Spurensuche: Beckmann-Automobile (Folge 4: 1905)

Die zweite Oktoberhälfte hat bereits begonnen und erstmals sind in meiner Heimatregion – der hessischen Wetterau – die Temperaturen nachts auf knapp über den Gefrierpunkt gefallen.

Ich habe es mir zur Gewohnheit gemacht, das Nahen der kühlen Jahreszeit so lange zu ignorieren und ohne Jacke vor die Tür zu gehen, wie es noch mindestens 10 Grad sind. Doch dies lässt sich nun nicht mehr durchhalten, auch in der Werkstatt habe ich erstmals den Gasstrahler anwerfen müssen, da einem sonst die Kälte in die Knochen kriecht.

Im Haus wartet der im letzten Jahr vorausschauend installierte Kaminofen auf den ersten Betrieb – wohlig warme Winterabende vor glühenden Scheiten stehen in Aussicht.

Doch für’s Erste genügt noch die Gastherme, die ich nach 35 Jahren Betrieb – ebenfalls vorausschauend – ersetzt habe. An dieser Front herrscht nun Ruhe – komme da, was wolle.

Jetzt ist zwar die Kasse leer, doch dafür lässt sich der Blick wieder entspannt auf die erbaulichen Dinge im Leben richten – die nächste Folge meiner Beckmann-Spurensuche, die ich seit Juli 2023 zusammen mit dem Urenkel von Paul Beckmann – Christian Börner – unternehme.

Dank seiner Informationen und Dokumente lässt sich ein weit umfassenderes und in manchen Details präziseres Bild der Beckmann-Automobilproduktion im schlesischen Breslau zeichnen.

Damit soll keineswegs einer noch ausstehenden Gesamtdarstellung der Beckmann-Historie vorgegriffen werden, welche dereinst Buchformat annehmen könnte.

Vielmehr geht es darum, neues Interesse an dieser einst renommierten Firma zu wecken und Gleichgesinnte zu veranlassen, in ihren Archiven nach weiteren Beckmann-Relikten zu fahnden – seien es Fotos, Reklamen, Prospekte, Besprechungen oder auch Plaketten oder andere Fahrzeugteile.

Bislang waren wir auf unserer Spurensuche erst bis Anfang 1905 gelangt. Eigentlich könnte man jetzt wieder zwei, drei Jahre der Firmenhistorie zusammen abhandeln, doch 1905 war ein so bedeutendes Jahr für Beckmann, dass ich die heutige Folge darauf beschränken will.

Welche Zäsur das Jahr 1905 markiert, das wird deutlich, wenn man sich vor Augen ruft, mit was für Fahrzeugen Beckmann noch in dieses Jahr getreten war und mit was für Wagen man es beendete.

Hier werfen wir einen Blick in die Auslieferungshalle von Beckmann, in der 9 oder 10 auslieferungsbereite Autos der Typen XIV, XV, XVII und XVIII versammelt sind. Alle diese Modelle wurden bis 1905 gebaut – sie wirken überwiegend noch recht archaisch:

Beckmann-Auslieferungshalle, aufgenommen 1904/05; Fotoquelle: autopolska.eu (via Christian Börner)

Das Auto rechts hinten ist das modernste – wie an der Kühlerpartie zu erkennen ist, handelt es sich sehr wahrscheinlich um den 30 PS starken Typ XVIII.

Von dieser Gestaltungsweise sollte Beckmann noch im Lauf des Jahres 1905 Abschied nehmen. Adieu sagte man auch der bis dahin gängigen Chassis-Konstruktion aus miteinander verschraubten Rohren und ging zum klassischen Leiterrahmen über.

Von 1905 an verbaute Beckmann – vom 6,5 PS-Einzylinder- abgesehen auch nur noch selbstentwickelte Motoren, wie schon beim 1904 eingeführten Typ XVIII.

Die Vielzahl der angebotenen Aggregate lässt die folgende Reklame erkennen, die zugleich die entfesselte Schaffenskraft der Entwickler bei Beckmann illustriert:

Beckmann-Reklame von 1905; Original via Christian Börner

Die bemerkenswerte Motorenvielfalt kündet von den weitreichenden Ambitionen, mit denen Paul Beckmann am deutschen Markt auftrat. Es ist offensichtlich, dass man damit mehr als nur einen lokalen Bedarf stillen wollte – dazu später mehr.

Freilich gilt es zu bedenken, dass mehrere dieser Motoren weitgehend baugleich waren und sich nur im Hubraum unterschieden.

Eine weitere Erklärung könnte laut Christian Börner darin liegen, “dass mit bestimmten Motoren bzw. deren möglichen Leistungen geworben wurde und wenn sich genügend Kunden dafür fanden, wurde ein solcher Motor gebaut.  Da es damals noch keine Serienproduktion gab, bedurfte es keiner riesigen Investitionen für komplexe Fertigungsmaschinen. Interessierte sich kein Kunde dafür, verschwand so ein nie gebauter Motor wieder aus den Annoncen.”

Dies scheint auch bei besser dokumentierten frühen Autoherstellern so gehandhabt worden zu sein. Ähnliches galt übrigens für das Karosserieangebot: nicht alles, was man den Kunden an Aufbauten offerierte, wurde auch tatsächlich gefertigt.

Interessant ist daneben die Frage, ob die Erwähnung regionaler Vertriebspartner in Reklamen auch bedeutete, dass diese tatsächlich Beckmann-Wagen an den Mann brachten. Dies ist nach gegenwärtigem Stand schwer zu beantworten.

In der bis heute dürftigen (und heillos veralteten) Literatur über die zahlreichen deutschen Autohersteller aus der Zeit vor Mitte der 1920er Jahre findet sich die Vermutung, dass Beckmann nie mehr als regionale Bedeutung in Schlesien erlangte.

Mir kam diese Behauptung schon immer unplausibel vor – die Großstadt Breslau und Schlesien allgemein waren auf vielfältige Weise mit der Reichshauptstadt Berlin verbunden – verkehrstechnisch, handelsmäßig und sehr oft auch ganz persönlich, wie ich aus der Familiengeschichte meiner in Liegnitz gebürtigen Mutter weiß.

Dass in Berlin als Hauptabsatzmarkt für Automobile keine Beckmann-Wagen gefahren sein sollen, ist schon von daher völlig abwegig. Tatsächlich machte die Firma dort gute Geschäfte mit Droschken beispielsweise, so Christian Börner.

Doch war Beckmann als Automarke auch in anderen bedeutenden Regionen des Deutschen Reichs vertreten. Das von Pommern bis an den Rhein reichende Vertriebsgebiet macht die folgende Reklame von 1905 anschaulich:

Beckmann-Reklame von 1905; Original via Christian Börner

Vor diesem Hintergrund möchte ich meinen Aufruf erneuern, weitere Dokumente zu Beckmann-Automobilen in digitaler Form einzureichen, damit sich das Bild dieser Marke vervollständigen und schärfen lässt.

Das gewachsene Selbstbewusstsein von Beckmann als hervorragender Automobilhersteller schlug sich nicht zuletzt im 1905 geänderten Erscheinungsbild der Kühlerpartie nieder. Nicht nur erhielten die Wagen einen ansprechend gestaltes Kühlergehäuse, sie trugen nun erstmals auch das Beckmann-Firmenemblem an der Front.

Beides ist gut auf der folgenden Aufnahme des Beckmann-Stands auf der Internationalen Automobil-Ausstellung in der Berlin 1905 zu erkennen:

Beckmann-Stand auf der IAA 1905; Abbildung aus Sammlung Christian Börner (Pinneberg)

Dass Beckmann einen Platz im gehobene Segment des deutschen Automobilmarkts beanspruchte, wird nicht zuletzt daran deutlich, dass 1905 ein neues Spitzenmodell für das Folgejahr konstruiert wurde, welches nunmehr 40 PS leistete.

Was Beckmann mit diesem 40 PS-Typ in den Jahren 1906 und 1907 publikumswirksam anstellte, das ist so spannend, dass es eine eigene Betrachtung in der nächsten Folge unserer Spurensuche verdient.

Hier als kleiner Vorgeschmack eine Seitenansicht dieses 8,6 Liter-Giganten:

Beckmann 40 PS-Typ von 1906; Abbildung via Christian Börner (Pinneberg)

Mitte November gibt es das Gerät dann aus vorteilhafterer Perspektive zu bestaunen – und zwar mit Firmenchef Paul Beckmann höchstselbst am Steuer!

Michael Schlenger, 2023. All entries in this blog (including embedded photos) are copyrighted by the author, unless otherwise indicated. Excerpts and links may be used, provided that credit is given to Michael Schlenger and https://vorkriegs-klassiker-rundschau.blog with appropriate and specific direction to the original content.

7 Gedanken zu „Spurensuche: Beckmann-Automobile (Folge 4: 1905)

  1. Hallo, Herr Börner!
    Vielen Dank für Ihre Würdigung meines Hinweises.
    Breslau als Heimat meiner Großmutter war mir von Erzählungen und den Fotos in Familienalben und alten Stadtansichten in Büchern schon von Kleinauf vertraut.
    Ihr Vater war Rektor der städtischen Volksschule und hat
    evtl. Ihre Familie gekannt in dieser Eigenschaft.
    Meine Oma hatte dann ca. 1911- 13 noch studiert, sozusagen als Aufbaustudium fürs höhere Lehramt – Biologie , Geografie und Germanistik. Erst seit 1908
    waren in Preussen Frauen zum Studium zugelassen!
    Grüße aus Sachsen von
    Dieter Weigold

  2. Ja, lieber Herr Weigold, völlig richtig: seit dem 22. September dieses Jahres ist eine polnisch-/englisch-sprachige Erinnerungstafel am ehemaligen Beckmann-Bürogebäude angebracht. Ich durfte sie – als Urenkel des Paul Beckmann – quasi enthüllen. Zuvor ist dieses Gebäude, das in einem bedauernswerten Zustand war, unter Denkmalschutz gestellt und aufwändig restauriert worden. Sämtliche anderen Firmengebäude und Fabrikhallen sind vor 5 bis 6 Jahren vollständig abgerissen worden. Im Anschluss daran ist ein großen Wohnkomplex, der den Namen “Nowa Manufaktura” (neue Fabrik) trägt, entstanden.
    Einige Jahre lang hatte ich mich intensiv dafür eingesetzt, mit großer Unterstützung durch einen kleinen Kreis ortsansässiger Interessierter. Dass man dort inzwischen mit der deutschen Vergangenheit offen und interessiert umgeht, kann ich nur bestätigen. Am Tag nach der Anbringung der Tafel habe ich einen sehr gut besuchten (gedolmetschten) Vortrag über Beckmann gehalten, der große Resonanz hervorrief.
    Das krasse Gegenteil mit Deutsch-Feindlichkeit und Leugnung der deutschen Vergangenheit ist mir bei meinem ersten Besuch (nach meiner Geburt) 1973 widerfahren. Es war frustrierend!
    In einer späteren Folge dieses Sub-Blogs “Spurensuche: Beckmann-Automobile” werde ich auf die Erinnerungstafel eingehen.
    Christian Börner

  3. Nachtrag:
    Zu finden unter ” wroclaw.pl ” !

  4. Dem Internet entnehmen wir, daß Nach der Neubebauung des Geländes des ehemaligen Beckmann- Standortes in Wrozlaw mit einem Wohnkomplex Name der Anlage und eine Gedenktafel an die früheren Beckmann- Werke erinnern!
    Ich stellte bei Kontakten zu Mitarbeitern der dortigen Uni
    fest, daß man heute in der jüngeren Bevölkerung W’s. sehr
    aufgeschlossen gegenüber der deutschen Vergangenheit Schlesiens ist und diese auch würdigt und erforscht!
    Es hätte in der älteren Bevölkerung bei Einführung des
    heutigen Kfz-Kennz. (DW für
    Dolny slasky / Wroclav) Bedenken gegeben, daß “D” könnte mit ” Deutsch” assoziiert
    werden….

  5. Ja, der Begriff der “Fertigmacherei” ist mir auch schon begegnet. Die großen Hubräume hatten bei längeren Reisen mit bergigen Abschnitten schon ihre Berechtigung, da sie dank enormen Drehmoments den Schaltaufwand minimierten und so auch vollbesetzte schwere Aufbauten relativ anstrengungslos über die Pässe kamen.

  6. Interessant ist hier der Blick in die “Endmonage” , die damals meist als ” Fertigmacherei” bezeichnet wurde und die der hochmögenden Kundschaft gerne gezeigt wurde.
    Erstmals sehe ich hier komplett vernickelte Räder und ganze nickelglänzende Konstruktionsteile die für den hohen Geltungs- Anspruch des Herstellers sprechen!
    Tatsächlich setzte in diesen Jahren vor der großen Katastrophe des Weltkrieges mit dem exponentiell steigenden Selbstbewußtsein der Konstrukteure ein erster Leistungswettlauf ein, der, mangels anderer Möglichkeiten, in immergroßzügigeren Hubräumen zum Ausdruck kam.
    “Ausfahren” konnte man diese Boliden mangels geeigneter “Schnell”- Straßen und leistungs- gerechter Brems‐ und Fahrwerkstechnik fast nirgends.

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