Die Freunde deutscher Vorkriegswagen werden jetzt seufzen: “Nicht schon wieder einer dieser verdammten Ami-Kisten!”
Es tut mir leid, doch die Chronistenpflicht gebietet es, dem Kapitel amerikanischer Importautos Ende der 1920er Jahre angemessen Raum zu geben. Es gefiel auch damals schon manchem nicht, aber die “Amerikanerwagen” repräsentierten zeitweise ein Drittel der Neuzulassungen in Deutschland.
Dabei handelte es sich längst nicht nur um Fahrzeuge sattsam bekannter “Brot- und Butter”-Hersteller wie Ford und Chevrolet oder um Luxusgefährte vom Kaliber Cadillac oder Packard. Erstaunlich viele US-Fabrikate der zweiten Reihe waren ebenfalls präsent.
Dass ich eines davon vorstellen kann, verdanke ich zwei langjährigen Weggefährten, was die Dokumentation von Vorkriegsautos auf alten Fotos angeht. Der eine ist selbst ein Urgestein der deutschen Klassikerszene: Helmut Kasimirowicz aus Düsseldorf.
Seine ganze Leidenschaft gilt zwar dem in Eisenach gebauten Dixi 3/15 PS Typ DA1, der zugleich das erste BMW-Serienauto werden sollte. Doch über die Jahrzehnte hat er jede Menge Material zu anderen Marken quasi am Wegesrand aufgelesen.
Vor einiger Zeit hat er mir ein eindrucksvolles Konvolut dieser Funde übereignet – eine großzügige Geste, die mir Ehre und Verpflichtung zugleich ist. So kann ich heute dank Helmut Kasimirowicz das folgende Foto vorstellen:

Diese einst in einem Fotostudio entstandene Aufnahme hat zwar den Vorteil, dass man nicht lange rätseln muss, was für ein Wagen darauf abgebildet ist, dennoch warf sie bei einer eingehenderen Recherche Fragen auf.
Dieser Durant wurde ausweislich des Schilds an der Scheinwerferstange 1927 gebaut und hatte den Krieg in Ostdeutschland überlebt. In der DDR lag zwar sonst so ziemlich alles im Argen, was vom Staat gelenkt wurde – das hat der Sozialismus so an sich – aber in einer Hinsicht war man vorbildlich, nämlich in der Pflege des automobilen Kulturguts.
Während Ostberlin sonst einen Feldzug gegen alles führte, was der Sphäre des gehobenen Bürgertums entstammte, welches sich vor dem Krieg den Luxus eines eigenen Autos leisten konnte, hatte man es irgendwie geschafft, die Funktionäre vom Wert dieser Tradition zu überzeugen – ich wüsste gern, wie man das angestellt hat.
Jedenfalls war dieser Durant von offizieller Seite nach kritischer Begutachtung als Veteran anerkannt und registriert worden – das verrät das kleine Schild auf der Stoßstange.
Dass man es damals nicht immer sehr genau nahm, eventuell weil man von einzelnen Typen keine Ahnung hatte, das belegt dieser Durant. Denn das angegebene Baujahr 1927 kann unmöglich stimmen.
Das 1921 von William Durant – dem ursprünglichen Schöpfer des General Motors-Verbunds – gegründete Unternehmen stellte nämlich in den Modelljahren 1926 und 1927 überhaupt keine Automobile her.
Durant war damals in großen finanziellen Schwierigkeiten und musste 1926 das Werk in Flint (Michigan) an GM und 1927 das Werk in Long Island City an Ford verkaufen (Quelle: Kimes/Clark: Standard Catalog of American Cars. 3. Ausgabe, S. 503).
Erst 1928 entstanden wieder Durant-Wagen, die als Vier- und Sechszylinder erhältlich waren. Doch erst 1929 findet man Autos dieser Marke, welche die eigenwillige Gestaltung der Luftschlitze in der Motorhaube aufweisen.
Das war nach meinem Eindruck auch nur bei einer einzigen Ausführung des 1929er Durant der Fall – dem Modell 66. Dieses besaß einen von Continental zugekauften 3 Liter-Sechszylinder-Motor mit knapp 50 PS – zumindest insofern passen die Angaben zum oben gezeigten Wagen wieder (Quelle).
Was aber hat es mit der Angabe “Karosserie Deutsch” auf sich? Wurde dieser hübsche Cabriolet-Aufbau tatsächlich von der gleichnamigen Firma in Köln gefertigt? So wie vielleicht das falsche Baujahr auf einen bloßen Übertragungsfehler zurückzuführen war, mag die Herkunftsangabe ebenfalls fehlerhaft gewesen sein.
Möglicherweise sollte bloß ausgedrückt werden, dass der Wagen als solcher – also das fahrfertige Chassis mit Kühler und Motorhaube – aus den USA stammte, während die Karosserie von einem deutschen Hersteller gefertigt wurde.
So oder so würde der Titel “Halb Ami, halb Deutsch(er)” passen, denn das Blechkleid war damals ebenso wichtig wie die Technik.
Nun habe ich noch eine weiteren Aufnahme in petto, die ganz wunderbar zu obigem Foto passt. Diese hat Klaas Dierks beigesteuert, dessen bemerkenswerte Sammlung an Originalabzügen von Vorkriegswagen uns schon manchen Glücksmoment beschert hat.
Auch er kann mit einem 1929er Durant des Typs 66 aufwarten, der zumindest dem Kennzeichen nach als halber Deutscher durchgehen dürfte:

Diese Aufnahme mag zwar technisch nicht so perfekt sein wie das obige Studiofoto, doch überzeugt sie mit vorteilhafterer Perspektive und vor allem mit der Einbeziehung des menschlichen Elements, ohne das Autofotos oft seelenlos wirken.
Hinzu kommt, dass wir es hier mit der Luxusversion des Durant 66 von 1929 zu tun haben, unter anderem zu erkennen an den serienmäßigen Drahtspeichenrädern sowie seitlich montierten Ersatzrädern und Positionslichtern.
In dieser Spitzenausstattung und dann noch als geräumige Limousine war so ein Durant im Deutschland der späten 1920er Jahre ein eindrucksvolles Fahrzeug, auch wenn es in den Staaten lediglich in der Mittelklasse angesiedelt war.
Kein Wunder, dass dieser repräsentativ wirkende Wagen die Aufmerksamkeit einiger Berliner Autoenthusiasten auf sich zog, sofern die Herren nicht ohnehin im Besitzerumfeld zu suchen waren.
Wer meint, dass so ein Durant mit gerade einmal 50 PS eine lahme Gurke gewesen sein muss, der schaue sich dieses Video einer kleinen Ausfahrt mit einem 1929er Modell an:
Man merkt sofort die Anzugskraft, die heutigen, auf niedrigen Verbrauch (auf dem Papier) getrimmten kleinvolumigen Motoren selbst bei nominell höherer Leistung fehlt. Der Wagen schwimmt mühelos im Verkehr mit und wirkt zu keinem Moment angestrengt.
Wer einen einigermaßen bezahlbaren, gut aussehenden und ordentlich motorisierten Vorkriegs-Klassiker sucht, kommt eigentlich an solchen US-Großserienautos kaum vorbei. Wenn sie dann noch halb Ami, halb Deutsch(er) sind, ist das Glück perfekt…
Michael Schlenger, 2022. All entries in this blog (including embedded photos) are copyrighted by the author, unless otherwise indicated. Excerpts and links may be used, provided that credit is given to Michael Schlenger and https://vorkriegs-klassiker-rundschau.blog with appropriate and specific direction to the original content.
Großartig, danke dafür!
…und das Gebäude existiert noch. 🙂 Es steht am Zitadellenweg in Spandau und trägt mittlerweile die Hausnummern 62 und 70. Die Geschichte hatte ihm inzwischen ganz schön mitgespielt, diverse Firmen haben ihre Spuren durch Umbauten hinterlassen. Wir haben das Gebäude schon vor Jahren erworben und – nach Möglichkeit und in Abstimmung mit den Denkmalbehörden – die alte Fassade freigelegt und damit ein Stück Industriegeschichte erlebbar gemacht. Zu dem Gebäude gehören übrigens noch weitere, dahinter liegende denkmalgeschützte Liegenschaften – die eigentlichen Produktionshallen und die firmeninterne Badeanstalt. Rund 5.000qm Gebäudefläche sind erhalten und nun Teil der Motorworld Manufaktur Berlin. Aus einem amerikanischen Zeitungsbericht geht hervor, dass das New Yorker Durant-Büro den Kauf der Gebäude ankündigte, der Start der Produktion hier in Spandau war für den 01. August 1928 vorgesehen; die Spandauer Zeitung spricht deckungsgleich in ihrer Ausgabe vom 18. Mai 1928 vom Kaufabschluss am Dienstag, dem 15. Mai 1928. Die Auto-Union AG hatte die Gebäude nach der schnellen Aufgabe Durants gepachtet und schließlich im Jahr 1933 erworben.
Eine kleine Vertiefung zur Pflege ” automobilen Kulturgutes” in der DDR :
Das Schild an der Stoßstange unseres Deutschamerikaners ist die Nr. der diesem Fahrzeug zugeteilten Veteranen- Anerkennung durch ausgewiesene Fachreferenten des ADMV ( Allgemeiner Deutscher Motorsport- Verband), des DDR- Auto- Clubs mit “Alleinvertretungsanspruch”,
ähnlich unserem ADAC.
Erstmals 1961 fand ein Treffen der Auto- Veteranen in Dresden statt aus dem sich über die Jahre eine aktive und weitverbreitete (mit starkem Nord- Südgefälle zugunsten des dichtbe- völkerten und hochtechnisierten Südens) Oldtimer- Szene herausbildete. Die Fahrzeuge mussten, um die mit der Anerkennung und Nr. – Vergabe verbunden Verkehrszulassung zu bekommen, einer qualifizierten Ab- nahme- Kommission vorgeführt werden, die nach einem 100 Punkte- System alle relevanten Aspekte, insbesondere die Originalität einschließlich Farbewahl bewertete.
Wie man hörte waren 100 Punkte nur theoretisch erreichbar! unten auf dem ” ADMV- Schild sehen wir das offzielle Siegel welches quasi der staatlich autorisierte Zulassungsstempel war und den Besitzer berechtigte, nach bestätigter Meldung zu den diversen
vom ADMV ausgerichteten Treffen und
Ausfahrten mit einer Wo. Vor- und Nachlauf ( Prüfung- und Probefahrten
waren ja dringend erforderlich!) jeweils
Das “Gute Stück” zu bewegen.
Ein strategische Anmeldetaktik ermöglichte da die Nutzung eines Veteranen fast die ganze Saison und
Auch von Oldtimer- Urlauben hat man hier und da gehört!
Besten Dank, Herr Klioba, das war mir neu!
Sowohl “halb deutsch” als auch “halb Deutsch” ist richtig. Die Firma Durant unterhielt in Berlin-Spandau in den Jahren 1928/1929 eine Automobilfabrik, und zwar im ehemaligen Karosseriewerk der Deutschen Werke (D-Wagen). Während die Motoren und “einige Spezialteile” aus den USA importiert wurden, entstanden die Karosserien in Deutschland, unter anderem bei der Firma Deutsch. Dem Spandauer Durant-Werk war aber kein großer Erfolg beschieden. Nach nur einem Jahr wurde die Produktion wieder eingestellt. Das Gebäude wurde anschließend von J.S. Rasmussen gepachtet, um dort seine DKW-Wagen zu bauen.
Nachzulesen ist dies im Buch “Zweirad Vierrad Allred – Fahrzeugbau in Spandau” von Immo Sievers.