Meine tägliche Presseschau findet seit vielen Jahren nur noch online statt. Für mich als Ökonom waren lange gedruckte Zeitungen wie FAZ und Handelsblatt Pflicht, solange sie die nötige Trennung von Bericht und Kommentar boten, bei anderen Blättern übliche Belehrungen vermieden und die Kontroverse auf hohem Niveau pflegten.
Doch vor einigen Jahren begannen sich die von mir bevorzugten Gazetten einem politischen Mainstream anzunähern – was Themen, Tendenz und Tonalität betraf. Meinung und Berichterstattung wurden vermengt, die kritische Distanz zu den Herrschenden ging verloren, abweichende Sichtweisen wurden verächtlich gemacht.
So entspricht heute kein gedrucktes Blatt von Rang hierzulande mehr dem, was ich unter einem soliden Presseerzeugnis verstehe. Ich verfolge die einstigen Zeitungsgrößen noch im Netz, aber bloß um der thematischen Orientierung willen.
Warum erzähle ich das? Nun, zum einen weil ein Blog ein Online-Tagebuch ist, in dem ich festhalte, was mich interessiert oder bewegt. Mitleser müssen daher mit einiger subjektiver Färbung leben können – ich bin kein Journalist.
Zum anderen will ich heute ein wirklich “solides Presseerzeugnis” präsentieren – natürlich auf Vorkriegswagen bezogen:

Zugegeben: Unter dem Hakenkreuzadler ein “solides Presseerzeugnis” für möglich zu halten, ist kühn. Am totalitären Charakter des nationalsozialistischen Staats besteht schließlich kein Zweifel und die Pressevielfalt war eines seiner ersten Opfer.
Daher sei der Blick auf das “Presseerzeugnis” gelenkt, um das es mir in Wahrheit geht und das auf dieser Postkarte aus meiner Sammlung im Mittelpunkt steht. Die Karte stammt aus dem Jahr 1935 und entstand anlässlich der Internationalen Automobil- und Motorradausstellung (IAMA) in Berlin.
Wer bis hier noch auf dem Schlauch steht, was es denn nun mit dem “Presseerzeugnis” auf sich hat, der sei auf das große Schild mit den Buchstaben “A.B.P.” hingewiesen, welches ganz oben schwebt.
Das Akronym steht für “Ambi-Budd Presswerk” – ein 1926 gegründetes deutsch-amerikanisches Gemeinschaftsunternehmen, bei dem der US-Kapitalgeber – die Edward G. Budd Manufacturing Company – zunächst für finanzielle Solidität sorgte.
Ambi-Budd mit Sitz in Berlin produzierte in rationeller Großserienfabrikation nach amerikanischem Vorbild Ganzstahlkarosserien für zahlreiche deutsche Hersteller – zunächst vor allem für Adler aus Frankfurt, in den 1930er Jahren unter anderem auch für Hanomag.
Letztgenannter Maschinenbauer aus Hannover ließ bei Ambi-Budd die Standard-Limousinenaufbauten der Modelle “Kurier”, “Rekord” und “Sturm” fertigen. Diese trugen daher oft das abgerundete dreieckige Emblem vor der A-Säule, welches wir auf diesem Ausschnitt oberhalb der modernistischen Sitzgruppe im Großformat sehen:

So verlockend manchem hier die Aussicht auf einen Besuch im Bierkeller (im Hintergrund) erscheinen mag, müssen wir uns doch einen klaren Blick bewahren, um zu einem soliden Urteil über das 2-Fenster-Cabriolet im Vordergrund zu gelangen.
Auch ohne den entsprechenden Schriftzug auf dem Kühler wäre dieser konservativ gezeichnete Wagen als Vertreter der 6-Zylindermodellreihe “Sturm” zu erkennen. Nur er verfügte über fünf (bisweilen sechs) Entlüftungsklappen in der Motorhaube, während es beim Vierzylindertyp “Rekord” deren vier waren.
Die Ausführung der Räder entspricht der ersten Serie des Hanomag “Sturm”. Erst ab 1936 wurden gelochte Felgen verbaut, die der Eleganz des Wagens nicht zuträglich waren.
Übrigens sind die seitlichen Kotflügel”schürzen” ein weiteres Unterscheidungsmerkmal zwischen “Sturm” und “Rekord” – letzterer musste bis Produktionsende 1940 (Diesel-Version) ohne dieses ab 1933 eigentlich durchweg gebräuchliche Detail auskommen.
In formaler Hinsicht gibt es jedenfalls an diesem Wagen nichts auszusetzen – hier hatte jemand sehr solide Arbeit abgeliefert. Das helle Dach sorgt dabei für eine fast sportliche Anmutung dieses technisch bodenständigen und grundsoliden Fahrzeugs:

Studiert man das Cabriolet auf Basis des Hanomag “Sturm” näher, stellt sich die Frage: Wie unabhängig war dieses “Presseerzeugnis” eigentlich von der Standard-Limousine, die bei Ambi-Budd weit öfter aus der Stanze fiel?
Laut Literatur wurde die offene Ausführung auf einem Chassis mit verkürztem Radstand montiert. Der Vorderwagen scheint indessen identisch mit dem der Limousine zu sein.
Interessant wäre nun zu wissen, wie die Türkonstruktion war. Wurden die Türen (und das Heck) nach traditioneller Stellmacherart gefertigt, also mit blechbeplanktem Holzrahmen? Jedenfalls weicht die Form stark von der ab, die bei der Limousine zu finden ist.
Oder hat Ambi-Budd bei diesem Cabriolet-Aufbau für andere Fahrzeuge vorgesehene “Presseerzeugnisse” wiederverwendet? Dann wäre am Ende das schöne Hanomag “Sturm” 2-Fenster-Cabrio weniger eigenständig, als es den Anschein hat.
Ohnehin ging die Unabhängigkeit von Ambi-Budd spätestens zu Beginn des 2. Weltkriegs flöten, als das Unternehmen ohne Rücksicht auf den amerikanischen Minderheitsaktionär auf die Produktion von Rüstungsgütern umgestellt wurde.
Die “soliden Presseerzeugnisse” der Ambi-Budd-Werke waren bis 1945 nur noch vom Staat bestellte – unter anderem die Aufbauten für militärische Versionen des Volkswagens…
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Besten Dank! Übrigens wurden bei einigen französischen Autos jener Zeit ebenfalls schwingende Sitze ganz ähnlicher Form verbaut.
Hallo,
interessant auch die Sitzgruppe unter dem Ambi-Budd Logo im Hintergrund. Sie stammt vom Designer/Grafiker Herbert Bayer, der als ehemaliger Werkstattleiter am Bauhaus nicht nur diese heute als Klassiker bezeichneten Möbel entworfen hatte, sondern ab 1933 vermehrt als Austellungsarchitekt großer Messen im quasi-staatlichen Auftrag tätig war, wie bei „Deutsches Volk – Deutsche Arbeit“ und „Deutschland“, die Teil der nationalsozialistischen Propaganda waren. Auch das Design der IAMA geht wohl auf seine Kappe, wobei die Stahlrohrmöbel gut zum Chrom und Blech der automobilen Avantgarde paßt. Dies bewahrte ihn nicht davor zwei Jahre nach der IAMA in der Ausstellung „Entartete Kunst“ verunglimpft zu werden. Bayer emigrierte kurz darauf in die USA, wie auch der Bauhäusler Gropius, der ja den Automobil-Historikern aufgrund seiner Tätigkeit für die Adler-Werke bekannt ist. Die wiederum waren, wie von M. Schlenger oben erwähnt, Auftraggeber für Ambi-Budd. So schließt sich der Kreis.
Danke für den Hinweis! Die Lindner-Fabrikation wurde zwar nicht fortgeführt, wohl aber die der Deutschen Industrie-Werke. Auf jeden Fall dürfte man so auch klassisches Stellmacher-Knowhow gehabt haben…
Hallo und guten Tag,
vielen Dank für das schöne Bild von der IAMA 1935 in Berlin.
War es nicht so, daß Ambi-Budd auch zwei Karosseriefirmen (Lindner und ?) aufgekauft hatte und dort Cabriolets in der herkömmlichen Gemischtbauweise herstellen ließ? Ich habe so etwas schon einmal gesehen (es war ein Hanomag oder Adler Cabriolet) mit der Karosserie-Plakette von Ambi-Budd.
mfg Josef Boers