Spurensuche: Beckmann-Wagen (Folge 3: Wieder 1903)

Heute geht es weiter auf der im Juli begonnenen Suche nach Spuren der einst im schlesischen Breslau beheimateten Automarke Beckmann. In der letzten Folge waren wir bereits bei den ersten selbstkonstruierten Wagen mit bis zu 30 PS Leistung angelangt.

Eigentlich müssten wir das nächste Kapitel ab 1905 aufschlagen, in dem die Beckmann-Wagen immer mehr an Format gewannen.

Doch bei der Beschäftigung mit Vorkriegswagen muss man es im 21. Jahrhundert nicht eilig haben – die Epoche liegt bereits so weit zurück, dass man sich die eine oder andere Abweichung von der Chronologie leisten kann, wenn sich der Anlass dazu ergibt.

Nur zu gern lasse ich mich von der öden geraden Linie der Geschichtschreibung ablenken, vor allem dann, wenn ein Beinahe-Zeitzeuge und Nachkomme eines einstigen Autofabrikanten mich mit reizvollem Material versorgt.

Die Rede ist von Christian Börner, Urenkel des Gründers der Beckmann-Autowerke.

Er hat mir nicht nur das Material zu den beiden bisherigen Folgen dieser Spurensuche zur Verfügung gestellt. Ihm verdanke ich auch eine bemerkenswerte Rückblende in das Jahr 1903, in deren Mittelpunkt – unter anderem – ein Beckmann-Auto steht.

Heute soll Christian Börner selbst zu Worte kommen und zwar anhand dieses Fotos:

Beckmann-Wagen von 1903; Originalfoto aus Familienbesitz (Christian Börner)

“Wer sind diese drei Kinder? Welches Fahrzeugmodell ist das? Wann und wo ist das Foto entstanden?” Das mögen Sie jetzt fragen.

Mein Name ist Christian Börner, und ich will es Ihnen erzählen.

Zunächst zu den Fahrzeuginsassen, oder eher Fahrzeug“auf“sassen: Das sind die drei Kinder des Fabrikbesitzers Paul Beckmann, meines Urgroßvaters.

Am Lenker sitzt etwas arrogant Otto (Jg. 1894), als wüsste er, dass er einst die Nachfolge seines Vaters antreten würde. Das war zwei Jahre nach dessen Tod im Jahr 1914 der Fall, als Otto volljährig und uneingeschränkt geschäftsfähig wurde. 

In der Mitte hat die 1896 geborene Erna Platz genommen, meine Großmutter. Sie schaut wenig begeistert drein, sie mochte das Autofahren ihr Leben lang nicht.

Anders verhielt es sich mit ihrer Schwester Ilse (Jg. 1898), die vis-a-vis sitzt und sich uns zuwendet. Man sieht es ihr noch nicht an, aber sie sollte später als Sportfahrerin auf Beckmann Karriere machen.

Was lässt sich zu der abgebildeten Voiturette sagen?

Nun, es handelt sich um die seitlich offene Version (Beckmann-Modell XIV), deren Produktion 1901 begann und 1903 endete. Aber ich kann es noch genauer sagen. Hier sehen wir die erste Version mit senkrechter Lenksäule und Hebel. Denn ab 1902 gab es eine schrägstehende Lenksäule mit Lenkrad.

Diese Aufnahme stammt von 1903 und zählt zu den drei Fotos, welche die Frauen meiner Familie bei ihrer Flucht aus Breslau im Januar 1945 als einziges „Erbe“ retten konnten.

Meine schon erwähnte Großmutter und ihre Tochter Ursula hatten wichtigeres Fluchtgepäck mitzuschleppen und vor dem Erfrieren zu bewahren – den ein halbes Jahr alten Enkel Christian. Ihnen ist es zu verdanken, dass Sie heute meine Zeilen lesen können.”

Soweit Christian Börner im O-Ton.

Er weiß auch augenzwinkernd zu berichten, dass die Beckmann-Wagen die ersten mit Sicherheitsgurt waren. Wenn Paul Beckmann seine Kinder auf dem Automobil umherkutschierte, sicherte er sie nämlich mit Ledergurten davor, beim Bremsen oder in scharfen Kurven aus dem Wagen zu fallen. 

Gefällt Ihnen diese persönliche Rückschau in Sachen Beckmann, die Sie wohl nirgends anders finden?

Dann schauen Sie zur Mitte des nächsten Monats wieder in meinen Blog, wenn die nächste Folge ansteht. Aber gern auch vorher – es gibt ja soviel zu erzählen…

Michael Schlenger, 2023. All entries in this blog (including embedded photos) are copyrighted by the author, unless otherwise indicated. Excerpts and links may be used, provided that credit is given to Michael Schlenger and https://vorkriegs-klassiker-rundschau.blog with appropriate and specific direction to the original content.

Spurensuche: Beckmann-Wagen (Folge 2: 1903-1905)

Vielleicht haben Sie die Fortsetzung der im Juli begonnenen Spurensuche nach Überbleibseln der Beckmann-Wagen aus dem schlesischen Breslau vermisst. Ich muss zugeben, dass ich den anvisierten Termin zur Monatsmitte nicht einhalten konnte.

Als Ausrede führe ich den vielzitierten Klimawandel an, der den August hierzulande zu einem Wetterdesaster gemacht und mir die Laune gründlich verdorben hat. Ein einwöchiger Italienurlaub entschädigte ein wenig, aber dieser ins Wasser gefallene Sommer hat mich doch ein wenig aus der Spur gebracht.

Doch noch bevor es an den Fund des Monats geht, will ich rasch die versprochene nächste Folge nachreichen, bei der ich mich wieder auf die Ausführungen und Dokumente von Christian Börner stützen darf, des Urenkels von Firmengründer Paul Beckmann.

Er hat mir noch einige Ergänzungen zu den bis 1902 gebauten Modellen zukommen lassen, die ich in den ersten Teil eingearbeitet habe. Nun sind dort auch die Typen XV und XVI erwähnt, welche dem Modell XVII 12-16 PS vorangingen.

An diesen Typ will ich heute anknüpfen – hier noch einmal eine Abbildung zur Erinnerung:

Beckmann Model XVII 12-16 PS; Abbildung aus Sammlung Chr. Börner (Pinneberg)

Dieser Typ, der noch mit einem Motor des französischen Lieferanten Aster ausgestattet war, erhielt 1903 ein Schwestermodell, das sich äußerlich auf den ersten Blick vor allem durch die längere und nun eckige Motorhaube unterscheidet.

Doch tatsächlich markiert dieser Typ XVIII bei aller Ähnlichkeit eine bedeutende Zäsur in der Geschichte der Beckmannn-Automobile. Denn sein 30 PS leistender Motor war ein “Eigengewächs” des Hauses – ein beeindruckender Kompetenzbeweis und mit Spitze 75 km/h für damalige Verhältnisse ein recht schneller Wagen:

Beckmann Modell XVIII 30 PS; Abbildung aus Sammlung Christian Börner (Pinneberg)

Interessanterweise hielt Beckmann auch bei diesem leistungsfähigen Modell noch an der Chassiskonstruktion mit dickwandigen Stahlrohren fest – ein Gebiet, auf dem der Hersteller aufgrund seines Ursprungs im Rohrleitungs- und Fahrradbau besondere Expertise besaß.

Übrigens erhielt auch das schwächere Vorläufermodell XVI 12-16 PS später ein moderneres Erscheinungsbild ähnlich dem des 30 PS-Typs XVIII.

Hier haben wir dieses Modell auf einer Abbildung von 1904:

Beckmann 12-16 PS (Ausführung von 1904); Abbildung aus Sammlung Christian Börner (Pinneberg)

Nun ist erstmals auch ein Kühlwassereinfüllstutzen auf dem jetzt direkt vor der Haube montierten Kühler zu erkennen.

Noch besser ist selbiger auf der folgenden Aufnahme zu sehen, welche einen Beckmann des Modells XVIII von 1904 zeigt. Der Wagen wurde beim 5. Deutschen Automobiltag von Mitgliedern des Schlesischen Automobilklubs eingesetzt:

Beckmann Modell XVIII von 1904; Abbildung aus “Allgemeine Automobil-Zeitung” (Sammlung Christian Börner, Pinneberg)

Schon ein Jahr später – anno 1905 – hatte sich der nächste Entwicklungsschritt vollzogen und die Beckmann-Wagen bekamen ein modern anmutendes Kühlergehäuse, auf dem nun auch ein Firmenschild angebracht war.

Damit präsentierten sich jedenfalls die Beckmann-Automobile anlässlich der Internationalen Automobil-Ausstellung im Jahr 1905 in Berlin:

Beckmann-Stand auf der IAA 1905; Abbildung aus Sammlung Christian Börner (Pinneberg)

Zu diesem Zeitpunkt waren Beckmann-Wagen mit einer breiten Auswahl von 2- und 4-Zylindermotoren erhältlich, die das Leistungsspektrum von 10 bis 30 PS abdeckten.

Immer noch gab man der Bauweise mit Stahlrohrrahmen den Vorzug, die einen guten Kompromiss aus Leichtigkeit und Festigkeit bot. Davon scheint man erst 1906 mit dem Aufkommen noch stärkerer Wagen abgekommen zu sein.

Daran werde ich in der nächsten Folge wiederum mit Unterstützung von Christian Börner eingehen – dann schlagen wir gemeinsam ein neues Kapitel in der Geschichte dieses einst bedeutenden schlesischen Autoherstellers auf.

Unterdessen sind Leser wieder aufgerufen, etwaige ergänzende Informationen und Dokumente zur Markengeschichte von Beckmann beizusteuern, damit wir dieses Fabrikat noch besser würdigen können.

Michael Schlenger, 2023. All entries in this blog (including embedded photos) are copyrighted by the author, unless otherwise indicated. Excerpts and links may be used, provided that credit is given to Michael Schlenger and https://vorkriegs-klassiker-rundschau.blog with appropriate and specific direction to the original content.

Spurensuche: Beckmann-Wagen (Folge 1: 1898-1902)

Mitte Juli 2023 – der Sommer ist, wie er sein soll, bloß der “Fund des Monats” ist noch arg weit entfernt. Was tut man also, um seine Blog-Leser bei Laune zu halten?

Nun, man hält sie mit etwas bei der Stange, was das Warten auf “neue” Auto-Sensationen aus alter Zeit erträglicher macht. Dazu muss man schon Außergewöhnliches zu bieten haben.

Dass ich ein geeignetes Thema gefunden habe, das verdanke ich Christian Börner aus Pinneberg. Er ist der Urenkel von Paul Beckmann, der 1898 die erste und wohl einzige schlesische Automobilfabrikation ins Leben rief – in Breslau (heute Wroclaw, Polen).

Über die bis zu Übernahme durch Opel im Jahr 1927 gebauten Beckmann-Wagen ist nicht viel mehr bekannt als das, was schon in den 1960er Jahren Hans-Heinrich von Fersen in seinem Werk “Autos in Deutschland 1885-1920” veröffentlicht hat.

Christian Börner (geboren 1944 in Breslau) hat sich seit 1962 mit der Geschichte der Autofabrik seiner Vorfahren beschäftigt. Seither trägt er unermüdlich alles zusammen, was in Bibliotheken, in Museen, Autoclubs und bei Sammlern zu Beckmann zu finden ist.

Leider blieb die Resonanz auf seine Anfragen oft dürftig. So ist es einerseits beeindruckend, was er bei seinen Recherchen an Material entdecken konnte, andererseits fällt es schwer zu glauben, dass eine so profilierte Marke nicht mehr Spuren hinterlassen haben soll.

Zwar heißt es bei von Fersen in Bezug auf die Beckmann-Wagen, dass die “Verbreitung hauptsächlich auf den schlesischen und ostdeutschen Raum” beschränkt war.

Mir fällt es schwer, dieser These zu folgen. So dient diese zur Monatsmitte erscheinende Folge nicht nur der Erbauung der Leserschaft. Sie soll auch Anreiz und Aufruf sein, noch irgendwo schlummernde Dokumente und Informationen zu Beckmann-Automobilen zutagezufördern.

Nach dieser Vorrede übergebe ich das Wort an Christian Börner, Urenkel von Paul Beckmann, dem Schöpfer der ersten Wagen dieses Namens:

Beckmann-Automobile? Sie meinen wohl Bergmann, ein Berliner Unternehmen, das einst Wagen der belgischen Firma Metallurgique in Lizenz herstellte?

Nein, ich meine tatsächlich: Beckmann-Automobile. Diese wurden von 1898 bis 1926 in Schlesiens Hauptstadt Breslau produziert, also 28 Jahre lang.”

So verlief manches Gespräch mit Experten, als ich als Urenkel des Produzenten vor rund 60 Jahren begann, über die Firma meiner Ahnen und deren Fahrzeuge zu recherchieren.

Firmengründer war Otto Beckmann. Er war Sohn eines Bäckers aus Wohlau/Schlesien und erlernte zunächst das Uhrmacherhandwerk. Nach seinem Umzug nach Breslau erschien es ihm alsbald lukrativer, mit gröberen Objekten umzugehen, denn die Großstadt brauchte Gas- und Wasserleitungen in großem Umfang.

Mit der dabei erworbenen Expertise im Rohrleitungsbereich witterte Otto Beckmann Anfang der 1880er Jahre eine neue Chance. Die Nachfrage nach Fahrrädern boomte, und 1882 startete er die Herstellung der damals so genannten Velocipeden:

Beckmann-Fahrradreklame von 1896; bereitgestellt von Christian Börner (Pinneberg)

Nur ein Jahr nach Erscheinen dieser Reklame – also 1897 – starb Firmengründer Otto Beckmann.

Doch glücklicherweise hatte sein Sohn Paul bereits zeitgemäße „Flausen im Kopf“ herausgebildet, die nach Umsetzung verlangten. 

Er war von den allerersten Motorfahrzeugen angetan und prophezeite ihnen eine große Zukunft. Bereits 1898 bot er ein Motor-Dreirad an, von dem übrgens noch ein Bild fehlt.

1899 brachte Paul Beckmann dann seinen ersten vierrädrigen Motorwagen (Modell XIII) auf den Markt:

Beckmann Typ XIII; Originalreklame von 1900 via Christian Börner (Pinneberg)

Dieser Beckmann-Wagen glich wie viele deutsche Wagen seiner Zeit äußerlich und technisch noch stark damals führenden Vorbildern aus Frankreich, vor allem von DeDion-Bouton. Auch der 1-Zylinder-Motor war kein Eigengewächs, sondern wurde zugekauft.

Jetzt fragen Sie vielleicht, woher Christian Börner die genaue Typbezeichnung dieses Beckmann-Wagens kennt. Auch das kann er uns verraten:

Das bereits 1898 angebotene Motor-Dreirad wurde als Modell XII bezeichnet, die Modelle I bis XI waren Fahrräder. Das Modell XIII war der vierrädrige Wagen.

Das ergibt sich aus der Originalreklame, welche im April 1900 in der Breslauer-Morgen-Zeitung abgedruckt war:

Beckmann-Originalreklame von 1900 via Christian Börner (Pinneberg)

Bereits diese frühe Fahrzeugpalette erscheint zu beeindruckend, um lediglich auf einen lokalen Markt zugeschnitten gewesen zu sein.

Es wäre interessant zu erfahren, in welchen anderen deutschen (oder gar ausländischen) Gazetten diese Anzeige ebenfalls abgedruckt wurde. Wer etwas dazu weiß, bitte melden.

Christian Börner verfügt übrigens über ein Exemplar des Beckmann-Prospekts, in dem die weiteren Einzylindertypen XIV bis XVI beschrieben sind. Hier haben wir das etwas weiterentwickelte Modell XIV:

Beckmann Modell XIV; Prospektabbildung von 1902 aus Sammlung Chr. Börner (Pinneberg)

Auf der gleichen technischen Basis wurde das Model XV angeboten, welches keinen eigenständigen Typ darstellte, sondern sich nur durch das Vorhandensein von Türen vom Modell XIV unterschied. Dennoch ist die Wirkung eine bemerkenswert andere:

Beckmann Typ XV, Prospektabbildung von 1902 aus Sammlung Christian Börner (Pinneberg)

Diese beiden Modelle wurden als “Voituretten” oder auch “leichte Beckmann-Wagen” angeboten. Sie besaßen noch von DeDion zugekaufte Einzylindermotoren mit 6,5 PS Leistung.

Dass Paul Beckmann ehrgeizige Pläne hatte in Sachen Autofabrikation, wurde bald deutlich. Rasch wurde das Angebot um größere Wagen mit 2- bzw. 4-Zylindermotoren erweitert.

Hier haben wir eine um 1902 entstandene Abbildung des Beckmann-Typ XVII mit Motorisierung 12-16 PS, welcher einen wenig erfolgreichen Zwischentyp XVI ablöste:

Beckmann Typ XVII 12-16 PS von 1902; Abbildung via Christian Börner (Pinneberg)

Auch bei diesem Modell wurden zunächst noch französische Zuliefermotoren verbaut.

Doch bereits 1903 entwickelte Beckmann einen selbstgebauten Vierzylindermotor mit beachtlichen 30 PS.

Man hatte offenbar Großes vor in Sachen Automobilbau bei Beckmann in Breslau, und das wollen wir in der nächsten Folge im August näher unter die Lupe nehmen.

Bis dahin haben unsere Sammlerkollegen Zeit, um im eigenen Fundus nach weiteren frühen Dokumenten von Beckmann-Fahrzeugen zu stöbern. Diese würden Christian Börner und ich dann gemeinsam vorstellen auf unserer Spurensuche…

Michael Schlenger, 2023. All entries in this blog (including embedded photos) are copyrighted by the author, unless otherwise indicated. Excerpts and links may be used, provided that credit is given to Michael Schlenger and https://vorkriegs-klassiker-rundschau.blog with appropriate and specific direction to the original content.