Wirklich gigantisch! Stoewer G15 Pullman-Limousine

Werbung hat mit Wirklichkeit nur entfernt zu tun – nirgends wird soviel gelogen wie im Krieg, vor den Wahlen, nach der Jagd und in Produkt-Reklamen. Das war schon immer so und die meisten Leute wissen das.

Der Mensch hört aber auch allzugern, dass etwas ganz und gar vollkommen ist, auch wenn die Lebenserfahrung dagegen spricht. Von dieser Paradoxie leben jede Menge Trittbrettfahrer – seien es Religionsstifter, Kosmetikahersteller oder Autobauer.

Heute bringe ich ein seltenes Beispiel dafür, dass Werbung bei aller fragwürdigen Fabulierlust auch vollkommen wahrhaftig sein kann:

Stoewer G15 “Gigant” Pullman-Limousine; Originalreklame: Sammlung Michael Schlenger

Diese wahrhaft gigantische Pullman-Limousine gehörte bei ihrem Erscheinen 1928 zur “internationalen Sonderklasse” – das zusätzliche Attribut “exklusiv” besagt dasselbe, ist also nur Werber-Lametta.

Der “hochstehendste und erprobteste” Achtzylinder ist nicht global verabsolutierend zu verstehen, sondern als “äußerst hochstehend und äußerst erprobt”. Wer Lateinunterricht genossen hat, kennt den Elativ “Jupiter Optimus Maximus” – formal dem Superlativ entsprechend, aber faktisch nicht vergleichend gemeint (es gab ja nur einen Jupiter).

Auch hier können wir den Stoewer-Werbern also keinen Fehler nachweisen. Raffiniert, da unwiderlegbar ist auch die Aufforderung “Fragen Sie alle, die einen fahren“. Dazu muss man nämlich erst einmal die Stecknadel im Heuhaufen finden, bei 650 gebauten Exemplaren…

Denn auch wenn der Stoewer-Achtzylinder mit Aufbau als Pullman-Limousine als “Gigant” verkauft wurde, blieben die Stückzahlen viel zu gering, dass man jemanden finden konnte, der ihn fuhr – erst recht “seit Jahren“.

Wir sind heute – über 90 Jahre später – zwar in der bedauernswerten Situation, dass niemand mehr Wagen dieses Kalibers baut, dennoch sind wir privilegiert: Wir können nämlich auf historisches Fotomaterial zugreifen, das genau diese Giganten zeigt.

Beginnen wir mit dieser Aufnahme einer Stoewer-Pullman-Limousine (aus meiner Sammlung), die an einem unbekannten Ort entstand:

Stoewer G15 “Gigant” Pullman-Limousine; Originalfoto: Sammlung Michael Schlenger

Haben Sie Zweifel daran, dass dieses kolossale Gefährt mit seinem geräumigen Sechsfenster-Aufbau zu “internationalen Sonderklasse” im Automobilbau gehörte?

Nein? Dann liegen Sie richtig. Denn mit seinem 4 Liter messenden und 80 PS starken 8-Zylindermotor begegnete der Stoewer “Gigant” leistungsmäßig der Ende der 1920er Jahre extrem starken US-Konkurrenz auf Augenhöhe.

Was fehlte, war freilich die Fähigkeit der amerikanischen Hersteller zur Großserienproduktion, welche solche Wagen in den Stückzahlen und zu den Preisen verfügbar machte, die der Nachfrage am Markt entsprachen.

Es mangelte also nur an hinreichend entwickelten kapitalistischen Verhältnissen, nicht an der Konstruktionskompetenz als solcher. Auch in gestalterischer Hinsicht war die Lobeshymne der eingangs gezeigten Stoewer-Reklame in diesem Fall vollkommen berechtigt.

Dieser weit über fünf Meter lange Wagen mit 3,40 Meter Radstand und 1,95 Meter Höhe war für seine außerordentlichen Dimensionen geradezu vollkommen proportioniert.

Das wird spätestens an der zweiten Aufnahme eines Stoewer G15 “Pullman-Limousine” deutlich, die ich heute präsentieren möchte – ich verdanke sie Matthias Schmidt (Dresden):

Stoewer G15 “Gigant” Pullman-Limousine; Originalfoto: Sammlung Matthias Schmidt

Entgegen meinen sonstigen Gepflogenheiten erspare ich mir (und Ihnen) eine eingehende Beschreibung der Details dieses grandiosen Fahrzeugs.

Nur eines will ich in aller Subjektivität festellen: Ich wüsste nichts, was man an dieser Erscheinung beanstanden könnte.

Für mich ist hier alles perfekt ausbalanciert, immer wieder will das Auge diesen himmlischen Längen folgen, welche durch die horizontalen Luftschlitze betont werden.

Wirklich gigantisch! Dabei könnte man es bewenden lassen.

Doch wollen wir heute den Reklameleuten von Stoewer den Raum geben, den sie verdienen – für mich verdienen sie ebenso Anerkennung wie die Konstrukteure und Gestalter des “Gigant”.

Wie genial ist beispielsweise diese Werbeabbildung, die eher am Rande einen Stoewer G15 “Gigant” zeigt? Und: nein, das ist kein willkürlicher Bildausschnitt:

Stoewer G15 “Gigant”; Originalreklame: Sammlung Michael Schlenger

“Happy End” trifft es zwar auf den ersten Blick – aber auch der zweite Blick kann sich lohnen.

Es musste auch Ende der 1920er Jahre nicht immer ein Paar wohlgeformter Frauenbeine sein, was den automobilen Assoziationen auf die Sprünge half.

Ein kurioses Beispiel dafür fand ich vor einiger Zeit. Es zeigt einen nackten Sportler, der entschlossen, wenn auch ein wenig missgelaunt, seinem Ziel zustrebt.

Was er mit dem Speer vorhat – wenn es einer ist – bleibt im Ungewissen. Werfen dürfte jedenfalls schwierig werden bei dieser Handhabung. Vielleicht sehen wir nur den Ausschnitt einer Lanze, was eher sinnvoll wäre. Doch sehen Sie selbst:

Stoewer G15 “Gigant”; Originalreklame: Sammlung Michael Schlenger

Kraftbewusst” – das ist eine wahrhaft originelle Wortschöpfung eines unbekannten Werbers und sie wird einem Fahrzeug gerecht, das eines wirklich wahr: gigantisch.

Michael Schlenger, 2023. All entries in this blog (including embedded photos) are copyrighted by the author, unless otherwise indicated. Excerpts and links may be used, provided that credit is given to Michael Schlenger and https://vorkriegs-klassiker-rundschau.blog with appropriate and specific direction to the original content.

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