Auf der Pirsch nach dem Frühling: Tatra 75

Ich weiß ja nicht, wo meine Leser alle wohnen – immerhin rund 4.000 verirren sich im Schnitt pro Monat in meinen Blog, da sollte sich schon eine tüchtige Streuung ergeben. Es sind auch etliche aus Übersee dabei, ansonsten die meisten aus dem deutschsprachigen Raum.

Da würde mich interessieren: Haben Sie dieses Jahr schon mehr als einen kühlen Gruß des Frühlings bekommen? An immerhin zwei sonnige und milde Tage kann ich mich erinnern. Heute nacht gibt es wohl wieder leichten Frost, wie es scheint.

Also alles im Rahmen üblicher Schwankungen im Monat April. Vermutlich denken die armen Schlucker, die sich gegen Bares für Klebstoff-Tests im Berufsverkehr missbrauchen lassen, dass sie im Alleingang den Klimawandel zum Stillstand gebracht haben.

Das passt mir nun gar nicht, und so mache ich mich mit Gleichgesinnten im verfemten Verbrennerauto und mit der Kamera bewaffnet auf die Pirsch nach dem Frühling.

Dabei hoffen wir, durch rücksichtsloses Herumfahren mit Bleifuß und großzügige CO2-Emissionen dem Klima auf die Sprünge zu helfen – allein: es will nicht gelingen:

Tatra 75 im April 1938; Originalfoto aus Sammlung Michael Schlenger

Der Winter will sich einfach noch nicht geschlagen geben, speziell in höheren Lagen. Das muss dokumentiert werden, mit der Leica natürlich und auch das Datum wird präzis vermerkt: 18. April 1938.

Während wir zunehmend genervt versuchen, den Frühling zur erhaschen, ist unser adretter Wagen vollkommen entspannt und erfreut uns motorenseitig mit thermischer Stabilität.

Denn während manchem wassergekühlten Aggregat seinerzeit solche Verhältnisse ebenso zu schaffen machen konnten wie sommerliche Hitze, ist der luftgekühlte 4-Zylinder-Boxer schnell auf Betriebstemperatur und kennt mangels Wassermantel keine Frostprobleme.

Damit wären wir schon bei der Frage, welchen Wagen wir für unsere erfolglose Fotopirsch dem Frühling entgegen gewählt haben. Nun, so einen schicken luftgekühlten Wagen bauten damals nur die Tschechen, nämlich ab 1933 in Form des Tatra 75.

Der war mit 30 PS für damalige Verhältnisse in Mitteleuropa akzeptabel motorisiert und bot dank Kühlerattrappe das Erscheinungsbild eines eleganten wassergekühlten Automobils:

Tatra 75; Originalfoto aus Sammlung Michael Schlenger

Ein so kompaktes Fahrzeug mit einer an große Premium-Wagen erinnernden Cabriolet-Karosserie hinzubekommen, das war schon ein kleines Meisterstück.

Ohnehin verdient die Gestaltung tschechischer Automobile der 30er Jahre Bewunderung und es ist schade, dass sie in Deutschland heute nur vereinzelt anzutreffen sind.

Obiges Exemplar war übrigens in Wien zugelassen, wo solche Tatras ebenso wie in Deutschland auch gefertigt wurden (Austro-Tatra bzw. Detra).

Zwar gibt es in der Frontansicht gewisse Ähnlichkeiten mit zeitgenössischen DKWs, doch der Tatra 75 war aus meiner Sicht im Detail noch ein klein wenig raffinierter ausgeführt:

Eine dermaßen filigrane Stoßstange fand sich an keinem deutschen Fabrikat. Rein funktionell betrachtet mag das nicht ideal gewesen sein, aber die optisch prominenteren “Stoßecken” der DKWs waren letztlich auch nur ein notdürftiger Schutz.

Es ist ja gerade die offen vorgetragene Geringschätzung für eine rein sachliche Gestaltung, welche die meisten Kreationen der unmittelbaren Vorkriegszeit heute so faszinierend macht.

Als dieses Foto entstand, Mitte April 1938, hatten sich längst düstere Wolken über Europas politischem Himmel zusammengezogen und speziell in Deutschland rückte der Bedarf der der auf Hochtouren laufenden Rüstungsindustrie immer mehr in den Vordergrund.

Gleichzeitig stößt man immer wieder auf solche Zeugnisse reiner Idyllen, in denen selbst technische Schöpfungen noch ganz den Gesetzen der Ästhetik unterworfen waren.

Für uns Nachgeborene erscheinen solche Dokumente beklemmend, auch wenn unsere Altvorderen damals wirklich nur ganz harmlos auf Fotopirsch nach dem Frühling waren…

Michael Schlenger, 2023. All entries in this blog (including embedded photos) are copyrighted by the author, unless otherwise indicated. Excerpts and links may be used, provided that credit is given to Michael Schlenger and https://vorkriegs-klassiker-rundschau.blog with appropriate and specific direction to the original content.

Prima Klima: Auf Urlaubsreise im Tatra 77

Sollten sich professionelle Automobilhistoriker hierher verirren, mögen sie mir den kalauernden Titel verzeihen – aber er bietet sich einfach an, wie wir noch sehen werden.

Außerdem erlaubt mir das “Blog”-Format – ein online geführtes Tagebuch, in dem jeder mitlesen kann, der mag – manche Freiheiten und mitunter auch Frechheiten. Wer damit nicht zurechtkommt, muss sehen, ob er Vergleichbares andernorts geboten bekommt.

Und bieten kann ich heute wieder etwas, was in der Welt der Vorkriegsautomobile nicht alltäglich ist und auch im Sommer 1935 nicht war, in den ich meine Leser heute mitnehme.

Es war zumindest wettertechnisch ein prima Klima in Europa, in dem damals ein nagelneuer Tatra 77 eine Urlaubsreise über eine Strecke von mehr als 5.000 Kilometern absolvierte.

Den Bericht von dieser Reise hat mir ein Tatra-Sammler aus Österreich zukommen lassen, nachdem er in meinem Blog (hier) auf das folgende Foto gestoßen war, in dem rechts das einzigartige Heck eines Tatra 77 hervorragt:

Wie dieser Tatra einst nach Innsbruck gelangt war, um dort zufällig auf einer Ansichtskarte abgelichtet zu werden, darüber hatte ich mir seinerzeit keine weiteren Gedanken gemacht.

Der Stromlinien-Wagen mit seinem luftgekühlten 8-Zylinder-Motor im Heck war bereits sensationell genug – denn davon entstanden einst überhaupt nur rund 250 Exemplare.

Wie dieses bemerkenswerte Fahrzeug auf die Zeitgenossen wirkte, das ist uns aus erster Hand überliefert – und zwar in Form eines Berichts, den ein gewisser Blazej Klima an das Tatra-Werk sandte.

Herr Klima war Ingenieur und fungierte als Direktor eines Elektrizitätsverbunds in der damaligen Tschechoslovakei. Natürlich verfasste Ingenieur Klima den Report in seiner Muttersprache, doch besagter österreichischer Tatra-Sammler (der ungenannt bleiben möchte) hat ihn übersetzen lassen und mir die deutsche Fassung zur Verfügung gestellt.

Außerdem hat er mir Reproduktionen einiger Originalaufnahmen zukommen lassen, die einst bei der Urlaubsfahrt entstanden, die Ingenieur Klima mit seiner Familie unternahm.

Gleich zu Beginn betont er, dass er den Tatra eine Woche vor der Abreise erhalten habe und daher keine Gelegenheit hatte, ihn schonend einzufahren, wie das damals bei den meisten Autos vonnöten war. Im Vertrauen auf die Qualitäten des Tatra machte man sich am 26. Juni 1935 aus Prag auf den Weg zu einer Tour, die einem noch heute Respekt abnötigt.

In Tagesetappen von über 400 km ging es zunächst nach Paris. Im dortigen starken Verkehr bewährte sich, wie Ingenieur Klima lobend hervorhebt, die Drehmomentstärke des Motors, die einem ein schaltfaules Fahren bei ständigem Tempowechsel erlaubte.

Von der französischen Hauptstadt ging es dann zunächst nach Nordwesten ans Meer, wo man Seebäder wie Deauville aufsuchte, bevor es dann nach Süden bis Biarritz ging.

Aus purem Erlebnishunger passierte man sodann einige Pyrenäenpässe, wo man im Unterschied zu anderen Wagen nicht anhielt, um ein Überhitzen des Motors zu vermeiden, sondern nur, um die Aussicht zu genießen und Fotos wie dieses zu machen:

Quelle: Privatarchiv M.H./ Österreichischer Tatra-Sammler

Über den Wallfahrtsort Lourdes fuhr Ingenieur Klima dann ostwärts durch die Provence an die Côte d’Azur. Von diesem Routenabschnitt liegen mir leider keine Fotos vor, wohl aber von dem anschließenden, der über mehrere französische Alpenpässe führte.

So brach man nach viertägigem Badeurlaub von Juan-les-Pins (westlich von Nizza) nach Norden auf und absolvierte zunächst den starken Anstieg zum Gebirgspass Col de la Coyolle, der auf über 2.300 Meter Höhe liegt.

Am folgenden Tag ging man den noch höher liegenden Col du Galibier (>2.600 m) an. Auf dem Weg dorthin fertigte man diese Aufnahme an:

Quelle: Privatarchiv M.H./ Österreichischer Tatra-Sammler

Oben angekommen, musste man wie so oft auf dieser Fahrt, anderen Autofahrern Rede und Antwort stehen, denen der Tatra wie eine Erscheinung von einem anderen Stern vorgekommen sein muss.

Nicht nur, dass der Wagen auch die steilsten Anstiege ohne Überhitzungsprobleme absolvierte und regelmäßig andere Fahrzeuge am Berg zu überholen vermochte, auch die außergewöhnliche Optik sorgte stets zuverlässig für Aufsehen.

Dann musste Ingenieur Klima die Motorhaube mit der Rückenfinne anheben, um den Blick auf den Achtzylinder freizugeben, der ein Spitzentempo von 150 km/h ermöglichte, aber auf dieser ersten Fahrt nie ausgefahren wurde, wie Ingenieur Klima in seinem Bericht an die Tatra-Werke betont.

Quelle: Privatarchiv M.H./ Österreichischer Tatra-Sammler

Nach geduldigen Erläuterungen machte man sich dann auf die Weiterfahrt, denn man hatte noch drei weitere Bergpässe zu überwinden, bevor man das nächste Ziel – den Genfer See in der Schweiz – erreichte.

Übrigens hatte Ingenieur Klima nach den ersten 2.000 Kilometern der Reise einen Ölwechsel gemacht, um die nach dem Einfahren üblichen Ablagerungen zu entfernen, die teils noch aus dem Fertigungsprozess, teils aus der anfänglich erhöhten Abnutzung von Bauteilen resultierten, die sich erst aneinander “gewöhnen” mussten.

Andere Arbeiten fielen während der gesamten Fahrt nicht an, selbst eine Reifenpanne blieb aus, was bei einer deratigen Strecke außergewöhnlich war, zumal die Bergpisten meist nur mäßig befestigt waren.

Jedenfalls konnte man nach den bisherigen Erfahrungen frohen Mutes die Haube des Tatra wieder schließen und machte ein letztes Foto auf dem Col du Galibier:

Quelle: Privatarchiv M.H./ Österreichischer Tatra-Sammler

Die wohl beeindruckendste Ansicht des Tatra 77 war indessen nicht die von der Seite, sondern die Perspektive “schräg von hinten”.

Ein entsprechendes “Beweisfoto” hatte man bereits zu einem früheren Zeitpunkt auf der Strecke durch die französischen Seealpen gemacht, wohl einige Kilometer nördlich der Ortschaft Allos, wie sich aus den Entfernungsangaben auf dem Schild ableiten lässt:

Quelle: Privatarchiv M.H./ Österreichischer Tatra-Sammler

Die nächste mir vorliegende Aufnahme entstand leider erst gegen Ende der Reise. Über die über 400 Kilometer lange Etappe von Genf bis zur nächsten im Bericht genannen Station – Bludenz in Österreich – verliert Ingenieur Klima kein Wort.

Da ist nach den landschaftlichen Höhepunkten der bisherigen Route auch nachvollziehbar. Und über den wie ein Uhrwerk laufenden Tatra gab es ohnehin nichts zu berichten, außer dass er für den Fahrer praktisch ermüdungsfrei zu handhaben war.

Erst auf dem Heimweg durch Österreich nach Prag – eine Strecke von 730 Kilometern – ist nochmals eine Aufnahme entstanden, die den Tatra zeigt, und zwar auf dem Arlbergpass:

Quelle: Privatarchiv M.H./ Österreichischer Tatra-Sammler

Als weitere Stationen werden von Ingenieur Klima beiläufig noch Landeck, Innsbruck und Salzburg genannt.

Beim Stichwort “Innsbruck” wird man natürlich hellhörig. Diese letzte Etappe dauerte nach dem Bericht von Ingenieur Klima 17 Stunden, was ausreichend Zeit für die eine oder andere Rast bot.

Könnte es sein, dass man in Innsbruck eine Pause einlegte, den wackeren Tatra auf der Maria-Theresienstraße an der Annasäule abstellte und essen ging, bevor man weiterfuhr?

Dann wäre meine Ansichtskarte ein zufälliger Schnappschuss, der den Wagen von Ingenieur Klima zeigt, wie er um die Mittagszeit geduldig auf die Rückkehr seiner Insassen wartet:

Mit dieser Spekulation wäre ich beinahe am Ende dieses Reiseberichts.

Ingenieur Klima hat diesen um Bemerkungen zu einigen Möglichkeiten der Verbesserung im Detail ergänzt. Diese betreffen vor allem das Problem der Dampfblasenbildung im Kraftstoffsystem bei längeren scharfen Fahrten, welche den Motor sehr heiß werden lassen.

Für ein wirkliches “Prima Klima” unter der Haube hätte Tatra also noch etwas tun müssen – man wüsste gern, ob die Anregung aufgenommen wurde.

Wer sich für den vollständigen Reisebericht nebst technischer Bemerkungen ineressiert, hat hier die einzigartige Gelegenheit, eine deutsche Übersetzung herunterzuladen. Dem Verfasser möchte man posthum zurufen; “Prima, Herr Ingenieur Klima!”

Michael Schlenger, 2022. All entries in this blog (including embedded photos) are copyrighted by the author, unless otherwise indicated. Excerpts and links may be used, provided that credit is given to Michael Schlenger and https://vorkriegs-klassiker-rundschau.blog with appropriate and specific direction to the original content.

Do legst Di nieda! Ein Tatra 77 in Innsbruck

Heute kommen die Freunde tschechischer Automobilbaukunst wieder einmal auf ihre Kosten – dazu begeben wir uns nach Österreich und nehmen vorübergehend die eher ungewohnte Perspektive eines Radlers ein.

Wem das so irritierend vorkommt wie der Titel dieses Blog-Eintrags, dem wird sogleich geholfen werden.

Beginnen wir mit “Do legst Di nieda” – eine Annäherung an die Aussprache des auch in Teilen Österreichs bekannten bayrischen Dialektausdrucks “Da legst Dich nieder”. Gemeint ist damit “Da bist Du sprachlos”, oder in ebenso bildhafter Weise “Da biste platt”.

Ohne vertiefte Fachkenntnis erlaube ich mir heute eine weitere Interpretation im Sinne von “Da haut’s Dich um”, die ausgezeichnet zu der Situation passt, mit der wir gleich konfrontiert werden, aber auch zu dem vierrädrigen Objekt, das dabei überraschend auftaucht.

Versetzen wir uns zunächst in die Perspektive eines Postkartenfotografen, der Ende der 1930er Jahre im österreichischen Innsbruck auf Motivjagd ist. Allzu schwer ist das nicht angesichts solcher Kulissen:

Hier geht der Blick von der (heute verkehrsberuhigten) Maria-Theresienstraße auf die Nordkette des Karwendelgebirges – eigentlich der südlichste Teil desselben, aber so heißt das bis zu 2.600 Meter hohe Massiv aus Perspektive des Inntals nun einmal.

Rechts im Bild ragt die barocke Annasäule auf, von deren Spitze eine sternenbekrönte Madonna auf einer Mondsichel herabschaut.

Wer Darstellungen der im römischen Reich populären Göttin Isis kennt – bekrönt mit der Sonnenscheibe, die Mondsichel zu Füßen und Sohn Horus an der Brust – weiß natürlich, wo sich das frühe Christentum dieses Marienmotiv abgeschaut hat…

Zurück aus himmlischen Sphären auf den Boden der Tatsachen, wo man sich auch in automobiler Hinsicht schon immer gern von der Konkurrenz “inspirieren” ließ.

Links am Rand registriert man die Frontpartie eines Adler “Standard 6” (oder des Vierzylindertyps “Favorit”). Um den Freunden der Frankfurter Marke einen Gefallen zu tun, habe ich die arg mitgenommene Kühlerpartie des Wagens “restauriert”, so gut es ging – leider weist die Postkarte dort einige Beschädigungen auf.

Für die ungewöhnlich niedrige Frontscheibe dieses Adlers habe ich nur die Erklärung, dass es sich um einen Wagen mit Sonderkarosserie gehandelt haben muss.

Interessanter ist heute aber ohnehin – halten Sie sich fest – das Fahrrad, das gerade mitten durch’s Bild fährt.

Ob der Fotograf dieser Postkarte dankbar für dieses belebende Element war, sei dahingestellt. Wir sind es auf jeden Fall.

Denn der Junge, der sich so überrascht zur Seite dreht, dass es ihn fast umhaut, liefert uns einen Hinweis auf die Überraschung, die sich in dieser Postkarte aus Innsbruck versteckt.

Ich muss dazusagen, dass das Original der Karte aufgrund ihres Alters erheblich gelitten und vor allem ziemlich verblasst war.

Erst als ich den Kontrast nach dem Einscannen wieder einigermaßen hergestellt hatte, trat das hervor, was die Aufmerksamkeit des Jungen so abrupt auf sich gezogen hatte:

Was ursprünglich wie eine undefinierbare helle Abdeckung inmitten abgestellter Autos ausgesehen hatte, entpuppte sich als das Heck eines Tatra 77 mit der typischen Finne am Ende des stromlinienförmig auslaufenden Hinterteils.

Der Unterteil des Wagens ist dunkel davon abgesetzt, was es anfänglich schwermachte, die Silhouette vollständig zu erfassen. Genau über dem Soziussattel des weiter vor stehenden Motorrads ist der Türgriff zu erkennen.

Auch der hintere Abschluss der Tür ist hier teilweise zu sehen. Weiter links davon lugt der hintere Radausschnitt hervor.

“Do legst Di nieda””, kann man hier nur sagen. Denn von diesem damals futuristisch anmutenden Automobil wurden nur rund 250 Stück gebaut.

Dank überragender Windschnittigkeit erreichte der von Hans Ledwinka konstruierte und 1934 vorgestellte Wagen mit nur 60 PS damals unerhörte 150 km/h Höchstgeschwindigkeit.

Ein unrestauriertes Exemplar davon entdeckte ich 2015 in der “Classic Remise” Düsseldorf (damals noch “Meilenwerk) genannt. Das arg mitgenommene aber weitgehend vollständige Monstrum wartete dort geduldig bei einem Händler darauf, dass ihm neues Leben eingehaucht wird:

Tatra 77 im “Meilenwerk” Düsseldorf, aufgenommen 2015; Bildrechte: Michael Schlenger

Hier können Sie anhand der oben beschriebenen Partien nachvollziehen, dass der Wagen, der sich einst hinter der Annasäule in Innsbruck versteckte, tatsächlich ein Tatra 77 war.

Wer mit dem Modell noch nicht vertraut ist, wird nun natürlich auch wissen wollen, wie der geheimnisvolle Wagen von vorne aussah.

An dieser Stelle müssen wir der Postkarte aus Innsbruck leider adieu sagen und betrachten den Tatra 77 nun aus moderner Perspektive. Um den Schock in Grenzen zu halten, habe ich mich dafür entschieden, auch die folgenden Bilder in Schwarzweiß” zu zeigen:

Tatra 77 im “Meilenwerk” Düsseldorf, aufgenommen 2015; Bildrechte: Michael Schlenger

Die gerundete Frontpartie erinnert an eine ganze Reihe ähnlicher Wagen der frühen 1930er Jahre, insbesondere an den schon 1931 für Zündapp gebauten Porsche-Prototyp 12.

Hans Ledwinka – übrigens gut mit Ferdinand Porsche bekannt – war mit seinem Entwurf für Tatra 1934 also keineswegs allein. Schon gar nicht war er der alleinige Erfinder eines aerodynamisch optimierten Heckmotorwagens.

Bereits 1931 – also in dem Jahr, in dem Porsche seinen Typ 12 entwarf – zeichnete John Tjaarda in den Vereinigten Staaten diesen Heckmotorwagen, der Erscheinungsbild und Konzept des Tatra 77 klar vorwegnahm:

© Bildquelle: http://blog.modernmechanix.com; Urheberrecht: „Modern Mechanics and Inventions“

Dieser frühe Entwurf wird von Tatra-Freunden gern ignoriert, als ob es die Verdienste von Hans Ledwinka in irgendeiner Weise schmälern würde.

Natürlich waren seine Ideen ebensowenig neu wie im Fall des späteren von Porsche entwickelten Volkswagens, doch immerhin realisierte er zusammen mit Tatra den ersten in (Klein)Serie gebauten Stromlinienwagen mit Heckmotor überhaupt.

Zwar erwies sich der Entwurf im Vergleich zu anderen Heckmotorautos letztlich als Sackgasse, da er außerhalb der Tschechoslowakei erfolglos blieb. Dennoch ist der Tatra 77 ein faszinierendes Zwischenkapitel der Vorkriegszeit.

Schauen wir uns ihn daher noch ein wenig genauer an:

Tatra 77 im “Meilenwerk” Düsseldorf, aufgenommen 2015; Bildrechte: Michael Schlenger

Noch bei der hinreißenden “DS” (der Göttin) von Citroen aus der Nachkriegszeit findet sich aus diesem Blickwinkel eine ganz ähnliche Seitenpartie. Und – lachen Sie nicht – selbst bei der “Ente” findet man Anklänge daran, bloß die Spaltmaße können nicht mithalten.

Im Innenraum fiel Tatra freilich auch nichts Besseres ein als der Konkurrenz. Die Instrumente und Bedienelemente wurden eher zufällig über das Instrumentenbrett verteilt.

Aus eigener Erfahrung weiß ich zwar, dass es weitgehend egal ist, wo sich Knöpfe und Schalter befinden, wenn man sein Auto kennt – sie brauchen nicht einmal beschriftet zu sein. Hauptsache, man benötigt kein Benutzerhandbuch, um in einem von deutschen Software-“Experten” entwickelten Bildschirmmenü die Warnblinkanlage zu finden…

Beanstanden würde ich daher beim Tatra 77 nur die Position von Tachometer und Uhr. Denn einen bis 180 (!) Stundenkilometer reichenden Geschwindigkeitsmesser möchte der Fahrer eines Vorkriegsautos schon gern direkt im Blickfeld haben:

Tatra 77 im “Meilenwerk” Düsseldorf, aufgenommen 2015; Bildrechte: Michael Schlenger

Nicht ganz zu überzeugen weiß auch das Passagierabteil.

Das liegt weniger an der eigenwilligen Form der Rücksitze oder den irgendwann im langen Leben dieses Wagens von einem infantilen Zeitgenossen angebrachten Aufklebern.

Vielmehr ahnt man hier, dass bei diesem Wagen viel Überlegung in das Äußere und die Konstruktion von Fahrwerk und Antrieb geflossen ist, aber wie so oft bei Geistesblitzen reiner Ingenieure zuwenig an die Insassen eines Automobils gedacht wurde.

Denn hinter dieser dünnen Trennwand befand sich der luftgekühlte und entsprechend laute V8-Motor mit 3 Litern (später 3,4 L) Hubraum. In den USA wäre so etwas damals völlig unverkäuflich gewesen, weshalb auch der dem späteren Tatra 77 so ähnliche Entwurf von John Tjaarda nicht realisiert wurde.

Tatra 77 im “Meilenwerk” Düsseldorf, aufgenommen 2015; Bildrechte: Michael Schlenger

In Europa war man nicht ganz so verwöhnt vom Komfort moderner Limousinen, wie das in den Staaten in dieser Preisklasse selbstverständlich war. Dennoch verbuchte der Tatra 77 letztlich nur einen Achtungserfolg.

Es mag ernüchternd klingen, doch wenn Fiat von seinem 1937 eingeführten Modell “1100” bis Kriegsbeginn locker 60.000 Wagen absetzen konnte, Ford vom “Eifel” im gleichen Zeitraum immerhin etwa 50.000 und Opel vom “Kadett” sogar rund 100.000, dann wird deutlich, dass Tatra damals an der Realität des europäischen Markts vorbeientwickelte.

Freilich wird man wohl bei keinem dieser “Brot-und-Butter”-Automobile jemals sagen “Do legst di nieda!”

Das schafft der Tatra 77 noch in völlig abgerocktem Zustand nach bald 90 Jahren mühelos:

Tatra 77 im “Meilenwerk” Düsseldorf, aufgenommen 2015; Bildrechte: Michael Schlenger

Übrigens würde es mich interessieren, was zwischenzeitlich aus diesem Überlebenden geworden ist, der mich 2015 in Düsseldorf ebenso umgehauen hat wie einst den Buben auf seinem Fahrrad in Innsbruck…

© Michael Schlenger, 2022. All entries in this blog (including embedded photos) are copyrighted by the author, unless otherwise indicated. Excerpts and links may be used, provided that credit is given to Michael Schlenger and https://vorkriegs-klassiker-rundschau.blog with appropriate and specific direction to the original content.

Tradition und Moderne: Vom Tatra 11 zum Tatra 75

Heute kommen wieder einmal die trefflichen Wagen der tschechischen Marke Tatra zu ihrem Recht, die vor dem Zweiten Weltkrieg zum Interessantesten gehörten, was auf dem europäischen Kontinent in automobiler Hinsicht entstand.

Ihren Ursprung hatte die Marke in der bis ins 19. Jahrhundert zurückreichenden Kutschenfabrikation von Ignaz Schustala aus dem mährischen Nesselsdorf (tschechisch: Kopřivnice).

An diese Tradition knüpft die folgende Reklame aus dem frühen 20. Jahrhundert an:

Nesselsdorfer_Wagenfabrik_Reklame_Galerie

Nesselsdorfer Wagenbau-Fabrik; Originalreklame aus Sammlung Michael Schlenger

Auch wenn hier noch der Kutschbau im Vordergrund zu stehen scheint, klingt im Text ein in die Zukunft weisender Ton an:

“Größte Equipagen- und Automobilfabrik Österreich-Ungarns”, heißt es da selbstbewusst.

Weiter unten werden neben diversen Kutschtypen auch konkrete Motorisierungen genannt: 12 und 24 PS. Das erlaubt eine Datierung obiger Reklame auf ca. 1905.

Damals kehrte der Mit-Schöpfer der ab 1897/98 gebauten ersten Automobiltypen der Nesselsdorfer WagenfabrikHans Ledwinka – nach kurzem Abstecher zu einem Wiener Hersteller in die Firma zurück.

Ledwinka entwickelte anschließend bis zum 1. Weltkrieg modernere Wagentypen, wechselte aber 1916 zu Steyr.

Nach dem 1. Weltkrieg und dem Ende der KuK-Monarchie fand sich die Nesselsdorfer Wagenfabrik in der neugegründeten Tschechoslowakei wieder.

Unter dem Zwang, die Vorkriegsmodelle abzulösen und die Fertigungsanlagen auszulasten, holte man 1921 Hans Ledwinka zurück – in der Hoffnung, das sein schöpferischer Genius dem Werk ein drittes Mal entscheidende Impulse geben würde.

Mit dieser im nachhinein sehr glücklichen Entscheidung beginnt die eigentliche Erfolgsgeschichte des Automobilbaus im einstigen Nesselsdorf, nun Kopřivnice.

Das Jahr 1923 markiert in doppelter Hinsicht eine wichtige Zäsur: Die Nesselsdorfer Wagenbaufabrik wurde zusammen mit der in Prag ansässigen Ringhoffer Waggonfabrik in Tatra-Werke umbenannt.

Im selben Jahr wurde Hans Ledwinkas großer Wurf vorgestellt, der uns hier auf einer Postkarte begegnet, die mir Leser Rolf Ackermann zur Verfügung gestellt hat:

Tatra_Ak_Tschechei_nach_Berlin_Rolf-Ackermann_Ausschnitt

Tatra Typ 11; Ausschnitt aus einer Postkarte aus Sammlung Rolf Ackermann

Der von Ledwinka konstruierte Tatra 11 war eine komplette Neuschöpfung:

Er besaß statt eines traditionellen Leiterrahmens einen deutlich steiferen Zentralrohrrahmen an dessen Enden die Vorder- und Hinterräder unabhängig voneinander – also ohne verbindende Achse – aufgehängt waren.

Damit war auf den damals meist noch unbefestigten Straßen wie auf obiger Postkarte eine deutlich bessere Bodenhaftung der Räder gewährleistet.

Auch in punkto Motorisierung beschritt Ledwinka neue Wege: Er konstruierte für den Tatra 11 einen luftgekühlten Zweizylinder-Boxermotor, der zusammen mit dem Getriebe vorn am Zentralrohrrahmen angeflanscht war.

Mit der Luftkühlung war zwar erhebliche Geräuschentwicklung verbunden – der schalldämpfende Wassermantel um den Motor fehlte ja – doch gleichzeitig vermied man die damals verbreiteten Probleme “kochender” Kühler im Gebirge und zufrierender Wasserkanäle im Winter.

Ledwinkas Kalkül ging auf: Der Tatra 11 stieß rasch auf großen Zuspruch von Automobilisten, die die Vorteile der modernen Konstruktion erkannten.

Auch wenn die Frontpartie mangels Kühlergrill ungewöhnlich aussah, war der Tatra 11 ein Wagen mit dem sich ganz offenbar sehen lassen konnte:

Tatra_T11_2_Galerie

Tatra 11; Originalfoto aus Sammlung Michael Schlenger

Drei Jahre nach Einführung des Tatra 11 mit seinem 12 PS-Aggregat brachte man 1926 einen äußerlich fast identischen Nachfolger heraus – den Tatra 12.

Er besaß einen auf 14 PS erstarkten Antrieb und – was mittlerweile Standard war – Bremsen auch an den Vorderrädern.

Einen solchen Tatra 12 sehen wir auf folgender (bereits bei anderer Gelegenheit vorgestellter Aufnahme) aus der überwiegend von Deutschen besiedelten böhmischen Region, die 1918 ebenfalls an die Tschechoslowakei gefallen war:

Tatra_T12_Böhmen_Galerie

Tatra 12; Originalfoto aus Sammlung Michael Schlenger

Bei näherem Hinsehen erkennt man auf dieser Aufnahme am in Fahrtrichtung linken Vorderrad einen Teil der Bremstrommel (wenn der Eindruck nicht täuscht).

Tatra blieb auch bei den nachfolgenden Ausbaustufen dem von Hans Ledwinka entwickelten Grundtyp in technischer Hinsicht treu.

Doch formal näherte man sich immer mehr einem modernen Erscheinungsbild an, bei dem nur das Fehlen eines Kühlergrills erkennen ließ, dass man es mit einem luftgekühlten Wagen zu tun hat.

Folgende Aufnahme zeigt einen in Frankfurt am Main von der 1925 gegründeten Deutschen Licenz Tatra Automobile Betriebsgesellschaft (kurz DETRA) montierten Tatra 57 – einer nunmehr mit V4-Zylinder-Motor ausgestatteten Version:

tatra_detra_typ_52_dunlop_10-1931

Mit diesem adretten Wagen – der nebenbei als Röhr “Junior” und Stoewer “Greif Junior” noch eine ganz eigene Karriere verfolgen sollte – war Tatra schon nahe am gestalterischen Standard wassergekühlter Wagen jener Zeit.

Den letzten konsequenten Schritt in diese Richtung repräsentierte der ab 1933 gebaute Tatra 75 – und das mit glänzendem Ergebnis.

Nicht nur hatte man die Kühlung des nunmehr solide 30 PS leistenden 4-Zylinder-Boxermotors verbessert, sondern man bot den Tatra nun auch mit einer Karosserie an, die den besten Entwürfen wassergekühlter Wagen in seiner Klasse ebenbürtig war

Erstmals begegnet ist mir dieses makellos gezeichnete Automobil auf diesem Foto, das einen Tatra 75 als Cabriolet zeigt, wie ich nach längerem Suchen herausfand:

Tatra_75_Galerie

Tatra 75 Cabriolet; Originalfoto aus Sammlung Michael Schlenger

So erfreulich diese Entdeckung auch war, blieb der Wunsch, irgendwann eine Aufnahme zu finden, die den formalen Qualitäten des Tatra 75 wirklich umfassend gerecht wird.

Kürzlich gelang mir dann der ersehnte Fund und dann noch in Form eines technisch ausgezeichneten Fotos:

Tatra_75_Kz_Wien_Galerie

Tatra 75 Cabriolet; Originalfoto aus Sammlung Michael Schlenger

Hier sieht man endlich, wie überzeugend der luftgekühlte Tatra 75 mit der funktionslosen Kühlerattrappe wirkt, die man ihm mit Rücksicht auf den Publikumsgeschmack verpasst hatte.

Funktionalistisch orientierte Design-Puristen mögen diese Lösung beanstanden, doch muss ein solches Produkt dem Kunden gefallen und nicht abstrakten gestalterischen Idealen entsprechen, für die niemand sein sauer verdientes Geld herzugeben bereit ist.

Dass es an diesem bildschönen Wagen der unteren Mittelklasse nichts zu verbessern gab, zeigt auch die Tatsache, dass er bis 1942 (!) weitergebaut wurde. Zwar entstanden in dieser Zeit nur rund 4.500 Exemplare, aber in der Tschechoslowakei gab es bloß einen sehr kleinen Abnehmerkreis für solche Automobile.

So wundert es nicht, dass dieser Tatra 75 dem Nummernschild nach zu urteilen einen Käufer in Wien fand, wo es mehr solvente Kunden für ein solches Schmuckstück gab. Übrigens wurden Tatras ab 1934 auch in der österreichischen Hauptstadt montiert – von den Austro-Tatra-Werken. Denkbar, dass dieser Tatra 75 ebenfalls dort entstand…

Als Fazit bleibt festzuhalten, dass Tatra einst binnen zehn Jahren der Sprung von einem eigenwilligen, vorbildlosen Neuentwurf hin zu einem modernen und gefälligen Automobil gelang, das das Beste aus Tradition und Moderne vereinte.

© Michael Schlenger, 2019. All entries in this blog (including embedded photos) are copyrighted by the author, unless otherwise indicated. Excerpts and links may be used, provided that credit is given to Michael Schlenger and https://vorkriegs-klassiker-rundschau.blog with appropriate and specific direction to the original content.

 

 

Verblassende Erinnerungen: Bilder des Tatra T11/12

Die Beschäftigung mit historischen Fotos von Vorkriegsautos im deutschsprachigen Raum konfrontiert einen unweigerlich mit Dokumenten, die an die fatalen Konflikte mit unseren Nachbarn in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts erinnern.

Ob es das Hin und Her um das Elsass war oder die Grenzverschiebungen im einstigen österreichisch-ungarischen Imperium nach dem 1. Weltkrieg – immer wieder fand sich die betroffene Bevölkerung ungefragt unter neuen Herrschern wieder.

Ein Beispiel dafür ist das Schicksal der Deutschen in den ehemaligen Provinzen Böhmen, Mähren und Österreichisch-Schlesien, denen 1919 von den Siegermächten des 1. Weltkriegs das Völkerrecht auf Selbstbestimmung genommen wurde.

Mehrere Millionen Deutsche mussten danach im Vielvölkerstaat Tschechoslowakei zurechtkommen. Dass dies immer schärfere Konflikte heraufbeschwor, lehrt uns der Fortgang der Geschichte, doch im Alltag gab es auch friedliche Überschneidungen.

Davon kündet diese schöne Aufnahme aus Böhmen:

Tatra_T12_Böhmen_Galerie

Tatra T12; Originalfoto aus Sammlung Michael Schlenger

Auf vielen Fotos jener Zeit finden sich Situationen wie diese: Deutsche, die in einem Wagen eines tschechischen Herstellers – hier eines Tatra T12 – posieren.

Kein Wunder – im Automobilsektor gab es von jeher eine fruchtbare Zusammenarbeit zwischen Tschechen und Deutschen. Die Firma Tatra ist ein gutes Beispiel dafür.

Im Vorgängerunternehmen, der Nesselsdorfer Wagenbau-Fabriks-Gesellschaft, entfaltete Hans Ledwinka von 1897 bis 1917 und von 1921 bis 1945 eine rege Tätigkeit.

Die Leistungen der 1923 in Tatra umbenannten Firma sind untrennbar mit seinem Namen verbunden. Die neuen Herren im Unternehmen wussten seine Fähigkeiten offensichtlich zu schätzen.

Nach seiner Rückkehr 1921 konstruierte Ledwinka als erste Großtat den Tatra T11, der mit seinem luftgekühlten Zweizylindermotor damals für Aufsehen sorgte. Ab 1926 wurde der Wagen mit Vierradbremsen als Tatra T12 angeboten.

Mit einem solchen Modell haben wir es hier offensichtlich zu tun:

Tatra_T12_Böhmen_Frontpartie

Sehr schön ist hier zu sehen, dass Tatra nicht versuchte, dem Wagen eine Kühlerattrappe zu verpassen, sondern eine eigenständige Gestaltung der Frontpartie zuwegebrachte.

Das 1100ccm messende Aggregat leistete 12 PS, was für eine  Höchstgeschwindigkeit von gut 70 km/h genügte.

Man muss das im richtigen Kontext sehen: 95 % der Bevölkerung im deutschsprachigen Raum konnten bereits froh sein, wenn sie ein Fahrrad oder Motorrad besaßen – ein eigenes Automobil war geradezu ein Privileg.

Auf den damaligen Pisten würde auch der Besitzer eines modernen Wagens kaum mehr als 70 Stundenkilometer fahren wollen. Eine Autobahn gab’s damals noch nicht.

So konnte Tatra seinen kompakten und leichtgewichtigen Typ T 11 von 1923-25 problemlos in einigen tausend Exemplaren an den Mann bringen.

Man stößt auf den verblassenden Aufnahmen aus deutschen Fotoalben jener Zeit, die die Vertreibung ihrer Besitzer aus der Heimat ab 1945 überlebt haben, immer wieder auf Bilder, die einen Tatra T11 oder T12 zeigen:

Tatra_T11_Langdorf_1933_Galerie

Tatra T11 oder T12; Originalfoto aus Sammlung Michael Schlenger

Nun mag einer sagen, dass dieser Wagen alles mögliche sein kann. Die Scheibenräder mit vier Radmuttern gab es damals beispielsweise auch beim 4 PS-Modell von Opel.

Richtig, aber den eigenwilligen Schwung des hinteren Kotflügels und die weit nach oben reichenden Luftschlitze findet man bei zeitgenössischen Opel-Wagen nicht.

Außerdem besitzen wir eine weitere Aufnahme des (vermutlich) selben Wagens – man beachte die Ähnlichkeit der jungen Männer auf den Fotos:

Tatra_T11_2_Galerie

Tatra T11 oder T12; Originalfoto aus Sammlung Michael Schlenger

Hier erkennt man ganz klar die kühlerlose Fronthaube, an die sich die junge Dame – vermutlich die Schwester unseres feschen Tatra-Fahrers – lehnt.

Sachkundige Leser können sicher auch etwas zum Nummernschild des Wagens sagen.

Ob das Auto bereits über Vorderradbremsen verfügt – dann wäre es ein T12 statt eines T11 – oder nicht, soll hier nicht diskutiert werden.

Stattdessen schauen wir uns eine weitere Aufnahme des Tatra T11 bzw. 12 an, die es in die Gegenwart geschafft hat:

Tatra_T11_oder_12_Galerie

Tatra T11 oder T12; Originalfoto aus Sammlung Michael Schlenger

Hier haben wir einen Tatra des Typs T11 oder T12, der einst anlässlich des Baus eines großzügigen Hauses zusammen mit dem mutmaßlichen Bauherrn und mehreren Handwerkern abgelichtet wurde.

Auch wenn man von dem Wagen nicht allzuviel sieht, ist das eine reizvolle Aufnahme. Der gutbetuchte Hausbesitzer war sich nicht zu schade dafür, auf einem Foto mit schmutzigem Anzug und von der Arbeit gezeichneten Männern zu posieren.

Ob links außen seine Frau und der kleine Sohn zu sehen sind, wissen wir nicht genau, die Wahrscheinlichkeit spricht aber dafür. Im Hintergrund sehen wir das vor der Fertigstellung stehende Haus im sachlichen Stil jener Zeit, der in den 1950er Jahren in nochmals vereinfachter Form fortlebte.

Nur wenige Jahre nach dieser Aufnahme folgte die Besetzung der mehrheitlich von Deutschen bewohnten Teile der Tschechoslowakei durch die Wehrmacht. Wie die Sache ausgegangen ist, verraten die Geschichtsbücher.

Man fragt sich bei diesen Aufnahmen, was wohl aus den Menschen, den Autos und dem Haus geworden ist. Letzteres hatte vermutlich die besten Überlebenschancen…

© Michael Schlenger, 2018. All entries in this blog (including embedded photos) are copyrighted by the author, unless otherwise indicated. Excerpts and links may be used, provided that credit is given to Michael Schlenger and https://www.klassiker-runde-wetterau.com with appropriate and specific direction to the original content.

 

 

 

 

Verborgene Schönheit: Ein Tatra 75 Cabriolet

Betrachtet man den Zulauf, den die Klassikerszene seit etlichen Jahren genießt, fragt man sich nach den Motiven dieser massenhaften Hinwendung an aus heutiger Sicht oft unzulängliche Schöpfungen auf vier Rädern.

Dass historische Kraftwagen mehr Kenntnis und Können vom Fahrer verlangen, ist sicher ein Aspekt, der zur Lust an der Oldtimerei beiträgt. Aber es kommt noch etwas anderes hinzu – die Freude an der schönen Form.

Auf diesem Sektor haben die meisten Hersteller schon lange nichts mehr zu bieten, außer einem Gruselkabinett an Wagen mit wild in alle Richtungen wuchernden Formen, denen kein erkennbares Gestaltungsprinzip mehr zugrundeliegt – außer vielleicht dem der ungewollten Karikatur:

Jaguar_Pickup_Malta

Jaguar XJ und moderner Pritschenwagen auf Malta; Bildrechte: Michael Schlenger

Für Menschen, denen Ästhetik wichtig ist, vielleicht sogar wichtiger als Technik, bleibt heute fast nur noch die Rolle rückwärts in die Vergangenheit.

Der Verfasser dieses Blogs besaß nur einmal einen relativ “neuen” Wagen – einen 1200er-Käfer von 1985, der ihm als 12 Jahre alter Gebrauchter zulief und im Vollgasalltag eine Laufleistung von 210.000 km mit dem ersten Motor erreichte.

Danach wandten sich die automobilen Leidenschaften immer älteren Fahrzeugen zu. Irgendwann kam die Erkenntnis, dass die Welt der Vorkriegsautos einen  unerschöpflichen Kosmos bietet, in dem sich der Augenmensch verlieren kann:

Hotchkiss_Club_Chantilly_2015

Hotchkiss-Wagen in Chantilly 2015; Bildrechte: Michael Schlenger

Ist diese Heckpartie nicht hinreißend? Solche sinnlichen Kreationen gibt es schon lange nicht mehr – auch das erklärt die seit den 1970er Jahren immer stärker anschwellende Altautobewegung.

Jetzt aber zum eigentlichen Gegenstand des heutigen Blogeintrags. Regelmäßige Leser haben vielleicht bemerkt, dass den Verfasser die sich ab den 1920er Jahren häufenden Experimente mit Stromlinienfahrzeugen faszinieren.

Einer der Höhepunkte dieser Entwicklung waren zweifellos die beeindruckenden Modelle 77 und 87 des tschechischen Herstellers Tatra.

Die Idee eines Stromlinienwagens mit 8-Zylindermotor im Heck war zwar nicht neu. Das Konzept wurde erstmals 1933 in den USA mit dem Briggs-Prototype verwirklicht. Doch eine Serienfertigung eines solchen Wagens gelang erst Tatra.

Hier haben wir ein ungewöhnliches Foto eines Tatra 87, das einen Blick auf den hintenliegenden luftgekühlten V8 erlaubt:

Tatra_87_Ausschnitt

Tatra 87; Originalfoto aus Sammlung Michael Schlenger

So fesselnd diese tschechischen Geniestreiche sind, im klassischen Sinne schön wird man sie kaum nennen können.

Wenig bekannt ist, dass Tatra auch souverän das Metier des klassischen Automobils beherrschte.

Wer würde denken, dass die folgende Aufnahme ebenfalls einen Tatra zeigt?

Tatra_75_Galerie

Tatra 75 Cabriolet; Originalfoto aus Sammlung Michael Schlenger

Auch der Kulturbanause würde hier auf ein Auto der 1930er Jahre tippen. Dabei sieht man nicht viel von dem Wagen – und unscharf ist die Aufnahme obendrein.

Es gibt jedoch formale Ideen, die so klar sind, dass sie sich von selbst in eine Schublade einsortieren. Eine gotische Kirche lässt sich auch ohne kunstgeschichtliche Vorbildung von den Betonbrutalitäten der Gegenwart unterscheiden.

Allein die verchromte Sturmstange am Verdeck des Cabriolets und der korrespondierende Schwung der Karosserielinie darunter sind ein ästhetischer Leckerbissen:

Tatra_75_Ausschnitt

Der aufmerksame Betrachter wird außerdem die Seitenschürzen der Vorderschutzbleche bemerken, die auf eine Entstehung ab 1933 hindeuten.

Etwas oberhalb davon zeichnen sich auf der Motorhaube waagerechte Zierleisten ab – sie geben den entscheidenden Hinweis auf Hersteller und Typ.

Nach Lage der Dinge haben wir hier ein Cabriolet des ab 1933 gebauten Tatra 75 vor uns, der einen 30 PS leistenden luftgekühlten 4-Zylinder-Boxermotor besaß und an die 100 km/h schnell war.

An diesen technisch eigenwilligen und zugleich enorm stilsicher gestalteten Wagen gibt es nur eines auszusetzen – es wurden recht wenige davon gebaut. Die Literatur nennt kaum mehr als 4.500 Exemplare.

Dass von diesen feinen Manufakturautos einige bis heute überlebt haben, ist die gute Nachricht. Dieser Tatra 75 mit zauberhafter Roadster-Karosserie erfreut schon seit einigen Jahren die Besucher der Classic-Days auf Schloss Dyck:

Tatra

Tatra 75 Roadster; Bildrechte: Michael Schlenger

Doch auch die serienmäßigen Cabriolets des Typs Tatra 75 werden von Enthusiasten hingebungsvoll gepflegt.

Leser Helmut Kasimirowicz verdanken wir folgendes Foto eines Tatra 75 Cabrios, das auf verschlungenen Wegen nach Düsseldorf gelangt ist und dort in besten Händen ist. Hier sieht man auch die erwähnten Zierleisten auf der Motorhaube:

Tatra_75_Düsseldorf_Kasimirowicz

Tatra 75 Cabrio am Rhein; Bildrechte: Helmut Kasimirowicz

Zwei weitere Tatra 75 – ein Cabrio und eine Limousine – sind die Stars eines Kurzfilms, der viel von der Freude verrät, ein Vorkriegsauto zu besitzen und zu bewegen:

© Videoquelle YouTube; Urheberrecht: Tomas Stancel

Ob unsere Nachfahren in 80 Jahren mit vergleichbarem Stolz und Genuss einen Renault mit so wohlklingenden Namen wie “Captur” oder “Koleos” bewegen werden?

© Michael Schlenger, 2017. All entries in this blog (including embedded photos) are copyrighted by the author, unless otherwise indicated. Excerpts and links may be used, provided that credit is given to Michael Schlenger and https://www.klassiker-runde-wetterau.com with appropriate and specific direction to the original content.

Autorarität aus Hessen: Röhr 6/30 PS “Junior”

Hessische Lokalpatrioten mit einer Schwäche für klassische Automobile haben nicht viel Auswahl. Neben Opel aus Rüsselsheim und Adler aus Frankfurt brachte das landwirtschaftlich geprägte Hessen nur noch die Marke Röhr hervor.

Röhr ist ein Beispiel für die zahllosen technisch kompetenten Fahrzeughersteller hierzulande, die es nie zu einer wirtschaftlich tragfähigen Produktion gebracht haben.

Dass die erst 1926 gegründete Marke aus Ober-Ramstadt überhaupt noch einen gewissen Bekanntheitsgrad besitzt, grenzt angesichts einer Fertigung von wenigen tausend Autos bis zum Untergang 1935 an ein Wunder.

Wer sich für die Marke Röhr interessiert, kommt an Werner Schollenbergers Netzpräsenz nicht vorbei. Eine komprimierte Markengeschichte gibt es außerdem hier zu lesen. Dort wird auch einer der großartigen 8-Zylinder-Wagen von Röhr vorgestellt, denen die Marke ihren Ruhm verdankt.

Hier soll dagegen ein anderes Kapitel der Geschichte des glücklosen Herstellers beleuchtet werden. Anlass ist der Fund dieser zeitgenössischen Originalaufnahme:

Röhr Junior

© Röhr Junior mit Paul Kemp, Mitte der 1930er Jahre; Originalfoto aus Sammlung Michael Schlenger

Der Wagen auf dem großformatigen und hochwertigen Abzug dokumentiert den letzten Versuch von Röhr, einen wirtschaftlich erfolgreichen Wagen am Markt zu platzieren.

Es ist bezeichnend, dass man dazu auf ein ausländisches Fabrikat zurückgriff, das man in Lizenz zu bauen gedachte. In den 1920er Jahren hatten Opel mit dem 4 PS-Modell und BMW mit dem Dixi erfolgreich denselben Weg beschritten.

Röhr entschied sich für das Modell 75 des tschechischen Herstellers Tatra, das 1933 vorgestellt wurde. In guter Tatra-Tradition besaß der Wagen einen vorne montierten luftgekühlten Boxermotor, der immerhin 30 PS leistete. Bei einem Wagengewicht von etwas mehr als 900 kg erlaubte das ansprechende Fahrleistungen.

Wie Tatra auch verbaute Röhr einen funktionslosen Kühlergrill, der Käufern die Entscheidung für das unkonventionelle Konzept erleichtern sollte. Auf folgendem zeitgenössischen Sammelbild ist schön zu sehen, dass der “Kühler” mt der Motorhaube verbunden war:

Röhr_Junior_Sammelbild

© Röhr “Junior”, originales Sammelbild um 1935 aus Sammlung Michael Schlenger

Ironischerweise wurde der in Lizenz gebaute und als “Röhr Junior” vermarktete Tatra das erfolgreichste Modell von Röhr. Rund 1.700 Exemplare sollen bis 1935 davon entstanden sein.

Man sieht an der überschaubaren Stückzahl, dass die Röhr-Wagen in Manufaktur erzeugt wurden. Auch dieser Hersteller ignorierte beharrlich, dass nur Serienfabrikation eine wirtschaftliche Produktion von Alltagswagen ermöglichte.

So war die Einführung des Röhr Junior ein Erfolg, den der Hersteller mangels Kapital nicht zu nutzen imstande war. Nach erneuter Insolvenz der Firma endete 1935 die Produktion. Fertigungsanlagen und Lizenz übernahm die Stettiner Firma Stoewer, die den Wagen als Greif Junior bis Kriegsbeginn 1939 produzierte.

Wie in diesem Blog üblich soll auch ein Blick dem fröhlichen Fahrer am Steuer des Röhr gelten:

Röhr Junior_Paul_Kemp

Es ist der populäre Filmschauspieler Paul Kemp (1896-1953), der mit UFA-Größen der 1930er Jahre wie Willy Fritsch und Lilian Harvey einige Erfolge landete. Seine Spezialität war das komödiantische Fach.

Wer Spaß an solchen Dingen hat, wird Paul Kemps Version des Nonsens-Schlagers “Ich wollt’ ich wär ein Huhn” mögen. Ihm haben wir zeitlose Weisheiten zu verdanken wie “Ich bräuchte nie mehr ins Büro – ich wäre dämlich, aber froh.”

Ob das Pressefoto des beliebten Paul Kemp mit dem Röhr Junior ein frühes Beispiel für “Werbung mit Prominenten” war? Geholfen hat es jedenfalls nicht…

Ein weiteres Originalfoto eines Röhr “Junior” findet sich übrigens hier.

DETRA: PKWs mit luftgekühltem Boxer aus Frankfurt

In einer Zeit, in der es gerade ein Dutzend Automobilproduzenten in Deutschland gibt, ist es immer wieder faszinierend zu sehen, welche Hersteller- und Markenvielfalt es hierzulande noch vor dem 2. Weltkrieg gab.

Beim Stichwort Autos aus Hessen etwa fällt den meisten bloß der Rüsselsheimer Hersteller Opel ein. Nur Kenner wissen noch von einst international angesehenen Firmen wie Adler aus Frankfurt, der kleinen Marke Röhr aus Ober-Ramstadt und feinen Karosseriebauern wie Autenrieth (Darmstadt) oder Kruck (Wiesbaden).

Der Erinnerung wert ist aber auch der Hersteller des folgenden Fahrzeugs aus der Äbbelwoi-Metropole am Main:

Detra-Tatra_52

© DETRA-Tatra Typ 52, Baujahr 1931-38; Originalaufnahme aus Dunlop-Zeitung Nr. 10/1931, Sammlung Michael Schlenger

Zu sehen ist hier nicht etwa eine großzügige französische Limousine, sondern ein Anfang der 1930er Jahre in Frankfurt gefertigtes Automobil. Hersteller war die DETRA GmbH mit Sitz in der Frankenallee.

Das Mitte der 1920er Jahre gegründete Unternehmen baute in Lizenz Wagen der renommierten tschechischen Firma Tatra. Die vom Österreicher Hans Ledwinka konstruierten Tatra-Wagen der Zwischenkriegszeit waren technisch wie formal eine Klasse für sich. 

Mit zuverlässigen luftgekühlten Boxer-Motoren, robustem Zentralrohrrahmen, großzügigem Innenraum und komfortablem Fahrwerk gehörten speziell die stärker motorisierten Tatras zu den interessantesten Autos ihrer Klasse vor dem 2. Weltkrieg.

Mit genau einem solchen Wagen haben wir es hier zu tun, einem Tatra Typ 52, der von 1930 bis 1938 gebaut wurde, zeitweise auch in Lizenz von der DETRA in Frankfurt. Das Auto erreichte dank des 1,9 Liter großen und 30 PS starken Vierzylinders ein Höchsttempo von 90 km/h. Vierganggetriebe, hydraulische Stoßdämpfer und 12-Volt-Elektrik waren damals alles andere als selbstverständlich.

Allerdings waren die Tatras konzeptbedingt formal eigenwillig, was sich auf unserem Bild erst auf den zweiten Blick erschließt. Der vorne montierte luftgekühlte Motor kam ohne Wasserkühler aus, weshalb die Frontpartie entsprechend schlicht ausfiel.

Auf folgendem Bildausschnitt ahnt man die vorne schräg abfallende schmucklose Blechhaube, die den Tatras damals ein ganz eigenes Gesicht gab:

Detra-Tatra_52_Front Wie das von vorne aussah, kann man auf diesem Bild sehen. Sicher war diese Frontpartie bei allen sonstigen Qualitäten der großen Tatras eine Hürde, die ein Käufer erst einmal nehmen musste. Dass es Gourmets gab, die gerade die Andersartigkeit der Tatras zu schätzen wussten, belegt das eingangs gezeigte Bild.

Denn der dort abgebildete Wagen trägt eine raffiniert geschnittene Sonderkarosserie von Auer aus Stuttgart, die den Wagen besonders elegant erscheinen lässt. Den dafür verantwortlichen Liebhabern des Außergewöhnlichen verdanken wir zahllose großartige Automobilkreationen – und seien sie nur noch auf alten Fotos existent.

Übrigens endete die Geschichte der Frankfurter DETRA im Jahr 1938, als das Deutsche Reich sich die über die mehrheitlich von Deutschen besiedelten Gebiete hinausgehenden Teile der Tschechei mit stiller Duldung Englands und Frankreichs einverleibte.

Nur rund 1.700 Exemplare des Tatra 52 wurden gefertigt. Überlebende dürften heute seltener sein als mancher Luxus- oder Supersportwagen, der selbst als Schrotthaufen noch Preise im sechsstelligen Bereich erzielt. Dagegen sind Tatras der Vorkriegszeit wirklich exklusiv.

Schloss Dyck 2015: Rückblende in Analogtechnik

Die Classic Days auf Schloss Dyck am Niederrhein müssen nicht mit vielen Worten angepriesen werden. Wer einmal dort war, ist süchtig nach Deutschlands schönster Klassikerparty. Das Warten auf die nächste Ausgabe des Spektakels lässt sich vielleicht mit einigen Bildern aus dem Jahr 2015 erträglicher gestalten.

Der Verfasser hat von dort Aufnahmen mitgebracht, die nach alter Väter Sitte in Analogtechnik entstanden sind. Auf einer Klassikerveranstaltung, bei der historische Technik gefeiert wird, liegt es nahe, auch eine Kamera einzusetzen, an der ebenfalls alles manuell eingestellt werden muss.

Hier ein erster Vorgeschmack, die Brücke über den Wassergraben von Schloss Dyck:

Schlosspark

© Schloss Dyck Classic Days 2015; Bildrechte: Michael Schlenger 

Ja, aber gibt es für die alten Kameras überhaupt noch Filme? Sicher, so wie es auch noch Kerzen und handgefertigte Schuhe gibt. Bei allem Fortschritt überleben die meisten alten Handwerke und Technologien in einer Nische – zur Freude von Individualisten. Und so entdecken heute selbst Leute, die mit der Digitaltechnik großgeworden sind, den Reiz der klassischen, auf Chemie basierenden Fotografie wieder.

Die Beschränkung auf 36 Aufnahmen pro Film erzieht dazu, über jedes Bild nachzudenken. Mangels Programmen muss der Fotograf den Prozess der Bildentstehung verstehen – und kann ihn daher auch bewusst steuern. Letztlich liefert die auf Chemie basierende klassische Fotografie andere Ergebnisse als die digitale.

Man sieht das den folgenden Bildern an – auch wenn es sich um datenreduzierte Digitalscans handelt; die Negative liefern natürlich weit mehr Details. Beginnen wir mit Cyclecars und kompakten Sportwagen der 1920/30er Jahre:

© Schloss Dyck Classic Days 2015; Bildrechte: Michael Schlenger 

Zu sehen waren hier ein Cyclecar der französischen Marke Amilcar, ein MG-Roadster und ein Bugatti-Rennwagen – alles feingliedrige Sportfahrzeuge, die einst viele Erfolge feierten.

Eine ganz andere Dimension stellen die Bentleys der Zwischenkriegszeit dar. Sie sind groß, schwer und selten elegant. Doch sind sie so opulent motorisiert, dass sich damit heute noch auf der Autobahn mithalten lässt. Von diesem Potential machen die Mitglieder des Londoner Benjafield’s Racing Club Gebrauch, die jährlich zu den Classic Days auf Schloss Dyck auf eigener Achse anreisen. Hier eine Auswahl dieser mächtigen  Vehikel:

© Schloss Dyck Classic Days 2015; Bildrechte: Michael Schlenger 

In der Bentley-Liga treten stets auch “Specials” auf, also umgebaute Fahrzeuge auf Basis von Werkschassis. Das können im Idealfall zeitgenössische Wagen sein, aber ebenso Kreationen der Nachkriegszeit, bei der jemand aus einem Wrack etwas Eigenes gezaubert hat. Heute noch dienen kaum restaurierungswürdige Limousinen von Marken wie Alvis oder Riley als Basis für solche Sportgeräte. Das Resultat ist oft sehr ansehnlich – und selbst aus einem braven Austin Seven lässt sich ein Sportwagen machen!

Natürlich ist auch die Klasse der Luxuswagen der Vorkriegszeit auf Schloss Dyck stets mit großartigen Exemplaren vertreten. Hier sind majestätische Limousinen, Roadster und Tourer von Marken wie Mercedes, Lagonda und Rolls-Royce in Bewegung unter freiem Himmel zu sehen. Diese Fahrzeuge muss man außerhalb eines Museums erlebt haben, um ihre phänomenale Präsenz zu begreifen. Eine kleine Auswahl davon:

© Schloss Dyck Classic Days 2015; Bildrechte: Michael Schlenger 

Doch auch Klein- und Mittelklassewagen der 1930er Jahre kommen auf Schloss Dyck zu ihrem Recht. Dabei sind neben Werkskarosserien auch Sonderanfertigungen zu sehen, die etwa aus einem kleinen Tatra ein mondänes Gefährt machen. Zu sehen gibt es auch seltene Transporter-Ausführungen wie im Fall des Lancia Aprilia:

© Schloss Dyck Classic Days 2015; Bildrechte: Michael Schlenger 

Zum Schluss noch einige Leckerbissen für die Freunde klassischer Wagen der 1950er und 60er Jahre. Hier gibt es traumhafte GTs von Marken wie Lancia oder Maserati zu sehen, die einen von der verlorengegangenen Schönheit im Automobilbau träumen lassen. Jedes Jahr wird außerdem ein besonderer Marken- oder Typenakzent gesetzt. 2015 wurden beispielsweise herausragende Exemplare der britischen Marke Bristol präsentiert:

© Schloss Dyck Classic Days 2015; Bildrechte: Michael Schlenger 

Last but not least sei erwähnt, dass man bei den Classic Days stets auch ein glückliches Händchen hat, was die Auswahl des begleitenden Showprogramms angeht. Diese jungen Damen etwa begeisterten mit einem perfekten Auftritt im Stil der 1940er Jahre:

© Schloss Dyck Classic Days 2015; Bildrechte: Michael Schlenger

Im Tatra 87 durch Afrika und Lateinamerika

Bereits vor dem Zweiten Weltkrieg hatte Tatra mit dem Modell 77 das erste Serienfahrzeug mit Stromlinienkarosserie und Heckmotor gebaut (ab 1934). Alle vorherigen Versuche (Claveau, Burney, Briggs) waren im Prototypenstadium steckengeblieben.

Tatra77_1© Tatra 77 in der Klassik Remise Düsseldorf, 2015; Bildrechte: Michael Schlenger

Der kurze Zeit später vorgestellte Tatra 87 folgte demselben Konzept, war aber etwas kürzer, deutlich leichter und damit noch leistungsfähiger. Dieses Modell sollte bis 1950 nur wenig verändert in über 3.000 Exemplaren gebaut werden.

Dass die luftgekühlten Tatras ausgereift und zuverlässig waren, stand bald außer Zweifel. Dass sie aber auch den harten Anforderungen abseits geteerter Straßen standhalten würden, sollte sich erst nach dem Krieg erweisen.

Ab 1947 waren die beiden tschechischen Reisejournalisten Jiri Hanzelka und Miroslav Zikmund über mehrere Jahre mit einem Tatra 87 in Afrika und Südamerika unterwegs, um Material für Film- und Bildreportagen zu sammeln. Die Nutzung als Expeditionsfahrzeug auf schlechten Wegstrecken und unter extremen Klimabedingungen verlangte dem Tatra Dinge ab, für die er eigentlich gar nicht konstruiert war.

Für die beiden Abenteurer scheint es aber genau das richtige Gefährt gewesen zu sein. In ihren zahlreichen Reisebüchern finden sich immer wieder sorgfältig komponierte Bilder, bei denen der treue Tatra im Mittelpunkt steht.

© Bildquelle: “Südamerika” von Jiri Hanzelka/Miroslav Zikmund, Verlag: Volk und Welt, 1958

Sind die luftgekühlten Tatras schon auf europäischen Straßen ein außergewöhnlicher Anblick, wirken sie erst recht in freier Natur wie Erscheinungen aus einer anderen Welt.

Leider gibt es nur wenig Filmmaterial, auf dem der Tatra 87 im Einsatz abseits der Zivilisation zu sehen ist. Die folgende zeitgenössische Filmsequenz zeigt eine solche Situation:

   

© Videoquelle: YouTube, hochgeladen von: Luka Regmuko; Urheberrecht: Jiri Hanzelka/Miroslav Zikmund

Hier zeigt der Tatra nicht nur gute Geländegängigkeit dank weicher Federung, sondern erweist sich auch als tauglich für Flussdurchfahrten.

Da die Luft für den V8-Motor hinten von oben angesaugt wird, bestand kaum Gefahr, dass bei solchen Aktionen Wasser den Antrieb lahmlegt. Auch Überhitzung oder Frostschäden im Wechsel zwischen Wüste und Hochgebirge sowie Steinschlagschäden am Kühler waren nicht zu befürchten.

Buchtipp für Tatra-Freunde:

Auf deutsch sind von Jiri Hanzelka und Miroslav Zikmund folgende Reisebücher mit vielen Tatra-Bildern erschienen:

  • Afrika – Traum und Wirklichkeit
  • Südamerika – Zwischen Paraná und Río de la Plata
  • Südamerika – Über die Kordilleren
  • Südamerika – Bei den Kopfjägern
  • Mittelamerika – Zwischen zwei Ozeanen

Aufgelegt jeweils im Verlag Volk u. Welt (1954-59). Antiquarisch erhältlich über http://www.eBay.de oder http://www.zvab.com

Crossley RE Streamline: Eine kuriose Rolle rückwärts

Das Konzept eines Wagens mit Stromlinienkarosserie und Heckmotor war vor den Erfolgsmodellen von Tatra und Volkswagen bereits von einer Reihe anderer Hersteller in Prototypen erprobt worden. Die frühesten Beispiele dafür stammen aus der Mitte der 1920er Jahre (Claveau).

Von diesen Vorläufern kam der ab 1928 in England entwickelte Burney Streamline der Serienproduktion am nächsten. Zeitweilig interessierte sich sogar Rolls-Royce für den eigenwilligen Wagen.

Burney_Streamline_1930

© Burney Streamline; Bildquelle: http://www.crossley-motors.org.uk

Letztlich übernahm ein anderer britischer Hersteller die Patente von Burney – Crossley aus Manchester. Crossley war eine der vielen Marken, die bis zum Zweiten Weltkrieg hochwertige Automobile bauten, aber mangels Großserienfertigung keine dauerhaften Erfolgschancen hatten.

Bereits vor Beginn der PKW-Produktion im Jahr 1904 genoss Crossley einen guten Ruf als Motorenbauer. In den 1920er Jahren tat man sich mit soliden, leistungsfähigen Fahrzeuge hervor, die auf Käufer mit speziellem Geschmack abzielten. Eine Weile baute man auch den Bugatti Typ 23 “Brescia” in Lizenz, was den Rang der Marke unterstreicht.

Das seltene Glück, einem der Überlebenden der insgesamt rund 19.000 gebauten PKW von Crossley zu begegnen, hatte der Verfasser beim Goodwood Revival Meeting 2015 in Südengland. Dort war auf dem für Klassikerbesitzer reservierten Besucherparkplatz ein Crossley 19.6 hp von 1923 in der raren Karosserieversion “2-door sports” zu bewundern.

Crossley_19.6hp_1923© Crossley 19.6hp von 1923, Goodwood Revival 2015; Bildrechte: Michael Schlenger

Während die Linienführung der PKW von Crossley meist konservativ blieb, beschritt man Anfang der 1930er Jahre mit einem auf dem Burney Streamline basierenden Modell einen denkbar unkonventionellen Weg.

Für den neuen Crossley RE Streamline kombinierte man den Entwurf von Burney mit einer traditionellen Frontpartie, verkürzte das Chassis und verbaute im Heck statt des 8-Zylinders einen hauseigenen 6-Zylinder.

Crossley_Streamline_1934© Crossley Streamline; Bildquelle: http://www.crossley-motors.org.uk

Das Resultat hatte mit einem echten Stromlinienfahrzeug wenig gemein, was aber in den 1930er Jahren keine Seltenheit war. Viele Hersteller bedienten sich bestimmter Elemente der Stromlinie, um eine moderne Anmutung zu erreichen, ohne die Kundschaft mit gestalterischen Experimenten zu erschrecken (Beispiele hier).

Crossley gelang mit dem RE (“rear engine”) aber weder das eine noch das andere: So machte die Frontpartie die Bemühungen um eine windschlüpfrige Form zunichte, gleichzeitig fehlte dem Modell jede gestalterische Raffinesse.

Crossley Streamline

© Crossley Streamline aus dem National Motor Museum Beaulieu; Bildquelle: http://www.crossley-motors.org.uk

Kaum verwunderlich, dass die Produktion dieses unharmonischen Gefährts im Jahr 1934 nach nur rund 20 Exemplaren wieder eingestellt wurde. Mindestens zwei davon existieren noch.

Crossley baute nach dieser gescheiterten Rolle rückwärts noch bis zum 2. Weltkrieg herkömmliche PKW-Modelle und beschränkte sich später auf den Motoren- und Omnibusbau.

Doppelstockbusse sollten in den 1950er Jahren die letzten Automobile sein, die das markante Templerkreuz von Crossley auf der Kühlermaske trugen. Immerhin erinnern einige überlebende Fahrzeuge an diese einst stolze Marke.

Crossley_19.6_Goodwood_Revival_2013

© Crossley 19.6HP, Goodwood Revival 2013; Bildrechte: Michael Schlenger

Tropfenform – Designtrend der 1930er Jahre

Ein Fahrzeug, das auf Klassikerveranstaltungen immer wieder formal aus dem Bild fällt, ist der VW Käfer. Selbst die letzten in Mexiko produzierten Exemplare wiesen noch die typische tropfenähnliche Grundform auf.

Mexiko-Käfer© Mexiko-Käfer Bj. 1985; Bildrechte: Michael Schlenger

Der Käfer hat sich im kollektiven Gedächtnis als einzigartiges Auto verankert, auch aufgrund jahrzehntelanger Präsenz. Doch bei seiner Entstehung in den 1930er Jahren war er mit seiner an der Stromlinie orientierten Form ganz ein Kind seiner Zeit.

Beschäftigt man sich mit den Vorläufern und Geschwistern des Volkswagens, wird es rasch unübersichtlich. Nachfolgend der Versuch, für mehr Klarheit zu sorgen:

Die aerodynamische Vorarbeit wurde schon in den 1920er Jahren geleistet, im Wesentlichen von Paul Jarays Stromlinien-Karosserie-Gesellschaft. In der Folge kristallisierte sich die Tropfenform als gestalterisches Ideal heraus, an dem sich Konstrukteure in mehreren Ländern abarbeiten sollten.

Noch vor Tatra und den ersten VW-Versuchswagen hatte die US-Karosseriefirma Briggs 1933 einen Prototypen vorgestellt, der technisch und formal alle Charakteristika aufwies, die in den Folgejahren in zahllosen Varianten durchdekliniert wurden (ausführlicher Bericht). Hier der Ausschnitt eines Originalfotos:

Briggs_Prototyp_1933© Briggs Prototyp 1933; Fotoabzug: Sammlung Michael Schlenger

Ebenfalls 1933 entwickelte das Konstruktionsbüro Porsche für NSU einen Wagen, der die Wesensmerkmale des Volkswagens vorwegnahm. Das Auto wurde in einigen Exemplaren gebaut, aber von NSU letztlich nicht in Produktion genommen. Tatsächlich markiert dieser Entwurf den Anfang des VW-Stammbaums.

Porsche_Typ_32© Porsche Typ 32; Bildquelle: http://www.flickr.com; Urheberrecht: Georg Sander

Im Frühjahr 1934 stellte Tatra seine Interpretation des Themas vor, den Typ 77. Dabei ähnelt vor allem die Seitenpartie ab der A-Säule dem Briggs von 1933, ohne dass man eine direkte Beeinflussung behaupten kann. Hier eine Abbildung des Tatra-Prototyps, der in einigen Details vom Serienmodell abwich:

Tatra77_Prototyp_1934

© Sammelbild Tatra 77 Prototyp 1934; Sammlung Michael Schlenger

1935 wurden von Porsche die Vormodelle des Volkswagens entwickelt. Während die Grundform dem Entwurf für NSU folgt, erinnern Dachline und Fensterpartien an den Briggs-Prototypen und den ab 1934 gebauten Chrysler Airflow.

Die freistehenden Scheinwerfer waren dagegen nicht auf der Höhe der Zeit. Gleichzeitig fällt der Verzicht auf Trittbretter auf, die im Serienmodell wieder auftauchten.

Volkswagen-Versuchsmodell_1935-36

© Sammelbild Volkswagen Versuchsmodell 1935/36; Sammlung Michael Schlenger

1936 stellte die Steyr-Daimler-Puch AG in Österreich den Typ 50 vor. Mit vorn eingebautem Motor fällt er zwar technisch aus dem Rahmen. Doch formal gehört der Wagen in die hier vorgestellte Familie. Markant ist der Verzicht auf Trittbretter, der VW beim Käfer in 65 Jahren Produktionsdauer nicht gelungen ist.

Im Vergleich zum Kleinwagenversuch von Mercedes in Form des Typs 130 war der Steyr überzeugender. Der kompakte 4-Zylinder-Boxer erlaubte eine stromlinienförmige Frontpartie, gleichzeitig war die Gewichtsverteilung dank Heckantrieb ausgewogen. Hier eine Abbildung des leistungsstärkeren Steyr 55:

Steyr_55_1938-40

© Sammelbild Steyr 55; Sammlung Michael Schlenger

Die Fahrleistungen des Steyr entsprachen denen des Mercedes 130. Mit 12 Volt-Elektrik, 4-Gängen, Einzelradaufhängung und erstaunlich geräumigen Innenraum stellte Steyrs “Baby” trotz seines Erscheinungsbildes ein erwachsenes Auto dar. Der Absatzerfolg war beachtlich (13.000 Stück bis 1940).

Vom Steyr war es nicht weit zum 1937 vorgestellten Adler 2,5 Liter, dem Autobahnadler. Seine Karosserie war das Werk von Karl Jenschke, der den Steyr 50 entworfen hatte. Die Seitenlinie entspricht weitgehend dem Briggs-Prototypen, während die Frontpartie an den Tatra 77 Prototypen, den Steyr 50 und an den Chrysler Airflow erinnert:

Adler_2,5_Liter_1938-40

© Sammelbild Adler 2,5 Liter “Autobahnadler”; Sammlung Michael Schlenger

Lässt man diese Vertreter des Stromlinientrends in den 1930er Jahren Revue passieren, gewinnt man den Eindruck, dass damals viele Köpfe gleichzeitig in dieselbe Richtung gedacht haben.

Oft liest man, Porsches Volkswagen sei von Tatra oder den Mobilen von Josef Ganz abgekupfert. Doch die Betrachtung zeigt, dass hier in kurzer Zeit ähnliche Konzepte realisiert wurden, die aus derselben Grundidee abgeleitet waren.

An diesem Designkonzept hielt nach dem Krieg neben Volkswagen auch Tatra bis in die 1950er Jahre fest. So wurde ab 1948 in über 6.000 Exemplaren der Tatra 600 “Tatraplan” gefertigt.

Er war eine verkleinerte Version des Vorkriegsmodells 87 mit 4-Zylinder-Motor. Dessen 52 PS reichten je nach Übersetzung für bis zu 140 km/h Spitzengeschwindigkeit – ein schöner Beleg für die Wirksamkeit des Tropfenkonzepts.

Tatraplan_Pressefoto_1949© Tatra 600 “Tatraplan”; Pressefoto aus Sammlung Michael Schlenger

Heute ist dieser Verwandte des VW Käfer ein Exot. Sieht man den Tatraplan “in natura”, wird einem klar, wie großzügig er im Vergleich zum Volkswagen war. Mit den Fertigungskapazitäten von VW hätte das Modell großen Erfolg haben können.

1952 wurde die Produktion infolge planwirtschaftlicher Fehlentscheidungen eingestellt. Tatra sollte künftig nur noch LKWs bauen. Die späteren Wagen vom Typ 613 hatten außer dem Heckmotor wenig mit ihren Vorgängern gemeinsam.

Rarer Mercedes-Benz 130 in Friedberg

Wer sich mit allen Facetten historischer Mobilität beschäftigt, macht immer wieder überraschende Funde. Das eine Mal stößt man über eine alte Reklame auf ein eigentümliches Flugzeug aus der Zeit vor dem 1. Weltkrieg – die Taube von Igo Etrich.

Ein anderes Mal findet man bei eBay ein Filmnegativ der Vorkriegszeit, das außer der vertrauten Burg in Friedberg in der Wetterau wenig erkennen lässt. Was man zumindest ahnt, ist ein Fahrzeug ohne Kühlergrill im Vordergrund. Ein Tatra vielleicht?

Negativ 6x9© Negativ mit Mercedes 130 in Friedberg/Hessen; Sammlung Michael Schlenger

Das Negativ kostet nur ein paar Euro und landet nach ein paar Tagen wohlbehalten in der Post. Es hat das vor dem Krieg gebräuchliche 6×9 cm-Format, das auch bei mäßiger Optik ordentliche Ergebnisse erwarten lässt.

Mangels eigener Möglichkeit zur Anfertigung eines Abzugs wird das Negativ kurzerhand eingescannt und mit einem Bildbearbeitungsprogramm in ein Positiv verwandelt. Ein Knopfdruck und auf einmal sieht man die Szene vor dem Friedberger Burgtor, so wie sie sich vor rund 80 Jahren darbot:

Mercedes-Benz_130_in Friedberg_30er_Jahre© Mercedes-Benz 130 in Friedberg/Hessen; Sammlung Michael Schlenger

Jetzt wird auch erkennbar, um was für ein Auto es sich handelt – eine echte Rarität! Denn was dort so gedrungen neben dem stattlichen Herrn steht, ist einer der seltenen Heckmotorwagen von Mercedes-Benz, genauer gesagt ein Modell 130.

Das Fahrzeug fügt sich ein in die Bemühungen vieler Hersteller jener Zeit, mit aerodynamisch optimierter Karosserie und Heckantrieb neue Wege zu beschreiten.

Im Unterschied zu Vorläufern wie Burney in England, Briggs in den USA und Tatra in Tschechien setzte man hierzulande jedoch nicht auf 8-Zylindermotoren und großzügige Karosserien. Vielmehr sah man Potential im Kleinwagensektor und beschränkte sich entsprechend auf 4-Zylinder-Aggregate.

Dabei war Mercedes in Sachen Motorleistung ähnlich defensiv wie später VW: So leistete die längs eingebaute wassergekühlte Reihenmaschine mit 1,3 Liter gerade einmal 26 PS. Bei einem Wagengewicht von fast 1.000 kg war das arg wenig, weshalb die Höchstgeschwindigkeit nur knapp über 90 km/h betrug.

Dennoch kommt Mercedes das Verdienst zu, den ersten Serienwagen dieser Art in Deutschland zustandegebracht zu haben. Von 1934 bis 1936 wurden rund 4.300 Exemplare gefertigt. Hier eine zeitgenössische Reklame mit geschönter Karosserieform und unfreiwillig komischem Verweis auf die “überraschenden Fahreigenschaften”:

MB_130_Reklame

© Reklame der 1930er Jahre; Reproduktion in der MVC-Depesche 4/1999; Sammlung Michael Schlenger

Zwar wurden das Platzangebot im Innenraum und die Ausstattung – u.a. hydraulische Bremsen, 4-Gang-Getriebe und zwei Scheibenwischer – gelobt. Doch die für einen Mercedes ungewohnte Form und das heckmotortypische Übersteuern setzten der Verbreitung des hochwertig verarbeiteten Wagens enge Grenzen. Zudem machten der zu geringe Platz für Gepäck und der kleine Tank den 130er ungeeignet für längere Fahrten.

So dürfte das Exemplar auf dem Foto bereits damals Exotenstatus genossen haben. Wie das Nummernschild verrät, handelt es sich um ein in Württemberg (Jagstkreis) zugelassenes Fahrzeug (siehe Ausschnittsvergrößerung). Wie es scheint, verfügt der Wagen noch nicht über die ab 1935 serienmäßige Zweifarblackierung.

Mercedes-Benz_130_Detail© Mercedes-Benz 130 in Friedberg/Hessen (Ausschnittsvergrößerung); Sammlung Michael Schlenger

Die Aufnahme muss zwischen 1934 und Kriegsende entstanden sein. Da der Mercedes 130 wie andere schwach motorisierte Fahrzeuge nicht von der Wehrmacht eingezogen wurde, haben relativ viele Exemplare den Krieg überlebt. Dafür sind sie dann in den folgenden Jahren meist restlos aufgebraucht worden.

Heute sind gute Exemplare des Heckmotor-Mercedes äußerst rar und sehr begehrt. Ein historisches Foto dieses interessanten Modells, noch dazu vor unserer Haustür, ist für den Liebhaber solcher Dinge ein außergewöhnlicher Fund.

Interessant ist, dass der 130er offenbar auch als Rechtslenker für den Export gebaut wurde. Dafür spricht jedenfalls das folgende Video eines Exemplars, das in Indien (!) überlebt hat.

© Videoquelle: Youtube; Urheberrecht: Prithvi Tagore

Einen Bildbericht über das konzeptionell ähnliche, aber leistungsstärkere Nachfolgermodell 170H gibt es hier.

Weitere Entdeckungen vor dem Friedberger Burgtor gibt es übrigens hier und hier.

Stromlinien-Skoda von 1935 wiederbelebt

Dem Serienerfolg von Tatra und Volkswagen mit Heckmotor und Stromlinie gingen viele ähnliche Versuche voraus. In den 1920er Jahren scheiterten die Modelle von Claveau in Frankreich und Burney in England. Auch der 1933 in den USA präsentierte Briggs kam über das Prototypenstadium nicht hinaus.

Die Aufzählung wäre nicht vollständig ohne den Skoda 935, der 1935 vorgestellt wurde und das Zeug zur Serienproduktion gehabt hätte. Vor allem in der Seiten- und Heckansicht ähnelt der Wagen dem ein Jahr zuvor erstmals gebauten Tatra 77. Bilder des Skoda 935 aus mehreren Richtungen gibt es hier zu sehen. Nachfolgend ein zeitgenössisches Foto:

Skoda_935_von_1935

© Skoda 935, Foto aus Sammlung Vaclav Petrik, Reproduktion: Archiv-Verlag

Skoda beschritt beim Typ 935 formal wie technisch eigene Wege. Äußerlich fällt der Kühlergrill an der Front auf, der einen konventionell montierten Motor dahinter vermuten lässt. Gleichzeitig weisen die in die Kotflügel integrierten Scheinwerfer weit in die Zukunft voraus. In der Frontpartie zeichnet sich bereits die Pontonform der Nachkriegszeit ab.

Technisch unterscheidet den Skoda 935 einiges von seinen zeitgenössischen Verwandten. Der Motor liegt zwar im Heck, aber zwecks besserer Gewichtsverteilung vor der Hinterachse. Zudem verfügt der Skoda nicht über 8, sondern nur 4 Zylinder, in Boxeranordnung. Vom Volkswagen wiederum hebt sich das Aggregat durch Wasserkühlung ab.

Dank Mischbauweise mit Stahl und Aluminium wog der sechssitzige Skoda 935 nur rund 1200 kg. Dies und die gute Aerodynamik erlaubten für die damalige Zeit hervorragende Fahrleistungen. Die 55 PS aus 2 Litern Hubraum erlaubten eine Spitzengeschwindigkeit von 140 km/h.

Ungeachtet der durchdachten Konstruktion blieb es bei dem Prototypen – die Gründe dafür sind nicht bekannt. Erstaunlich ist, dass dieses eine Exemplar noch existiert. Die Firma Skoda hat es vom einstigen Besitzer zurückgekauft und wieder in den Ursprungszustand versetzt.

2015 wurde das eindrucksvolle Fahrzeug bei den Schloss Bensberg Classics nach 80 Jahren erneut der Öffentlichkeit vorgestellt.

Stromlinie & Heckantrieb: Briggs-Prototyp von 1933

Seit den 1920er Jahren lag das Konzept des Heckmotorautos mit Stromlinienkarosserie in der Luft. Entwürfe gab es etliche, doch der Weg zur Serienproduktion war lang. Vom 1928 in England vorgestellten Burney Streamline wurden nur wenige Exemplare gefertigt. Und der 1931 von GM-Gestalter John Tjaarda in den USA entworfene Wagen nahm zwar den späteren Tatra 77/87 formal vorweg, existierte aber nur in Zeichnungen.

John Tjaardas Ideen sollten aber bald auch praktische Ergebnisse zeitigen. 1932 wechselte er zum Karosseriebauer Briggs in Detroit, der von den US-Großserienherstellern als Partner geschätzt wurde. Dort entwickelte Tjaarda seinen ersten Entwurf weiter, sodass dieser patentiert werden konnte. Hier eine Abbildung aus der Patentanmeldung von Januar 1933.

Tjaarda-Patent-US-Des_94-396

© Bildquelle: http://theoldmotor.com; Urheberrecht: John Tjaarda

Der Entwurf weist weiterhin Ähnlichkeiten mit dem späteren Tatra-Modell auf, vor allem in der Seitenansicht. Jedoch ist nun vor allem die Front plastischer durchgeformt.

Als Ford bei Briggs einen Karosserientwurf für die Konzernmarke Lincoln in Auftrag gab, wurde obige Zeichnung als Grundlage für einen Prototypen mit luftgekühltem Ford-V8-Heckmotor verwendet, der 1933 als “Briggs Dream Car” vorgestellt wurde. Hier eine Aufnahme des Wagens (Ausschnitt des Originalfotos):

Briggs_Prototyp_1933© Pressefoto Briggs Prototyp 1933; Bildquelle: Sammlung Michael Schlenger

Auf dieser Basis entwickelte Briggs den bestellten Lincoln-Prototypen. Dieser musste zwar auf Wunsch von Ford auf Frontmotor umgerüstet werden, was Abweichungen von Tjaardas ursprünglichen Entwürfen erforderte.

Teile des selbsttragenden Karosseriegerüsts und die Proportion der Fahrgastzelle wurden aber beim ab 1936 gebauten Lincoln Zephyr beibehalten. Selbst Details wie der Übergang der Scheinwerfer zu den Kotflügeln tragen hier noch Tjaardas Handschrift.

Lincoln_Zephyr_1936

© Pressefoto Lincoln Zephyr, 1936; Bildquelle: Sammlung Michael Schlenger

Übrigens sollte die bei Ford noch stärker herausgearbeitete spitz zulaufende Kühlerfront selbst wieder stilprägend werden. Viele Autos der späten 1930er Jahre übernahmen dieses markante Detail, sogar der brave Fiat 1100, der ab 1939 bis in die späten 1940er Jahre in der unten abgebildeten Form gebaut wurde.

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© Originalfoto Fiat 1100 in Rom (Stazione Termini) 1957; Sammlung Michael Schlenger

Ein Vorläufer des Tatra 77/87 aus den USA (1931)

Der tschechischen Firma Tatra kommt das Verdienst zu, als erste Serienfahrzeuge mit Stromlinienkarosserie und Heckmotor gebaut zu haben (Tatra 77 ab 1934). Doch wurde schon Ende der 1920er Jahre mit dem Burney Streamline in England ein erster Versuch unternommen, das Konzept serientauglich zu machen.

Nur wenigen Spezialisten dürfte bekannt sein, dass es neben dem gescheiterten Burney in den USA einen Entwurf von John Tjaarda gab, der den Erfolgsmodellen von Tatra vorausging und diesen zumindest formal sehr nahekam.

Der aus den Niederlanden eingewanderte Tjaarda arbeitete nach Anstellungen bei diversen US-Karosseriebauern ab 1930 im Designbüro von General Motors (GM). Dort entwarf er einen Stromlinienwagen mit V8-Motor im Heck, dem der später von Tatra realisierte Wagen verblüffend ähnelte.

GM hat das von Tjaarda vorgeschlagene Fahrzeug zwar nicht in die engere Wahl gezogen, es gab nicht einmal einen Prototyp. Doch existieren Abbildungen, die den visionären Entwurf von Tjaarda zeigen. Hier eine Darstellung des Wagens aus der Zeitschrift “Modern Mechanics and Inventions”, Ausgabe Juli 1931:

Entwurf_von_John_Tjaarda_1931

© Bildquelle: http://blog.modernmechanix.com; Urheberrecht: “Modern Mechanics and Inventions”

Die Proportionen, Frontpartie, Seitenlinie und Rückenfinne finden sich in sehr ähnlicher Form beim drei Jahre später vorgestellten Tatra 77 wieder. Nur die hinteren Radkästen unterscheiden sich deutlich.

Wer nun im Tatra 77 bzw. 87 ein Plagiat vermutet, liegt ebenso schief wie die Verfechter der These, das Entwicklungsbüro Porsche habe bei der Entwicklung des Volkswagens lediglich bei Tatra oder Josef Ganz abgekupfert.

Vielmehr lag das von Tatra und Volkswagen serientauglich gemachte Konzept in den 1930er Jahren schlichtweg in der Luft. Wie bei vielen Erfindungen befruchteten sich die Entwickler wechselseitig oder kamen unabhängig zu ähnlichen Ergebnissen.

Die Stromlinienentwürfe von Tjaarda senior sollten auch in den USA noch Folgen haben. Übrigens war John Tjaarda der Vater des Autodesigners Tom Tjaarda, der so unterschiedliche Fahrzeuge wie den DeTomaso Panthera und den ersten Ford Fiesta zeichnete.

Tatra 77: Wegbereiter der Stromlinie im Serienbau

Anfang der 1930er Jahre lag die Senkung des Luftwiderstands durch Stromlinienkarosserien im Automobilbau in der Luft.

Einen wenig bekannten Versuch hatte bereits 1928 die britische Firma Streamlined Cars Ltd. mit dem Burney Streamline unternommen. Mit aerodynamischer Form und Heckmotor nahm er das später von Tatra und Volkswagen umgesetzte Konzept vorweg. Es kam allerdings zu keiner Serienfertigung. Ähnliches gilt für den Entwurf von John Tjaarda von 1931.

Erst der tschechischen Firma Tatra gelang ab 1934 der Bau eines Stromlinienwagens in größerer Stückzahl. Dabei griff Tatra auf die Patente von Paul Jarays Stromlinien-Karosserie-Gesellschaft zurück.

Neben der markanten Form war der Antrieb durch einen luftgekühlten 8-Zylinder-Motor im Heck charakteristisch für das Modell von Tatra, wenngleich das Konzept nicht neu war.

Die als Tatra 87 bekannte Ausführung wurde bis 1950 mehr als 3.000mal gebaut, etliche Exemplare existieren noch. Der folgende Film präsentiert das Fahrzeug eines niederländischen Sammlers, wobei “Die Moldau” des tschechischen Komponisten Smetana als passende Untermalung dient.

© Videoquelle: YouTube; Urheberrecht: Peter van de Waard

Weit seltener zu sehen bekommt man dagegen die von 1934 bis 1938 nur rund 250mal gebaute Vorgängerversion Tatra 77. Diese ursprüngliche Ausführung verfügte noch nicht über eine selbsttragende Karosserie, wog erheblich mehr und war schwieriger zu fahren als das spätere Erfolgsmodell.

Formal wies der Tatra 77 einige Besonderheiten auf, etwa bei der Gestaltung der Frontpartie. Die längere Karosserie lässt den Wagen noch eindrucksvoller erscheinen. Mit seiner fließenden Form löste der Tatra größere Begeisterung aus als der zeitgleich vorgestellte, doch plumpere Chrysler Airflow.

Ein rarer unrestaurierter Tatra 77 war 2015 in der Düsseldorfer Classic Remise zu bestaunen. Die folgende Fotostrecke erlaubt einen Rundgang um das Fahrzeug, das hoffentlich eines Tages wieder in seiner vollen Pracht zu bewundern sein wird.

Tatra 77 Restaurierungsobjekt; Bildrechte: Michael Schlenger

Ein Konkurrent für Tatra 77 und 87 hätte übrigens der 1935 vorgestellte Skoda 935 werden können. Doch trotz überzeugender Konstruktion kam er über das Prototypenstadium nicht hinaus.

Adler-Werbung aus Frankfurt 1935-1937

Dass Frankfurt am Main einmal ein wichtiger Industriestandort war, an dem sogar Automobile (Adler, Detra nach Tatra-Lizenz) und Karosserien (Dörr & Schreck, Kruck) gebaut wurden, ahnt der heutige Besucher der Stadt kaum. Auch die großartige Museumsmeile entlang des Sachsenhäuser Ufers übergeht diesen Aspekt der Stadtgeschichte völlig.

Dabei war das Renommee von Goethes Geburtsstadt einst auch eng mit Firmen von Rang wie dem Automobilhersteller Adler verbunden. So ist es kein Zufall, dass in den 1930er Jahren die Programmhefte zu den Römerberg-Theaterfestspielen Reklame des am Hauptbahnhof angesiedelten Unternehmens zeigten.

Kunst und Kommerz gingen einst zusammen, ohne dass dies geschmacklos erschien. Das mag auch an der grafischen Qualität der handwerklich hergestellten Anzeigen gelegen haben.

Hier die ganzseitigen Adler-Werbeanzeigen aus originalen Festspielheften der Jahre 1935, 1936 und 1937:

© Adler Original-Reklame aus Sammlung Michael Schlenger

Britisches Stromlinienauto der 1930er Jahre

Das Konzept eines Wagens mit Stromlinienkarosserie und Heckmotor wurde in den 1930er Jahren von vielen Herstellern verfolgt. Bereits vor den legendären Tatras und dem Volkswagen gab es auch in anderen Ländern entsprechende Versuche.

Wenig bekannt ist der britische Burney Streamline, der zwischen 1929 und 1934 in wenigen Exemplaren gebaut wurde. Entwickelt wurde er nach Maßgabe von Sir Charles D. Burney, der zuvor bereits die treibende Kraft hinter dem zeppelinartigen Luftschiff R-100 gewesen war.

Formal wies der Burney Ähnlichkeiten mit dem Rumpler-Tropfenwagen aus den 1920er Jahren und dem deutlich jüngeren Tatra 77 auf. Zwecks besserer Aerodynamik besaß der Burney eine glatte Front mit integrierten Scheinwerfer und einen glatten Unterboden. Hier einige Bilder des Wagens aus “Popular Science Monthly”, Ausgabe Dezember 1930:

Burney R-100

© Bildquelle: http://blog.modernmechanix.com; Urheberrecht: Popular Science Monthly

Das Fahrzeug verfügte über Einzelradaufhängunghydraulische Bremsen und einen wassergekühlten Reihenmotor (6- bzw. 8-Zylinder). Zugeliefert wurden die Aggregate anfänglich vom Londoner Luxuswagenhersteller Beverley, später von Armstrong-Siddeley.

Motor des Burney von 1931

© Bildquelle: http://www.velocetoday.com; Urheberrecht: Streamlined Cars Ltd.

Die Anordnung des schweren Motors hinter der Hinterachse erwies sich als ungünstig für das Fahrverhalten. Zudem war die Spur hinten schmaler als vorne. Gleichwohl loben zeitgenössische Berichte den guten Federkomfort sowie das geringe Geräuschniveau im Innenraum.

Im nachfolgenden Film sind zwei Burney Streamline im dichten Londoner Straßenverkehr zu sehen. Später werden Details der Konstruktion näher vorgestellt (originale Archivaufnahmen).

© Videoquelle: YouTube; Urheberrecht: British Pathé

Die Pläne von Burney für eine Lizenzfertigung bei Herstellern in England und in den USA scheiterten, obwohl sich sogar Rolls-Royce zeitweilig für das Konzept interessierte.

Die Patente wurden vom britischen PKW-Fabrikanten Crossley übernommen, der bis 1934 etwa zwei Dutzend dieser Wagen mit eigenen Motoren und konventioneller Frontpartie produzierte (Bericht).

Die Firma des Erfinders Charles D. Burney – Streamlined Cars Ltd. – schloss 1936 ihre Tore.