Gruselfaktor inklusive: Adler 6/24 PS Tourenwagen

Zur Geisterstunde pflege ich ein langjähriges Vertrauensverhältnis. Zwar glaube ich nicht an Gespenster – jedenfalls keine, die nicht von unserer Phantasie erzeugt werden – dennoch fühle ich mich im Dunkel der Zeit um Mitternacht von guten Geistern umgeben.

Anders fehlte mir wohl die Inspiration, mich zu später Stunde an Vorkriegsautos auf historischen Fotos abzuarbeiten.

Nur ein Teil davon ist einigermaßen ernst gemeintem Dokumentationsinteresse geschuldet – das ist ja eher die Domäne der Automobilhistoriker, wenngleich ich deren Produktivität hierzulande für entschieden steigerungsfähig halte.

Größeren Raum ein nimmt mitunter die Beschäftigung mit grundlegenden Fragen von Stil und Gestaltung sowie dem menschlichen Bedürfnis, seinem Dasein einen bestimmten Ausdruck zu verleihen und spezielle Momente davon für sich und andere festzuhalten.

Die Art und Weise, wie Mensch und Maschine auf diesen Dokumenten inszeniert wurden, ist für mich ein Quell nicht versiegender Faszination. Oft sind es Kleinigkeiten, die mit dem eigentlichen Fahrzeug wenig zu zu tun haben, welche fesseln.

Heute haben wir wieder so einen Fall und ich darf in Aussicht stellen, dass es dabei zur rechten (Uhr)Zeit durchaus ein wenig gruselig zugeht.

Beginnen wir ganz harmlos mit dieser technisch mäßigen, dennoch reizvollen Aufnahme:

Adler 6/24 PS; Originalfoto: Sammlung Michael Schlenger

Dieser eher kompakte Tourenwagen birgt keine besonderen Geheimnisse. In das Kühlernetz ragt das dreieckige Markenemblem der Adlerwerke aus Frankfurt/Main hinein.

Da das Kühleremblem nur unscharf wiedergegeben ist, hat man uns den Gefallen getan, zusätzlich eine unübersehbare Kühlerfigur in Adlerform zu montieren, die so kaum serienmäßig war.

Ebenfalls ein Zubehör waren die kunstledernen “Schürzen” an den Vorderkotflügeln, die einer stärkeren Verschmutzung des Wagens vorbeugen sollten. Bewusst aufgefallen sind mir diese merkwürdigerweise bisher nur bei Adler-Wagen der Typen 6/24 und 6/25 PS.

Von den meiner Adler-Galerie versammelten Fahrzeugen dieses Typs war etwa jeder zweite Wagen damit ausgestattet. Offenbar erfüllte der werksseitige Kotflügel seinen Zweck nur unzureichend, denn eine Verschönerung stellen diese Teil nicht gerade dar.

Die Drahtspeichenräder sind übrigens das Hauptunterscheidungsmerkmal zwischen dem 1923/24 gebauten Adler 6/24 PS und seinem 1925 eingeführten “Nachfolger” 6/25 PS, welcher leicht anhand seiner Scheibenräder zu erkennen ist.

Technisch waren diese kleinen Vierzylindertypen vollkommen konventionell, hervorzuheben gibt es da nichts. Der Käufer wusste vor allem, dass er sich auf die Adler-Qualität unbedingt verlassen konnte.

Wer schnelle und geräumige Reisewagen suchte, musste sich andernorts umschauen. Für die Spritztour am Wochenende mit der Familie oder Freunden war der Adler 6/24 PS aber allemal vorzüglich geeignet, man findet ihn oft bei solchen Ausflugssituationen abgelichtet.

Mitunter ergaben sich dabei sogar charmante Dokumente wie dieses hier:

Adler 6/24 PS; Originalfoto: Sammlung Michael Schlenger

Manchem Leser wird die Aufnahme bekannt vorkommen – ich habe sie vor längerem als Teil einer netten kleinen Serie präsentiert.

Nehmen Sie sich etwas Zeit, sich die Insassen dieses Wagens einzuprägen, allesamt prächtige Individuen, die uns hier über einen Abstand von bald 100 Jahren anblicken.

Wenn es doch so etwas wie Geister gibt, erfreuen sich diese nun vielleicht daran, dass die Nachgeborenen nach so langer Zeit immer noch Genuss an dem Moment empfinden, der hier einst festgehalten wurde.

Vielleicht treiben sie aber auch etwas Schabernack mit uns. Denn auf mysteriöse Weise hat lange nach dem Erwerb der kleinen Serie, aus der dieses Foto stammt, eine weitere Aufnahme den Weg zu mir gefunden – wie eine Flaschenpost aus der Vergangenheit, die einen etwas längeren Weg zurückzulegen hatte als die anderen.

Irgendetwas hat mich lange davon abgehalten, auch dieses Zeugnis vorzustellen. Doch wie das oft so ist bei meinen nächtlichen Rendezvous mit den automobilen Hinterlassenschaften unserer Altvorderen, wusste ich heute plötzlich, dass nun die Zeit gekommen ist.

Noch gut fünf Minuten bis Mitternacht. Auch wenn es vielleicht nicht dem Ideal einer Gruselgeschichte entspricht, unternehmen wir gleich noch einen Spaziergang zur Tankstelle, wo man uns bereits erwartet.

Die Herrschaften, die wir mit ihrem Adler 6/24 PS gerade (wieder) getroffen haben, werden uns dort auf eine Weise wiederbegegnen, die nur auf den ersten Blick vertraut wirkt. Erst auf den zweiten Blick enthüllt sich das, was vielleicht für einen kalten Schauer sorgen wird.

Im Unterschied zu Ihnen weiß ich bereits, was uns erwartet, auch wenn ich erst heute abend den Gruselfaktor dieser Aufnahme entdeckt habe.

Sind Sie bereit? Gerade schlägt es Mitternacht von der kleinen gotischen Kirche her, die nur wenige hundert Meter entfernt steht. Und mit einem Mal ist es wieder heller Tag – zumindest auf einem Teil des Bildes, während der Rest in rätselhaftem Dunkel verharrt:

Adler 6/24 PS; Originalfoto: Sammlung Michael Schlenger

Schon etwas merkwürdig, diese Situation an der Tankstelle, nicht wahr?

Rationale Geister werden uns nun sofort eine Erklärung für das Phänomen liefern können, das diesen Adler 6/24 PS wie im Zwischenreich von Dämmerung und strahlend hellem Tag erscheinen lässt.

Gut, das war jetzt noch nicht wirklich gruselig, oder? Gut, denn dann haben Sie das ebenfalls auch erst einmal übersehen, was sich in diesem Foto an Mysteriösem verbirgt.

Tatsächlich lässt sich erst einmal in gewohnt kühler Manier die Frontpartie des Wagens studieren – mit ein paar Handgriffen lässt er sich dem Reich der Schatten entreißen:

Fällt Ihnen hier etwas Außergewöhnliches auf? Nein? Nun, ganz rechts deutet sogar eine Hand genau darauf!

Hinter dem Adler zeichnet sich nämlich die Frontpartie eines unheimlich wirkenden mächtigen Tourenwagens ab, der offensichtlich einer anderen Hubraumklasse angehört.

Was könnte das sein? Ich tippe auf einen Dinos der frühen 1920er Jahre, aber es könnte auch ein anderes deutsches Fabrikat der Zeit kurz nach dem 1. Weltkrieg sein (Vorschläge bitte per Kommentarfunktion).

War’s das jetzt etwa schon? Nein, natürlich nicht, aber ich wollte ihren Blick erst einmal in eine andere Richtung lenken, damit der folgende Effekt umso mehr Wirkung zeigt.

Denn jetzt schauen wir mit einem Mal in ein gleißendes, beinahe übernatürliches Licht:

Das ist auf den ersten Blick eine reizvolle Situation, nicht wahr?

Man hat sogar freundlich die Tür des Adler offengelassen, als ob man uns einladen wollte, doch einfach mitzukommen? Wer wollte da widerstehen?

Doch ich warne Sie, lassen Sie sich nicht täuschen! Hier stimmt nämlich etwas nicht – die Tür ist in Wahrheit gar nicht offen!

Schauen Sie noch einmal hin: Das Rund des Kotflügels geht durch die offene Tür, wie kann das sein? Die Tür kann in der Realität nicht gleichzeitig auf und zu sein.

Nur in einer von Geistern bewohnten Welt scheint ein solches Nebeinander möglich zu sein. Sind denn diese Geister dann vielleicht sogar selbst hier abgelichtet? Ja, das sind sie.

Schauen Sie sich noch einmal den letzten Bildausschnitt an:

Plötzlich sehen sie dort die Gesichtshälfte einer jungen Frau mit Brille, die sie anschaut. Und neben dem Herrn auf der Rückbank schweben geisterhaft die Schemen eines Ohres und einer Fahrerbrille im leeren Raum…

Ein wenig gruselig fand ich das schon, als ich das entdeckte. Aber wie gesagt: Es gibt für alles eine vollkommen rationale Erklärung…

Michael Schlenger, 2023. All entries in this blog (including embedded photos) are copyrighted by the author, unless otherwise indicated. Excerpts and links may be used, provided that credit is given to Michael Schlenger and https://vorkriegs-klassiker-rundschau.blog with appropriate and specific direction to the original content.

3 Gedanken zu „Gruselfaktor inklusive: Adler 6/24 PS Tourenwagen

  1. Danke Dir, René, Du hast recht! Die Ansprache des großen Dixi korrigiere ich noch.

  2. Die zweite Aufnahme des Adler 6/24PS finde ich ebenfalls wirklich gelungen, der kleine Adler an sich ist ein wunderschönes Wägelchen bei dem ich mich auch frage, warum er immer mit den seitlichen Spritzlappen an den Kotflügeln verunstaltet wurde. Aber vermutlich gab es dieses Zubehör vom Hersteller weshalb diese wabbeligen Schürzen an so vielen Exemplaren zu sehen sind. Hat überhaupt ein einziger Adler 6/24PS bis heute überlebt?

    Beim geisterhaften schwarzen Tourer sehe ich eindeutig das Abbild eines Dixi-Wagens der frühen 1920er Jahre. Der moderate Spitzkühler, schwarz in Wagenfarbe, mit ovaler schräger Plakette sowie die umlaufende, dünne, verlötete Messingleiste zwischen Kühlereinfassung und -netz sind der erste Hinweis auf einen solchen Dixi. Die Windschutzscheibe mit Knick an der Unterseite in Richtung des giebelförmigen Windlaufs sind der Zweite.
    Die gleichen Merkmale finden sich beispielsweise an dem vor mittlerweile über 5 Jahren vorgestellten Dixi von der Familie Faensen-Löwe, den ich als Dixi S16 (13/39PS) oder als Dixi R10 oder R12 (8/24PS bzw. 10/30PS) ansprechen würde: https://vorkriegs-klassiker-rundschau.blog/2017/11/21/neubeginn-nach-dem-krieg-dixi-typ-g1-6-18-ps/
    Du hattest damals den Wagen als G1 identifiziert, was ich aber in Ermangelung von Drahtspeichenrädern und auf Grund schieren Größe mit zweiter Sitzreihe im Fond ausschließe.
    Beim schwarzen Geisterwagen würde ich ebenfalls einen Dixi S16 oder R10/R12 vermuten.

  3. Viel faszinierender als die Geisterstunde finde ich mal wieder die unglaubliche Professionalität, mit der die zweite Aufnahme entstand!
    Fast könnte man das Typenschild vorne links lesen – und die Besatzung in ihrer lebhaften Individualität empfindet man fast wie alte Bekannte, die man erst gestern getroffen hat….
    Banal dagegen ist die Ursache der Geist- Erscheinung vor der Tankstelle: hier war wohl ein stockender Transport Ursache der partiellen Doppelbelichtung
    mit dazwischen erteilen Kommando : “Zieh mal die Tür ran, Ilse!”
    Eine Solche gab bei den allfälligen Lichtbilder- Abenden
    bei meinen Großeltern, Mitte der
    Sechziger Jahre großen Anlass
    zur Heiterkeit, wenn das Bild dran kam, auf dem über erhabenem Alpenpanorama wolkengleich schwebte: die Oma – fröhlich lachend !
    Zum Ende seines langen Fotographen- Lebens streikte
    unregelmäßig aber immer öfter
    der Transportbegrenzer des Kleinbild- Vorsatzes an Großvaters Rolleiflex – weil die Einfallklinke in der Kleinbild- Rückwand Rolleikin des 6×6- Apparates durch Abnutzung unzuverlässig funktionierte. Nachdem meine jugendlichen Reparaturversuche nicht zum erwarteten Erfolg führten nutzte ich das Erbstück noch für SW- Photos in der ursprünglichen Konfiguration.

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