Der Sommer ist da, jedenfalls in der hessischen Wetterau, in der ich großgeworden bin und wo ich, von einem Intermezzo in Wiesbaden abgesehen, immer gewohnt habe.
Die Außentemperatur betrug heute laut Angabe meines Nachkriegsautos rund 28 Grad, das war aber im Sonnenschein. Das alte Quecksilberthermometer an der Ostwand meiner Oldtimerhalle, die immer im Schatten liegt, zeigte dagegen 24 Grad an.
Unter dem prächtigen alten Maronenbaum im Garten war die Luft auch mittags angenehm kühl – unter der endlos sengenden Sonne kam sie mir dagegen heiß vor.
Wie warm war es heute wirklich? Das kann niemand genau sagen, nur eines weiß ich: An solchen Tagen erreiche ich meine Betriebstemperatur. Und da ich noch nicht genug hatte, schwang ich mich gegen 19 Uhr auf’s Rad.
Eine Feierabendrunde mit meinem “Dixi” der 1950er Jahre – das Markenemblem mit dem galoppierenden Kentauren ist noch lupenreine Vorkriegszeit. Die Technik ist es auch: Keine Schaltung, Stempelbremse vorne, Rücktrittbremse hinten, knallharter Ledersattel.
Meidet man Steigungen und mutet sich was zu, lässt sich so ein alter Drahtesel flott pedalieren. Bei Rückenwind waren zeitweise 35 km/h zu verzeichnen, eine Tempoanzeige innerorts zeigte 30 km/h, der Schnitt errechnete sich schließlich mit über 25 km/h.
Spätestens danach ist einem sehr sommerlich zumute, vor allem wenn man den Winter über nichts für die Fitness getan hat. Aber nach ein paar solchen Trainingsrunden wird das schon.
Zuverlässigster Anzeiger für sommerliche Verhältnisse ist ohnehin der sich einstellende Teint. Damit wären wir beim Foto, das ich Ihnen heute präsentieren möchte.
Sie erinnern sich vielleicht an diese Aufnahme eines Ansaldo-Tourers, der einst an einem Wintersportort fotografiert wurde:

Vergessen Sie die Jahreszeit und studieren stattdessen einige Details: die Gestaltung von Kühler, Stoßstange und Kotflügeln, auch die ungewöhnlich niedrige Seitenlinie.
Diesen adretten Tourer hatte ich seinerzeit als Ansaldo 6B von 1927/28 identifiziert. Daran bestehen aus meiner Sicht nach wie vor wenig Zweifel – wer es besser weiß, soll es uns sagen (wir lernen alle gern dazu).
Zu beanstanden habe ich hier nur die abgebildete Situation, irgendwie prosaisch. Ein technisch makelloser und gut aussehender Wagen zwar wie praktisch alle italienischen Automobile jener Zeit, nur will mir das Personal daneben nicht so recht in den heiß ersehnten Süden passen.
Das muss an der Jahreszeit und der Kleidung gelegen haben. Denn ein weitgehend identischer Ansaldo mit sommerlich gebräunten Insassen hat doch gleich eine ganz andere Anmutung, nicht wahr?

Das ist ein Foto ganz nach meinem Gusto und die abgebildeten Automobilisten sehen so sehr nach Sommer aus, dass man neidisch werden könnte – wenn man nicht schon selbst etwas für die gesunde Bräune getan hat.
Diese Herrschaften haben offensichtlich nicht nur Nase, Stirn und Wange der Sonne exponiert, hier wurde zweifellos viel Haut der Strahlung unseres Zentralgestirns dargeboten.
Gleichzeitig weiß man sich geschmackvoll (d.h. für die Mitmenschen erfreulich) zu kleiden. Fernglas und Rolleiflex-Kamera sehen schwer nach Reise aus.
Daran und dass es sich bei dem eleganten Tourenwagen um einen Ansaldo 6B der späten 1920er Jahre handelt, besteht wenig Zweifel, meine ich.
Aber wo genoss man einst diese Sommerfreuden? Das Nummernschild verweist auf eine Zulassung anno 1938 – als der Ansaldo schon rund zehn Jahre alt war. Doch ansonsten sagt mir das Kennzeichen nichts.
Die sehr niedrige laufende Nummer spricht für einen Zwergstaat oder eventuell ein Land mit damals extrem geringem Motorisierungsgrad – eventuell ein Staat in Südosteuropa.
Wer kann uns sagen, wo dieses schöne Dokument einst entstand, das von einem prächtigen Sommer erzählt, kurz bevor in Europa das Licht der Zivilisation ausging?
Michael Schlenger, 2023. All entries in this blog (including embedded photos) are copyrighted by the author, unless otherwise indicated. Excerpts and links may be used, provided that credit is given to Michael Schlenger and https://vorkriegs-klassiker-rundschau.blog with appropriate and specific direction to the original content.
Vielen Dank, wieder was gelernt!
Hallo Herr Schlenger, ich würde auch auf das Königreich Jugoslawie tipen. die “7” steht für die “Banschaft Zeta” was heute etwa Montenegro ist
Gruß
Jörg Zborowska
Klasse, danke!
Sehr geehrter Herr Schlenger!
Es dürfte sich um ein Kennzeichen des Königreiches Jugoslawien handeln.
Mit besten Grüßen
R. F.