Pech mit Haltung tragen: Ein Puch “Alpenwagen”

Guten Stil kann man sich nicht kaufen – schon gar nicht auf Kosten Dritter wie im Berliner Politbetrieb neuerdings schamlos vorgeführt. Stil bekommt man anerzogen und vorgelebt, irgendwann entwickelt man ihn dann zu einer persönlichen Angelegenheit.

Welcher Stil das dann ist, darauf kommt es gar nicht so an – jedenfalls wäre es langweilig, wenn alle denselben Ikonen nacheiferten. Nur zu einem passen sollte ein Stil auch, ansonsten macht man sich leicht lächerlich, da helfen auch Berater und Fotografen nicht.

In dieser Hinsicht kann man immer wieder von unseren Altvorderen lernen. Natürlich hatten auch die ihre Vorbilder aus Magazinen, Film und Theater. Denn nicht jedem ist es gegeben, selbst zu einer Stilkone zu werden wie heute etwa der New Yorker Dandy Wellington.

Aber wenn jemand seinen Stil gefunden hat, dann erkennt man das daran, dass jemand nicht verkleidet wirkt, sondern ganz er selbst bleibt und das auch dann, wenn sonst einiges schiefgelaufen zu sein scheint:

Puch “Alpenwagen”; Originalfoto: Sammlung Michael Schlenger

Haben Sie schon jemals jemanden so souverän und mit sich selbst im Reinen (im wahrsten Sinne des Wortes) gesehen, der gerade das Pech hatte, an seinem Wagen unterwegs eine Reparatur vornehmen zu müssen?

Wir kommen am Ende auf diesen Herrn mit seiner bemerkenswerten Haltung zurück, keine Sorge.

Doch zuvor gilt es, der schwierigen Frage nachzugehen, wer der Hersteller dieses Tourenwagens der frühen 1920er Jahre – noch ohne Vorderradbremse – war.

Ich hatte das Foto eigentlich nur wegen der faszinierenden Situation erworben, nicht hoffend, dass man auch noch das Fabrikat würde ermitteln können.

Denn nur schemenhaft erkennt man am Spitzkühler seitlich ein Emblem, das keines eines deutschen Autobauers zu sein scheint, auch wenn der Stil des Wagens “deutsch” wirkt.

Ich wäre vermutlich nicht so leicht oder gar nicht darauf gekommen, hätte mir nicht ein Sammlerkollege aus dem fernen Australien, Jason Palmer, vor einiger Zeit aus seinem Fundus diese Aufnahme in digitaler Form übermittelt:

Puch “Alpenwagen”; Originalfoto: Sammlung Jason Palmer (Australien)

Der Aufbau mit sogenannter Tulpenkarosserie war typisch für deutsche und österreichische Tourenwagen aus der Zeit direkt nach dem Ersten Weltkrieg.

Typisch dafür ist der nach oben breiter werdende Karosseriekörper, auf den ein mehr weniger nach innen geneigter oberer Abschluss folgt.

Solche Aufbauten waren vollkommen markenunabhängig im deutschen Sprachraum verbreitet; man muss sie eigentlich ignorieren, will man den Hersteller ermitteln. Denn der bot denselben Typ parallel mit einer Vielzahl anderer Karosserien an.

Daher bleibt wie so oft nur der Fokus auf den Vorderwagen, wenn man das Fabrikat ermitteln will. Schauen wir also genauer hin:

Puch “Alpenwagen”; Originalfoto: Sammlung Jason Palmer (Australien)

Mir fiel hier als Erstes das Markenemblem ins Auge, das sich als das der Grazer Firma Puch identifizieren ließ. Es löste nach dem 1. Weltkrieg das erst 1915 eingeführte mit dem nunmehr obsolet gewordenen Doppeladler ab. Auch Puch blieb nichts anderes übrig, als den Verlust des Habsburger Reichs mit Haltung zu tragen.

Puch hatte nach Kriegsende nur noch zwei Automobilmodelle im Programm, die beide den Zusatz “Alpenwagen” trugen. Das eine war ein neuer Typ mit Motorisierung 6/20 PS (Typ XII), den man meines Erachtens an den fünf Radbolzen erkennen kann.

Daneben wurde das noch aus der Vorkriegszeit stammende Modell 14/38 PS (Typ VIII) in modernisierter Form weitergebaut. Er besaß nicht nur einen längeren Radstand, sondern auch sechs Radbolzen, wenn ich richtig liege.

Mit dieser vielleicht etwas banal anmutenden Erkenntnis ausgestattet kehren wir nun zum Ausgangspunkt unserer Betrachtung zurück.

Denn der vom Pannenpech verfolgte Wagen war eindeutig ebenfalls ein Puch und sehr wahrscheinlich ein Exemplar des großen Typs 14/38 PS. Darauf deuten das Kühleremblem, die sechs Radbolzen und überhaupt die Gestaltung des gesamten Vorderwagens hin:

Schön, dass sich so doch noch die Identität des Wagens mit einiger Sicherheit klären ließ.

Aber mich begeistert ohnehin etwas anderes: Der scheinbare Kontrast zwischen dem piekfein gekleideten Mann mit Nadelstreifenhose, polierten Halbschuhen und gerade einmal so hoch wie nötig gekrempeltem Oberhemd einerseits und der handwerklichen Tätigkeit, die er gerade zu seiner Zufriedenheit verrichtet hat.

Jetzt wäscht er sich die Hände, bevor es weitergehen kann, als sei nichts gewesen. Das hat einen Stil, vor dem man nur den Hut ziehen kann! Denn ein echter Gentleman muss sich ebenso die Krawatte oder Fliege binden können wie einen Reifen wechseln können.

Nach dem Schrauben am Automobil immer noch auszusehen wie ein Filmstar, das muss man erst einmal hinbekommen. Heute haperts bei den Herren meist schon an der Fähigkeit anzupacken, Pech auch noch mit solcher Haltung zu tragen, das ist dann ganz zuviel verlangt…

Michael Schlenger, 2023. All entries in this blog (including embedded photos) are copyrighted by the author, unless otherwise indicated. Excerpts and links may be used, provided that credit is given to Michael Schlenger and https://vorkriegs-klassiker-rundschau.blog with appropriate and specific direction to the original content.

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