Hessische Lokalpatrioten mit einer Schwäche für klassische Automobile haben nicht viel Auswahl. Neben Opel aus Rüsselsheim und Adler aus Frankfurt brachte das landwirtschaftlich geprägte Hessen nur noch die Marke Röhr hervor.
Röhr ist ein Beispiel für die zahllosen technisch kompetenten Fahrzeughersteller hierzulande, die es nie zu einer wirtschaftlich tragfähigen Produktion gebracht haben.
Dass die erst 1926 gegründete Marke aus Ober-Ramstadt überhaupt noch einen gewissen Bekanntheitsgrad besitzt, grenzt angesichts einer Fertigung von wenigen tausend Autos bis zum Untergang 1935 an ein Wunder.
Wer sich für die Marke Röhr interessiert, kommt an Werner Schollenbergers Netzpräsenz nicht vorbei. Eine komprimierte Markengeschichte gibt es außerdem hier zu lesen. Dort wird auch einer der großartigen 8-Zylinder-Wagen von Röhr vorgestellt, denen die Marke ihren Ruhm verdankt.
Hier soll dagegen ein anderes Kapitel der Geschichte des glücklosen Herstellers beleuchtet werden. Anlass ist der Fund dieser zeitgenössischen Originalaufnahme:
© Röhr Junior mit Paul Kemp, Mitte der 1930er Jahre; Originalfoto aus Sammlung Michael Schlenger
Der Wagen auf dem großformatigen und hochwertigen Abzug dokumentiert den letzten Versuch von Röhr, einen wirtschaftlich erfolgreichen Wagen am Markt zu platzieren.
Es ist bezeichnend, dass man dazu auf ein ausländisches Fabrikat zurückgriff, das man in Lizenz zu bauen gedachte. In den 1920er Jahren hatten Opel mit dem 4 PS-Modell und BMW mit dem Dixi erfolgreich denselben Weg beschritten.
Röhr entschied sich für das Modell 75 des tschechischen Herstellers Tatra, das 1933 vorgestellt wurde. In guter Tatra-Tradition besaß der Wagen einen vorne montierten luftgekühlten Boxermotor, der immerhin 30 PS leistete. Bei einem Wagengewicht von etwas mehr als 900 kg erlaubte das ansprechende Fahrleistungen.
Wie Tatra auch verbaute Röhr einen funktionslosen Kühlergrill, der Käufern die Entscheidung für das unkonventionelle Konzept erleichtern sollte. Auf folgendem zeitgenössischen Sammelbild ist schön zu sehen, dass der “Kühler” mt der Motorhaube verbunden war:
© Röhr “Junior”, originales Sammelbild um 1935 aus Sammlung Michael Schlenger
Ironischerweise wurde der in Lizenz gebaute und als “Röhr Junior” vermarktete Tatra das erfolgreichste Modell von Röhr. Rund 1.700 Exemplare sollen bis 1935 davon entstanden sein.
Man sieht an der überschaubaren Stückzahl, dass die Röhr-Wagen in Manufaktur erzeugt wurden. Auch dieser Hersteller ignorierte beharrlich, dass nur Serienfabrikation eine wirtschaftliche Produktion von Alltagswagen ermöglichte.
So war die Einführung des Röhr Junior ein Erfolg, den der Hersteller mangels Kapital nicht zu nutzen imstande war. Nach erneuter Insolvenz der Firma endete 1935 die Produktion. Fertigungsanlagen und Lizenz übernahm die Stettiner Firma Stoewer, die den Wagen als Greif Junior bis Kriegsbeginn 1939 produzierte.
Wie in diesem Blog üblich soll auch ein Blick dem fröhlichen Fahrer am Steuer des Röhr gelten:
Es ist der populäre Filmschauspieler Paul Kemp (1896-1953), der mit UFA-Größen der 1930er Jahre wie Willy Fritsch und Lilian Harvey einige Erfolge landete. Seine Spezialität war das komödiantische Fach.
Wer Spaß an solchen Dingen hat, wird Paul Kemps Version des Nonsens-Schlagers “Ich wollt’ ich wär ein Huhn” mögen. Ihm haben wir zeitlose Weisheiten zu verdanken wie “Ich bräuchte nie mehr ins Büro – ich wäre dämlich, aber froh.”
Ob das Pressefoto des beliebten Paul Kemp mit dem Röhr Junior ein frühes Beispiel für “Werbung mit Prominenten” war? Geholfen hat es jedenfalls nicht…
Ein weiteres Originalfoto eines Röhr “Junior” findet sich übrigens hier.