Das Fehlen eines Kühleremblems erlaubt es, übliche Verdächtige wie Benz, Daimler und Dürkopp auszuschließen, auch Brennabor, Ley und Phänomen scheiden bei näherer Betrachtung der Kühlerpartie aus.

Auch wenn es nicht sehr viele Vergleichsfotos gibt, kommt hier aus meiner Sicht am ehesten der Typ Bo 6/22 PS von Simson in Betracht. Der traditionsreiche Waffenhersteller aus dem thüringischen Suhl bot dieses Einstiegsmodell von 1919 bis 1924 an.

In diesem Zeitraum dürfte auch das Foto entstanden sein, wobei das Kennzeichen darauf hindeutet, dass man irgendwo in der Umgebung von Stuttgart auf dem Land haltgemacht hatte. Die schlichte Fachwerkarchitektur im Hintergrund wirkt dörflich, während die massive Quadermauer der Machart zu einem repräsentativen Bau des späten 19. Jh. gehören dürfte, eventuell zu einem der vielen „Bismarck-Türme“ die damals entstanden.

Vielleicht erkennt jemand anhand dieses Ausschnitts das Bauwerk und den Aufnahmeort. Möglich, dass der junge Mann auf dem Kotflügel dieses Foto mit Stativ und zeitversetztem Selbstauslöser angefertigt hat – er scheint nämlich eine Kamerahülle in der Hand zu halten.

Bemerkenswert ist neben dem Simson, von dem nur einige hundert Exemplare in Manufaktur entstanden, die enorme Präsenz der Herren auf dieser Aufnahme. Sie scheinen es gewohnt zu sein, für Fotos zu posieren und stammen erkennbar aus „gutem Hause“ – und, wie ich glaube, überwiegend aus dem gleichen „Stall“.

Wieviele Brüder meinen Sie hier zu erkennen, liebe Leser? Und was hat es mit der vergnügten jungen Dame im Heck auf sich, die von ihrem Sitznachbarn angeschmachtet wird? Gehörte sie ebenfalls zur Familie oder war sie eine Freundin, die man mit auf eine Landpartie im Tourenwagen genommen hatte?

Mit diesem kolorierten Ausschnitt überlasse ich Sie nun ihrem eigenen Kopfkino und wünsche uns allen, dass wir alsbald wieder ganz ideologiefrei ausrufen können: „Brüder (und Schwestern), zur Sonne, zur Freiheit!“

© Michael Schlenger, 2021. All entries in this blog (including embedded photos) are copyrighted by the author, unless otherwise indicated. Excerpts and links may be used, provided that credit is given to Michael Schlenger and https://vorkriegs-klassiker-rundschau.blog with appropriate and specific direction to the original content.

Scharfes Gerät – Simson „Supra“ So 8/40 PS

Mancher Leser mag mit einem „scharfen Gerät“ zwar etwas anderes verbinden als den Wagen, den ich heute (wieder einmal) vorstelle. Dennoch handelte es sich Mitte der 1920er Jahre um ein solches – damals hätte man vielleicht von einem „heißen Feger“ gesprochen.

Das folgende Foto (aus Sammlung Klaas Dierks) lässt in technischer Hinsicht ein wenig an Schärfe vermissen, doch ist das Auto hervorragend getroffen und man kann das Auge genüsslich über allerlei „scharfe Details“ wandern lassen:

Simson „Supra“ Typ S0 8/40 PS; Originalfoto aus Sammlung Klaas Dierks

Messerscharf geschnitten sind hier vor allem die vorn spitz zulaufenden Kotflügel, scharfkantig ausgeführt ist außerdem die gesamte Haubenpartie und auch das Kühlergehäuse ist an der Oberseite einfach „spitze“.

Man kennt ähnlich scharfe Details von den sportlichen „Steiger“-Wagen, die die Handschrift von Konstrukteur Paul Henze trugen.

Kein Wunder: Henze hielt es nicht allzulange aus bei der kleinen, aber feinen Firma aus dem oberschwäbischen Burgrieden und wechselte 1922 von Steiger zu Simson nach Suhl, wo er 1909 bereits kurzzeitig beschäftigt gewesen war.

Dass wir es hier nicht mit einem der raren Steiger-Tourenwagen zu tun haben, die auf den ersten Blick fast genauso daherkamen, erkennt man beim Vergleich der Kühlerpartie mit derjenigen auf dem folgenden Foto, das ich hier bereits besprochen habe:

Simson „Supra“ So 8/40 PS; Ausschnitt aus Originalfoto aus Sammlung Matthias Schmidt (Dresden)

Hier mangelt es zwar ebenfalls an Schärfe im fotografischen Sinn, doch ist hier der Schriftzug „Simson“ leserlich, von dem auf der vorherigen Aufnahme nur das Ende zu sehen ist.

Abgesehen vom abweichenden Farbschema und dem Fehlen des Abdeckblechs zwischen den vorderen Rahmenenden, sind die Aufbauten so gut wie identisch. In beiden Fällen handelt es sich um die Karosserieversion „Karlsruhe“, mit der der Tourenwagen des Simson „Supra“ So 8/40 PS serienmäßig angeboten wurde.

Über die Details der sportlichen Motorisierung muss ich an dieser Stelle keine Worte verlieren – sie finden sich im erwähnten Erstbeitrag zu dem ab 1925 gebauten Modell. Wie man auf die Idee kommen kann, ein solch „scharfes Gerät“ mit einer Karosserie namens „Karlsruhe“ anzubieten, ist schwer verständlich.

Doch wie einer meiner Professoren im Studium zu sagen pflegte, gibt es in Deutschland meist kein richtiges „Marketing“, sondern nur biederes „Makeeting“.

Das bestätigt sich im Vergleich zu amerikanischer oder französischer Automobilwerbung der Vorkriegszeit oft – Ausnahmen wie diese bestätigen die Regel:

Reklame der Neuss-Karosseriefabrik aus der Zeitschrift „Motor“ von Mai 1914; Original aus Sammlung Michael Schlenger

Nicht zufällig stammt dieses herausragende Beispiel für gelungenes Marketing aus der Zeit vor dem 1. Weltkrieg, als der Jugendstil im deutschen Sprachraum herrschte.

Wie macht man Werbung für eine elitäre Karosserie? Nicht dadurch, dass man sie in der Gesamtheit zeigt und schon gar nicht dadurch, dass man ihr einen an Einfallslosigkeit kaum zu überbietenden Namen wie „Karlsruhe“ gibt.

Nein, man rückt die Kundschaft selbst in den Fokus und widmet dieser mehr gestalterische Aufmerksamkeit als dem eigentlichen Produkt. Wer so etwas bisher nur aus der Gegenwart kannte, wird in der Zeit kurz vor dem 1. Weltkrieg einiges dazulernen.

Zurück zum Simson „Supra“ So 8/40 PS mit Tourenwagenaufbau „Karlsruhe“. Seine konsequent geometrischen Formen treten bei der gewählten hellen Lackierung besonders gut zutage – auch an der meist übersehenen Seitenpartie:

Zwar bin ich kein besonderer Freund dieses extrem sachlichen Stils, wie er um die Mitte der 1920er im deutschen Sprachraum Mode war.

Dennoch ist das Nebeneinander vollkommen klarer Linien nicht ohne Reiz, was mit der handwerklichen Ausführung zu tun hat, die durch kleine Ungleichmäßigkeiten den Eindruck von Sterilität verhindert.

Selten zu sehen ist hier ein weiteres Detail – der mit einer Persenning ganz abgedeckte rückwärtige Passagierraum. Das niedergelegte Verdeck ist mit einem Überzug versehen, unter dem sich das Gestänge abzeichnet. Auch dort ist der Wunsch nach größtmöglicher Schlichtheit des Erscheinungsbilds unübersehbar.

Dazu passt nicht zuletzt das bei diesem Typ Aufbau damals häufig anzutreffende Fehlen außen angebrachter Türgriffe – ein Puritanismus, der noch nichts mit Aerodynamik zu tun hatte, sondern den Wunsch nach maximal reduzierter Form widerspiegelte.

Ich bin zwar eher ein Freund von der Natur entlehnter organischer Formen und sehe daher im Jugendstil eine Qualität, die uns in einer ins radikal Funktionelle oder schlicht Primitive abdriftenden Gestaltung in der Gegenwart schmerzlich fehlt.

Doch einem „scharfen Gerät“ wie dem Simson „Supra“ So 8/40 PS standen einst diese nur auf den ersten Blick nüchternen Formen ausgesprochen gut…

© Michael Schlenger, 2020. All entries in this blog (including embedded photos) are copyrighted by the author, unless otherwise indicated. Excerpts and links may be used, provided that credit is given to Michael Schlenger and https://vorkriegs-klassiker-rundschau.blog with appropriate and specific direction to the original content.

Neue Ansicht von Karlsruhe: Simson „Supra“ 8/40 PS

Mit Karlsruhe verbindet man zuerst die barocke Stadtanlage mit fächerartig vom Schloss ausgehenden Straßen, die sowohl die Bombardierungen im 2. Weltkrieg als auch den Abrisswahn der anschließenden Jahrzehnte einigermaßen glimpflich überstanden hat.

„Karlsruhe“ steht aber auch für das dort angesiedelte Verfassungsgericht, lange die wohl höchstangesehene Institution der alten Bundesrepublik. Leider wird ihm in jüngster Zeit vom Brüsseler Beamtenadel das Recht abgesprochen, Entscheidungen „europäischer“ Einrichtungen wie der EZB auf Vereinbarkeit mit dem Grundgesetz zu prüfen…

Dazu passend hört man immer häufiger von einer „großen Transformation“, auf die wir zusteuern. Auch wenn sich die politische Großwetterlage damals anders darstellte, lässt mich eine solche bedrohliche Rhetorik an den Schwebezustand der 1920er Jahre denken.

Genau in diese Zeit, in der die Menschen großen Umwälzungen entgegensahen, in der sie ebenfalls ungefragt „die gesamte Art des Wirtschaftens und des Lebens, an die wir uns gewöhnt haben, hinter sich lassen“ mussten, führt uns mein heutiger Blog-Eintrag.

Dabei gibt es auch eine neue Ansicht von „Karlsruhe“ – wenngleich nicht von der barocken „Fächerstadt“ und dem Sitz des einst so bedeutenden Verfassungsgerichts.

Nein, wir kehren zum Simson „Supra“ Typ So 8/40 PS zurück, der einst mit einer Tourenwagenkarosserie mit dem Namen „Karlsruhe“ ausgeliefert wurde:

Simson „Supra“ Typ S0 8/40 PS; Originalfoto aus Sammlung Matthias Schmidt (Dresden)

Dieses prachtvolle Automobil der Simson-Werke in Suhl /Thüringen habe ich hier ausführlich besprochen – weshalb ich mir eine nochmalige Aufzählung seiner technischen Meriten an dieser Stelle spare.

Beanstandet hatte ich seinerzeit, dass dieser Tourenwagen nachträglich mit einem unfachmännisch ausgeführten Cabriolet-Verdeck ausgerüstet wurde, das die gesamte Linie des Autos ruiniert und nebenbei eine hervorragende Bremswirkung entfaltete.

Die alten Meister wussten dagegen genau, wie ein Tourenwagenverdeck auszuführen ist.

Das passende Foto dazu hat mir wiederum Matthias Schmidt aus Dresden zur Verfügung gestellt. Es ist ein Beispiel für den dokumentarischen Wert einer Aufnahme, die nicht aus idealem Blickwinkel entstanden ist, auf der aber trotzdem „alles richtig“ ist:

Simson „Supra“ Typ S0 8/40 PS; Orignalfoto aus Sammlung Matthias Schmidt (Dresden)

Es braucht einen Moment, bis man die Qualitäten dieses „schrägen“ Fotos erfasst.

Der Blick durch die Drahtspeichen des Reserverads lässt die zwei nach hinten geneigten Auspuffrohre erkennen, die seinerzeit ein Hinweis auf einen Sportmotor waren.

Die recht niedrig gehaltene Motorhaube mit 12 Luftschlitzen und rustikal wirkenden Nieten ist ebenfalls typisch für den ab 1925 gebauten Typ „Supra“ 8/40 PS, der eine gewisse Verwandtschaft mit den Rennsportversionen aufwies, die 60 bis 80 PS leisteten.

Bereits die „zivile“ Variante, die wir auf dem Foto von Matthias Schmidt sehen, war für ein Spitzentempo von 100 km/h gut. Wer das belächelt, möge einen solchen Tourenwagen bei Vollgas auf einer kaum befestigten Landstraße bewegen, die einst der Normalfall war.

Die Rennsportversionen erreichten bis zu 140 km/h bei grundsätzlich ähnlichem Chassis (mit kürzerem Radstand). Dass solche Boliden überwiegend Männersache waren, versteht sich von selbst – Männer waren damals noch meist draufgängerischer als Frauen…

Die Damen bevorzugten dagegen überwiegend bequeme Tourenwagen, in denen man nicht nur die Landschaft genießen, sondern auch gute Figur machen konnte – im Rahmen seiner Möglichkeiten, versteht sich:

Die drei Grazien im Simson „Supra“ Typ So 8/40 PS waren vielleicht nicht gerade mit besonderer Schönheit geschlagen, aber zumindest die Passagierin im Heck in Fahrtrichtung links kann durchaus als charmant durchgehen.

Sie lenkt den Blick zudem auf das Gestänge des Tourenwagenverdecks, das hier vorbildlich niedergelegt ist und mit einem Überzug versehen ist, der es zusammenhält.

So sah ein Simson „Supra“ Typ So 8/40 PS als Tourer wirklich aus – in der zweiten Hälfte der 1920er Jahre. Und so sahen die Insassen des Wagens aus, die keine Vorstellung davon hatten, was ihnen in ihrem Leben an Transformationen noch blühte.

Man kann nur hoffen, dass sie es dennoch einigermaßen glücklich getroffen haben. Was aus dem Simson „Supra“ als Tourenwagen mit Verkaufsbezeichnung „Karlsruhe“ wurde, in dem sie einst abgelichtet wurden, wissen wir nicht.

Doch wenn er irgendwo überlebt hat, dann besitzt er hoffentlich wieder ein Verdeck, wie es einst typisch war für die „Karlsruher“ Ansicht…

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Glanzstück aus Suhl: Simson „Supra“ So 40 PS

Heute schlage ich bei der Dokumentation von Vorkriegsfotos auf alten Fotos ein neues Kapitel der Geschichte der Autoproduktion von Simson aus Suhl auf.

Die für ihre Waffenproduktion bekannte Thüringer Firma war einer der vielen deutschen Nischenhersteller der 1920er Jahre – aber in diesem Fall muss man sagen: was für einer!

Nach dem 1. Weltkrieg tat sich Simson zunächst mit technisch verfeinerten Versionen der Typen B, C und D hervor, die sich optisch eng an die Mode hierzulande anlehnten. Ein Fahrzeug aus dieser Familie habe ich hier zuletzt vorgestellt.

Für weitere Impulse sorgte ab 1922 der zuvor bei Steiger tätige Konstrukteur Paul Henze, der auch den Konstruktionen von Simson seinen unverwechselbaren Stempel aufdrücken sollte.

Henze entwickelte für Simson eine neue Typenreihe, die dank modernem Ventiltrieb drehfreudige Motoren besaßen. Dabei zielte er von vornherein auf Sporteinsätze ab.

Das Ende 1924 vorgestellte Spitzenmodell mit der Bezeichnung „Supra S“ wurde unter anderem mit der folgenden Reklame beworben:

Simson Reklame für das Sportmodell „Supra So“; Original aus Sammlung Michael Schlenger

Dieser Sporttyp zeichnete sich durch einen hochmodernen Leichtmetallmotor aus, der über vier Ventile pro Zylinder verfügte, die über zwei obenliegende Nockenwellen betätigt werden – im Rennsport sollte das noch lange das Maß aller Dinge bleiben.

Für den Kenner waren der Königswellenantrieb, die Trockensumpfschmierung, die Zwei-Vergaseranlage und die Vierradbremse nach belgischem ADEX-Patent weitere Schmankerl.

In der serienmäßigen Sportversion Simson „Supra S“ leistete dieses hochfeine Aggregat bereits 50 PS aus 2 Litern Hubraum, damals ein beachtlicher Wert. Die zweisitzigen Rennversionen, die zahlreiche Siege einfahren sollten, kamen auf 60 PS und mehr.

Vom Prestige dieses Sportwagens sollte eine parallel hergestellte Variante profitieren, die sich im wesentlichen durch einen einfacheren Ventiltrieb und längeren Radstand unterschied – der Simson „Supra So“.

Sein Aggregat musste bei sonst gleicher Konstruktion mit nur einer obenliegenden Nockenwelle und zwei statt vier Ventilen pro Zylinder auskommen. Infolgedessen waren hier nur 40 PS bei identischem Hubraum drin.

Ansonsten wurde beim Simson „Supra So“ ein vergleichbarer Aufwand getrieben wie beim Sportmodell, bis hin zu den ausgesucht hochwertigen Materialien und der äußerst präzisen Fertigungsqualität.

Und so sah dieses Glanzstück des PKW-Baus von Simson aus Suhl in natura aus:

Simson „Supra So“ 8/40 PS; Originalfoto aus Sammlung Michael Schlenger

Bei dieser Aufnahme handelt es sich um einen Originalfoto der Nachkriegszeit, das einen der wenigen überlebenden Simson-Wagen dieses Typs zeigt.

Man sieht hier sehr schön den markanten Kühler, der sich stark von dem konventionellen Spitzkühler der Vorgängertypen unterscheidet. Weitgehend verdeckt sind hier die beiden großkalibrigen Auspuffrohre, die durch die linke Haubenseite nach unten wegführen.

Der Tourenwagenaufbau entspricht der in der Literatur gezeigten Karosserievariante „Karlsruhe“ – eine reichlich einfallslose Bezeichnung für einen so edlen Wagen – aber gekonntes Marketing war bei deutschen Autobauern damals ohnehin die Ausnahme.

Zeitgenössische Besprechungen loben die Drehfreudigkeit des Motors, seinen ruhigen Lauf und die leichte Schaltbarkeit des Getriebes – mangels Synchronisation nicht selbstverständlich.

Beindruckt zeigten sich zeitgenössische Tester zudem von der guten Straßenlage infolge günstiger Gewichtsverteilung, der sicheren Bremsleistung und dem Sitzkomfort der Insassen.

Viel mehr Worte will ich gar nicht verlieren zu diesem in technischer und ästhetischer Hinsicht meisterhaft gestalteten Wagen. Einen Wunsch kann ich meinen Lesern aber noch erfüllen.

Vom selben Wagen gibt es eine weitere Aufnahme, die ihn mit niedergelegtem Verdeck zeigt. Entstanden ist sie am gleichen Ort und am selben Tag, vermutlich wurden beide Fotos für Pressezwecke geschossen:

Simson „Supra So“ 8/40 PS; Originalfoto aus Sammlung Matthias Schmidt

Diese Aufnahme verdanke ich Matthias Schmidt aus Dresden, der schon viele schöne Aufnahmen deutscher Vorkriegswagen zu meinem Blog beigesteuert hat.

Eine Sache trübt hier leider den Genuss: Das Verdeck ist nicht vollständig niedergelegt oder es handelt sich um eine nicht originalgetreue Nachfertigung. Normalerweise liegt ein Tourenwagenverdeck ganz flach auf, auch beim Simson „Supra So“ (siehe hier).

Vermutlich wurde hier später ein nach Cabriolet-Manier dick gefüttertes Verdeck verbaut, das sich aufgrund des vielen Materials nicht flach zusammenlegen lässt.

Das ist aber auch das Einzige, was sich hier beanstanden lässt – fast. Denn beim zweiten Hinschauen stören auch die großen Bosch-Hupen unterhalb der Scheinwerfer. Mag sein, dass diese während der bis 1927 reichenden Bauzeit des Simson „Supra So“ irgendwann verfügbar waren – stimmig wirken sie bei einem Tourer der 1920er für mich nicht.

Für mich bleibt die Frage, wo dieser Wagen heute beiheimatet ist und wie er sich im 21.Jahrhundert darbietet. In dieser Übersicht der wenigen noch existierenden Simson-Automobile jedenfalls scheint er nicht enthalten zu sein – oder irre ich mich?

Nachtrag: Der hier vorgestellte Simson „Supra“ Typ So stand zur Zeit der Fotos (um 1970) im Automuseum von Uwe Hucke in Nettelstedt (Ostwestfalen). Heute befindet sich das Fahrzeug wieder am Ort seiner Entstehung in Suhl. Daneben ist ein weiterer überlebender Wagen des Typs mit identischem Aufbau bekannt – er befindet sich in Dresden (Quelle: Reinhard Barthel, Stand: März 2020).

Verwendete Literatur: Simson – Autos aus Suhl, von Ewald Dähn, transpress, 1988

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Beitrag zur Ahnenforschung: Simson Typ Bo

Die Qualitätswagen der Waffenfirma Simson aus dem thüringischen Suhl waren bisher erst einmal Gegenstand einer näheren Betrachtung in meinem Blog.

Immerhin erfolgt der Einstieg der einstigen Prominenz der Marke angemessen – nämlich in der Rubrik „Fund des Monats“.

Der dort präsentierte Typ Co mit 40 PS war einer von drei verbesserten Vorkriegstypen, die ab 1919 auf den Markt kamen.

Ich hatte mich bei der Bestimmung des Typs seinerzeit an den wenigen verfügbaren Vergleichsaufnahmen orientiert und die Zahl der Haubenschlitze als Indikator für die Typenzugehörigkeit verwendet.

Man findet bei den frühen Nachkriegsmodellen von Simson (sofern deren zeitliche Zuordnung überhaupt stimmt) Wagen mit vier bis sieben Haubenschlitzen – das wird nicht ohne Grund der Fall gewesen sein.

Die Karosserien sind wenig spezifisch, lediglich der an Vorbildern von Benz und Mercedes orientierte Spitzkühler ohne Markenemblem ist eine Konstante.

Ein gewisses Indiz für die jeweilige Motorisierung können auch die Proportionen liefern. Dafür liefert das Foto, das ich heute vorstelle, ein gutes Beispiel:

Simson_Bo_6-22_PS_Pk_Aachen_nach_Essen_11-1923_Galerie
Simson Typ Bo 6/22 PS; Originalfoto aus Sammlung Michael Schlenger

Die Aufnahme ist von hervorragender Qualität und lässt von Perspektive und Detailgenauigkeit her nichts zu wünschen übrig.

Dennoch braucht es seine Zeit, bis man einen solchen Wagen einigermaßen zuverlässig einordnen kann.

So sind nämlich Elemente wie Spitzkühler, gepfeilte Frontscheibe und Tulpenkarosserie mit integriertem Verdeckkasten in der Zeit kurz nach dem 1. Weltkrieg bei deutschen Herstellern keineswegs markenspezifisch.

Die folgende Aufnahme eines vor längerem (hier) besprochenen Ley T6 vor der Kulisse des Heidelberger Schlosses mag das verdeutlichen:

Ley_T6_Tourer_Heidelberg_Galerie
Ley T6; Originalfoto aus Sammlung Michael Schlenger

Erst bei einer gründlichen Betrachtung der Details – speziell der Frontpartie – und nach Abgleich mit anderen Dokumenten entwickelt man allmählich eine Vorstellung davon, was man im Einzelfall vor sich hat.

Bei einer Aufnahme völlig ohne Begleitinformationen kann dieser Prozess einige Zeit in Anspruch nehmen. Mal sagt einem das Bauchgefühl, in welcher Richtung zu suchen lohnend sein könnte, mal ist es schierer Zufall, der einen über die Lösung stolpern lässt.

Im vorliegenden Fall waren es eher Erfahrung und Gespür, die mich auf die richtige Fährte brachten. Dabei half wie so oft das eingehende Studium der Frontpartie:

Simson_Bo_6-22_PS_Pk_Aachen_nach_Essen_11-1923_Frontpartie

Letztlich waren es Feinheiten wie das Muster des Kühlergrills, die Form des Deckels auf dem Kühlwasserstutzen und ein sich schemenhaft auf der Nabenkappe abzeichnender Schriftzug, die mich auf Simson brachten.

Im Netz fand ich dann Abbildungen ganz ähnlicher Simson-Wagen des Typs Bo (hier), bei denen auch Ausführung und Position der Luftschlitze passten.

Den wenigen verfügbaren Dokumenten nach zu urteilen variierte die Zahl der Luftschlitze beim Basismodell Bo zwischen vier und sechs – möglicherweise sind Wagen mit nur vier Schlitzen aber noch dem fast identischen Vorkriegstyp B und solche mit sechs dem stärkeren Typ C0 zuzuordnen.

Dummerweise gibt es in der Literatur eine Reklame von 1919, die den alten Typ B 6/18 PS kurz vor Einführung des stärkeren Typs Bo 6/22 PS mit nur drei Luftschllitzen zeigt. Das könnte aber auch künstlerischer Freiheit geschuldet sein.

Dieser Aspekt muss bis auf weiteres offen bleiben – eventuell kann ein Leser Klarheit schaffen.

Was den übrigen Aufbau des Simson auf meinem Foto angeht, sind aus gestalterischer Perspektive keine Unterschiede zu den Aufbauten zeitgleicher Wagen der großen Typen Co 10/40 PS und Do 14/45 PS zu erkennen:

Simson_Bo_6-22_PS_Pk_Aachen_nach_Essen_11-1923_Seitenpartie

Hier handelt es sich um einen typischen Vertreter des von Ernst Neumann-Neander entwickelten Stils mit Tulpenkarosserie und ins Heck integriertem Verdeckkasten.

Dieser Aufbau weist keinerlei markenspezifisches Element auf – man findet ihn genau so auf Abbildungen anderer deutscher Wagen der frühen 1920er Jahre. Auch die Simson-Typen Co und Do waren ausweislich der Literatur damit verfügbar.

Im direkten Vergleich hat man lediglich den Eindruck, dass die stärker motorisierten Simson-Modelle über einen längeren Radstand und größere Räder verfügten.

Das ist aus meiner Sicht das vorläufige Fazit zu dem heute vorgestellten Simson des (mutmaßlichen) Typs Bo, der auf einer im November 1923 von Aachen nach Essen verschickten Postkarte erhalten geblieben ist.

Etwas dünn vielleicht für eine Marke, die für hervorragende Qualität – wenn auch in kleinen Stückzahlen – bekannt war und die in den 1920er Jahren mit den sportlichen Supra-Modellen noch groß auftrumpfen sollte.

Doch was soll man machen, wenn die einzige mir bekannte Literatur, die Simson-PKW umfassend abhandelt, über 30 Jahre alt ist? Auch die verdienstvolle Simson-Präsenz im Netz kann längst nicht mit allen wünschenswerten Details aufwarten.

Insofern mag mein heutiger Blog-Eintrag einen bescheidenen Beitrag zur Ahnenforschung in Sachen Simson-Automobile leisten…

© Michael Schlenger, 2019. All entries in this blog (including embedded photos) are copyrighted by the author, unless otherwise indicated. Excerpts and links may be used, provided that credit is given to Michael Schlenger and https://vorkriegs-klassiker-rundschau.blog with appropriate and specific direction to the original content.

Fund des Monats: Ein Simson Typ Co an der Ostsee

Ende Oktober 2019 – seit Tagen ziehen Formationen von Kranichen und Wildgänsen über die hessische Wetterau hinweg nach Westen auf das Taunusgebirge zu. An dieser Landmarke biegen sie dann ab Richtung Winterquartier im Süden.

Das Bild ist jeden Herbst dasselbe und doch schaut man immer wieder fasziniert zum Himmel, wo die Vögel dahinziehen. Es wird vermutet, dass sie sich dabei an Anomalien des Erdmagnetfelds orientieren, die geologisch bedingt sind.

Erstaunlich, wie wenig man über dieses grandiose Naturphänomen weiß – aber es forschen auch nur sehr wenige Spezialisten daran.

Ähnliches lässt sich von der faszinierenden Welt deutscher Vorkriegsmarken sagen: Man ist immer wieder hingerissen von den Wundern, die sich dem Betrachter auf alten Fotos darbieten, und stellt erstaunt fest, wie dünn das Wissen darüber oft ist.

Das gilt auch für die Marke, um die es beim heutigen Fund des Monats geht. Das letzte Mal, dass sich jemand gründlich damit beschäftigt hat, liegt bereits gut 30 Jahre zurück. 

1988 – ein Jahr vor dem Ende der Herrschaft der Kommunisten in Ostdeutschland, die unter anderem Namen immer noch im Parlament sitzen – veröffentlichte Ewald Dähn das einzige mir bekannte Buch über die Autoproduktion von Simson aus Suhl.

Bis weit in das 19. Jahrhundert lässt sich die Geschichte der thüringischen Firma zurückverfolgen, die sich zunächst als Waffenhersteller einen Namen machte. Kurz vor der Jahrhundertwende nahm man daneben den Fahrradbau auf.

Ab 1908 machte sich Simson an die Entwicklung eines eigenständigen Automobils. Der Prototyp mit luftgekühltem Zweizylindermotor erwies sich jedoch als untauglich.

Glücklicherweise konnte man einen der besten deutschen Automobilingenieure verpflichten – Paul Henze. Er hatte gerade seine Stellung bei Imperia in Belgien verlassen und sollte später bei Steiger noch zu großer Form auflaufen.

Während seiner kurzen Tätigkeit bei Simson legte Henze den Grundstein für eine Reihe zunehmend leistungsfähiger Automobile. Den Anfang machte der Typ A von 1911, auf den schon 1912 der stärkere Typ B folgte.

Beides waren Kleinwagen mit wassergekühlten Vierzylindern unter 2 Litern Hubraum. Doch noch 1912 entschied man sich bei Simson zu einem kühnen Schritt.

Auf Basis der bisherigen Modelle wurde der weit leistungsfähigere Typ C mit 2,6 Liter-Motor und 30 PS entwickelt. 1913 folgte der 45 PS starke Typ D mit 3,5 Litern.

Von da war der Weg nicht weit bis zu diesem Prachtstück:

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Simson Typ Co; Originalfoto aus Sammlung Michael Schlenger

Hier haben wir es mit einem der nochmals leistungsfähigeren SimsonWagen zu tun, die ab 1919 gebaut wurden.

Fritz Hattler, einstiger Konstrukteurskollege von Paul Henze, hatte den Simson-Typen B und C eine deutliche Leistungssteigerung verordnet. Möglich wurde dies bei gleichem Hubraum durch im Zylinderkopf hängende Ventile, die eine bessere Kraftstoffausnutzung ermöglichten.

Aus dem Typ B 6/18 PS wurde so der Bo mit 22 PS und aus dem Typ C 10/30 PS der Typ Co mit 40 PS, also satten 10 Pferdestärken mehr als vor dem 1. Weltkrieg. Diese Wagen machten auch optisch einiges her:

Simson_Co_1924_Ausschnitt

Typisch für die Simsons der Zeit kurz nach dem 1. Weltkrieg war zum einen der Spitzkühler (im Unterschied zu Benz und Mercedes ohne Markenemblem.

Zum anderen sieht man auf den Dokumenten von Simson-Wagen wie auf obigem Foto oft Drahtspeichenräder, die bei deutschen Fabrikaten selten waren.

Einen Hinweis auf die Motorisierung liefert bei aller gebotenen Vorsicht die Zahl der Luftschlitze in der Haube. Der kleiner Typ Bo scheint mit deren vier oder fünf ausgekommen zu sein, der größere Typ Do besaß sieben davon.

„Unser“ Simson liegt mit sechs Luftschlitzen in der Mitte – das spräche für das Modell Co 10/40 PS. Freilich ist die Evidenz, auf die sich diese Zuschreibung stützt, äußerst dünn und in der allgemeinen Literatur wimmelt es von Fehlern.

Daher ist die Ansprache dieses Tourenwagens als Simson Typ Co 10/40 PS als Arbeitshypothese zu verstehen. Sicher sagen lässt sich dagegen über das Auto etwas anderes:

Simson_Co_1924_Galerie

Dank der schönen Beschriftung von alter Hand wissen wir, dass dieser edle Simson-Tourenwagen einst an der Ostsee fotografiert wurde, 1924 am Timmendorfer Strand.

Das Entstehungsjahr der Aufnahme passt auch gut zum Vorhandensein einer Frühform der Stoßstange, die hier als Zubehör nachträglich montiert worden war.

So etwas brauchte man erst, als der Verkehr zumindest in den Großstädten zunahm – weshalb ich vermute, dass der Simson einem Urlauber aus Berlin gehörte.

Auf dem Land brauchte man damals keine solchen Accessoires. Dort konnte man allenfalls mit einem Pferdefuhrwerk zusammenrasseln, während man vielleicht sehnsüchtig den Zugvögeln hinterherschaute, die am Himmel entlangzogen…

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Steiger 11/55PS von 1925: modern, markant und rar

Kenner denken bei in Deutschland gebauten Kleinserien-Sportwagen der Zwischenkriegszeit wohl am ehesten an die Supra-Modelle von Simson, mit denen populäre Rennfahrer wie Karl Kappler seinerzeit zahllose Siege errangen.

Simson_Supra_SW

© Simson Supra Tourenwagen; Originalfoto: Verkehrsmuseum Dresden; Sammlung Michael Schlenger

Es gab aber eine weitere Marke, die in vergleichbarer Weise anspruchsvolle Technik mit charakteristischer Optik verband – und wirtschaftlich ähnlich erfolglos blieb. Die Rede ist von der Firma Steiger, die nach dem 1. Weltkrieg im schwäbischen Burgrieden avancierte und markant gestaltete Wagen produzierte.

Firmeninhaber Walter Steiger – ein Schweizer – hatte sich bereits während des 1. Weltkriegs gemeinsam mit Konstrukteur Paul Henze Gedanken darüber gemacht, wie man die kleine, in die Rüstungsproduktion eingebundene Maschinenfabrik nach dem Krieg auslasten könnte.

Noch vor dem Ende der Kampfhandlungen hatte man einen Automobil-Prototypen entwickelt, der bereits einiges von dem vorwegnahm, was die Wagen der Marke später auszeichnen sollte: Moderne, vom Flugzeugbau inspirierte Motoren und ein sportliches Erscheinungsbild.

Mit diesem Konzept war man ab 1920 für wenige Jahre recht erfolgreich, zwar nicht betriebswirtschaftlich, aber bei einer auf sportliche Leistung und individuelle Optik fixierten Kundschaft.

Die technischen Details des Steiger 11/55 PS (1924-25) lassen exemplarisch den Anspruch erkennen, mit dem diese Fahrzeuge gebaut wurden: hängende Ventile, von obenliegender Nockenwelle betätigt, Königswellenantrieb, Leichtmetallkolben Vierradbremse, 12 Volt-Elektrik.

Das Ganze war verpackt in einem optisch geglätteten Motorblock, der bewusst auf die ästhetische Wirkung hin gestaltet war – in dieser Hinsicht Bugatti vergleichbar. Der kreative Kopf dahinter war Paul Henze, der später zu Simson wechseln sollte.

Nach nur rund 2.000 Fahrzeugen endete 1926 die Produktion der rassigen Wagen der Marke Steiger. Woher nimmt man angesichts dieser Stückzahl ein zeitgenössisches Bild? Nun, man übt sich in Geduld und lässt den Zufall walten.

Schon seit einiger Zeit ist der Verfasser im Besitz eines historischen Fotos, das eine ganze Reihe von Wagen der 1920er Jahre an einer leichten Steigung aufgereiht zeigt. Ort und Anlass der Aufnahme sind unbekannt. Lediglich die Jahreszahl 1927 findet sich auf der Rückseite des Abzugs.

Wagen der 1920er Jahre

© Automobile der 1920er Jahre; Originalfoto aus Sammlung Michael Schlenger

Bei einer gelegentlichen Durchsicht hatte der Verfasser den Eindruck, dass ihm die Frontpartie des ersten Wagens bekannt vorkam. Der erste Gedanke war „Simson“, doch die Vermutung bestätigte sich nicht.

Zum Glück wird im „Oswald“ (Deutsche Autos 1920-45) gleich nach Simson die Marke Steiger abgehandelt. Der markante Spitzkühler und die sehr hoch ansetzenden Kühlluftschlitze in der Motorhaube des im „Oswald“ abgebildeten 10/50 PS-Tourenwagens von Steiger weckten einen Anfangsverdacht.

Zum Glück ist die Marke Steiger mit einer umfangreichen eigenen Website im Internet repräsentiert. Der Inhaber der Seite – Michael Schick – hat dort die Ergebnisse jahrzehntelanger Recherchen zu der Marke online gestellt, darunter auch den kompletten Inhalt seines leider vergriffenen Buchs zu Steiger.

Besonders hilfreich sind die zahlreichen Orginalfotos und -dokumente zu andernorts nicht abgehandelten Typen von Steiger, darunter auch des 11/55 PS-Modells von  1924/25. Denn um einen solchen Wagen handelt es sich offenbar bei dem Fahrzeug auf unserer Aufnahme:

Steiger_11-55PSSteigertypisch ist der Spitzkühler mit einer Unterteilung ähnlich den Mercedes-Modellen. Man meint auf der in Fahrtrichtung rechts befindlichen Seite des Kühlers einen diagonal verlaufenden Schriftzug zu erahnen – dort war bei Steiger-Wagen der Markenname angebracht.

Die Anordnung der Anlasserkurbel, die Form der bis zu den vorderen Enden des Rahmens reichenden Kotflügel, Scheinwerferkombination, Kühlwasserthermometer und Suchscheinwerfer finden sich alle an zeitgenössischen Fotos von Steiger-Tourenwagen des Typs wieder. Selbst die Zahl der Kühlluftschlitze (15) „passt“.

Dass es sich tatsächlich um ein Fahrzeug des genannten Typs mit langem Radstand (3,25m) handelt, konnte Steiger-Spezialist Michael Schick bestätigen. Seine oben erwähnte Website ist – man muss es nochmals sagen – eine wahre Fundgrube an Informationen, Dokumenten und Bildern rund um die Marke aus Burgrieden.

Man erfährt dort nicht nur, dass es (anders als im „Oswald“ vermerkt) doch mehr als nur einen noch erhaltenen Steiger-Wagen gibt, sondern kann auch genüsslich durch ein komplettes historisches Fotoalbum mit Steiger-Bildern blättern (übrigens auch  solchen aus unserer Region) – und das alles in bester Qualität.

Davon kann sich manche Online-Präsenz weit bekannterer Vorkriegsmarken eine Scheibe abschneiden…

Simson: Qualitätsautos aus der Waffenschmiede

Einer der zu Unrecht vergessenen Hersteller hochwertiger Automobile in der Zeit vor dem 2. Weltkrieg war Simson & Co. aus dem thüringischen Suhl. Seit dem späten 19. Jh. hatte sich Simson einen internationalen Ruf als Gewehrproduzent für Armee und Privatleute erarbeitet.

Noch vor dem 1. Weltkrieg entschied man sich – beeindruckt vom Wachstum der Automobilproduktion in anderen Ländern – ebenfalls in dieses zukunftsträchtige Geschäft einzusteigen.

Zwar gelang Simson wie vielen europäischen Herstellern keine rentable Großserienfertigung. Dennoch verdienen die über einen Zeitraum von mehr als 20 Jahren entstandenen Modelle einen näheren Blick. Simson baute leistungsfähige und hochwertige Fahrzeuge, die dem Ruf der Firma alle Ehre machten.

Zu Beginn der Autoproduktion im Jahr 1911 engagierte sich Simson zunächst in der steuerlich günstigen Kleinwagenklasse. Doch die Restriktionen bei der Motorisierung standen dem Bau eines leistungsfähigen Fahrzeugs entgegen. So stellte Simson die Produktion seines Erstlings, des „Modell A“, nach einem Jahr wieder ein.

Bei den ab 1912 vorgestellten Modellen entschied man sich für großvolumigere Motoren, deren Leistung dem Fahrzeuggewicht angemessen war. Diese Wagen wurden – nicht zuletzt dank einer Vielzahl von Karosserievarianten – auf Anhieb ein Erfolg.

Ein seltenes Originalfoto zeigt einen dieser Wagen (Typ B) festlich geschmückt bei einer Veranstaltung vor dem Justizpalast in Saargemünd im Jahr 1912 oder 1913.

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© Simson Typ B; Originalfoto von Atelier Jos. Trunelle, Saargemünd; Sammlung Michael Schlenger

In der Ausschnittsvergrößerung erkennt man den Schriftzug „Simson“ auf dem Kühler. Die Datierung ist anhand der Beschriftung eines Schmuckbandes möglich. Auch die Kleidung verweist auf die Zeit kurz vor dem Ersten Weltkrieg.

Nach Ende des 1. Weltkriegs lagen die für Rüstungsgüter genutzten Fertigungskapazitäten brach. Simson stieg daher rasch wieder in die Autoproduktion ein, zunächst noch auf Basis des Vorkriegsmodells D.

Ab den frühen 1920er Jahren begann Simson, gezielt Autos für den Rennsport zu entwickeln. In dieser Zeit mauserte sich die Marke zu einem Anbieter exzellenter Sportwagen.

Die Grundlage dafür schufen die Simson Supra-Modelle. Sie verfügten über 4-Zylinder-Motoren mit zwei obenliegenden Nockenwellen, die über eine Königswelle gesteuert wurden. Das Spitzenmodell wies zudem vier Ventile pro Zylinder auf.

Die zweisitzige Version Supra S erwies sich dank kurzen Radstands, nur 700 kg Gewicht, breiter Spur und starker Bremsen als ein gefürchteter Gegner speziell auf kurvenreichen Strecken. Die Höchstgeschwindigkeit betrug bei einzelnen Fahrzeugen bis zu 180 km/h, ansonsten waren 140 km/h problemlos zu erreichen.

Mit dem Supra S errang der erfolgreichste deutsche Rennfahrer der 1920er JahreKarl Kappler – viele seiner Siege. 1928 lief die Produktion dieses Modells aus, doch noch bis 1930 unterstützte Simson Privatfahrer, die auf Sportwagen der Marke antraten.

Die sportlichen Lorbeeren schlugen sich zwar positiv in den Verkäufen des viersitzigen Serienmodells Simson Supra (ohne „S“) nieder. Doch die Herstellung war aufwendig, Gewinne waren damit nicht zu erzielen.

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© Simson Supra Tourenwagen; Originalfoto: Verkehrsmuseum Dresden; Sammlung Michael Schlenger

Daher wurde parallel zu den Supra-Modellen das preisgünstigere Modell R angeboten, das über einen Sechszylinder-Motor mit konventionellem Ventilantrieb verfügte und immerhin 60 PS (später: 70 PS) leistete.

Ab 1930 – die Weltwirtschaftskrise war auf ihrem Höhepunkt – wurde immer deutlicher, dass die Herstellung von Kleinserienfahrzeugen bei Simson keine Zukunft mehr hatte.

Als Schlussakkord entschied man sich für den Bau des 8-Zylinder-Modells Supra A, von dem bis 1934 nur rund 30 Exemplare entstanden. Einer dieser Wagen war 2015 bei der Classic Gala in Schwetzingen zu bewundern (Bildbericht).

Damit endete das Kapitel Automobilbau bei Simson. In diese Zeit fällt auch die Enteignung der jüdischstämmigen Besitzerfamilie.

Nach dem 2. Weltkrieg sollte es im alten Simson-Werk zwar wieder Fahrzeugbau geben, dieser beschränkte sich aber auf die Produktion von Motorrädern (AWO 425) und Kleinkrafträder („Schwalbe“ und Verwandte).

Website: http://www.simson-automobile.de

Buchtipps:

  • „Autos aus Suhl“ von Ewald Dähn, 1988 (antiquarisch über http://www.zvab.com erhältlich)
  • „Im Donner der Motoren. Karl Kappler – die Geschichte des erfolgreichsten deutschen Rennfahrers der 1920er Jahre“ von Martin Walter, 2004