Nicht ganz „Standard“: Ein Packard Cabriolet von 1929

Wieso sollte ein 1929er Packard in Cabriolet-Ausführung nicht „Standard“ sein? Solche Ausführungen waren doch vollkommen gängig – sogar am deutschen Markt, oder?

Liefert nicht dieser Blog gleich mehrere Beweise dafür? Wie sieht es etwa mit diesem Exemplar aus, das einst in Berlin unterwegs war?

Packard „Roadster“, Modelljahr 1927/28; Originalfoto: Sammlung Michael Schlenger

Immer wieder eindrucksvoll, diese Aufnahme. Leider zeigt sie aber nur auf den ersten Blick ein (zweitüriges) Packard-Cabriolet.

Solche offenen Zweisitzer mit leichtem Verdeck firmierten nämlich in den Staaten meist als „Roadster“, auch wenn die Bezeichnung nicht ganz der europäischen Konvention entsprach. Auch „Convertible Coupe“ war in den USA eine weitere Bezeichnung – aber Cabriolet?

Hinzu kommt etwas anderes: Dieser Packard sieht zwar dem Modell des Jahres 1929 sehr ähnlich, aber er stammt eindeutig von 1927/28. Das ist an den trommelförmigen Scheinwerfern und Parklichtern zu erkennen.

Erst 1929 wichen sie schüsselförmigen Lampen wie an folgendem Packard, den ich ebenfalls schon einmal präsentiert habe:

Packard „Tourer“, Modelljahr 1929; Originalfoto: Sammlung Marcus Bengsch

Na wunderbar, dann wird wohl das ein 1929 Packard Cabriolet sein, nicht wahr?

Wieder daneben – auch wenn vermutlich die meisten Zeitgenossen heute einen solchen offenen Viertürer als Cabrio ansprechen würden, denn eine Limousine oder ein Kombi ist es ja nicht. Bleibt doch kaum noch etwas übrig.

Nun, das war in der Vorkriegszeit anders. Damals gab es zahlreiche Karosserieausführungen mit speziellen Bezeichnungen, die längst nicht mehr gebaut werden – ein solcher Fall war der Tourenwagen.

Als solchen bezeichnete man offene Automobile mit zwei oder drei Sitzreihen, die nur über ein ungefüttertes Verdeck verfügten und keine festen Seitenscheiben besaßen. Genau so ein Tourer ist auf dem obigen Foto zu sehen.

Richtige (Kurbel)Scheiben an der Seite gab es natürlich bei geschlossenen Ausführungen wie dieser – hier hat man uns sogar freundlich die Tür zum Beweis geöffnet:

Packard „Landaulet“, Modelljahr 1928/29; Originalfoto: Sammlung Matthias Schmidt (Dresden)

Ha, dieser Wagen hat aber noch trommelförmige Parkleuchten ruft jetzt mancher triumphierend aus! Stimmt, die schüsselförmigen Hauptscheinwerfer könnten nachgerüstet sein (oder umgekehrt).

Nebenbei sieht man an dem Beispiel, dass die Realität von einst nicht immer der reinen Lehre folgte, zumal auch die Karosserie kein Standard von Packard war, jedenfalls nicht der Part ab der Windschutzscheibe.

So ist das auch mit dem Packard „Cabriolet“ des Modelljahrs 1929 – so etwas wurde werksseitig ebenfalls nicht angeboten, wenn auch sonst (fast) alles „Standard“ an diesem Exemplar war:

Packard „Cabriolet“, Modelljahr 1929; Originalfoto: Sammlung Michael Schlenger

Nach dem Studium der zuvor gezeigten Fotos erkennen Sie gewiss auf Anhieb, dass auch dies ein 1929er Packard sein muss, daher will ich die für Marke und Baujahr typischen Merkmale wohl nicht eigens aufzählen.

Wenn dieses Auto ganz anders wirkt als die bisher präsentiertenm Schwestermodelle, dann liegt das schlicht daran, das es mit diesen nur den Vorderwagen gemeinsam hat.

Der übrige Aufbau als viertüriges Cabriolet mit versenbaren Kurbelscheiben und gefüttertem Verdeck mit Sturmstange stammt unverkennbar von einer deutschen Manufaktur.

Amerikanische Vorkriegsenthusiasten erkennen solche „fremden“ Aufbauten auf Anhieb – das gilt nicht nur für den wuchtigen teutonischen Stil wie hier, sondern auch für britische Aufbauten.

Aber werfen wir erst noch einen routinemäßigen Blick auf die Vorderpartie:

Alles „Standard“? Nein, auch hier nicht – jedenfalls scheint dieser Wagen mit einer Kühlerfigur versehen worden zu sein, die einen Vogel mit ausgebreiteten Schwingen zeigt.

Ein Wort noch zur seitlichen Haubenpartie: Hier findet man im Modelljahr 1929 statt der schmalen Luftschlitze bisweilen auch einige breite und verstellbare Entlüftungsklappen.

Diese scheinen jedoch den stärkeren Motorisierungen „Custom Eight“ und „DeLuxe Eight“ vorbehalten gewesen zu sein, für die über 100 PS Spitzenleistung angegeben wurden.

Dagegen musste sich der kleinere „Standard Eight“ mit 90 PS bescheiden – bei Packard war das nach Entfall der Sechszylinder die Basismotorisierung. Damit konnten damals selbst die legendären Horch-Achtyzlinder (1929: 80 PS) nicht ganz mithalten, jedenfalls von der reinen Papierform.

Nun aber zum Aufbau dieses speziellen Exemplars, der nicht gerade „Standard“ war:

Wie gesagt, einen solchen Cabriolet-Aufbau bot Packard nicht serienmäßig an. Da die Aufnahme in Deutschland entstand (von Hand datiert auf Sommer 1933), wird es sich um eine Manufakturkarosserie deutscher Provenienz gehandelt haben.

Leider ist keine Karosserieplakette zu erkennen, aber davon unabhängig würde ich eine der Spitzenadressen wie Gläser hier ausschließen. Der Ausführung mangelt es aus meiner Sicht an der Eleganz in der Gestaltung des oberen Türabschlusses, die man von den besten Herstellern erwarten durfte.

Vielleicht erkennt jemand Ähnlichkeiten zu anderen Cabriolet-Ausführungen bekannter deutscher Karosseriefirmen – dann bitte die Kommentarfunktion nutzen.

Kurios mutet hier der verloren auf dem Trittbrett stehende Reservekanister an, dessen Inhalt im Ernstfall die Reichweite des durstigen Wagens nur unwesentlich erhöhte. Vielleicht enthielt er aber auch Kühlerwasser für alle Fälle.

Ob er tatsächlich hier befestigt war oder bloß vorübergehend dort abgestellt worden war, muss ebenso offenbleiben.

Ein letztes Wort zum Verdeck: Hier sieht man zur Abwechslung einmal, wie das auszusehen hatte, wenn es niedergelegt war. Auffallend oft findet man nämlich Abbildungen, auf denen das Verdeck so hoch aufgetürmt ist, dass man sich den Rückspiegel hätte sparen können.

Das war es zu diesem nicht ganz „standard“mäßigen Packard. Weitere Bilder aus deutschen Landen, die Wagen dieses Oberklasseherstellers zeigen, harren der Präsentation, darunter sogar ein Zwölfzylinder!

Langweilig wird es also auch dieses Jahr nicht, selbst wenn man kein spezieller Freund amerikanischer Vorkriegsautos ist – diese waren aber einst so alltäglich in Deutschland, dass man an diesem Standard nicht vorbeikommt…

Michael Schlenger, 2023. All entries in this blog (including embedded photos) are copyrighted by the author, unless otherwise indicated. Excerpts and links may be used, provided that credit is given to Michael Schlenger and https://vorkriegs-klassiker-rundschau.blog with appropriate and specific direction to the original content.

2 Gedanken zu „Nicht ganz „Standard“: Ein Packard Cabriolet von 1929

  1. Danke für die bedenkenswerten Anmerkungen. Leider ist in diesem Fall auch der sonst sehr präzise „Standard Catalog of American Cars“ nicht eindeutig.

  2. Die Ausführung auf der von Herrn Bengsch stammenden Aufnahme mit dem Abstand zwischen den Türen und dem verlängert wirkenden Radstand dürfte eben ein Touring Standard oder Custom Eight sein, wenn die Lüftungsklappen den deLuxe-Varianten vorbehalten waren :

    https://www.conceptcarz.com/vehicle/z10143/packard-640-custom-eight.aspx

    https://www.classic-trader.com/de/automobile/inserat/packard/custom-eight/custom-eight-640-touring-deluxe/1929/319733

    https://www.conceptcarz.com/profile/6103,6777/1929-packard-645-deluxe-eight.aspx

    https://www.conceptcarz.com/profile/28341,6777/1929-packard-645-deluxe-eight.aspx

    https://rmsothebys.com/en/auctions/af20/auburn-fall/lots/r0367-1929-packard-standard-eight-touring/953471

    Ob die Luftschlitze anstelle der Klappen den Achtzylinder vom Sechszylinder unterscheiden, oder auf die Produktion des Vorjahrs 1928 verweisen, wage ich auch nicht zu klären. Plausibler bleibt aber eine ausstattungskonforme Zuordnung, wobei die Klappen den DeLuxe-Ausführungen 640 und 645 vorbehalten wären. Dazu käme so auch ein gefüttertes Verdeck beim DeLuxe, während dieses ungefüttert beim Standard Eight schon hinter der Rücksitzlehne verschwand. Will man dies alles nachvollziehen, kann man sich schnell in letztlich Abwegigem verirren, wie etwa daß die Luftschlitze beim Eight auch schon 1925 und 1926 vorhanden waren. Über die Form des Windlaufs kommt man dann zum Ausschluß des Jahres 1927, und nebenbei ergab sich aus meiner neuesten Bucherwerbung, daß der offene Zweisitzer mit den Luftschlitzen einen achtzylindrigen Runabout darstellt. So war ich doch ziemlich am Suchen, um wenigstens einem der gezeigten Bilddokumente nachzuspüren.

    https://www.auto-motor-und-sport.de/oldtimer/packard-1927-oldtimer-scheunenfund/#bildergalerie

    https://www.classic-trader.com/de/automobile/inserat/packard/twin-six/twin-six/1928/318917

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