Fund des Monats: Ein Perl 3/14 PS Cyclecar

Meine Leser aus dem schönen Österreich werden heute vielleicht ein wenig enttäuscht sein – denn ein Cyclecar der 1920er Jahre der Automobilfabrik G.R. Perl aus Wien ist für sie vermutlich zwar ebenfalls selten, aber doch kein ganz großer Exot.

Warum ich dennoch meine, dass einer dieser kleinen Sportwagen mit weniger als 1 Liter Hubraum die Präsentation als Fund des Monats verdient, das wird sicher deutlich, wenn ich das entsprechende Foto aus dem Hut zaubere.

Kurioserweise hat es ein Enthusiast aus Australien aufgetan – Jason Palmer. Er interessiert sich von jeher besonders für europäische Vorkriegswagen und hat uns schon manches hervorragende Dokument beschert.

Zwar konnte ich hier selbst schon einmal ein Exemplar des ab 1924 gebauten 3/14 PS Perl vorstellen, doch ich muss neidlos eingestehen, dass Jason diesbezüglich der mit Abstand großartigere Fund gelungen ist:

Perl 3/14 PS Cyclecar; Originalfoto: Sammlung Jason Palmer (Australien)

Vertraut mutet die Frontpartie mit Spitzkühler, “Perl”-Kühleremblem und drei im hinteren Teil der Motorhaube angebrachten Luftauslässen an – das war’s aber auch.

Die helle Lackierung lässt das kleine Auto erwachsener aussehen als die durchweg dunkel gehaltenen Exemplare, die mir bislang begegnet sind.

Zur besonderen Wirkung trägt sicher die ausgezeichnete technische Qualität des Fotos sowie die Tatsache bei, dass uns die junge Dame am Steuer so souverän und unternehmungslustig anschaut.

Fast meint man, bei ihr eine gewisse Ungeduld zu spüren, so als wolle sie jeden Moment losfahren – ganz wunderbar eingefangen!

Was sie wohl vorgehabt haben mag? Der 10-Liter-Reservekanister in zeittypischer Dreiecksform deutet darauf hin, dass dieser Perl gern auch abseits der Städte bewegt wurde, wo Tankstellen noch eher selten waren.

Kurios muten die scheibenförmigen Abdeckungen der Räder an. Darunter dürften sich Drahtspeichenfelgen befunden haben, wie sie bei leichten Kleinwagen dieser Art meist montiert waren.

Etwas irritierend sind die sechs Radschrauben, die man eher bei einem Oberklassewagen erwarten würde. Vier davon hätten gereicht und waren Standard in dieser Größenklasse.

Was ist davon zu halten? Besaß dieser Wagen vielleicht einen leistungsgesteigerten Motor, weshalb man lieber auf eine stärkere Verbindung von Rad und Nabe setzte? Oder sollte es bloß so aussehen, als habe man es mit einem “frisierten” Sportgerät zu tun?

Merkwürdig kommt mir auch die Räumlichkeit vor, in der dieser schicke kleine Perl mit seiner charmanten Insassin abgelichtet wurde:

Perl 3/14 PS Cyclecar; Originalfoto: Sammlung Jason Palmer (Australien)

Ohne das Auto würde man hier auf einen weitgehend leerstehenden Wohnraum tippen. Das schlichte geometrische Muster am oberen Ende der Wand erinnert an strenge Varianten des Jugendstils, der im Inferno des 1. Weltkriegs sein Ende fand – wie so vieles, was Europa bis dahin so großartig gemacht hatte und unwiederbringlich dahin ist.

Kenner klassischer Möbel werden sich noch mehr für das Buchregal im Hintergrund interessieren. Es handelt sich um eine Ausführung nach dem “Wernicke”-Patent, mit nach oben aufklappbaren und nach innen schiebbaren Glastüren. Diese modular verwendbaren Möbel waren seit dem 19. Jh. in Büros verbreitet und werden bis heute gefertigt.

Ich muss das wissen, denn meine Oldtimer-Literatur ist in Regalen nach genau diesem Patent untergebracht. Bleibt die Frage, wo diese Aufnahme eines nicht gerade alltäglichen “Perl”-Cyclecar einst gemacht wurde. Sollte das eine Art “Showroom” gewesen sein?

Oder hatte sich jemand seine Garage so eingerichtet? Auch das wäre nicht völlig abwegig – die Liebe zum Automobil treibt sympathisch-merkwürdige Blüten…

Michael Schlenger, 2023. All entries in this blog (including embedded photos) are copyrighted by the author, unless otherwise indicated. Excerpts and links may be used, provided that credit is given to Michael Schlenger and https://vorkriegs-klassiker-rundschau.blog with appropriate and specific direction to the original content.

2 Gedanken zu „Fund des Monats: Ein Perl 3/14 PS Cyclecar

  1. Danke für die Erklärung der Radkonstruktion! Solche leichten und gering motorisierten Wagen der Klasse unter 1 Liter Hubraum sortiert man durchaus noch unter Cyclecars ein, auch wenn hier einzelne Elemente wie die Kotflügel “erwachsener” aussehen und (theoretisch) mehr as zwei Personen mitfahren können. Auch Cyclecars waren natürlich vollwertige Automobile, nur eben in der ganz kleinen Klasse. Bisweilen wurde auf ein Differential verzichtet, aber ansonsten waren alle Elemente vorhanden.

  2. Ausser dem Hersteller- Namen “Perl” war mir über die Tätigkeit dieser Firma bisher nichts bekannt – wie wohl fast allen Lesern!
    Hier haben wir es jedoch keineswegs mit einem Cyklecar zu tun, sondern mit dem (ersten?) Versuch Perls, ein vollwertiges Automobil herzustellen:
    Aufbau offensichtlich 3–4 sitzig,
    und eine vermutlich arg “gestreckte” Motorhaube – wie
    damal Brauch nicht nur bei Kleinwagen.
    Dann sehen wir hier zwischen
    Vorderrad und Kotflügel das Auflager einer Cantelever‐ Feder,
    hier mal an der Vorderachse zur Abwechslung.
    Das Intwressanteste für den Fertigungstechniker sind aber diese merkwürdig zusammenge- nieteten Räder: Ein Versuch offenbar, mit der sehr bescheidenen maschinellen Ausstattung einer kleinen aufstrebenden Auto- Manufaktur, Scheibenräder selbst herzustellen, indem man aus relativ dünnem Blech eine Scheibe schneidet, einen Rand mit der Rollnaschine anrollt, zum Annieten der zugekauften Wulstfelge. Der Nietenkranz auf halben Durchmesser verrät, daß
    hier die Stabilität durch ein unter Vorspannung gegengesetztes Blech-“Hütchen” gegengenietet war und dazwischen die eigentliche Nabe (vermutlich Zukaufteil) einschließt, die, wie wir sehen, mit zwei Kränzen Nieten mit der stärkeren Trägerscheibe aussen vermietet wurde, die die Radscheibe fest an den äußeren Nabenflansch pressen mußte (daher auch die 6 Radschrauben !).
    Eine intessante Konstruktion, stellt sie doch den Versuch dar, die Statik der dreidimensionalen Verspannung des Drahtspeichenrades mit einfachen Blechscheiben zu erreichen (und unabhängig von den großen Räder- Herstellern zu sein)!
    In Deutschland waren das ja Hering und Kronprinz , nach dem
    WK 2 dann in Westdeutschland auch Südrad. In Frankreich war ja schon sehr früh Michelin quasi Monopolist !

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