Ein Unentschieden – rein wettbewerbsmäßig betrachtet kein befriedigender Zustand. Es gibt aber eine Ausnahme, nämlich dann, wenn man so souverän ist, dass man auch damit gut leben kann.
Diesen Fall will ich heute illustrieren, und zwar anhand einer Aufnahme, die dermaßen eindrucksvoll ist, dass man das Bedürfnis nach genauer Aufklärung, womit man es zu tun hat, erst einmal hintanstellt.
Das Foto, welches ich Leser Klaas Dierks verdanke, entstand ab Mitte der 1930er Jahre in der Schweiz, jedenfalls verweist das Kennzeichen auf eine Zulassung in Zürich. Die Kühlergestaltung verrät, dass wir einen Packard vor uns haben:
Da endet dann auch die Klarheit, was in Anbetracht des Motivs nicht weiter schlimm ist…

Großartig, nicht wahr? Und obwohl es sich unverkennbar um ein amerikanisches Fabrikat handelt, passt seine Gestaltung ausgezeichnet zur neobarocken Architektur im Hintergrund.
Das ist nach meiner Wahrnehmung übrigens eine Besonderheit von Vorkriegswagen, sie fügen sich meist ausgezeichnet ins historisch gewachsende städtische Umfeld ein.
Der Wagen ist aus kniender Position heraus abgelichtet worden, hier betätigte wohl ein begabter Amateur mit ausgezeichneter Kamera den Auslöser.
Harmonisch proportioniert wirkt das Auto hier, dabei haben wir es mit einem ziemlichen Brocken zu tun, wie wir noch sehen. Der Aufbau als zweitüriges Cabriolet lässt das Fahrzeug viel kompakter erscheinen, als es in Wahrheit war.
An dieser Stelle ist zu ersten Mal ein “Unentschieden” zu konstatieren. Denn die Amis pflegten eine solche Karosserie als “Coupe-Roadster” zu bezeichnen – eigentlich ein Widerspruch, aber mit Logik braucht man auf diesem Sektor nicht zu kommen.
Bei geschlossenem Verdeck jedenfalls wirkte dieser Wagen wie ein Coupé, während die geöffnete Variante wegen der Beschränkung auf zwei Türen in den Staaten als Roadster durchging. In Europa wäre das ein Unding gewesen.
Wenn man sich bei der Karosserie schon nicht festlegen kann, wie sieht es dann beim Baujahr aus? Ist da mehr als ein Unentschieden drin?
Dazu gilt es die US-Vorkriegsautobibel zu konsultieren, den “Standard Catalog of America Cars” bis 1942. Über 1.600 Seiten umfasst meine Ausgabe, und das ist auch dringend nötig, da es in den Staaten gegenüber Europa einst ein Vielfaches an Marken gab.
Die Herausgeber – Beverley R. Kimes und Henry A. Clark – setzten in diesem monumentalen Werk auf die Kooperation unzähliger Markenspezialisten – das Gegenteil der Eigenbrötlerei, welche hierzulande in Sachen Vorkriegsauto betrieben wurde und wird.
Trotz dieser Quelle muss es im Fall unseres Packard vorerst bei einem Unentschieden bleiben, was das Baujahr angeht – 1935 und 1936 kommen gleichermaßen in Betracht.
Im Modelljahr 1933 finden sich zwar erstmals die Stoßstangen mit dem pilzförmigen Abschluss, wie hier zu besichtigen, aber die geneigte Kühlerfront gab es erst ab 1935:

Doch auch 1936 scheint man den Wagen äußerlich unverändert angeboten zu haben, keine Selbstverständlichkeit bei US-Fabrikaten jener Zeit, welche stilistisch oft jährlich weiterentwickelt wurden.
Auch unter der Motorhaube tat sich von 1935 auf 1936 nur wenig.
Die Leistung des “kleinen” Achtzylinders stieg von 110 auf 120 PS – dieses Modell war in den USA übrigens als gehobene Mittelklasse klassifiziert. Der mittlere Achtzylinder musste sich mit weiterhin 130 PS “begnügen”, und der große Super Eight kam mit 150 PS aus.
Beibehalten wurde auch die Motorisierung des 175 PS leistenden Zwölfzylinders. Wer wollte, konnte mit speziellen Zylinderköpfen gar 180 PS abrufen, wenn ihm danach war.
Die damit erreichbare Spitzengeschwindigkeit von über 160 km/h war eher theoretischer Natur, wichtiger war das das kolossale Drehmoment des 7,8 Liter großen V12-Aggregats. Denn damit konnte man sich das Schalten weitgehend sparen.
Im großen Gang anfahren und einfach durchbeschleunigen, das ist etwas, das heutige Autofahrer in Zeiten des “Downsizing” sich nicht annähernd vorstellen können.
Schön und gut – aber was für ein Motor verbarg sich denn nun genau unter der Haube des in Zürich zugelassenen Packard auf dem heute präsentierten Foto?
Tja, auch hier muss ich vorläufig sagen: Unentschieden.
Auf obigem Bildausschnitt sieht man Drahtspeichenräder, die laut Literatur dem 12-Zylindermodell vorbehalten waren. Doch ganz verlassen will ich mich auf dieses Indiz nicht, denn ein Kunde konnte sie dennoch als Extra geordert haben, die seltenen Chromscheinwerfer scheinen auch eines gewesen zu sein.
So bleibt es am Ende doch eher beim Unentschieden, wobei dies bei der formalen wie leistungsmäßigen Souveränität des Packard verkraftbar erscheint…
Zum Abschluss noch ein kurzer Rundgang um ein überlebendes Exemplar des 1935 Packard als Coupe-Roadster mit V12-Motor:
Michael Schlenger, 2023. All entries in this blog (including embedded photos) are copyrighted by the author, unless otherwise indicated. Excerpts and links may be used, provided that credit is given to Michael Schlenger and https://vorkriegs-klassiker-rundschau.blog with appropriate and specific direction to the original content.