Heute kommen nicht nur die Freunde der Traditionsmarke Adler aus Frankfurt/Main auf ihre Kosten; ich kann auch zur Abwechslung etwas Farbe in die sonst meist auf Schwarz-Weiß beschränkte Bildwelt der Vorkriegszeit bringen.
Dazu muss ich nicht einmal auf bisweilen fragwürdige Programme zur Nachkolorierung zurückgreifen – nein, diesmal geht es beinahe “live und in Farbe” zurück in die 1930er Jahre.
Das habe ich einem guten Freund zu verdanken, der zwar selbst anderen antiquarischen Leidenschaften frönt als historischen Automobilen, der aber meine Passion kennt und mir zum Geburtstag ein ganzes Konvolut an einschlägigem Prospektmaterial geschenkt hat, das fein abgeheftet im Ordner eines längst verblichenen Autohauses die Zeiten überdauert hat.
Doch bevor ich die Schatztruhe öffne, muss ich Sie erst mit einigen Aufnahmen auf die Folter spannen, wie man sie schon x-fach gesehen hat (jedenfalls in meinem Blog).
Die Fans des Adler “Favorit”, der ab 1929 als Vierzylinder-Schwestermodell zum 1927 eingeführten “Standard 6” gebaut wurde, können davon natürlich nicht genug bekommen.
Zum “Anfüttern” daher erst einmal eine Aufnahme, die das Modell im Stil der erfolgreichen “Amerikanerwagen” jener Zeit auf eher konventionelle Weise zeigt:

Zweifellos war das ein ansehnlicher Wagen mit den bekannten “Adler”-Qualitäten, doch ein wenig mehr Raffinesse hätte ihm vielleicht gut zu Gesicht gestanden.
Nun kann man der Meinung sein, dass es bloß an der Wiedergabe in Schwarz-Weiß wirkt, da dieser Wagen in Wirklichkeit gar nicht dunkelgrau daherkam, sondern blau oder weinrot beispielsweise.
Mag sein, dennoch gibt es andere Aufnahmen desselben Typs, die trotz Schwarz-Weiß-Wiedergabe erkennen lassen, dass Adler seinen Käufern auf Wunsch durchaus mehr bot, was die Farbgebung des “Favorit” angeht.
Man ahnt das ansatzweise bereits auf der folgenden Aufnahme:

Zum einen ist die Kombination aus hellem Wagenkörper und davon dunkel abgesetzten Elementen wie Kotflügeln und Schwellerpartie immer attraktiv. Schon wirkt so ein konservativer Limousinenaufbau viel leichter und freundlicher.
Haben Sie aber auch bemerkt, dass dieser Adler mit einem dritten Farbton aufwarten kann?
Der findet sich nämlich auf dem breiten Zierstreifen unterhalb der Seitenfenster, der wiederum von dunklen Linien eingefasst ist. Eine davon läuft vorne weiter entlang des Falzes des Motorhaube bis zum Kühler.
Noch besser studieren lassen sich diese Elemente auf einer weiteren Aufnahme eines Adler “Favorit”:

Neben dem hellen Zierstreifen zu erkennen ist hier, dass besagte dunkle Linien auch am Heck eine Fortsetzung finden. Offen gesagt, habe ich das beim Adler “Favorit” auf diesem Foto zum ersten Mal bewusst genommen.
Das mag daran liegen, dass mein Blick dafür zuvor durch einen prachtvollen Prospekt des Adler “Favorit” geschärft wurde, den ich heute in aller Ausführlichkeit wiedergeben will.
Dieses Dokument, das nun meine Sammlung ziert, wirft die schwierige Frage auf, welche der ab Werk verfügbaren Farbgebungen man bevorzugen würde, stünde man vor dem entsprechenden Luxusproblem eines Käufers um 1930.
Als Entscheidungshilfe produzierten die Adler-Werke einen kleinen Prospekt, der auf dem Titelblatt mit der Kuriosität zweier “Favorit”-Exemplare aufwartete, welche von einer Skandinavientour eindrucksvolle Rentiergeweihe als Trophäe mitgebracht hatten:

Für uns ist aber der ganz oben wiedergebene Wagen interessanter, lässt er doch den bereits erwähnten, hell abgesetzten Zierstreifen erkennen.
In welchen Variationen und in Kombination mit welchen Farbtönen dieser erhältlich war, das erfahren wir auf den folgenden Seiten der Broschüre.
Man muss bei der Farbwiedergabe natürlich berücksichtigen, dass sie durch die damaligen Möglichkeiten der Drucktechnik beeinflusst ist, dennoch vermitteln die Abbildungen zumindest eine ungefähre Vorstellung von den ab Werk verfügbaren Farbschemata.
Beginnen wir mit einem Überblick über Seite 2:

Im Unterschied zu Tönen der Nachkriegszeit haben wir es hier mit eher “müden” Farben zu tun, also solchen mit geringer Farbsättigung und Leuchtkraft.
Man findet Entsprechungen dazu auf den wenigen Fahrzeugen, die noch ihren Originallack tragen, bevorzugt an verborgenen Stellen, an den die Farbe sich weder durch UV-Strahlung noch durch Behandlung mit Polituren verändert hat.
Wenn ich es richtig interpretiere, ist im Prospekt neben der Farbgebung des Zierstreifens, der ihn einrahmenden Linien und der umgebenden Karosseriepartien auch der Ton der Stoffe im Innenraum wiedergegeben.
Besonders gut gefällt mir die erste Farbkombination, die man vielleicht als Variation über den Ton “Tabak” ansprechen würde – ideal also für den starken Raucher:

Dagegen empfiehlt sich für den Kenner opulenter Rotweine eher die Farbgebung in mehreren Abstufungen des allgemein als “bordeaux” bezeichnenden Tons.
Ich weiß zwar selbst einen schweren Roten zu schätzen, vor allem wenn er aus Italien stammt, doch am (erst recht im) Auto wäre mir das vermutlich des Guten zuviel.
Denn das sieht ein wenig so aus, als habe sich der Wagen zu lange in einem Barrique aufgehalten – dem Auto fehlt im Ergebnis einfach die Leichtigkeit wie beim ersten Beispiel:

Offensichtlich ist auch hier die Abstimmung des Innenraums auf die Außenfarbe. Die dunkle Einfassung des hellen Zierstreifens wiederholt sich ebenfalls.
Wem das Ganze zu “süffig” daherkommt und wer einen dezenteren Auftritt bevorzugt, mag an der Variante über die Farbe “Blau” Gefallen finden. Diese klassische Kombination wirkt stets geschmackssicher, meidet aber zugleich die abweisende Schwere einer ganz schwarzen Lackierung.
Dass die Motorhaube hier ebenfalls hell abgesetzt scheint, ist eine Täuschung, die lediglich dem Reflektionsverhalten der dem Auge zugewandten gewölbten Partie geschuldet ist:

Diese Farbkombination ist wie ein blaues Jackett zu weißem Hemd eine “sichere Bank” und ich kann den Herren bei der Gelegenheit nur empfehlen, auch im 21. Jahrhundert stets einen feinen, schlank geschnittenen blauen Blazer vorzuhalten.
Die Damen wissen diesen klassisch-sportlichen Stil nach meiner Erfahrung zu schätzen, selbst wenn man Jeans dazu trägt (die Schuhe müssen freilich auch etwas taugen). Dann noch ein solcher Adler “Favorit” und Sie können damit fast direkt zum Standesamt fahren (um diese fragwürdige Erfahrung bin ich allerdings herumgekommen).
Genug der Abschweifung – einen weiteren Kandidaten haben wir noch, diesmal einen von der “grünen” Fraktion:

Mit diesem Vertreter tue ich mich zugegeben etwas schwer. An sich kann ein dezenter Grünton, mit schwarz kontrastierend eine durchaus glückliche Wahl sein (das ist definitiv nicht politisch gemeint…).
Aber ich meine, so etwas verträgt sich eher mit einem sportlichen oder zumindest eleganten Aufbau. Und beides hat der Adler “Favorit” bei aller Liebe nun wirklich nicht zu bieten.
Dem Käufer eines solchen Wagens blieb so oder so die Qual der Wahl, und dabei mag dieser Prospekt letztlich nur bedingt geholfen haben.
Am Ende kam man vielleicht sogar auf eine ganz andere Idee – denn so sehr Limousinen Ende der 1920er Jahre im Trend lagen, war doch für manchen Adler-Freund immer noch ein klassischer Tourenwagen der eigentliche Favorit.
Und als ob die Adlerwerke diesen damals zunehmend exotischen Kundenwunsch auch noch berücksichtigen wollten, haben sie genau daran am Ende dieses kleinen Prospekts gedacht.
Damit öffneten sich dann nochmals ganz andere Perspektiven (Forsetzung folgt)…

Michael Schlenger, 2022. All entries in this blog (including embedded photos) are copyrighted by the author, unless otherwise indicated. Excerpts and links may be used, provided that credit is given to Michael Schlenger and https://vorkriegs-klassiker-rundschau.blog with appropriate and specific direction to the original content.
Über Steyr freue ich mich auch, vielleicht den 220 oder dessen knuffigen kleinen Bruder 55 :
https://www.allesauto.at/bussi-baby-ausfahrt-mit-dem-steyr-55-baby/
Aber da habe ich hier prompt schon einen weiteren tollen Bericht gefunden, in dem Sie uns das Autodesign der 30er Jahre auch anhand einiger Abbildungen aus dem hobby Auto-Salon vorstellten :
https://vorkriegs-klassiker-rundschau.blog/2015/10/22/tropfenform-designtrend-der-1930er-jahre/
Nun bin ich erwartungsfroh gespannt, womit es weitergeht … vielleicht gibt es auch einen Hanomag-Prospekt in diesem Konvolut, der zu den Reisen von Herrn Dr. Radant paßt !? So oder so freue ich mich auf das nächste Lesevergnügen, das Sie uns hier bescheren !
Der Geburtstag liegt schon länger zurück – dennoch danke! Das erwähnte Prospektkonvolut erstreckt sich auf diverse Marken, darunter auch Steyr. Zu Adler habe ich derzeit nichts Vergleichbares…
Zunächst herzlichen Glückwunsch und alles Gute zum Geburtstag ! Außerdem vielen Dank, daß Sie uns hier teilhaben lassen an Ihrem Geburtstagsgeschenk, denn so sind wohl noch weitere Adler-Prospekte zu erwarten !? Vielleicht ist darunter auch ein “2 Liter”, der 1938 weder Trumpf noch Primus getauft wurde, und so quasi namenlos blieb ? Nun aber zum Favorit, der sich so als polartauglich erwies, nachdem sein “großer Bruder” Standard 6 mit Clärenore Stinnes und Carl-Axel Söderström weltumrundend auch den Äquator querte : Tabakbraun mit sandbeigem Ziersteifen würde mir durchaus goutieren, obgleich ich Nichtraucher bin. Die blaue Mischung als “sichere Bank” kann ich mir ebenso als sehr ansprechend vorstellen ! Ihre Skepsis zu den Grüntönen kann ich teilen, jedoch nicht in Bezug auf Schwarz, sondern auf die Abstimmung der beiden Grüntöne zueinander, wenn ein Tannengrün, Ulmengrün oder Moosgrün von einem zu hellen Minzgrün durchzogen würde. Abgestimmt auf Caledonien- oder Hochlandgrün mit gleichrangigem Gelbanteil fände ich es aber sehr passend !
Jedoch hieß es auch vor 40 Jahren noch :
“Die Druckfarben geben leider nicht den wirklichen Farbton wieder. Bitte wenden Sie sich an Ihren Händler, er wird Ihnen zeigen, wie brillant und glänzend die Lackierung und wie weich und gemütlich die Sitzpolster sind.”
So war es weitere 50 Jahre früher noch schwieriger, Farben authentisch darzustellen, und unser heutiger Eindruck ist bildbedingt s/w-geprägt, obgleich die Welt auch damals farbig war, und bunter als der heutige Blick auf massenweise Graustufen auf jedem Großmarktparkplatz. Im Disput über Form und Farbe habe ich ich meine Oldtimerfreunde aber schon desöfteren zur Verzweiflung gebracht, wenn ich denselben Farbton an einer Isabella oder einem Panoramascheiben-Rekord bejubelte, an einem Hansa oder Kadett aber grauenhaft fand. Oder bei Ford, da würde ich beim ersten 12m mit Weltkugel ganz anders wählen als beim 1959-1962 gebauten Seitenstreifen-Facelift.
1974 wäre eine Entscheidung zwischen Taunus und Granada zugunsten des Granada ausgegangen, 1978 aber zugunsten des Taunus. Für den Granada hätte ich Goldbraun oder Grünmetallic gewählt; beim Adler Favorit fände ich aber sogar das Rot akzeptabel (was ich für 3/4 aller Autos ablehne), und auch beim Hansa 500 Cabriolet wäre eine rot-schwarze Kombination sehr ansprechend, während beim DKW F2 ein blaue Zweifarbenlackierung oder auch Hellblau mit Schwarz super gepaßt hätte.